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höchsten deutschen Militärgerichtshofe- in Berlin zu verantworten. Die Anklage lautet auf vollendete und versuchte Fahnenflucht, Preisgabe von Dienst- gegenständen, schweren und leichten Diebstahl, Selbstbefceiung als Gefangener und tätlichen Angriff gegen einen Vorgesetzten. Am 8. Juli v. I. erhielt W. den Befehl, das Pferd eines Oberstleutnants nach dem Neustädter Tattersall zu führen, welchen Auftrag er ordnungsmäßig ausführte. Bald nach dem sich W. des Pferdes entledigt hatte, ging er nach dem Hauptbahnhose und fuhr von hier auS nach Italien, wo er sich längere Zeit arbeitslos Herumtrieb. Dort lernte Welch eine Leipzigerin kennen, mit der er Anfang August nach L-ipzig zurückfuhr. W. wandte sich bald darauf nochmals nach Italien, trat aber die Rückreise einige Tage später wieder an. Am 21. September wurde Welch verhaftet. Während seines Herumt eibens hat W. 1200 Mk. verjubelt, welch hohe Summe er g-spart bezw. durch Spielen erworben haben will. Indessen wurde festgestellt, daß er auf der Reise von Italien nach Leipzig einen Abstecher machte und dort einem Rechtsanwalt 750 Mk. bares Geld und 3280 Mk. in Papieren entwendete. Von Leipz'g t ansportie te man W. nach Dresden ins Untersuchungsgefängnis des Militärgerichts. Am 21. Februar entwich er von hier gelegentlich des Wasferholens und trieb sich in der Stadt herum, bis man ihn am 1. März in einem Cas» wieder festnahm. Aus der Heerstraße machte W. einen Fluchtversuch. Das Kriegsgericht der 32. Division erkannte auf eine Gefängnisstrafe von 3 Jahren, 5 Jahre Ehrenrechtsverlust und Versetzung in die zweite Klaffe des Soldatenstandes. Gegen dieses Urteil beantragten der Gerichtsherr und der Angeklagte die Berufung, welche für W. den Erfolg hatte, daß die Ehrenrechtsverluststrafe auf 3 Jahre herabgesetzt und W. nicht aus dem Militärvervande ausgeschlossen wurde, dagegen wurden im übrigen die Berufungen verworfen. Mit dem Rechtsmittel dec Revision focht W. dieses Berufungsurteil an, doch wurde es vom Reichs- Militärgericht bestätigt. W. hat demnach seine Strafe im Festungsgesäugnis (Königsbrücker Straße) abzusitzen und die seit seiner Flucht verflossene Militärdienstzeit nach der Strafzeit abzudienen. Nachdem W. merkte, daß sein Leugnen betreffs des schweren Diebstahls bei dem RechtSauwalt in Dresden vergeblich war, gestand er nach der Verhandlung vor der Berufungsinstanz den schweren Diebstahl zu, erzielte jedoch dadurch keine Zuchthausstrafe, welchen Wunsch er hegte, um so vom Militärdienst ganz frei zu kommen. 8 Diebstähle auf dem Leipziger Vieh- und Schlachthofc. In der Kälberschtachlhalle bemerkte eines Tages der Arbeiter F., wie der Fleischermeister A. aus Oetzsch aus zwei dem Fleischermeister N. gehörigen frischgeschlachteten Kälbern Lebern und Lungen heranslchnitt und sich damit heimlich entfernte. F. machte dem aufsichtsführenden Beamten Meldung, doch wartete man die Anzeige des Bestohlenen ab, die denn auch bald erfolgte. Man durchsuchte nun den Wagen des A. und fand darauf nicht weniger 4 Kalbslungen, wovon zwei, wie der Angeklagte vehauptel, den von ihm selbst an diesem Tage ge schlachteten zwei Kälbern entstammen, während er die zwei anderen gekauft haben will. Doch wird durch glaubhafte Zeugen »achgewiesen, daß dieser Kauf ohne Verkäufer statlgefunden hat. Außerdem machte sich A. noch dadurch verdächtig, daß er dem Bestohlenen zwei- und dreifachen Ersatz angeboten hat. Während das Leipziger Schöffengericht, vor ),em sich gestern A. zu veraniworten hatte, zu gnnsten -^s Angeklagten berücksichtigte, daß dieser mit Aus» Njihme einer Strafe wegen Unfugs nicht vorbestraft iU, wurde strafschärfend in Betracht gezogen, daß Ä. in ärgster Weise gegen Treu und Glauben gefehlt ,yabe; denn anstatt seine Kollegen gegen die auf dem Vieh- und Schlachlhofe so häufig vorkommenden Diebstähle zu schützen, habe er selbst seinen Berufs- genossen bestohlen. Das Gericht erkannte demgemäß auf eine Gefängnisstrafe von 9 Tagen. 8 Wegen Bcumtenbclcidigung ist in Köpenik vom Schöffengericht der sozialdemokratische Reichs tagsabgeordnete Zubeil zu 50 Mark Geldstrafe ver urteilt worden. Er hatte nach der „Voss. Ztg." in einer Versammlung die Gendarmen als die über flüssigsten Menschen der Welt bezeichnet. 8 Die Sühne einer Greucltat. Das Schwur gericht zu Konstanz verhandelte dieser Tage einen sensationellen Mordprozeß. Angeklagt waren der 53jährige Seideubandweber Gottfried Brenner aus Rippolingen, der beschuldigt wird, seine eigene 15jährige Tochter Agathe am 31. Mai v. I. er mordet zu haben, ferner dessen Sohn, der 20jährige Schuhmacherlehrling Fridolin Brenner, wegen Beihilfe. Beide sind noch nicht vorbestraft. Der angeklagte Vater hat die Tat bis vor kurzem geleugnet, vor einigen Tagen eingestanden, aber gleich daraus sein Geständnis wieder zurückgenommen. Vor Gericht bleibt ec beim Leugnen. Sein Geständnis beruhe auf Unwahrheit. Der Sohn wurde in Abwesenheit des Vaters verhört und gestand die Tat ein, indem er folgende' grauenhafte Einzelheiten erzählte: Seit 1901 ist Gottfried Brenner Witwer, infolge dessen hatte die 15jührige Agathe die Haushaltung zu be folgen. Der Vater sei aber mit ihrer Arbeitsleistung nicht zufrieden gewesen. Am Sonnabend, den 31. Mai, habe der Vater die Agathe überfallen und erwürgt, genau wie es tagS zuvor besprochen worden sei. Er, der Sohn, sei „Schmiere" gestanden und habe später die Füße gehalten. Nach der Tat haben sie das Opfer liegen gelassen, damit es kalt werde und nicht mehr so blute. Hierauf vesperten sie. Nachmittags schnitt der Vater mit einer Säge der Leiche die Beine ab, damit sie besser in einen Sack gehe. Die abgesäglen Teile wurden verbrannt, der Leichnam am Abend vergraben. Anderen Tags früh ging Fridolin zur Kirche und am Abend zur Maibetstunde. Auch die Vesperessen wurden regel mäßig eingehakten. Nach der Tat hat der Sohn Reue empfunden und Selbstmordversuche gemacht. Auf sein Zureden, der Vater solle die Agathe gehe» lassen, habe dieser erwidert, wenn er, Fridolin, nicht helfe, gehe es ihm auch schlecht. Es müsse geschehen. Der Vater müsse sonst etwas mit ihr gehabt haben. Die umfangreiche Beweisaufnahme, bei welcher mehr als 50 Zeugen zu vernehmen waren, überzeugte die Geschworenen von der Schuld des Angeklagten. Der Vater Brenner wurde, wie bereits in Nr. 175 des „Anzeigers" erwähnt, zum Tode verurteilt, der Sohn Fridolin erhielt wegen Beihilfe zum Morde bei verminderter Zurechnungsfähigkeit 6 Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust zuerkannt. 8 Wegen Majestätsbeleidigung sind in Marburg der Kesselschmied Ochs aus Staffelslein und der Instrumentenmacher Backofen aus Dresden, jener zu 4 Monaten, dieser zu 2 Monaten Gefä-gnis verurteilt worden. Sie hatten in einer Wvljchast im Mißmut über ihre Arbeitsverhältnisse Neußer- ung-n über d"n Kaiser getan. Nach der „Franks. Z!g." beantragte der StaatSa"w"lt für Backofen Freisprechung, da seine Acuße ungen wohl nicht als Beleidigung, sondern nur als eine Achtungsverletzung angesehen weiden könnten. 8 Hohenlcben. Das hiesige Schöffengericht hat kürzlich den Braue eibesitzer Z. in L. wegen Verwendung von Saccharin zu fertigem Bier zu 150 Mark Geldstrafe oder 30 Tagen Gefängnis verurteilt. Die Anzeige war infolge Denunziation eines entlassenen Brauers erfolgt. 8 Fünf Tage vor der Verjährung wurde der Landwirt Otto Bachmann in Großberga wegen Unterschlagung zur Anzeige gebracht. Im Jahre 1898 halte er in Gera einen Geldbrief mit 1350 Mk. Inhalt gefunden, der von einem Angestellten der Pfortenec Brauerei verloren worden war. Da er in Geldnot war, kam ihm der Fund recht gelegen. Nachdem er vor einiger Zeit mit Verwandten in Streitigkeiten geraten war, ging vor einigen Wochen eine Denunziation bei der Staatsanwaltschaft Gera ein, so daß Anklage erhoben werden konnte. Wegen Unterschlagung wurde Bachmann zu drei Monaten Gefängnis verurteilt; das Geld muß er herausgeben. 8 Das Pariser Schwurgericht verurteilte den früheren Kammerdiener Schmitz des bayerischen Geschäftsträgers Frhrn. v. Guttenberg wegen eines Anfang März auf der bayerischen Gesandtschaft verübten EmbruchSdiebstahls zu 4 Jahren, seinen Mitschuldigen Vogt zu 3 Jahren Gefängnis. Kleine Chronik. * Altenburg, 4. August. Heute nachmittag schoß der hiesige Zahnarzt Thal auf den bei ihm beschäftigten Dentisten Kroeber und dessen Frau. Der Tat war ein Streit vorausgegangen. Thal erschoß sich alsdann in seiner Villa. Kroeber und seine Frau wurden ins Krankenhaus gebracht, wo die Frau ihren Verletzungen erlegen ist. * Gera, 4. August. Gestern glaubte man in Rochlitz den Mörder Schulz erwischt zu haben, leider aber war es der Gesuchte nicht, sondern ein gewöhn licher Landstreicher. Nach den neuesten Mitteilungen soll sich der Mörder noch in der Umgebung von Waltersdorf umhertreiben und in den dichten Wald ungen sein Unwesen treiben. * Breslau, 4. August. Die russischen Grenz» behördev haben die überaus drückende Bestimmung aufgehoben, daß die Grenzpaffanten bei Strafe der Konfiskation kein ausländisches Bargeld nach Ruß land einführen dürfen. * Görlitz, 5. August. Eine Windhose richtete in der Ebersbacher Umgegend bedeutenden Schaden an. Es wurden Grabsteine umgeworfen, Dächer ab gehoben und Bäume entwurzelt. * Erfurt, 4. August. Im Stadlpark in Nord hausen wurde am 28. Juli früh gegen 6 Ubr die Leiche einer Unbekannten in einem stachen Wasser graben gefunden. Die Tote ist etwa i7 Jahre alt. Es ist anzunehmen, daß ein Verbrechen vorlicgi. Von der Königlichen Regierung zu Erfurt sind 500 Mark Belohnung für denjenigen ausgesetzt, welcher der Behörde Angaben macht, auf Grund deren eine an dem Tode des Mädchen« beteiligte Person er mittelt und zur Bestrafung gebracht werden kann. * Eisleben, 4. August. In Neehausen sand am Sonntag abend eine von zwei polnischen Ar beitern verursachte Streiterei statt, die zu Tätlich keiten ausartete. Dabei stach einer der polnischen Arbeiter, in jeder Hand ein offener Messer haltend, wie wütend um sich. Ein Schweizer, der ahnungs los aus dem Gasthof trat, erhielt von dem Wüterich einen tiefen Stich in den Hals, sodaß er nach einigen Schotten tot zusammenbrach. Weitere 6 Personen wurden schwer verletzt, von denen 3 ine Krankenhaus nach Halle geschafft werden mußten. An ihrem Auskommen wird gezweifelt. Eine große Zahl Leute sind leicht verletzt. Der Uebeltäter wurde dem Amtsgericht Eisleben eingeliesert. * Bromberg, 4. August. Der Lehrer Hinze, der bei dem Füsilier-Regiment Nr. 34 seine Dienst zeit absolviert, erschoß gestern nachmittag den 4 Jahre alten Sohn Herbert des Feldwebels Lange. Hinze zielte im Scherz auf den Knaben mit dem Gewehr, das mit einer Platzpatrone geladen war. Das Ge schoß drang dem Kleinen ins Herz, sodaß der Tod auf der Stelle eintrat. * Stettin. Pastor Ruff in Wittenfelde, dessen Gatlin an schweren Brandwunden im Krankenhause zu Greisenberg darniederliegt, hat der „Pomm. Volkr-Ztg." zufolge, da nach dem Urteil der Aerzte die Frau nur zu r tten ist, wenn ein Mensch seine Haut dazu hcrgibt, die Operation an seinem Körper ausführen und so viel Haut vom Arm abnehmen lassen, wie notwendig war, ohne die Narkose bei sich anwenden zu lassen. * Trier, 5. August. Ein schwerer Einbruchs diebstahl wurde bei dem Uhrmacher Nöller in Dillingen ausgesührt. Es wurden Schmucksachen im Werte von nahezu 3000 Mk. gestohlen. * München. Hie:.' wurde unter lebhafter Be teiligung ein Beamter der bayerischen Staat«bahnen, der Oberinspektor Tenscherz, beerdigt, der einem seltenen Falle von Blutvergiftung erlegen war. Auf einer Urlaubsreife durch Sibirien hatte ihn eine Fliege in den Zeigefinger gestochen. Obwohl Tenscherz noch mit anscheinend guter Gesundheit nach München zurückkehrte, hat ihn, als die Krank heitserscheinungen ebenso schnell al« erschreckend her vortraten, ärztliche Kunst nicht mehr zu retten ver mocht. * Kiffiuge», 4. August. In unserem Bade orte herrscht allgemeine Aufregung, da nachmittag« zwischen 5 und 6 Uhr zwischen Ludwig«turm und Max-Ruhe ein Kurgast au« Rußland überfallen wurde. Der Herr saß lesend auf einer Bank, al« er von einem Unbekannten einen Schlag mit einem Hammer auf den Kopf erhielt. Nack kurzem Ringen mit dem Räuber entfloh di ler. Der stark verletzte Kurgast wurde verbunden und in da« Spital ge bracht * Sondrio (Lombardei). Eine Schrecken-szene, de en ung'ückliche Heldin eine 30jährige Fran namens France«ca Marchetti war, die in einem plötzlichen Anfall von Wahnsinn ihr 2jährige« Kind in die ißenden Fluten der Ada warf, ereignete sich dies..' Tage hier. Der 3jährige Knabe, den sie an der Hand führte, ahnte, daß ihm da« gleiche Schicksal drohte, riß sich lo«, um eilend« davonzu laufen, wurde aber von der wahnsinnigen Mutter c »geholt und 'rotz seine» jämmerlichen Schreien« und W. n iS s nein Brüderchen nachgeschickt. Jetzt wollte das unglückliche Geschöpf auch die zwei anderen K »der herbüholeu. Diese waren aber in des in« Dorf g ült, um Hilfe zu suchen. Al« end lich Leute ersch ..ien, um zu retten, war es zu spät. Auch die Frau hatte ihr^ n Leben durch einen Sprung in den Fluß ein Ende b..estet und man konnte nur noch die Leichen herausfischen. Bezirksliste sächsischer Erfinder. Mitgeteilt vom Patentbureau O. Krueger L Co., Dresden, Schloßstr. 2. Angemeldet von: C. Schönherr, Chemnitz: Selbsttätig sich öffnender bezw. schließender Abort deckel. — Sächsische Maschinenfabrik A.-G. Chemnitz: Vorrichtung zum Schüren von Feuerungen. — F. Dörffel, Chemnitz: Schleudersortierer für Holzstoff und dergl. mit rotierendem Tellersystem. — M. Hachenberger, Meerane: Wafferfilter. — M. Kohl, Chemnitz: Härteskala für Röntgenröhren. — E. Warlitz, Niederwürschnitz: Elastische Leibbinde zur Geburtshilfe bei Pferden usw. — R. Bergner u. Co., Chemnitz: Packetträger. — A. 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Er hatte ihn oft in Pariser Zeitungen gelesen, und zwar zu einer Zeit, wo die Anarchisten der französischen Regierung viel zu schaffen machten. Er erinnerte sich einer seltsamen Geschichte über diesen Mann, den ein Liebeskummer auS dem nor malen Leben hinausgeworfen hatte. Gaston erinnerte sich, ihn gesehen zu haben, als er der Geliebte Germaine Reyvals, einer bekannten Bühnenschön heit, war, die ihn eines Tages um eines Bankiers willen verlassen. Ruiniert und verzweifelt hatte der wahnsinnig Verliebte der Gesellschaft fortan den Krieg erklärt und war einer der wildesten Anhänger der anarchistischen Lehre geworden. Dulac war jetzt dicht neben den beiden. Bastien streckte ihm die Hand entgegen und rief: „Gegrüßt, Genosse Dulac!" Der Koloß fuhr aus seinen Träumen. Er er kannte nicht sogleich den Sprecher. „Muß ich Euch das Gedächtnis etwas auffrischen?" versetzte dec Vorstädter von Paris lustig. „Bastien . . . Macaron, wenn's Euch besser gefällt!" „Ach ja, jetzt erinnere ich mich!" „Weiß der Himmel! Das macht Spaß, so em paar tausend Kilometer von der Heimat einen Gefährten zu treffen, und dann muß ich Euch auch einen wirklichen Kerl, einen ganzen Kerl vorstellen — Gaston Rozen." Dann zu Rozen gewendet: „Der Genosse Henry Dulac, ein Milbruder. Ihr werdet Euch gut miteinander vertragen." Dulac und Rozen reichten sich die Hände. „T.ch," fuhr Macaron fort, „man kann sich nicht auf dem Trottoir begucken . . . wenn wir in ein Cafv eintrelen würden?" Nicht weit von ihnen lag ein Cafö mit glänzend erleuchteten Erkern. Sie traten dort ein. Bastien machte Dulac mit ihren Erlebnissen bekannt. Er erzählte chm öen Aufstand der Sträflinge, ihre Flucht aus dem Bagno und die Gefahren, die sie seitdem überstanden. Während ? acaron sehr seurig ihre Abenteuer auftischte, beob htete Rozen den neuen Bekannten. Er schien den Charakter dieses Mannes ergründen zu wollen. Sein Blick war lebhaft und voll Intelligenz, doch fühlte man, trotz der anscheinenden Stärke, daß man es mit einem unentschlossenen, einem leicht zu führenden Menschen zu tun habe. Die Unterhaltung entwickelte sich, und nach und nach begannen beiderseitige Geständnisse und Ver traulichkeiten. Von beiden Seiten wurden die Zu- kunstSpläne enthüllt. Rozen ergriff beredt das Wort; seine warme und überzeugende Stimme nahm die Hörer gefangen. Er machte aus seiner Jugend einen für sich vorteil haften Roman und zeigte sich darin als unschuldig Verurteilten, der einen Menschen, einen Mitbruder, retten gewollt. Und Dulac hörte vertrauensvoll und ganz be wegt dies Märchen an, daS schon so treffliche Wir kung in Cayenne auf Elena gehabt. Auch Macaron hörte aufmerksam zu, ebenfalls von der musikalischen Stimme RozenS eingewiegt. Dann erzählte Rozen ihnen von seinem Traum: die bezähmte Gesellschaft; Reichtum, Macht in den Händen einiger Genossen, die ihm folgen würden. Er sprach weitschweifig und zeigte, daß, wenn die Anfänge deS Werkes schwierig sein müßten, da» Glück und der Ruhm schließlich die Anstrengungen der Verbündeten krönen würden. Dank ihnen würde die besser gewordene Gesellschaft eine neue Aera heraufblühen sehen. Keine Armen mehr, keine Sklaven ! Freie Männer, die für sich selbst arbeiten, nicht mehr für die schlimme Bande der heutigen Finanzwelt. Dulac hörte ihm zu, ganz hingerissen von den Utopien, mit denen Rozen seine Gewinngier, seine erschreckende Herrschsucht maskierte. „Ach," rief er in sichtbarer Bewegung, als Gaston geendet, „wie schade, daß Sokolow nicht hier ist . .. er würde Ihnen um den Hals fallen. Mit einem Menschen wie Sie würde man eine Welt wieder ausbauen !" „Sokolow," versetzte Rozen. „Sie wissen, wo Sokolow ist?" „Er war hier, knapp sind's zwei Monate." „Seine Hilfe wäre uns unentbehrlich," fuhr Gaston fort. „Das Genie dieses Apostels der ge heiligten Sache würde uns über die Anfangs schwierigkeiten triumphieren helfen. Er muß einer der Unseren sein . . ." „Gegenwärtig," erwiderte Dulac, ist er mit einem halben Dutzend Gefährten nach Chaco, unweit von Formosa, gereist, um ein Arkadien zu gründen, ein Land, wo eS weder Herren noch Diener geben würde." Rozen lächelte. Ja, er erkannte darin diesen Soko low, den edelmütigen und begeisterten Mann, der für den Triumph seiner Ideen, die absolute Gleichheit unter der Menschheit, jedes Opfer bringen würde. Er erinnerte sich, daß der Gelehrte auf chemischem Wege Geld herzustellen versuchte, und seine Unter suchungen über das Argentaurum hatten ihn be sonders interessiert. Er mußte um jeden Preis diesen Mächtigen für sich gewinnen. Sein Entschluß war sofort gefaßt. „Ich werde Sokolow aufsuchen und ihn hierher bringen!" Dann fragte er Dulac: „Warum sind Sie ihm nicht gefolgt?" „Als er davonfuhr, war ich krank und bin übrigens noch nicht völlig wiederhergestellt." „Gut, Sie werden hier bleiben und uns er warten. Von morgen ab will ich mich für die Ab reise nach dem Chaco rüsten." „Das ist leicht — in diesen Tagen geht wieder ein Trupp von Diamantsuchern dorthin ab. Sie suchen nach entschlossenen Leuten, die sie nach den Coroades-Gebieten begleiten wollen." „In das brasilianische Parana? Ich glaubte, daß es nur in dem Matto-Grosso Diamanten gäbe, im Norden Paraguays." „Es wurden auf dem Coroades einige Minen entdeckt. Die dortigen Diamanten sind unbedeutender als die Paraguays, doch kann die Zutageförderung immer noch Nutzen einbringen, freilich unter großen Gefahren. Die Leute, von denen ich Ihnen spreche, könnten Sie bis nach Corrientes führen. Dort würden Sie auf dem Wege nach Chaco sein". (Fortsetzung folgt.) Neueste Nachrichten und Depeschen vom s. August. Altenburg. Zu dem 50jährigen Regierungs jubiläum des Herzogs Ernst wird noch gemeldet: Gestern früh brachten die vereinigten Männer gesangvereine dem Herzog im Schloßhof ein Ständ chen. Im Laufe des Vormittags wurde eine Ab ordnung empfangen und um 2 Uhr nachmittags die am Altenburger Hofe beglaubigten Gesandten. Frankfurt a. M. Nach einer Meldung der „Frkf. Ztg." aus Dessau findet die Ersatzwahl für den verstorbenen Reichstagsabgeordneten Rösicke am 3. September statt. Budapest. Ministerpräsident Graf Hedervary wird noch im Laufe dieser Woche an das kaiserl. Hoflager nach Ischl reisen. Von der Audienz wird es abhängen, ob die Demission Hedervarys erfolgt. Kopenhagen. Die älteste Tochter des Kron prinzen Friedrich, Prinzessin Louise von Schaum burg-Lippe, schwebte gestern in ernstlicher Gefahr. Bei ihrer Liebe zum Schwimmsport wagte sie sich während des Badens im Sunde zu weit hinaus; bei der Rückkehr halte sie gegeu deu Strom und starken Wind zu kämpfen. Diese Anstreng ungen waren aber bald zu viel für ihre Kräfte, und die Situation wurde daher sehr kritisch. Glück licherweise wurde die Gefahr, in der die Prinzessin schwebte, vom Lande aus bemerkt. Einer der Lakeien lief schnell an den Strand, warf seinen Rock ab und sprang resolut ins Wasser; er schwamm der Prinzessin nach und half ihr in Sicherheit. Gestellungen auf den HohMtin CkMalcr Anjeiger für die Monate August und September werden von sämtlichen Po st an st alten und Briefträgern, sowie von den Austrä gern und der Geschäftsstelle entgegen genommen. Preis für beide Monate nur 84 Pfg.