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und trat dann mit einem halb unterdrückten Seufzer in das Gebüsch zurück. „Wenn ich sie doch einmal könnte sprechen hören!" murmelte er. „Ich muß wiederkommen." „O, Vater, Du bist hier nicht sicher! Wenn Du doch England verlassen wolltest!" „Welche Sicherheit gäbe es irgendwo für mich? Ein Land ist so sicher oder unsicher wie das andere. Jedermanns Hand darf sich gegen mich erheben. Aber der Himmel ist gerechter und barmherziger als die Menschen. Sieh'! Kommt sie an's Fenstern Alexa?" „Lady Wolga? Nein. Lady Markham schaut heraus; aber sie kann uns nicht sehen. Doch jetzt muß ich gehen, man wird mich sonst vermissen. Ich kann unbemerkt in mein Zimmer gelangen. Ich werde an jedem Abend auf der Derasse des Schlosses Mout Heron auf Dich warten. O, ich kann Dich nicht gehen lassen. Jean Renard hat Dich in Griechenland gesehen und verfolgt Dich vielleicht. Ver sprich mir, daß Du Dich unkenntlich machen willst, ehe Du wieder kehrst und so lange Du in England bleibst." Sie hatten sich etwas weiter vom Hanse zurückgezogen und sprachen ganz leise. „Ich verspreche es Dir," sagte Mr. Strange. „Und nun laß' uns scheiden. Du darfst Dich nicht um mich ängstigen, Alexa. Der Himmel wird nichts Schlimmeres über uns kommen lassen, als be reits geschehen ist. Gute Nacht, mein theueres, mnthiges Kind!" Er schloß sie in seine Arme und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Dann ließ er sie rasch los, entfernte sich eiligst und verschwand in dem Dunkel der Bäume. Alexa wandte sich um und ging leisen Schrittes dem Hause zu. Die Thür war noch offen und eine Lichtfülle strömte in die Nacht hinaus. Alexa hatte kaum zehn Schritte vorwärts gethan, als eine Gestalt hinter einem Baume hervorkam und ihr den Weg vertrat. Alexa's Herz drohte still zu stehen. Die ihr so unerwartet in den Weg Getretene war Lady Markham. „Habe ich Sie endlich auf frischer That ertappt?" rief ihre Feindin triumphirend. „Mein Verdacht war also doch begründet. Folgen Sie mir in den Salon, Miß Strange, und verantworten Sie sich wegen Ihres Betragens vor der edlen Dame, die Sie so furchtbar getäuscht haben. Kommen Sie, die Stunde Ihrer Ent larvung hat geschlagen!" 32. Kapitel. Entlassen. Ehe Alexa sich von ihrem Schreck zu erholen vermochte, erfaßte Lady Markham ihren Arm und führte sie durch die große Halle in den Salon. Lady Wolga schritt langsam auf und ab; bei dem Geräusch der hastigen Tritte blieb sie stehen und sah die Eintretenden über rascht an. Alexa war bleich. Ihre blauen Augen glühten; ihr schönes Gesicht drückte Schmerz und Verzweiflung aus; auf ihren Wangen waren Spuren von Thränen, und ihr ganzes Wesen zeugte von Verwirrung und Ängst. Lady 'Markham dagegen bot ein Bild des Triumphes bar. Sie hatte wirklich geglaubt, daß Alexa hinterlistig sei, und war nun außer sich vor Freude, ihre Meinung durch die Thatsachen bestätigt zu sehen. „Was soll das bedeuten?" fragte Lady Wolga, ihre Freundin unwillig ansehend. „Es bedeutet, theure Lady Wolga," antwortete Lady Markham, „daß dieses Mädchen eine geheime Zusammenkunft mit einem Manne in Ihrem Garten gehabt hat. Es bedeutet, daß sie soeben Abschied von ihm genommen hat in einer Weise, welche auf ein sehr vertrau liches Verhältuiß schließen läßt. Ich selbst sah sie in seinen Armen und hörte ihn sie wieder und wieder küssen. Aber dieser Alaun war nicht Lord Kingscourt." Sie ließ Alexa frei, welche mit niedergeschlagenen Angen und, nach Athem ringend, dastand. Der Ausdruck des Unwillens auf Lady Wolga's Gesicht ver wandelte sich in den des Zornes, aber er war gegen die Anklägerin, nicht gegen die Angeklagte gerichtet. „Ich kann nicht einsehen," sagte sie kalt, „welches Interesse Sie, Lady Markham, an Miß Strange's Privatangelegenheiten haben können. Ich will nichts davon hören!" Alexa warf Lady Wolga einen dankbaren Blick zu. „Lady Wolga!" rief sie aus, „Sie müssen mich nicht verstanden haben. Dieses Mädchen hat Ihnen gesagt, sie sei eine Fremde in England, sie kenne Niemanden in' diesem Lande außer Lord Kings court. Sie hat Sie getäuscht. Ich sah sie vor kaum zwei Minuten in den Armen eines Mannes, der mir unbekannt war. Mag sie es läugnen, wenn sie es kann." „Sie müssen jedenfalls im Jrrthum sein, Lady Markham —" „Miß Strange!" rief die alte Dame, Lady Wolga unter brechend und sich zu Alexa wendend, „können Sie mir es wider legen, daß ich soeben Zeuge Ihres Abschieds von einem fremden Manne war?" Alexa antwortete nicht, und ihr Schweigen beunruhigte Lady Wolga. „Sie wagt nicht zu läugnen!" rief die alte Dame triumphirend. „Lady Wolga, diese Person ist eine Natter, und es ist Ihre Pflicht, die Thatsache zu erfahren und zu prüfen. Sie haben das Mädchen Ihren Gästen zugeführt und ihnen gleichgestellt; es ist Ihre Pflicht, sich selbst zu überzeugen, daß Sie Ihren Gästen keine Unwürdige zu- gesührt haben! Wenn sie beweisen kann, nichts Unrechtes gethan zu haben, will ich sie gern um Verzeihung bitten." Alexa sah noch immer schweigend zu Boden. „Ich glaube sicher, daß Sie sich geirrt haben," sagte Lady Wolga. „Ich habe sie ja beim Arm genommen und dircct zu Ihnen ge bracht, ohne sie aus den Augen zu verlieren!" rief Lady Markham eifrig. „Ein Jrrthum ist ganz unmöglich! Ich sehe, daß Sie nichts Schlimmes glauben wollen von Miß Strange, als auf ihr eigenes Geständniß hin. Miß Strange," und sie wandte sich zu dem Mädchen mit strengem Ton und herrischer Geberde, „haben Sie heute Abend einen Manu im Garten getroffen? Habe ich Sie nicht von ihm Ab schied nehmen gesehen?" Jetzt schlug Alexa ihre Augen auf und Lady Wolga bemerkte den angstvollen Blick darin und den verzweifelnden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Ihre Lippen öffneten sich-ein wenig, aber es kam kein Laut über dieselben. Es herrschte eine peinliche Stille. Lady Wolga wurde bleich. Weßhalb wies Alexa die Beleidigung nicht zurück? Weßhalb vertheidigte sie sich nicht gegen die schwere Beschuldigung? „Miß Strange," fuhr Lady Markham fort, „könuen Sie es läugnen, daß Sie in Lady Wolga's Dienst getreten sind, um ihre eigenen, geheimen Zwecke zu verfolgen?" Ein leises Zucken, ein Zittern ani ganzen Körper zeigte, daß diese Frage Alexa bis in ihr Innerstes getroffen hatte. „Miß Strange," sagte Lady Wolga freundlich, „ich bitte Sie zu glauben, daß ich keinen Theil an dieser Scene habe. Ich bin fest überzeugt, daß Lady Markham sich in einem Jrrthum befindet. Meine alte Freundin scheint hart und grausam zu sein, aber ich glaube an den Ernst ihrer aus Ueberzeugung hervorgebrachteu Aeußerungen. Ich weiß, daß sie Ihre einfache Verneinung ihrer Beschuldigung als Beweis ihres Jrrthums ansehen wird. Ich bitte Sie nicht um meinetwegen, denn ich zweifle nicht an Ihnen, sondern um Ihrer selbst willen; sagen Sie Lady Markham, daß sie sich in einem Jrr thum befindet. Sie sind eine Fremde in England nnd deßhalb ist es undenkbar, daß Sie mit einem befreundeten Manne in meinem Garten zusammengetroffeu sein können." Alexa hatte sich aufgerichtet. Lady Wolga, ihre eigene Mutter, schien zu ihrem Richter geworden zu sein. Sie fühlte ein allmächtiges Sehnen, sich an die mit Juwelen gezierte Brust dieser Frau zu flüchten, die Liebe zu fordern, auf welche sie einen rechtmäßigen An spruch hatte und ihren ganzen Kummer auszuweinen; aber wieder war es der Gedanke an ihren Vater, der sie stärkte, dem gewalt samen Drängen Widerstand entgegensetzen zu können. Sie dachte daran, in welcher Gefahr ihr Vater schwebte, daß sein Geschick, sein Leben von ihrer Vorsicht abhing. Sie konnte die Aussage der Lady Markham nicht in Abrede stellen, lieber wollte sie Alles ertragen, was auch über sie kommen mochte. Keine Furcht war es, die aus ihren Augen sprach, aber ein inständiges Flehen, welches Lady Wolga einen Stich in's Herz gab, fand in denselben Ausdruck. „Ich kaun die Beschuldigung, welche Lady Markham gegen mich vorbringt, nicht in Abrede stellen," sagte sie zitternd; „aber ich bin keine Unwürdige. Ich bin keine Abenteuerin! Glauben Sie mir, Lady Wolga; ich beschwöre Sie, vertrauen Sie mir. Eines Taaes vielleicht kann ich Ihnen Alles erklären, nur jetzt darf ich es nicht." „Sie trennten sich nicht im Garten von einem Manne unter Küssen und Umarmungen?" fragte Lady Wolga, das Unglaubliche noch immer nicht fassend. Alexa erröthete. „Ich läugue es nicht," entgegnete sie standhaft. „Dann war es Lord Kingscourt. Das hat nichts Besonderes auf sich, mein liebes Kind —" „Der Mann war nicht Lord Kingscourt," fiel Lady Mark ham ein. „Nein, er war es nicht," bestätigte Alexa. „O, Mylady, schonen Sie mich! Wenn Sie mir nur noch eine Zeitlang Vertrauen schenken könnten." Lady Wolga schien verwirrt und bekümmert. Ihr Vertrauen war nicht leicht zu erschüttern. Sie hatte das Mädchen lieben ge lernt mit einer Zärtlichkeit, die ihr selbst unerklärlich war. Daß Alexa ein Geheimniß besaß, war ihr klar; aber wie konnte sie etwas Schlechtes von diesem Mädchen glauben? Sprachen doch ihre Augen voller Treue und Aufrichtigkeit für die Reinheit ihrer Seele. In ihrer Unentschlossenheit und Verwirrung machte sie der Scene ein rasches Ende. „Wir wollen die Sache heute Abend nicht weiter besprechen," sagte sie ernst. „Alexa, ich werde Sie sogleich in Ihrem Zimmer besuchen."