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pulsnitzerMchenblatt Donnerstag, 15. Februar 1912. Beilage zu Nr. 19. 64. Jahrgang. Tagesgesckrckts. Deutsches Reich. Berlin. 13. Februar. (D i e Partei krtsis im Reichstage.) Die fortschritt liche Volkspartei hat, wie aus parlamentarischen Krei sen berichtet wird, in ihrer letzten Besprechung vor der heutigen Sitzung des Reichstages in Erwägung ge zogen, obwohl eS gegen ihre Parteiinteressen sei, das Opfer zu bringen und den Präsidenten des Reichstages zu stellen. Sie hofft weiter, daß dec Abg. Paasche das Amt des 2. Vizepräsidenten nicht niederlegen werde. Sollte dies doch der Fall sein, dann ist die fortschritt liche Voltspartei weiter bereit, auch den 2. Vizepräsi denten zu stellen, immer ausgehend von dem Gedan ken, den Reichstag für vier Wochen arbeitsfähig zu erhalten, um der Notwendigk.it einer Vertagung zu entgehen. — Die Präsidentenwahl hat nun Mittwoch nachmittag 2 Uhr stattgefunden. Bei der Wahl des 1. Präsidenten wurden 374 Stimmzettel abgegeben, davonfwaren 173 weiß, 193 lauteten auf den Abg. Kaempf (Förtsch--. Volkspartet), 8 zersplittert. Kaempf nahm die Wahl an. Als 2. Vizepräsident wurde mit 194 Stimmen der Abg. Dover (Fortschr. Volkspartei) gewählt, welcher auch die Wahl annahm. Bei dieser Wahl waren außerdem 165 Stimmzettel weiß und 12 zersplittert. Berlin, 14. Februar. (DieDeckung derMehr- erfordernisse für Heer und Marine) Zur Deckung der"Mehrerforderniffe für Heer und Marine liegt nach der „Tägl. Rundschau" dem Bundesrat da- Projekt vor, mit der Erbschaftsstrue eine Wehr- und Junggesellensteuer in der Weise zu verknüpfen, daß Junggesellen und Personen, die von der Wehrpflicht befreit sind, bei Erbschaften mit höheren Sätzen zur Erbschaftssteuer herangezogen werden sollen. — (Eine Zusammenkunft der drei Kai ser auf deutschem Boden) soll Nachrichten aus Petersburg zufolge für diesen Sommer geplant sein. Eine dem Feudaladel nahestehende Korrespondenz in Wien bringt heute sogar die Meldung von einem be absichtigten Anschluß Rußlands an den Dreibund. Berlin, 14. Februar. (Notifizierung der Republik China.) Der hiesige chinesische Gesandte hat dem Auswärtigen Amte durch Ueberreichung einer Note die Begründung der Republik China amtlich an gezeigt. Ueber die Form, in der dies geschah, wird gemeldet, daß die Note von Waiwupa, dem auSwär- Ligen Amt in Peking ausgegangen war. Sie gibt da» kaiserliche Edikt wieder, in dem der Kaiser seinen Ent schluß ankündigt, auf den Thron zu verzichten, Juan schikai als Präsidenten der provisorischen Republik an- erkennt und sich einverstanden erklärt, daß später eine ' republikanische Regierung errichtet wird. Als eine Konsequenz der Verfassungsänderung erscheint die Be- stätigung der bisherigen diplomatischen Vertretung in ihren Aemtern. Hamburg, 18. Februar. (AuS dem national, liberalen Lager.) Der nationalliberale Wahl verein von 1884 beruft eine Versammlung der natto- nalliberalen GesamtoerbandeS ein, in der aus eine Ansprache über das Verhalten der nationalliberalen Fraktion bei der Wahl des Präsidenten erfolgen soll. Der Ausschuß der Vereinigung erklärt, daß er über zeugt sei, daß der Vorstand mit der großen Mehrheit der Nationalliberalen Hamburgs hinter dem Teil der Fraktion stehe der bet den Wahlen zum Präsidium mit den Parteien der Rechten gegangen sei. England. London, 14. Februar. (Die eng- lische Thronrede.) Bei der feierlichen Eröffnung des Parlamentes hielt König Georg eine Thronrede, in welcher er u. w ausführte: Unsere Beziehungen zu den fremden Mächten sind andauernd freundlich. Bei einer sich darb*etenden günstigen Gelegenheit werden wir zwischen Italien und der Türkei vermitteln. Die Lage in Persien fährt fort, die ernste Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, wir stehen dabei fortwährend mit der russischen Regierung in Verbindung. In China befolgen wir die Haltung strikter Nichteinmisch ung. Der König sprach dann über seine Reise nach Indien, die ihm den Beweis der Ergebenheit der Für sten und Völker Indiens gebracht hätte. Der König spricht die Hoffnung aus, daß die Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Arbeitgebern eine gütliche Bet- legung finden. Schließlich wurden mehrere Gesetzes vorlagen angekündigt. London, 14. Februar. (Kein Geschenk des Kaisers) Die hier verbreitete Meldung, der Kaiser habe eine Bronzebüste seiner eigenen Person dem Lord Haldane zum Geschenk gemacht, ist unzutreffend; die Kaiserliche Gabe besteht in einem Abguß eines griechi schen Kriegers, deren Original sich in den Berliner Königlichen Sammlungen befindet. Russland. Petersburg, 14. Februar. (Gefecht zwischen Russen und Persern.) Aus Baku wird gemeldet, daß persische Truppen bei Ardebil über eine Abteilung russische Grenzsoldaten unter der Füh- rung de» Leutnants Jafremo hergefallen find. Drei russische Grenzsoldaten sind verwundet. Die Perser verloren 100 Mann. Ein Teil eilte fort, um Hilfe zu holen. Lhina. Peking, 14. Februar. (Eine Gegen- revolution in China.) Die Prinzen Tsaitset und Kung Su agitieren für eine Gegenrevolution von Mukden aus. — Juanschikat hat den Titel „Bevoll mächtigter der provisorischen republikanischen Regie- rung" angenommen. veutscder NslÄsstag. 4. Sitzung, Dienstag, den 13. Februar. Am Bundesratstisch: Wermuth, vr. Delbrück, vr. Lisco, Kraetke, Wahnschaffe, Kühn und zahlreiche süddeutsche Kom missare. Das Haus ist stark besetzt. Die Tribünen sind überfüllt. Erster Vizepräsident Scheidemann eröffnet die Sitzung um 2,15 Uhr mit der Mitteilung, daß folgende Abgeordnete zu Schriftführern gewählt sind: Bärwinkel (Natl.), vr. Neumann- Hofer (Vp.h Stücklen (Soz.), v. Morawski (Pole), Rogalla von Bieberstein (Kons.), Engelen (Ztr.) Belzer (Ztr.) und Fischer- Berlin (Soz.). Vizepräsident Scheidemann teilt dann-weiter mit, daß der Abgeordnete Freiherr von Hertling (Ztr.) infolge seiner Ernen- nung zum bayerischen Staatsminister und Minister des könig lichen Hauses sein Mandat niedergelegt hat. Wegen der Neu wahl ist das erforderliche ungeordnet Vom Präsidenten vr. Spahn ist folgendes Schreiben ein gegangen: „Dem Reichstagspräsidium teile ich ergebenst mit, das ich das Amt des Reichstagspräsidenten hiermit niederlege, vr. Spahn." (Lebhaftes Bravo im Zentrum und bei den Konservativen. Große Heiterkeit bei den Soz.) Erster Vizepräsident Scheidemann: Es ist mir im An schluß an diese Mitteilung ein Antrag Bassermann (Natl.)- Gröber (Ztr.) zugegangen, die Sitzung nunmehr zu vertagen. Der Antrag wird einstimmig angenommen. (Heiterkeit und Bewegung.) Nächste Sitzung: Mittwoch 2 Uhr, Wahl des Präsidenten, und Interpellationen Bassermann über die Zuckerkonserenz, Ablaß über die Teuerung, Albrecht auf Aufhebung der Kar toffelzölle, ferner erste Lesung des Etats. Schluß 2 Uhr 20 Minuten. MmnungsM aus Sem Reichstage. Sitzung vom 14. Februar. Das Interesse der Berliner an den Reichstagswahlen nimmt nicht ab. Auch heute hatten sich wieder große Menschen massen vor dem Parlamentsgebäude emgefunden, um möglichst bald das Resultat der Wahl zu erfahren. Auch die Tribünen sind wieder überfüllt. Um 2,15 Uhr eröffnete erster Bizepräsi- dent Scheidemann bei dicht besetztem Hause die Sitzung und teilt mit, daß nunmehr auch Paasche semen Posten im Präsidium niedergelegt Habs. Diese Mitteilung, die ja keine Ueberraschung mehr ist, wird von der Rechten mit Bravo, von der Linken mit Heiterkeit ausgenommen. Scheidemann schlägt dann vor, nach der Wahl des Präsidenten die Wahl des zweiten Vizepräsidenten vorzunehmen. Dieser Vorschlag wird angenommen. Es be ginnt nun die Wahl des Präsidenten mit dem endlosen Namens aufruf der Abgeordneten, das Rätselspiel, wer Präsident werden wird, geht seiner Lösung entgegen. Inzwischen durchschwirrten allerlei Gerüchte den Saal, Kaempf Präsident, Dove zweiter Vizepräsident, das ist die Lösung, die am meisten genannt wird und die auch wohl allein in Frage kommt. Auch das Gerückt, daß der Reichstag auf vier Wochen vertagt werden soll, taucht immer wieder aus. So unwahrscheinlich das auch ist, in diesem Reichstag der Zufälligkeiten kann auch das zur Tatsache werden. Das Resultat der Präsidentenwahl ist sestgestellt. Von 374 ab gegebenen Stimmen erhielt Kaempf 193, 82 Stimmen über Lie erforderliche Majorität. 173 weiße Zettel wurden abgegeben, die von den Konservativen und dem Zentrum herrühren. Bei der Wahl des zweiten Vizepräsidenten dasselbe Schauspiel. Die Rechte und das Zentrum enthalten sich wieder, und der Abge ordnete Dove, ebenfalls von der fortschrittlichen Volkspartei, wird mit 194 Stimmen der Linken auf den Schild erhoben. 7) Mein ist die Wache. Detektiv-Roman von Theo von Blankensee. (Nachdruck verboten.) Ter Leichenwärter trat ein und brachte die Mel dung: „Tie beiden Zeuginnen sind soeben angekommen." „Führen Sie beide sofort herein!" befahl der Richter, worauf der Wärter sich wieder entfernte. Tann kamen die beiden. Fran Gerd war dicht verschleiert, aber ihr Gang war fest und sicher. Die Augen Ella Gerlachs waren rot ge weint. «Kommissar Haller stellte sich so, daß, er das Gesicht der Beiden beobachteil konnte. Frau Gerds Gesicht blickte ausdruckslos um sich; als sei alles um sie her tot, so starrten ihre Augen immer gerade aus. Ella Gerlach dagegen erschien in ihrem Benehmen ängstlich, furchtsam. Sie blickte überall hin und als ihr Auge sich mit dein Anblick des Toten kreuzte, da schau derte sie zusammen. Der Untersuchungsrichter ging ihnen entgegen und sagte in höflichem Tone: „Sie wurden hierher lediglich vorgeladen, um zu be- stätigeu, daß dieser Tote der ermordet aufgefundene Robert Sandtner ist." Auf seine Aufforderung näherte sich Frau Gerd Sandtner und als sie in das wachsgelbe Gesicht des Toten starrte, als sie dessen hervorquellende glanzlose Augen sah, seine niedere Stirn, welche mit Blut beklebt war, das im Sonnenlichte funkelte, als stecke noch warmes, quel lendes Leben darin, da veränderte sich keine Muskel ihres Gesichtes.' Sie nickte nur und leise gab sie Antwort: „Ja, er ist es!" Haller mußte in diesem Benehmen alle seine Ver- dachtsgründe vernichtet sehen! War es möglich, daß ein Weib, die Frau eines Mannes, den Mörder des eigenen > u »"'M!,! Gatten kannte und nun so ruhig der Leiche gegenüber stand? War das möglich? Als Ella Gerlach das Angesicht des Toten sah, als sie sah, wie dessen Augen aus sie gerichtet schienen, da zit terte und bebte ihre Gestalt. Mit Mühe nur vermochte sie sich aufrecht zu erhalten und auf die Frage des Rich ters, ob "e den Toten wieder erkenne, da nickte sie nur. Der Hals war ihr wie zugeschnürt. Dies war nicht unbemerkt geblieben. Da wandte sich der Landgerichtsarzt scheinbar ab sichtslos an den Kommissar und fragte diesen halblaut flüsternd, aber doch so, daß die beiden Frauen es hören mußten: „Also heute nachmittag noch wollen sie den Täter verhaften?" Haller begriff sofort die Absicht und antwortete ebenso: „Gewiß! Er ist überführt und dürfte die Sache nun vollständig geklärt sein!" Dieser Wortwechsel übte allerdings seine Wirkung aus, aber nicht die, welche Haller erwartet hatte. Frau Gerd stand ruhig wie vorher, nicht eine Wimper ihrer fascinierenden Äugen zuckte. Aber Ella Gerlach schlug beide Hände vor ihr Gesicht, dann brach sie zusammen und fiel auf den Steinboden des Saales. 6. Kapitel. Haller saß in seinem Bureau über die Akten: „Robert Sapdtner, Mord durch unbekannten Täter" ge beugt. Die gelben Vorhänge der hohen Fenster, von welchen man Aussicht in den Gesängnishof hatte, waren herab gelassen, so daß ein leichtes Halbdunkel im Raume herrschte. Auf der einen Wandseite des ziemlich hohen Zim mers war ein hohes und breites Regal mit einer großen Anzahl von gleichgroßen quadratischen Fächern, die mit > »W« st HI ««««i IN« —im TT— aufklappbaren Pappdeckeln geschlossen waren und ver schiedene Aufschriften trugen, angebracht. Hier waren nämlich die Personalakten, die über die geriebensten und gefährlichsten Verbrecher geführt wurden, nebst den je weils dazugehörigen Photographien in den verschieden sten Aufnahmen, um in jeder Stellung das Charak teristische festzuhallen, aufbewahrt. Die andere Wandseite zeigte die verschiedensten Diebs werkzeuge und Mordinstrumente. Es waren hier Brech stangen, Sägen, Kreisbohrer und Dietriche in allen mög lichen Größen und noch eine Reihe anderer von Verbre chern bei ihren Raubzügen geführten Instrumente ver treten; dazu kamen noch die verschiedensten Waffen, Re volver von einer fast unheimlichen Größe bis zum klein- kalibrigsten, den man leicht in einer hohlen Hand ver bergen konnte, Gewehre der mannigfachsten Konstruk tionen, Messer, Stecheisen, Dolche, Beile, Totschläger, Schlagringe, ein förmliches Waffenarsenal. Haller Ivar vertieft in die vor ihm auf dem Schreib tisch liegenden Z^tenprotokolle. So oft er aber auch alles überlas, immer wieder gelangten seine Gedanken zu dem selben Verdacht. Er sah nur die eine Spur, die eine Möglichkeit! Der schwarze Knopf! Das konnten auch nur die letzten Worte des Toten gewesen sein. Aber wie sollte er zu einer Lösung gelangen? Frau Gerd Sandtner schwieg; von ihren Lippen durfte er nichts erhoffen. Diese waren ebenso stumm wie die des Toten. Und Ella Gerlach? . Wußte diese etwas? Er gedachte des Vorfalls im Sektionssaale, als man sie nach den verhängnisvollen Worten des Landgerichtsarztes hatte abführen müssen, da sie ohnmächtig zusammengebrochen war. Wie ruhig war dagegen Frau Gerd in ihrer verführerischen Schön heit? Und Haller notierte sich auf einem leeren Bogen Konzeptpapier zwei Buchstaben: E. und G.