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VMM M Hchkißm-kinWIn Amriin Lageblstt Nr. 1«8 Mittwoch, den SS Juli IMS 4«. Jahrgang Erdbeben und Mißernte. Trübe Nachrichten sind es, die aus vielen Teilen des deutschen Vaterlandes kommen. Erdbeben sind im Westen, von Mainz bis zum Bodensee, ausgetreten, und Wolkenbrüche ha. en vielfach den Fluren derart geschadet, daß in den betroffenen Gebieten eine völlige Mißernte erwartet wird. Da die Erdbeben in Westdeutschland, die, abgesehen von Schornstein-Einstürzen und Mauersprüngen an zahlreichen Gebäuden, ern steren Schaden nicht angerichtet haben, im Umkreise eines großen Gebietes wellenförmig aufgetreten sind, kann man an ein sogen, teu tonisches Beben, das durch den Einsturz gc> ßcr Hohlräume im Erdinnern entsteht und ver streut über die ganze Erdoberfläche häufig auf tritt, diesmal nicht glauben. Der Verlauf dec Naturerscheinung läßt vielmehr auf ein vul kanisches Beben schließen, das durch die eruptive Tätigkeit des in steter Bewegung befindlichen Erdinnern auf,tritt. Von den sonst gewohnten Begleiterscheinungen der vulkanischen Beben, unterirdischem Donner und Getöse, Ausströmung von Gasen, Licht-rscheinungen, l>at man in Westdeutschland nichts bemerkt. Eine Panik, wie es bei dem ziemlich he; tigen Erdbeben in Süddeutschland am 16. No vembcr 1911 der Fall war, ist bei dem jetzi gen Beben nicht zu verzeichnen gewesen. Am heftigsten ist, wie schon gestern gemeldet, das Erdbeben in Stuttgart aufgetreten. Die Bil der an den Wänden begannen heftig hin und her zu schwanken, die Möbel wankten und Spinde stürzten um, die Feuermelder traten von selbst in Tätigkeit. Die Telephon- und Telegrapheudräbte gerieten bei den Erdstößen in heftige schwankende Bewegungen und ver ursachten ein laut singendes und summendes Geräusch. Vielfach waren diese Erscheinungen so beängstigend, daß die Leute die Häuser vcc ließen. Das Erdbeben wurde in sämtlichen Städten Badens, in fast ganz Wärttembec , dem ganzen Schwarzwald und in Elsaß wahr- gcnommen, ebenso auch am Bodensee und in der Rheinpalz. Im ganzen wurden drei Erd stöße registriert, die mittags 1 Uhr begannen. Die dann folgenden wellenartigen Bewegun gen dauerten drei bis vier und sechs bis acht Sekunden. Die einzige Verletzung infolge des Erd bebens wird aus Stuttgart gemeldet. Auf dem Zahnradbahnhofe und der württembergischen Sparkasse kamen einige Zentner schwere Stein kugeln vom Dachgesims herunter. Durch einen herabstürzenden Stein wurde eine Frau schwer verletzt. — Wie immer, kündigten auch das westdeutsche Erdbeben die Tiere durch ein eigentümliches und unruhiges Benehmen an. Längere Zeit vor den ersten Erdstößen flog das Geflügel aufgestört umher, eierlegende Hühner verließen ihre Nester. Schlimmer als das Erdbeben hat jedenfalls das Unwetter gehaust. Wolkenbruchartige Regenfälle haben sowohl im Westen wie im Osten des Reiches die Ströme shuk anschwellen lassen und Ucber- schwemmungen verursacht. Die ohnehin viel fach nicht befriedigende Getreideernte ist ge fährdet, wenn nicht schnell ein entschiedener Witterungswechel eintritt. Der Osten des Reiches, der während der Vormonate unter Negenmaugel gelitten hatte, erhält jetzt, da das Korn gemäht ist, trocknen und eingebracht werden soll, tägliche Regengüsse. Auch im Westen und Süden, wo die günstigsten Ernte- aussichten bestanden, ist eine völlige Mißernte zu erwarten, wenn nicht ein baldiger Witte rungsumschlag einticitt. Im Emschertale stehm weite Strecken unter Wasser. Die Heuernte ist völlig verloren; üm Bistum Münster wurde in allen Pfarreien zur Erstehung günstigeren Erntewetters die Abhaltung besonderer Gottes dienste angeordnet. Vom Niedcvrbein sowie vom Vorgebirge, den fruchtbarsten Landstrichen Westdeutschlands, kommen Nachrichten über den Stand der Feldfrüchte, die geradezu trostlos lauten. Die gesamte Getreideernte wurde be reits auf eine Woche hinausgeschoben. Direkt trostlos lauten die bayerischen Hoch wassermeldungen. Der nunmehr fast einen ganzen Monat hindurch andauernde Regen Hit den Flüssen riesige Wassermengen zugePhrt. Inn, Isao, Laisach und Iller führen Hoch wasser. Im Mangfall- und Jnngebiet ist das Wasser bis zweieinhalb Meter gestiegen, aus den Ufern getreten und hat weite Strecken überschwemmt, die Seen gleichen. Die Donau ist ebenfalls an- vielen Stellen aus den Ufern getreten. Auch die Weichsel führt Hochwasser. Nachdem die erste Hochwasserwelle noch nicht völlig verlaufen ist, hpt die zweite bei Thorn bereits die Höhe von viereinhalb Meter er reicht. Viel trägt hierzu allerdings die -schlechte Flu-ßregulierung der Weichsel auf russischem Gebiet bei. In der Weichselniederung zwischen Thorn unk Eulm sind die meisten Außendeich- löndereicn überflutet, und die gesamte Ernte an Getreide und Hackfrüchten auf denselben ist vernichtet. Auch an den Schleusenbauwerken zur Schißbarmachung der Nogat sind große Schäden angerichtet. Die Arbeiten werden durch das Hochwasser um mehrere Monate ver- zögsrt. OrrtiicheS nn» GSchstscheS. * — Bekämpfung der Tuber kulose. Das Ministerium des Innern hat einen Landesausschuß zur Bekämpfung der Tuberkulose im Königreich Sachsen errichtet. Vorsitzender ist Geheimer Rat Professor Dr. Renk, Präsident des Landesgesundheitsamtes. Stellvertreter des Vorsitzenden ist Professor Dr. Hoffmann-Leipzig. Das Ausgabengebier des Landesausschusses, das das Ministerium des Innern festsetzt, umfaßt zurzeit die Sammlung vollständiger Nachvichten über alle einheimischen Bestrebungen im Kampfe gegen die Tuber kulose, die Anregung neuer Einrichtungen zur Tuberkulosebekämpfung, die Beratung und Förderung dieser Bestrebungen und Einrichtun gen. Die Geschäfte erledigt ein Geschüftsaus- schuß, dessen Zusammensetzung und Geschäfts führung das Ministerium des Innern regelt. * — DieLage des gewerblichen Arbeitsmarktes zeigt nach dem amt lichen Bericht für den Juni eine geringe Ver schlechterung gegenüber dem Vormonat. Gegen das Vorjahr ist der Beschäftigungsgrad zu einem erheblichen Teil gesunken, wenn er auch im allgemeinen als ausreichend bezeichnet wer den kann. * — Prüfungen f ü r L a n d w i r t e. Der Landeskubturrat will es allen jungen Land wirten ermöglichen, nach Beendigung ihrer Lehrzeit einen Befähigungsnachweis zu erwer ben. Dazu sollen, wie im Vorjahrs auch im September d. I. Prüfungen abgehalten wer den. An der Prüfung kann mit Einwilligung des Lehrherrn jeder unbescholtene junge Land wirt nach beendigter ordnungsgemäßer, min destens zweijähriger Lehrzeit teilnehmen. Die Anmeldung der Prüflinge ist bis zum 1. August an den Landeskulturrat für das Kö nigreich Sachsen, Dresden-Altstadt, zu richten. * — D i e n st b o t e n brauchen nicht der Krankenversicherung anzu- g e h ö r e n , wenn sich der Arbeitgeber ver pflichtet, den Dienstboten im Krankheitsfalle in genau derselben Weise zu unterstützen, wie es die zuständige Krankenkasse tun würde. Der Dienstbote hat dann einen Rechtsanspruch auf diese Unterstützung, sie kann ihm also nicht entzogen werden. Abzüge für diese Unter stützung dürfen dem Dienstboten nicht gemacht werden. *— 18. Deutscher Reichsfeuer weh r t a g. Jetzt ist zu dieser Heerschau des deutschen Feuerwehrwesens auch die Festfolge und das Festbuch erschienen. Nach der ersteren findet am 24. Juli, vormittags 11 Uhr, die Eröffnung der Feuerwehrausstellung im Meß palast zu Leipzig statt. Die eigentliche Haupt- versamm/ung ist am Montag, den 28. Juli, Bernhard von der Eiche Roman von Baronin Gabriele v. Echlippenbach. 10) (Nachdr. verb) Wie ein Marmorbild, so schön, aber anh fo kalt stand Heva da und Hörre kaum aus die Worte, die sie dem Mann ihrer Wahl an- trauten. Nar ben sah im Frack und in der weißen Binde — wenn auch nicht lMsch, fo doch vornehm aus. Eine tiefe Bewegung matte sich auf seinem Gesicht, die dunklen Augen halten einen ernsten und doch unendlich glück lichen Ausdruck, wenn sie auf die hohe Ge statt au seiner Seite fielen. Herta war grö ßer als ihr Bräutigam, ein Mißverhältnis, über das die guten Einwohner der Wiukclstadt eifrig sprachen. In ihrem duftigen, weißen Kleidchen stand Ines tief ergriffen neben der Schwester. Ihr weiches Kindergemüt fühlte den ganzen Ernst dieser Stunde, und ein in brünstiges Gebet für das Glück Hevlas stieg aus Ines Herzen zu Golt empor. In der kurzen Zeit, die sie Randen kannte, hatte ibn seine Schwägerin herzlich lieb gewonnen. Wie Ivars auch anders möglich bei seiner stets glei chen Freundlichkeit und ritterlichen Rücksicht nahme auf seine Keine Verwandte. Am Tage vor der Hochzeit hatte er Ines ein hübsches, goldenes Armband geschenkt, der erste, wert volle Schmuck, den sie besaß. In ihrer spon tanen Art war sie Randen um den Hals ge fallen und hatte ihn geküßt. „Freddif" rief sis, „wie gut Du bist. Wie soll ich Dir danken,?* Sie nannte ihn Freddi und duzte ihn, während Herta iinnrer den Familiennamen brauchte und sich lange nicht an das Du ge wöhnen konnte. „Danken sollst Du nicht Kleine," entgeg nete Randen, „Du sollst mich aber als treuen Bruder anseheu und oft in Randenhagen be suchen. Ich fürchte, daß Herta sich in der Einsamkeit des Landes langweilen könnte." „Wie wäre das möglich," rief Ines. „Ich finde es herrlich auf den» Londe, viel schöner als in der Stadt. Und dann hat sie Dich ja für sich ganz allein!" Er läcbelle trübe. Er machte sich keine Illusionen. Würde er a' er dieses rätiselhasle Franenberz nicht allmählich durch die Macht seiner großen Liebe gewinnen? Becnlmrd halte ihm in Liebenau gesagt, daß die Schwester ein warmes Empfinden unter der scheinbaren Kälte barg, der zündende Funke halte bisher gefehlt. In der so innigen Vereinigung zwischen Mann und Frau gab es Gelegenheit dazu, das Feuer anzufachen, das zum beglückenden, wär menden Segen des Hauses wird. In der Brautzeit war Randen um keinen Schritt sei nem ersehnten Ziele näher gekommen. Ge wöhnlich war die Taute bei ihnen; in den vier kleinen Zimmern war es fast unmöglich, unbeachtet zu bleiben. Mil recht ernsten Gedanken stand Bernhard in der Kirche und folgte der heiligen Hand lung. Er verstand Randen eigentlich nicht recht. Wie würde Bernhard von der Eiche ein Weib zum Altäre fülrcn, das ihm nicht in Liebe ergeben war, das ibn nicht uni seiner selbst willen wählte, ohne auf äußeren Glanz zu achten. Ten würde er nie bieten können. Ja, wäre das eine nicht geschehen, was ihm der Vater damals in feinen letzten Tagen an- vertraut hatte. Nach der Trauung war Bernhard einige Augenblicke mit seiner älteren Schwester allein. Er ergriff die Gelegenste'" um ein ernstes Wort mit ihr zu sprechen. „Liebe Herta," sagte er, „Du bekommst einen wahrhaft edlen, guten Mann, der Dich aufrichtig liebt. Ich hoffe, Du wirst Dich be streben, eine Frau zu werden, die ibn glück lich macht. Suche darin allein Deine Befrie digung, und Du wirst selbst glücklich werden. Nicht im eitlen Tand und rauschender Gesel ligkeit liegt das, was ein Frauenherz braucht, nm ein schönes Erdenlos zu finden; in der Stille und dem Frieden der Häuslichkeit ruhen die Schätze, die auch Dir zuteil werden, wenn Du sie zu heben verstehst. Nicht wahr, daran willst Tu denken, liebe Schwester." Seine Stimme klang so weich und ein dringlich, sie schien den Eindruck nicht zu ver fehlen. Etwas wie Rührung schimmerte in ihren Augen. Sie reichte dem Bruder die Hand und sagte: „Ich will daran denken, Hardy." Schon dieles Zugeständnis war viel für eine so verschlossene Natur, wie Herta sie besaß. Tas junge Paar war fortgefahren. Ines und Bernhard reisten am nächsten Tage nach Liebenau, wo sie des Vaters Grab besuchten. Dann brachte Eiche die Schwester in die För sterei und blieb dort einen Tag. Er ging mit dem Förster zur Jagd, und sie fanden eine reiche Beute. Jetzt waren alle Elevinnen und di; jüngeren Kinder bis auf den vierzehn jährigen Kurt zu Hause. Er besuchte das Gymnasium in Braunschweig. Am Abend wurde musiziert. Ines hatte gute Fortschritte im Klavierspiel gemacht und Luise sang mit einer recht hübschen Sopran stimme. Die gute Tante Emma sprach sich sebr zufrieden über die Leistungen ihres Lieb lings Ines aus, die praktisch veranlagt war und alles richtig an griff. Bernhard lobte die Schwester erfreut. Sie aber meinte: „Ich bin ja sonst talentlos, Hardy. Be denke, wie Herta bevorzugt ist; sie hat ibre Malerei." „Nun und Du hast ein viel schöneres Ta lent, Kleines." „Da bin ich neugierig," rief Ines lachend. „Du hjast Talent, Deine Umgebung glück lich zu machen." Sie umarmte ihn zärtlich. „Lieber, alter Hardh," sagte sie und lehnte den Kops an seine Schulter. „Ich nninschte, ich wäre schon bei Dir. Es muß doch recht öde in dem kleinen Nest sein, und wenn Du abends nach Hause kehrst, ist niemand da, der Dich willkommen heißt. Das wird anders werden, wenn ich bei Dir bin." „Ich hoffe, nach einem halben Jahr erster Assistent zu werden," vertvrute Bernhard ihr an. „Dann nehme ich das kleine hübsche Häus- chen an der Ecke des Dorfes, der Wald ist ganz nahe. Ich erwarte Dich, sobald Du den Kursus der Krankenpflege beendet hast. Ein Gärtchen ist auch vor dem Hause. Es ist klein, aber wir haben genug Platz darin. Oben sind zwei Mansardenzimmer, unten drei Räu me und die Veranda ist von Glycinien und wildem Wein umrankt." Ines war begeistert. Sie malten sich ihr zukünftiges Paradies aus. Die Trennung sollte dieses Mal lang sein, aber nachher kam das glückliche Beisammensein der Geschwister. Dieser Gedanke half ihnen über den Abschied hinweg. Schloß Randenhagen batte sich zum Emp fang seines von der Hochzeitsreise heimkehren den Herrn und seiner jungen Frau geschmückt.. Von der Zinne des runden Turmes wehte die schwarz-rote Fahne mit dem freiherrlichen Wappen. Das schwere Fahnentuch bauschte sich im Winde und flatterte hin und her. Grüne Girlanden schmückten das Portal. Es war mittlerweile Lenz geworden. Frisches Grün sproßte allenthalben und um die schmieg samen Birkenäste wehte es wie lichtgrüne Schleier. Eine stattliche Buchenallee führte zum Herrenhause. Es war ein großes, im Viereck erbautes Gebäude, ohne architektonische Schönheit, aber solide und wohnlich. Die dicken Mauern boten Schutz gegen die kalten Winde, die im Herbst und Winter von der See herüberwehten. Man konnte dann ihr wildes Tosen und den Anprall der Wellen gegen die hohe Düne hören. (Fortsetzung folgt.)