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er seinen Diener Lampe weggeschickt hatte, auf einen Zettel: Lampe muss vergessen werden. Dass aber das Vergessen eine recht schwere Kunst ist, das zeigt schon der alte Wunsch nach einem Tranke Lethe. Wie reich wären wir, wenn wir über unsere Erinnerungen verfügen könnten! Aber die Schätze, die wir in uns tragen, sind allzu oft verschlossen. Bekanntlich spricht man von vollständigen und unvollständigen Erinnerungen; das Wahrgenommene oder sonst Erlebte kann uns ganz wieder kehren, in der Regel wird es allmählich blasser und lücken haft, wie etwa ein Wandgemälde allmählich erlischt, oft kommt es zu der seltsamen Erscheinung einer „dunklen Erinnerung“, von der wir reden, wenn uns sozusagen eine zerfliessende Wolke vorschwebt und ein Gefühl uns sagt, sie bedeute etwas Vergangenes. Die Fähigkeit, sich zu erinnern, ist bei den verschiedenen Menschen sehr verschieden. Es soll Menschen geben, die sich willkürlich das Gesicht eines Abwesenden her vorrufen können, wie es wirklich aussieht, oder die eine Melodie in sich erklingen lassen können. Andere können sich nur Gedachtes wiederholen; versuchen sie, Wahrgenommenes zurückzurufen, so tritt nur eine dunkle Erinnerung ein, oder sie gelangen doch nur zu einer Beschreibung mit Worten. Denke ich z. B. an Heidelberg, so stelle ich mir vor, ich stünde auf der Neuenheimer Brücke und sähe nach Morgen. Dann, weiss ich, fliesst der Neckar auf mich zu, rechts liegt die Stadt, links Neuenheim, hinter der Stadt die grünen Berge und über dem östlichen Ende das Schloss. Ich kann auch noch auf weitere Einzelheiten eingehen, aber alles in Begriffen; dabei habe ich allerdings ein räthsel- haftes Gefühl, als sähe ich eine Art von Umrissen, hie und da wohl auch Farben. Dieses ist sicher ein Irrthum, ich weiss nur, dass, als ich das Wirkliche sah, ich da diese, dort jene Farbe gesehen habe. Und doch sind wir alle fähig, das Geschehene wirklich wieder zu sehen, denn der Traum und dem Traume verwandte Zustände beweisen es. Es braucht dem vernünftigen Ich nur ein Schleier übergeworfen zu werden, dann öffnet sich die Tiefe, Altes und Neues, Gleichgiltiges und Werthvolles taucht bald in der früheren Gestalt, bald in phan tastischer Umformung, aber immer mit sinnlicher Fülle vor