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KklW W Hohtikriii-kriillhlilcr Aiingn TVgeblstt. Rr. 184 Sonntag, den 1». August L»1S 4«. Jahrgang Die Brieftasche. Kriminalistische Erzählung von Heinz Sichel. Nachdruck verboten. In rasenden, Tempo lenkte ein halboffssues Auto in eure entlegene Strafe der Weltstadt ein«. Die einzige Insassin war eine tiefverschlei erte Dame. So blitzschnell wie der Kraftwagen' dahin glitt, so schnell irrten hinter dem dichten Schleiergewebe zwei brennend schwarze Augen die einsame Gegend voraus und blieben dann mit befviedigtem Aufleuchten an dem einzigen Passanten hasten. — Es war dies eine junge, ärmlich, doch an ständig gekleidete Frau. Ein zweiter heimlicher Blick hinter dem Schleier aus den Chauffeur, der unentwegt sei nes Amtes waltete — dann glitt die feinge- kleidete Hand der Autoinsafsin heimlich und hastig zum Wagen heraus. Ein Gegenstand glitt auf den Falüdamm nieder. Umwirbelt von einer sich erhebenden Staubwolke, blieb er dort liegen, indes das Auto bereits in der Ferne verschwand. Die einsame Passantin, deren hübsches jun ges Gesicht ein sorgender, j,a gequälter Aus druck nrarkierte, hatte beim Herankommen des Autos aufgeblickt. Fast gleichzeitig war sie wie angewurzelt stehen geblieben, hatte einige Worte hervorge- stoßen und nach dem Wagen hin gestikuliert. Schon aber war dieser vorüber und wie im Fluge verschwunden. Noch ganz erregt blickend, verharrte die junge Frau auf der Stelle, wo sie stand. — Wae es Täuschung gewesen oder Wie sie recht gesehen? Es hatte ihr geschienen, als sei der Gegenstand, der noch auf dem Fahrdamm lag, absichtlich dorthin geschleudert worden! Was mochte es für ein Gegenstand sein? Neugierig, aber doch mit einem Gefühl der Scheu, schritt sie jetzt darauf zu. Bald er kannte sie, daß es eine Brieftasche war. und zwar eine silberne Brieftasche, wie solche die Finderin noch nie gesehen. Als sie sich danach bückte, war es ihr, als S atte ein; unsichtbare Hand sie zurück. Ener gisch schüttelte sie das törichte Gefühl ab, in dem sie l-astig die Tasche aufhob. Hätte sie dies nicht getan, so würde es sicher der nächste Weggänger tun. Und sie hatte das erste Recht dazu, denn sie hatte den Vov gang mit angesehen, hatte gerufen, es sei et was aus dem Auto gefallen und — Mit ihrem Fund in einen Torgang tre tend, öffnete die Frau die Brieftasche. Ihr Herz tat dabei ein paar rasche heftige Schläge. Allerhand Geschichten von einem plötzlichen wunderbaren Glück, das allem Elend ein Ende machte, tauchten in ihrem Kopfe auf. Die junge, arbeitsrauhe Hand zitterte vor Erregung. Herrgott, sollte es möglich sein, das; die Erlösung da war, jetzt, wo gerade di; Not am Höchsten? Ganz gewiß war Geld in der Brieftasche. Und wenn nicht, so war diese allein schon von großem Wert. Wie aber, wenn die Tasche versehentlich aus dem Auto gefallen und die Verliererin sich in der Zeitung meldete? „Dann bekommt sie sie zurück," murmelte die Frau. „Sonst aber" — ein harter Zug grub sich um den jungen Mund — „nein, her Polizei bring' ich den Fund nicht. Wenn sich niemand meldet, behalte ich ihn und Fritz muß darein willigen. — — Sollen wir etwa Hungers sterben oder stehlen gehen?" Damit hatte sie die Brieftasche geöffnet. 1 — 2 Geldnoten fielen ihr entgegen. 200 Mark? Die Frau unterdrückte mühsam einen Schrei. Nein, nicht 200 — 2000 Mark waren es. „Fritz — Fritz, sieh hoch nur, was ich ge sunden habe! Geld — viel Geld! Wenn sich der Verlierer meldet, bekommen wir sicher einen hohen Finderlohn. Und sonst —" Hier stockte Frau Anna. Der Kranke, dem sie die Botschaft brachte, hatte sich mit ihrer Hilfe im Betts aufgerichtet. Es war Frau Annas Mann, der Kontor bote Fritz Berger, der seit sechs Monaten an schwerem Rheumatismus danieder lag. Mit der Krankheit war das Unglück Uber die kleine Familie gekommen, die aus den Gatten und den zwei Kinderchen bestand, dem fünfjährigen Gebt und seinem jüngeren Schwesterchen, die spielend am Boden hockten. Als die Krankheit sich gar nicht heben wollte, war Berger seine Stellung gekündigt wocken. Was Frau Anna mit der Maschinen näherei verdiente aber war, trotz allen Flei ßes, verzweifelt wenig. Da war denn die Not eingezogen und ihr Gefolge: Hunger, schlaflose Nächte, Verzagtheit und Erbittacung. Dazu litt der Kranke unerträgliche Schmerzen; die kranken Glieder spotteten der Kunst des Arztes, seine Mittel wollten nicht helfen. Mo nat reihte sich an Monat, ohne daß eine Bes serung in Bergers Befinden eintirat. Und die Not wuchs. Noch immer aber hatte Berger sich gesträubt, die öffentliche Mild tätigkeit anzurufen. So arm er war, so be- .1^^ ^»7^ :! xrstis und franko. :: VsMli-DnMiM * MlM- u. MolM-MIMng O AMMsM G.AMenMoM l^jdm8kkk <n» Ij86llVä86k6 6kttM8kIl6 Ek I^isksrunZ voHslänäiZsr Lr-sul-^äseks-LusLtsttunZSn Kerronwäsetto S^imsvktsn preist»^. <-22 Korsetts blrstklassigo, boväbrw Hualitäwu ru anerkannt lob Kiew oins ^usvsbl, vio solobs von anckoror Loito »uok niokt snnäkornä erroiokt verckon clürkto. 4 * » Allerlei Kurzweil. » » Denksprüche. Ein Album ist des Menschen reines Leben, Das aufbewahrt in Gottes Händen bleibt; Ein leeres Blatt wird jeglichem gegeben, Und jeder ist nur, was ec darauf schreibt. * * * Ohne Arbeit, früh und spät, Kann dir nichts geraten; Neid sieht nur das Blumenbeet, Aber nie den Spaten. Rätselecke. Rätsel. 1. Die eineri muß cs stützen, Andern dient cs zum schützen. Andre wieder hats zu strafen, Einerlei ob Kinder oder Sklaven. Was ist das doch für 'ne Sache, Die also dient für Starke und für Schwache ? 2. Es spricht ohne Mund Und stumm gibt es kund, Bewahrt Freud und Schmerz Und hat doch kein Herz. Es ist voll von Liebe Und weiß nichts von dem Triebe, Es verbürgt, was ihm vertraut Und hats doch nie geschaut. Nun rate, was ist das ? Scharade. 1 und 2, wenn sie wohl sind bemacht, So werden sie zu Heil und Segen. Doch wenn dies wird izicht getan, Großer Schaden dann entstehen kann. 3, 4 und 5 in Gärten weiß und rein Auf schlankem, hohem Stengel, Der Unschuld Bild in Hellem Schein, Wird sie getragen vom Engel. Als 1, 2, 3, 4 und 5, obwohl von gleicher Art, Doch eine andre Färb', ist nun mit ihr gepaart. Bnchstaben-RStsel. Mit „Auf" mach ich oft Schülern Pein, Mit „Ab" pflegt Schuhwerk versehen zu sein, Mit „Um" liebt mich der Handel groß und klein, Mit „Be" sind die Kleider gefaßt oft ein. Logogriph. Mit -» Fluß in Deutschlands Gauen, Mit s aus Fürstenhand als Gab' zu schauen, Mil o verschieden als eine Art Sold, Bald Papier, bald Silber und Gold. Homonym. Helle Farben, die aber schon nicht mehr frisch sind, Junge Seelen und Herzen, die nicht kalt und kühl sind, Nach Schlacht im Krieg Bomben und Granaten, Wie dann da die sind? Das gibt was zu raten! Gleichklang. Der Wanderer liebt's, der Stutzer auch, Der Lehrer macht davon Gebrauch. Das, was dran wächst, erfreut den Sinn Und schließlich woh'n ich selbst darin. Palindrom. Vorwärts und rückwärts klingt es, So lieblich ein Atem der Musik, So ein Schrei der menschlichen Qual, Vielleicht ein stummer, doch allzubcredt. — Bilder-Rätsel. Uustösnngen a«S Nummer 31. Der Rätsel: 1. Glas. 2. Tannhäuser. Des Buchstaben-RätselS: Reiben, Reifen, Rei gen, Reihen, Reimen, Reisen, Reiten, Reizen. Der zweisilbigen Scharade: Hausknecht. Des Logogriphs: Bruder — Ruder. Des Tauschrätsels: Reiter — Leiter — heiter — weiter — Eiter. Des Zuwachs-Rätsels: Pavia — Pavian. Des Bilder-Rätsels: Sanguiniker. Lillder-Zeitllug. IN» NochU Dir dm Ge^amtM Hustgst omÄGaUe». Nr. 32. Redaktion, Druck und Verlag von Horn L Lehmann, Hohenstein-Ernstthal. 1913. Sommernacht. Es wallt das Korn weit in der Runde Und wie ein Meer dehnt es sich aus; Doch liegt auf seinem stillen Grunde Nicht Seegewürm noch andrer Graus; Da träumen Blumen nur von Kränzen Und trinken der Gestirne Schein, O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen Saugt meine Seele gierig ein! In meiner Heimat grünen Talen, Da herrscht ein alter schöner Brauch: Wann hell die Sommersterne strahlen, Der Glühwurm schimmert durch den Strauch, Dann geht ein Flüstern und ein Winken, Das sich dem Aehrenfelde naht, Da geht ein nächtlich Silberblinken Von Sicheln durch die goldne Saat. Das sind die Bursche jung und wacker, Die sammeln sich im Feld zuhauf Und suchen den gereiften Acker Der Witwe oder Waise auf, Die keines Vaters, keiner Brüder Und keines Knechtes Hilfe weiß — Ihr schneiden sie den Segen nieder, Die reinste Lust ziert ihren Fleiß. Schon sind die Garben festgebunden Und rasch in einen Ring gebracht; Wie lieblich floh'n die kurzen Stunden, Es war ein Spiel in kühler Nacht! Nun wird geschwärmt und hell gesungen Jni Garbenkreis, bis Morgenluft i Die nimmermüden braunen Jungen I Zur eignen schweren Arbeit ruft. Gottfried Keller. Mariechens Von Lotte Amtsrichters Mariechen hatte Geburtstag. An der Stube mit den blauen Plüschmöbeln und den Bildern in großen Goldrahmen, die Kmtsrichters Kinder sonst nur auf Zehen spitzen zu betreten wagten, war der Geburts tagstisch aufgebaut. Bücher und ein neues Jleid, ein Nähkästchen, Schokolade und Blu men, und in der Mitte eine Nußtorte, die Mariechen am allerliebsten aß, mit zehn Lich tern, denn Mariechen war heute zehn Jahre alt geworden. Aber das allerallerbeste war doch ein kleines Kästchen, das ganz bescheiden und versteckt zwischen den Blumen stand — laut hatte Mariechen aufgejauchzt, als sie es öffnete, denn darin lag auf weißem Samt ein reizendes Korallenkettchen, gerade so eins, wie es Mariechen sich schon lange gewünscht hatte! Nein, war das schön! Und wie hübsch es aussah auf dem Hellen Geburtstagskleidchen! Ganz verschämt guckte Mariechen in den Spiegel, als Mama lächelnd das Kettchen ihr um den Hals legte und das blanke Schloß zuknipste. Wafferfahrt. Burdach. (Nachdruck verboten.) „Darf ich es Meta zeigen?" fragte Marie chen. Meta war nämlich ihre beste Freundin und wohnte gerade gegenüber in dem großen roten Hause mit der hohen Steintreppe davor. Die Mutter erlaubte es, und glückselig sprang Mariechen davon, rannte über die Straße und hüpfte die Steinstufen empor. Sei es nun, daß sie in ihrer Freude nicht ordentlich vor ihre Füße gesehen hatte, sei cs, daß sie zu dicht an die Kante kam — die Mutter, die am Fenster stand, hatte es nach her selbst nicht zu sagen gewußt — Mariechen tat plötzlich einen Schrei, griff in die Luft, als wolle sie sich halten und stürzte von der ober sten Stufe die ganze Treppe hinunter auf die Straße. „O, mein Bein, mein Bein! O, es tut so weh!" schrie sie auf. Ganz entsetzt kam Meta angelaufen und von der anderen Seite Mariechens Mutter und andere Leute; vorsichtig hoben sie das kleine Mädchen auf — das eine Bein hing schlaff herunter, und Mariechen schrie auf, wenn man daran rührte — es war ge-