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Lon««r»1ag, L4. / Freitag, LS. Dez. 1S41 Beilage zum „Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger Weihnachtskinder gehen ins Leben Don M. A. von Lützendorfs «^us grauer Vergangenheit, aus der Zeit, da die Julnacht noch als Freinacht galt siir das wech- v* selvolle Treiben der Dämonen und Kobolde, stammt der Klaube, datz einem Menschen, der in dieser Nacht geboren wurde, auch wechselvolle Schick sale vorbestimmt seien. Aber dann nahm dieses Zauberwort doch eine mildernde Wandlung; es bieg, das; jeder in den Weihnachtstagcn Geborene seinen schützenden Stern am Himmel habe, und die ser schöne Glaube hat sich zu uns herübergerettet. Ein solcher Weihnachtsgeborener war der Hohen- stausenkaiser Friedrich II., einer der bedeutendsten Menschen des deutschen Mittelalters. Sein Leben war Kampf, gegen die deutschen Fürsten, gegen den Papst, gegen seine Verwandten, ja sogar gegen sei nen eigenen Sohn, aber zwischenhinein sand er Glück und Befriedigung, wenn er zarte Sonette und Lie beslieder dichtete oder mit seinem scharfen kundigen Blick die Natur beobachtete. War er doch der erste, der die Wanderungen der Zugvögel studierte! Der geistvolle, weit über seine Zeit hinaus aufgeklärte NkNnn hat sich für die Industrie seiner Länder ebenso energisch eingesetzt wie für die Wissenschaft. Er ist darangegangen, einen Vcamtenstaat zu errichten und Gesetze für soziale Fürsorge zu erlassen. Als ihn der Lod überraschte, konnte der Hohenstaufe immer hin im Glauben, das; der Sieg ihm zusallen müsse, die Augen schliessen. Hast sechs Jahrhunderte später war einem Weih nachtskind wiederum ein bewegtes Schicksal Vorbe halten: Ernst Moritz Arndt, dem Dichter und Pa- trioten. Mehrmals wurde er seines Amtes als Ge schichtsprofessor enthoben, mutzte flüchten, kam wie der zu Ehren, mutzte abermals flüchten, wurde ver folgt und in einen schweren Prozess hineingezogen, aber er meisterte sein Schicksal, und als er starb, trauerte ganz Deutschland um ihn. Und was er ge wollt und vorausgesagt hatte, datz der „Rhein Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze" sein müsse, erfüllte sich ebenso wie der Sinn seines kern- hasten Liedes „Was ist des Deutschen Vaterland?", das in den Worten gipfelt: „So weit die deutsche Zunge klingt...Das ganze Deutschland soll es sein!" Kämpfe und Schwierigkeiten gab das Geschick auch zwei am 24. Dezember geborenen Künstlern reichlich mit auf den Lebensweg, dafür wurden ihre Werke zum lebendigen Besitz ihres Volkes. Peter Cornelius, der Dichterkomponist und treue Freund Richard Wag ners, hat lange um die Anerkennung gerungen, auf die er nicht zuletzt durch seine lieblichen „Weihnachts lieder" vollen Anspruch hatte. Auch das Schaffen des Malers Hans von Marses stieh auf viel Un verständnis, doch übte er auf die Kunst und die Künstler seiner Zeit einen nachhaltigeren Einslutz aus. als er es sich hatte träumen lassen. Ein Weih nachtskind war ferner Johann Adam Hiller, der Schöpfer der deutschen Operette und Begründer der weltbekannten Leipziger Eewandhauskonzerte, der Mann, der es wagte, Musikausführungen mit Mas senbesetzungen zu unternehmen, wie man es bis da hin noch nie erlebt hatte, aber mit diesem Wagnis den Grundstein zu den großen deutschen Musikfesten legte. Der alte Volksglaube vom Kampf und Kampfes- lohn hat sich auch an Cosima Wagner bewahrheitet. Sie war ein echtes Weihnachtskind. Sie hat die aufreibenden Kämpferjahre an der Seite des ge liebten Lebensgefährten miterlebt und miterlitten, hat für ihn gearbeitet und gesorgt und durchgehalten mit ihrem nie versiegenden Glauben an das ge waltige Werk des Meisters. Und es war ihr auch beschicken, den harten Kampf mit einem Sieg ge krönt zu sehen und zu erleben, datz sich erfüllte, was Wagner sich ersehnt hatte: datz seine Musik zum Volksgut der deutschen Menschen wurde. Im alten Weimar lebten zwei Weihnachtskinder. August von Goethe, der Sohn des Dichters, und Charlotte von Stein, die Freundin des Vaters. Beiden hat das Schicksal viel gegeben, allein auch wieder viel versagt. August war und blieb als Sohn des Olympiers sein Leben lang unbefriedigt und im wahrsten Wortsinn von Dämonen gequält, und Charlotte mutzte es nach den glücklichen Jahren der innigen Freundschaft mit Goethe erleben, datz er seine Liebe einer anderen Frau schenkte. Sie sah das Glück zerrinnen, das ihr durch ihn geworden war, doch das Schicksal gab zurück, was es genommen hatte: Ihr Name lebt fort, weil er mit dem ihres unsterblichen Freundes verbunden bleibt. Petras Weihnachtsbricf Zeitbild von Alfred Hein ic junge Frau Petra Holl redete sich, während II sie die Teltower Rübchen für ihr einsames Mittagbrot schabte, immer wieder zu: Sei doch tapfer! Aber cs war nicht leicht, die Tränen zu hemmen, wenn man in der Wohnung ein Stockwerk höher den Wiedersehcnsjubel hörte. Dort war Herr Raabe auf Urlaub heimgekommen, umjauchzt vom Lachen seiner Frau und seiner drei Range». Petrn aber mit Klein-Mareile würde allein Weihnachten feiern müssen; denn Arnnlf, ihr Mann, wird das Fest an der Front begehen — wer weiß wo. Er war Bordfunker in einem Bombenflugzeug, das immer wieder nach England flog. Ursprünglich hat- tcn Arnulfs Briefe ihr die Hoffnung bringen dür fe», datz cs unterm Lannenbaum ein Wiedersehen gäbe. Noch als sie den Baum lauste, hatte sie ihn mit diesem Wiedersehensgedanken gleichsam einae- weiht. Dann aber war eines Tages die andöre Nachricht da: Du mutzt es verstehen, Liebste, wenn ich nun doch nicht komme. Bedenke, datz es ums Ganze geht bei unsern Englandflügen. Diese Flüge bringen eben auch den Urlaubs- und Festkalender in Unord- »ung. Jedenfalls bin ich bis auf weiteres hier un ¬ abkömmlich. Ist auch ganz in der Ordnung. Das mutzt Du einsehen. Glaub mir, ich hätte gern unser Mareile, von dem Du so lieb erzählst, daß es schon laufen und,Papa' sagen kann, auf dem Schötz geschaukelt, und was ich mit Dir getan hätte, brauche ich za wohl nicht schriftlich auszumachen. Aber trotz dem lassen wir uns beide ebensowenig unterkriegen wie hier die ganze Front. Kopf hoch, Petra. Immer Dein Arnulf." Das war der Brief, der alles wendete und den sie wohl jetzt beantworten mutz, wenn ihr Mann nicht zu Weihnachten mit leeren Händen trübe Ge danken spinnen soll. Das Mareile schlief noch immer. Die Mutter warf einen zärtlichen Blick ins Körbchen: ganz so keck wie der Vater sah's aus, und das verhietz ja Glück, wenn Mädchen dem Pater ähneln. Nun saß Frau Petra am Schreibtisch ihres Man nes und wagte endlich den Bries zu formen, der sie schon seit Tagen innerlich beschäftigte. Denn Arnulf sollte das Herz nicht schwer werden. Zu jenen, die vor lauter Sehnsucht sentimentales Zeug slölen, ge hörte sie nicht. So schrieb sie, daß sie zwar sehr sehn süchtig sei, datz aber auch diese Sehnsucht ihr das Weihnachtsfest verschönen werde; denn sie beweise ihr, wie innig lieb sie beide sich hätten. Die Sieges- gewißheit, die sein Brief atme, schenke den Kricgs- weihnachten die echte Weihe, llnd wen» sie ans Mareile dächte, dann ließe sich ja all das Ungewöhn liche leicht ertragen. Frau Petra hielt im Schreiben inne und strich sich eine in die Stirn gefallene blonde Locke zurück. Ihre klugen grauen Augen sahen mehr nach innen als in die Welt hinaus. So wurde sic nicht gcwahr, datz sich ein Lauscher durch die Küchentür auf den Küche und Wohnzimmer verbindenoen Balkon ge schlichen hatte und dort die Kamera zückte. Es war trotz des Dezembers ein fast frühlings- warmer Tag; Frau Holl hat das Fenster einen Spalt breit geöffnet, und durch diesen Spalt nun vhoto- graphierte der Eindringling keck di: vor sich hin Sinnende in» Halbprosil. Auch als sie den blonden Kopf wieder neigte und mit einen» fast verklärten Blick noch einige be- önders zärtliche Worte ai» den Schluß des Weih- »achtshricfcs setzte, merkte sie nicht, datz sic abcrmals geknipst wurde. Erst als sie sich mit einem seligen Wchlgesühl, innerlich vollkommen frei und heiter, in den Schreib tischstuhl ihres Mannes wie in die Arme des Fer nen zurücklehnte, da sprang sie, den gerade wieder Photographierenden erblickend, mit mehr gespielter als echter Empörung auf: „Klaus, du?" Es war der jüngste Bruder ihres Mannes, der siebzehnjährige Klaus. „Fein, was, Petra? Nun wird sich Arnulf freuen —" „Du hast mich ohne Erlaubnis geknipst!" „So, wie du wirklich aussehc» kannst, wenn du an Arnulf schreibst. Wenn du dich auf Kommando hinsctzst, machst du ein steifes Photoaraphiergesicht." „Mäßige dich, du Frechdachs!" Petra bemühte sich vergeblich um echte Entrüstung. Da wurde Klaus großspurig. „Altes Geheimnis der Dunkelkammerkunst. Fast alle Leute machen, wenn sie wissen, sie weiden vhotographicrt, immer ein Gesicht, wie sie's nie in Wirklichkeit habe». Ich entwickle die Bilder noch schnell! Dann hat Arnulf einen illustrierten Weihnachtsbrief. Den kriegt sonst niemand, weder an der Front noch in der Heimat. Siehste woll!" Und weg war der Klaus. * Als Arnulf Holl den Bries und die drei Bilder Petras erhielt, da mußte er immer wieder dis Schreibende auf diesen Bildern betrachten. Denn di« ganze Tiefe ihrer Seele lag in dem Antlitz der Brlefschreivsnden wie das Innere einer Rose ausa«- breitet. So schön wird also ihr Gesicht, wenn sie sich nach mir sehnt und ai» mich schreibt. Nein, nicht nur die Briefworte lächelten ihn an — Petra lä- helte wirklich. Es war Arnulf, als am Weihnachtsabend ein paar Stunden Ruhe auch für ihn begannen, zumute, als wäre Petra selbst gekommen und hätte all die tapfere Liebe mitgebracht, die ihre Vriefworte aus sprachen. Froh wie als Kind knabberte er den Pfefferkuchen, den mit andere»» kleinen Liebesgaben das Päckchen von dahein» enthielt. Holls Leutnant trat heran. Man saß iin Quar tier um einen kleinen Tannenbaum herum. „Na, Schönes geschenkt bekommen?" „Sehr Schönes." „Dars man wißen?" fragte der Leutnant. „Ja, wie soll ich's sagen", lächelte Holl versonnen, „gibt es etwas Schöneres, Herr Leutnant, als zu entdecken, datz di« Frau, die man liebt, noch schöner ist als ain ersten Tag, da man sie sah?" M Die Wundertüte Erzählung von Arnold Krieger ^s stand also fest, wurde ausposaunt und beraunt: ff» Die siebzehnjährige Jlsabe heiratet den Kolo- nialwarenhändler Simoneit, der bereits sechsund- dreißig ist und eine Frau unter der Erde hat. Schwägerinnen und Paten des braunäugigen Mädchens verwendeten sich besonders für das Vor haben. Die Mutter lobte die unerwartete Fügsam keit ihres Kindes. Die Schwestern sagten Ach und Amen und waren schließlich am meisten bei der Sache. Die eine lebte in unguter Ehe, die älteste war sitzengebliebcn, hinaufgeheiratet hatte keine von ihnen. Jlsabe aber, der Spätling der ärmlichen Töpfer familie, Jlsabe, die es am meisten anging, beschäf tigte sich am wenigsten damit. Sie war sonst ein schwer zu ziehendes Menschenkind voller Unfug und Büberei. Sie hatte den» Druck nachgegeben und in das Anliegen gewilligt, weil es sie reizte, auch ein- mal vor aller Welt als vernünftig zu gelten. Autzer- dein schmeichelte es ihr natürlich, ii» den „reputler- lichsten" Laden der ganzen Gegend hineinzuheiraten. Zu Herrn Simoneit freilich fühlte sie eine Art scheuer Achtung, weiter nichts. Sie hatte bei ihin, von der Mutter geschickt Kleinigkeiten eingeholt, seit sie auf eigenen Füßen in der Welt umspringen konnte. Das Stirnchen reichte noch längst nicht an die Kante des Ladentisches, da hatte sie schon für sich selber Kaschubonbons und Lakritze gefordert. Simoneit gab oft mehr, als der Seitenblick der griesgrämigen Frau Simoneit gutheißen wollte. So gingen die Jahre dahin, eins machte dem anderen Platz. Jlsabe kam oft auf einen Plausch herein. Sie schwärmte für Wundertüten. Hatte sie irgendwo einen Sechser oder gar zwei in die Hände gekriegt, so lief sie damit schleunigst zu Simoneit, um sich wieder eine zu kaufen. So eine Wunder tüte ist ein eigen Ding, zumal wenn sie doppelkarä- tig ist und einen ganzen Rcichsgroschen kostet. Hat man das Papierbeutelchen klopfenden Herzens auf- gerissen, so konunen allerlei kindliche Sachen zum Vorschein, gläsern« Perlen, Perl«» zum Essen, Ab ziehbildchen, ein Liliputspiegel, jedesmal etwas an deres. Jlsabe war immer sehr gespannt. Sie tastete die Tü,c stets vorher ab. Sie wollte immer einen Nina dabei haben, mit einem schönen Stein, so blau oder rot wie möglich. Es war schön, sich überraschen zu lassen, llnd eine große Überraschung war es für die siebzehnjäh rige Jlsabe, als sie von ihrer Mutter erfuhr, Simo neit hätte bei ihr angefragt. „Wieso angefraat?" wollte Jlsabe wißen. „Dummes Mädchen, hast «» nicht längst gemerkt, wie er immer um dich herum ist?" — „Was hat er angefragt?" beharrte Jlsabe. — „Ob du zu hab«»» bist, wollt« «r wißen. Ich sagt« ihm: Wir überlegen «» uns. Ls ist jeden falls ein ehrenvoller Antrag, hab ich gesagt. Val^ meint es auch, und Anna ebenso." Jlsabe machte ein dummes Gesicht. „Und bin ich denn zu haben?" ulkte sie. — „Natürlich bist du zu haben, dumme» Ding. Vater und ich, wir sind alt, wer weiß, wi« lange es uns hier noch läßt. Du wärst dann ver sorgt. Du mutzt dich sehr freuen, daß Herr Simo neit ausgerechnet dich Laugenichts heiraten will." In den nächsten Tagen nahm sich Jlsabe di« Sache ein wenig zu Herzen. Sie »nalte sich alles so aus, wie es ihr die Mutter und Schwestern vor stellten. „Und dann trinken wir alle immer vom besten Kaffee", trumpfte Emma. Jlsabe kräuselte spöttisch den Mund. „Deswegen — —", sagte sie gedehnt. Da fuhr Anna sie an, ob sie vielleicht ein« Prinzessin sei? Und Jlsabe heiße sie auch nur, weil Onkel Arthur darauf bestanden hätte. Eigentlich hätte sie Marie heißen sollen. Als dann alles redlich durchgesprochen und die Verlobung auf Weihnachten festgesetzt war, ließ Jlsabe es gut sein. Sie lebte wie bisher und küm merte sich kaum um ihren Herrn Simoneit, der jede freie Stund« mit ihrer Familie zusammensab. Er sagte du zu ihr. Das war ihr aus der Kindheit vertraut. Sie aber sagte nach wie vor Sie zu dein ernsten Mann. „Er ist doppelt so alt wie ich", murrte sie einmal zur Mutter. — „Das ist nur am Anfang so", tröstete diese. — „Ich kann mir aber nicht denken, datz ich einmal zu il m Heinz sage wie ihr." — „Das gibt sich später' Anfang Dezember bummelte mit auer- lei jungem Volk in dem grotzzugeschnittcnen Nach barort umher, der schon unmittelbar an der See lag und eine Marineschule hatte. Hier gab es etwa» zu uzen und zu slapse», und auf dein Heimweg wurde noch rudelweise in der kleinen Stammkondi- torci „gebunkert". Das war freilich schöner als mit dem gesetzten Herrn Simoneit zusammcnzusitzen. Di« Mutter ließ ihrer Jlsabe jede Freiheit. Sie hatte wohl selbst das Gefühl dafür, daß das Kind einem beschwerlichen Glück entgegenging. Mit Sorge beobachtete sie, wie Jlsabe jeder Be rührung mit Simoneit auswich. Einmal bat er ie dringlicher als sonst um einen Kuß. Da sagte si« nur: „Aber, Herr Simoneit, wir sind doch noch nicht verlobt." Er lächelte schmerzlich. Er w« sehr be- cheiden, ein stiüec. ' sich gekeürter Mann, bei dem ie es gut haben wür^. Und doch! llnd doch! In diesen nede»oermumm- tea Tagen beschlich sie allgemach eine Ahnung von dem, was sie zu tun vorhatte. Sie wußte trotz ihrer Armut Hundertelei andere Sehnsüchte in sich verbor gen als just den Wunsch, Hinterm Ladentisch zu stehen — Frau Simoneit hier und Frau Simoneit dort —, in einem ansehnlichen Reich zwar, aber für alle Zeit gefangen und abgetan. Immer wieder in diesen Tagen riefen ihr di« Angehörigen das Wort: Versorgt! in« Gesicht. Si« aber, di« eigentlich halt« Marie heißen s"Nen. gestand sich bitter, datz ein Leben ohne Li«oe, ohne Spannung, ohne wunder bare Augenblicke auf sie warte. Si« paßte eben nicht zu Herrn Simoneit. Nicht nur, datz er zu alt war — sein schütterer Haarwirbel störte sie am wenigsten — nein, aber seine biedere Dürre, sein Nie-juna- gcwesen-Sein reizte sie bis zum Widerwillen. Manch mal strengte er sich an, spaßhaft zu wirken, aber da» schmeckte wie runzeliger Ingwer. „Du bist ein Kindskopf" sagte die Mutter nur. Jlsabe spürte einen wachsenden Trotz gegen ihren künftigen Perlobten. Sah er nicht, wie sich in ihr alles gegen ihn kehrte? Sah er nicht, daß es ihr nur ai» Mut fehlte, der Sache ein Ende zu machen? Warum blickte er sie manchmal so seltsam an? Immer näher rückten die Weihnachtstage. Wie hatte sich Jlsabe auf den Heiligen Abend gefreut. Jetzt mar sie traurig und blaß. Schnee war noch nicht gefallen. Alles starrte von Reif. Di« Ziegel hatten eine Glasur von Zuckerguß. Am Morgen des Weihnachtsabends war Jlsabe selber wie erstarrt. Als cs soweit war, mutzte sie zu Simoneit hin geschubst werden. Man ließ sie beide allein. Ilsab« saß steis und übertrieben aufgerichtet mit abgekrümm. tcn Ellenbogen. Simoneit lächelte krampfhaft. Er zog einen Gegenstand aus seiner Brusttasche. Es war eine Tüte, eine Wundertüte. „Hier, fühl einmal, Jlsabe!" Sie tat es. Ihre Finger zuckten zurück. „Der Verlobungsring", sagte sie hart, „ich weiß Be scheid. Stecken Sie ihn mir nur auf." — „Nein, öffne selbst!" Sie wollte anfangs nicht. Aber dann ritz sie verächtlich die Hülle ab. Fast hätte sie dabei einen Zettel mit zerrissen. Sie las die Worte: Ich sag nicht mehr: Sei mein! Es hat nicht sollen sein. Denn da dein Herz nicht spricht, bleibt mir nur der Pcrzicht." Perstört liest sie es nochmals, blickt dann auf den Ring, der einen schönen, blauen Stein trägt, einen leuchtend blauen Stein. — „Das ist bloß zur Erin nerung an mich", sagt Simoneit leise, .kannst ihn ruhig tragen." Da kann sie sich nicht mehr halten. Sie bricht in Tränen aus, will sagen: „Ich danke Ihnen, lieber Simoneit. Ich danke Ihnen." Sie drängt ihm ihren Mund auf, küßt ihn mit kindlichem Ungestüm, weint immer noch, weint immer mehr. Sie hat kein Taschentuch bei sich. Er hilft ihr aus, trocknet ihre Augen, muß daran denken, wie er ihr einst die Nase geputzt hat, als sie noch ein Güsscl war. Er hat selber an Tränen zu schlucken. Dann steckt er ihr de.» Ring auf, und sie sind innerlich für immer verein . „Nun müssen Sie mir helfen", sagt sie aus stehend, „ich meine, bet den anderen."