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Beilage zum Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger Tageblatt. 135. Sonntag, den 14. Juni 1903. 30. Jahrgang. Wochenschau. Die erschütternde Tragödie von Belgrad hat in der ganzen zivilisierten Welt den ungeheueren Eindruck heroorgerufen. Es war ein offenes Ge heimnis, daß König Alexander einer großen Partei in Serbien mißliebig war, seine Verehelichung mit Frau Draga Maschin und die Kinderlosigkeit diese. Ehe, zuletzt noch der unglaubliche Staatsstreich des jungen Königs, das alles vereinigte sich, um die Gegner der Dynastie Obrenowitsch zu dem Mord- plan zu bestimmen, der in der Nacht vom Mitt woch zum Donnerstag im Konak verübt ward. Ein derartiges Attentat auf den König und die Königin eines Landes, wie es die Anhänger von Karageorgiewitsch soeben in Belgrad begingen, ist in der Weltgeschichte einfach ohne Beispiel. Es erinnert an das tragische Geschick Ludwigs XVI. und der Marie Antoinette; in Frankreich aber herrschte damals offene Revolution und es war mehr als ein bloßer Königsmord, was die Gewalt taten in jenen blutigen Tagen verbrachen. Russische Kaiser sind in ähnlicher Weise von der Bühne ver schwunden, wie gegenwärtig König Alexander von Serbien; die Gemahlin des Souveräns aber wurde von den politischen Mördern respektiert. Die furcht bare Katastrophe in Belgrad beweist, wie sehr der jugendliche Alexander sich über seine Macht sowie über seine Beliebtheit beim serbischen Volke im Irrtum befand; er hat diesen Irrtum mit seinem Leben bezahlt. Ob aus der blutigen Saat eine heilsame Frucht erwachsen wird, darf billig be zweifelt werden. In einer Woche wird die Wahlschlacht um die Neubildung des deutschen Reichstages, der für fernere fünf Jahre über des deutschen Volkes Tun und Lassen, Arbeiten und Verdienen entscheiden soll, geschlagen sein. Wir sagen mit Recht, der Reichs tag habe über unseres Volkes Tun und Lassen, Arbeiten und Verdienen zu entscheiden, denn die von der Volksvertretung beschlossenen Gesetze bilden die Geleise, auf welchen sich der Zug unserer wirt schaftlichen Weiter-Entwickelung fortbewegen soll. Um diese wirtschaftliche Weiter-Entwickelung dreht es sich bei diesen Wahlen vor allen Dingen, denn daß die bürgerliche Freiheit und die Rechte der Nation nicht bedroht sind, ist auch dem Blödesten klar ge worden. Viel besprochen und behauptet wurde, das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht solle ab geändert werden; es ist tatsächlich erweitert durch die neue Art der Abstimmung. Und so erleben wir aus fast allen Gebieten des öffentlichen Lebens Schwarzmalereien, die zum Teil im besten Glauben abgegeben sein mögen, die aber immer der Theorie entspringen und niemals der Praxis des Lebens, den Tatsachen zu entsprechen brauchen. In unserer heutigen Zeit der Milliarden-Trusts, der Millionen- Kapitalisten, der Riesenstreiks und der internationalen Verbindungen muß jedi r Staat, der für seine Bürger eine feste Existenz schaffen will, tunlichst an seine Existenz denken. Er kann freundlich und liebens würdig gegen andere sein, ec darf aber nie ver gessen, den Worten anderer zu mißtrauen, nur ihren Taten darf er glauben. Herrn Chamberlain's politische Pläne sind eine flammende Warnung für gar zu vertrauensselige deutsche Wähler. Furchtbar geredet ist im englichen Parlament über fiinanzwirlschaflliche und verwandle Ange legenheiten, bei welchen gelegentlich Mr. Chamber lain ein scharfer Hieb verabfolgt wurde. Der kluge Herr kann es sich gönnen, ruhig zu bleiben, seine Zeit braucht nicht erst zu kommen, sie ist schon da; die große Masse der Engländer schwört auf ihn. Großen Spektakel gab e« auch in Rom im italienischen Parlament. Nur ein Blinder und Tauber könnte e« leugnen, daß sich trotz aller Bcschwichligungrv - suche der Regierung eine schärfere und immer scharfe e Tonart gegen Oesterreich h°rau«b:'dek. Die Un möglichkeit einer Begegnung zwischen Kaiser F aiz Joseph und König Viktor Emanuel für jetzt ist c. klärlich, aber wohltuend für die nachbarlichen B.- ziehungen ist die Unterlassung ganz gewiß nicht. Die radikalen Elemente in der italienischen Volk.- vertretung erheben mit einer heftigen Energie ibc Haupt, da« man früher nicht für möglich gehal' r hätte. Der Besuch de« russischen Zaren in Nom, der bevorsteht, hat bei den heißblütigen italienisch i Republikanern zu Protesten Veranlassung g.gel Man darf e« nicht so genau nehmen, der I a!' ist in der Geographie und B.kannl;che.ft n ' fremden Staaten und Nationen noch schwächer u der Franzose. Die Letzteren haben sur den i - ltchen Zwischenfall im Hinterlande von Alge i e eine gewisse Revanche genommen. E.hcblich wür der ursprüngliche Fall genau ebensowenig, wie eie Folge; e« mußte aber doch was getan werden. Kritischer gestaltet sich sür da« Ministerium Comb ; in Pari« der fortschreitende Kampf wegen der Au«sührung der neuen Unterrichtrgesctze. T'.e Maßnahme, den Ort«schulen einen tödlichen Schlug zu versetzen, ist nur sehr knapp gelungen, genau genommen, mißlungen, e« bieten sich den Kongrr gationen mancherlei Au«wege, die nicht alle unter bunden werden können, und nebenbei wild dcc Parlament«-Mehrheit de« Kabinetts nachgerade selbst schwül zu Mute. Sie können nicht verkennen, daß die« Vorgehen doch recht wenig nach republikanischer Freiheit au«schaut. In Oesterreich, im Orient, in Amerika gab e« nach wie vor viel Trübsal; aber e« ist die alte Nummcc, man gewöhnt sich daran; nur der serbische König-mord macht c'.ne su' chtba e Ausnahme. Das Blutbad in Belgrad. Wie Othello, der Mohr von Venedig, seine tote Desdemona küssend, starb, so soll König Alexander von Serbien seine Draga umschlungen und sie geküßt haben, als er den tätlichen Revolver auf sich und die Königin gerichtet sah. Um den blutigen Königsmord in Belgrad hat sich bereits heute ein dichter Legendenkranz gewunden und cs wird kaum möglich sein, genau zu erfahren, wie sich wirklich der schreckliche Hergang abgespielt Hai. Nehmen wir ihn daher so, wie er am poesiereichslen ist: Der letzte Obrenowitsch schied, die Lippen seiner Draga küssend und das geliebte Weib mit seinen Armen umschließend. So hat die „N. Fr. Pr." über die letzten Augenblicke des unglücklichen Königs berichtet. Ueber die Ausführung des Blutbades liegen authentische Nachrichten noch nicht vor. Auf hand greiflicher Uebertreibung beruht jedenfalls die An gabe, daß in der Schreckensnacht mehr als 200 Personen vom Leben zum Tode befördert worden seien. Im Konak wurde die Palastwache, die aus etwa 25 Mann bestand, getötet, außerdem verloren dort, abgesehen vom ^önigspaare, noch einige wenige Offiziere das Leben. Die Gesamtzahl der Toten im Palast dürste sich auf nicht mehr als 30 belaufen. In ihren Wohnungen wurden er mordet die beiden Brüder der Königin die Leut nants Nikolew Lunjewitz, der Ministerpräsidem General Markowitsch, der Generaladjutant General Petrowitsch, der zweite Adjutant Oberst Naumo witsch. Die beiden Schwestern der Königin ließ man, entgegen den ursprünglichen Meldungen, am Leben. Die neue Regierung, welche sosort nach dem Blutbade eine Proklamation an das Volk erlaß und die Skuptschina zum kommenden Montag be hufs Wahl des Königs einberief, hat inzwischen ein weiteres ziemlich umfangreiches Communiqm veröffentlicht, in dem die Zwistigkeiten bei Hose als die Ursache der „militärischen Intervention, bei der das Königspaar den Tod sand", bezeichnet werden. Nach diesem Meisterstück naiver Dar stellungsweise, die absolute Harmlosigkeit atmet, wird die Wiederherstellung der von Alexander auf gehobenen Verfassung und die Einberufung der Skuptschina zum nächsten Montag angekündigt uns danach die Versicherung abgegeben, daß die pro visorische Regierung die Ruhe im Lande ausrecht erhalten werde und gewiß sei, daß ihre Maß nahmen die Sympathie aller europäischcn Mächte finden werden. Das ist das Aergste, was diese blutbesudeltcn Usurpatoren zu behaupten wagen durften. Sym pathien sür Königsmörder! Nein, Verachtung, tötliche Verachtung, das ist die einzige Empfindung aller europäischen Völker dieser Mordgesellschaft gegenüber. Anerkannt wird die neue Regierung Serbiens von den Mächten ja wohl werden müssen. Auch wenn Peter Karageorgiewitsch zum Könige gewählt sein wird, kann diesem die Anerkennung nicht vorenthalten werden. Aber darüber hinaus gibt es nichts. Drei Schritt vom Leibe! so h ißt es diesen Mordgesellen gegenüber. Wie nach und nacy erst bekannt wird, wurde der Plan zur Beseitigung des serbischen Könige paares von einigen O fizieren schon vor längerer Zeit gefaßt. Der Kreis der Verschworenen schwoll schnell zu mächtigem Umfange an. König Alexander stano der Armee von vornherein fremd gegenüber; sein Verhältnis zu ihr wurde durch die Vermählung mit Draga noch mehr getrübt. Die Offiziere em pfanden diese Verbindung wegen der Vergangenheit der Frau als eine Schmach. Die Königin vergalt diese Abneigung mit einer hochmütigen Behandlung der Armee, der König nahm eine gleiche Haltung an Das hochfahrende Benehmen des Oberleut nants Lunjewitz, der sich, auf seiner Schwester, der Königin Draga, Einfluß pochend, mit Vorliebe als den künftigen Köniz Serbiens ausspielte, steigerte den Zwiespalt. Schon seit Milan vor dr i Jah. n nach der Vermählung Alexanders das Kommando über die Armee niedergelegt hatte, zeigte sich im Offizierkorps und dann auch unter den Bauern eine starke Strömung für Karageorgiewitsch. C -n König Milan unterstützte diese Bestrebungen und bot Peter Karageorgiewitsch seine Unterstützung au. König Alexander gab damals den Beseht, Kö..ig Milan Niederzuschüßen, sobald dieser serbisch n Boden betreten sollte. Die unmittelbare Ursache der jetzigen Verschwörung war d'e Aufforderung des Königs an die Offiziere, seinen Schwager Lunjewitz als Thronfolger an^uerkennen und dies durch ihre Unterschrift zu bekräftigen. Die Beisetzung der unglücklichen Opfer des Belgrader Blutbades ist bereits erfolgt und in aller Stille vorgenommen worden; teilnahmsvolle Kund gebungen seitens der Bevölkerung wurden nicht be merkt. Die Leichen des Königspaares waren in Metallsärge gelegt worden. Diese wurden aus -un- fache Lastwagen gehoben. Niemand folgte den, Leichenzuge. Die Beisetzung fand in der Familien gruft der Obrenowitsch statt und zwar in der Kapelle des alten Friedhofs zu St. Markus. Die Einsegnung wurde von 7 Geistlichen vorgenommen, sie dauerte von ft,2 bis 3 Uhr morgens. Das Begräbnis der übrigen Ermordeten glich überhaupt nur einer Verscharrung, sie wurden ohne Pietät in die schnell aufgeworsenen Gräber gelegt. Die Leichen des Königspaares wurden einer Obduktion unterzogen. Das Ergebnis derselben wurde in einem amtlichen Protokoll niedergelegt, dessen Angaben einfach haarsträubend sind. Beide Leichen waren furchtbar verstümmelt, beiden war, infolge der großen Wucht, mit der sie aus dem Fenster geworfen worden waren, das Rückgrat gebrochen, stieben zahlreichen Schußwunden wiesen die Leichen auch viele Stichwunden aus. Die Mördei haben also in bestialischer Grausamkeit noch au die Leichen des zu ihren Füßen liegenden Königs paares geschossen und eingestochen. Es ist unerhört, daß derartige in der ganzen Weltgeschichte ohne Beispiel dastehende Grausamkeiten an den Ver brechern nicht nur nicht gesühnt werden, sondern daß sich diese mit ihren scheußlichen Verbrechen sogar noch die Anwartschaft .auf die höchsten Ehrenstellen im Lande erworben haben. Da diese Untaten überdies die Billigung fast des gesamten serbischen Volkes gefunden haben, so hat auch dieses das Recht verwirkt, sortan als Kulturvolk betrachtet zu werden. Der ermordete König Alexander soll nicht der letzte Obrenowitsch gewesen sein. Wie der „Voss. Zeitung" aus Paris gemeldet wird, behauptet man dort, daß ein natürlicher Sohn des Königs Milan und der Frau Kristitsch mit seiner Mutter in Konstantinopel lebe und Briefe Milans besitze, die ihn anerkennen. Sollte wirklich ein natürlicher Sohn Milans vorhanden sein, so würde sich dieser unter allen Umständen hüten, Thronansprüche geltend zu machen. Das Schicksal der Obrenowitsch ist nicht verlockend. Die österreichische Regierung hat sich beeilt, ohne die Feststellung darüber avzuwarten, wie viel Peter Karageorgiewitsch bei dem Belgrader Morde die Hand im Spiele gehabt habe, diesem als den berufenen König Serbiens seine Anerkennung zu zusprechen. Diese Eile läßt sich nur mit dem Wunsche erklären, die Geltendmachung anderweitiger Ansprüche, sei es des oben erwähnten natürlichen Sohnes Milans, sei es eines montenegrinischen Prinzen, zu verhindern. Im Auftrage der Re- gie.ung spricht das Wiener Fremdenblatt die Er wartung aus, daß der neue König Peter von Serbien die Wohlfahrt des Landes aufs beste fördern werde. Nachdem durch das Belgrader Ver brechen das Haus Obrenowitsch so schrecklich ge endet, sagt das genannte Blatt, haben wir keinen Grund, gegen die natürliche Lösung der Frage, vor welcher Serbien nun gestellt ist, etwas ein zuwenden. Im ungarischen Abgeordnetenhaus gab der Ministerpräsident v. Szell seinem Abscheu und seinem tiefen Schmerze über die Belgrader Schreckens tat Ausdruck und sprach zugleich die Hoffnung aus, daß Verwickelungen, die das Eingreifen der Mächte erfordern könnten, infolge jener Untaten nicht ein treten würden. Der neue serbische Ministerpräsident Awokumo- witsch hat einem Ausfrager erklärt, daß er zur Zeit des Ereignisses nicht in Belgrad geweilt; er sei erst durch seine Freunde telegraphisch herbei gerufen worden. Daß er um das Verbrechen ge wußt und das feurige zu desfen Einleitung bei getragen hat, wagte er selbst nicht zu leugnen. Was geschehen ist, sagte er dann weiter, gehört der Geschichte an. Richten wir nicht die Toten (!), blicken wir in die Zukunft! Was der Minister präsident über die Mörder denkt, verschwieg er. Dec Th.onp älendent Prinz P.ter Ka.agcorgic- wüsch, der noch immer in G.nf w ilt, erklärte, daß er die Wahl der Skuptschina zum Könige von Serbien annehn cn würde. Also endlich doch; wczu die -Mündige Ziererei? — Auf der serbischen Gesandtschaft in B um wurde gestern aus Anlaß d.r Ermordung de; Königspaarcr die Trauerfligge gehißt. Wenn ein Anbänger der KönigSpaercS der- aUige« in B.lg ad selbst ve.suchen wollte, würde er c.barmuvgilos r.icdergcknallf. Da« gesamte diplo- mansche Kerps der Neichrhauptstadt hat dem Ge sandten jein Beileid auszrd.ück'. Interessant ist es, daß dieser Gesandte sich bereit« im Auftrage der n.uen Negierung, von der er seine Weisungen ent. g genzunchmen hat, in Berlin befindet; derselben Regierung also, die da« Blmbad im Konak auf dem Gewissen hat. Interessant ist es ferner auch, zu erfahren, daß !> an in eingcweihtcn Kreisen Serbien« schon seit Langem mit eiw-r Katastrophe rechnet. Au« einem Gefühl tur Unsicherheit kam der serbische Gesandte in Berlin nie heraus. So fragte er vor einiz.n Wochen, al- ihm ausregende Nachrichten zuzcgaugen war-n, bei unserm Auswärtigen Amte an, ob etwa der König Alexander ermordet worden sei. Auch diesmal mußte der Gesandte erst bei unserer Re gierung genauere Informationen über die Belgrader Schreckenstaten einztehen, er selbst war über alle Einzelheiten in vollkommener Unkenntni« gelassen worden. Ueber den Akt der Ermordung werden jetzt noch einige Einzelheiten betont, von denen wir die folgen, den mitteilen: In Gegenwart einiger Offiziere, unter denen sich die Verräter befanden, hatte da» Königrpaar im Garten de« Konak« bi« 11 Uhr soupiert und sich dann in seine Gemächer zurück gezogen. Nach der Verabschiedung vom Königspaare verständigte Oberstleutnant Mischisch die Offiziere, daß der König in derselben Nacht zur Abdankung gezwungen werden müsse. Die Offiziere zeigten sich, um nicht aufzufallen, zunächst in ihrem Kasino und ließen sich dort immer wieder den Marsch „Königin Draga" ausspielen. Um die verabredete Zeit erhoben sie sich altdann und gingen direkt in den Konak. Ein Teil der Wache leistete Widerstand und wurde niedcrgeschossen. Im Treppenhause des Palai« erwartete der Flügeladjutant de« König» die Verschwörer. Er wußte alle« im Vorau« und diente den Attentätern al« Führer in den inneren Gemächern. Es ertönten Schüsse. König Alexander, der im ersten Schlafe lag, ließ sofort die Türen seiner Privakgemächer versperren. Al« Hüter der inneren Königszimmer hielt General Petrowitsch, ein erprobter und treuer Anhänger de« Obreno witsch, todesmutige Wache. Naumowitsch pochte mit brutaler Heftigkeit an die Tür der königlichen Schlafgemächer. Ec rief durch die verschlossene Tür in» Zimmer hinein: „Majestät, Sie haben augenblicklich Ihre Demission zu geben. E« lebe der neue König von Serbien Peter Karageorgie- witsch!" In heftiger Entrüstung rief König Alexander durch die verschlossene Tür: „Hinau« ! Niemals danke ich ab! Fort mit Euch Rebellen!" Schon vorher hatte General Petrowitsch auf der Schwelle dc« königlichen Schlafzimmer« Schüsse auf die Verschwörer abgegeben. Ein Hauptmann wurde davon auf der Stelle getötet. Mit einem zweiten Schuß wollte der General den Rebellenführer Riflitsch löten. Dieser kam ihm aber zuvor; mit einem Revolver, den er s. Z. von König Alexander zum Geschenk erhalten hatte, streckte er den General Petrowitsch nieder. Die Tür wurde mit Dynamit gesprengt und die blutige Katastrophe war al«dann da« Werk weniger Minuten. Aus den Bleikammern Serbiens. Wir lcsea in der Franks. Ztg. u. a.: Die Königs- katastrophe von Belgrad wird es Europa wieder einmal zum Bewußtsein bringen, daß der Orient mit seinen furchtbaren Taten, mit den Geheimnissen seiner Politik und seiner Justiz im äußersten Falle am Zigeunerberg bei Semlin beginnt. Wenn man hier unter den Trümmern des alten Hunyady-Schlosse» umhergeht und über den mächtigen Strom hinweg zum anderen Donauufer hinüberblickt, sieht man, wie sich die Außenwerke der Belgrader Festung vom Himmel abhcben. Man glaubt, man irre sich, wenn man sich erinnert, daß diese Zwingburg bi» 1867 in den Händen der Türken geblieben ist. Diese Zitadelle von Belgrad ist eine Stätte, wie e-wenige gibt, mit soviel Blut und Tränen ist sie gedüngt. Hi-r wurde der Gi oßvez-er Kara Mustapha erdrosselt; hier wurden in fast dritthalbhundert Jahren türkischer Herrschaft unzählige Menschen, die den Machthabern verdächtig g°worden, gefoltert und hingerichtet und dieObrenowitsch, alssieda» Erbede» PaschaSantraten, haben zugleich mit der Herrschaft die Praxi» der despotischen Gewalttätigkeit übernommen. Die B-lgrader Festung beherbergt einen großen Teil der serbischen Sträflinge. Sie besitzt eine Un menge großer und luftiger Zellen, ArbeitSsäle und dergleichen für die Aufnahme gemeiner Verbrecher. Für die politischen Verbrecher sind unterirdische Z llen da, kleine feuchte Löcher, die tiefer liegen al ber Spiegel der vorüberfließenden Donau und zumeist gar keine Fenster besitzen; ein kleine» runde» Loch läßt Luft ein, damit der Gefangene nicht sogleich erstickt. Die Kasematten der Belgrader Festung haben gar manchen serbischen Bürger ausgenommen und erst als Toten wieder herausgegeben. Ob sie eines natürlichen Todes gestorben, ob sie den Gift becher tranken oder ob sie erdrosselt worden — wer weiß eS? In der Belgrader Festung gibt e» ja eine noch einfachere Methode, um zu sterben. Gegenüber dem Festungskommando führt eine unheim lich tiefe Stiege zu einem unterirdischen, noch an der Römerzeit stammenden Brunnen, dessen Spiegel tiefer liegt als der Grund der Donau. Mancher politische Sträfling hat den Gang zu diesem Brunnen unternommen und — wurde nicht mehr wiedcr- gesehcn. Aber die Belgrader Kasematten und die finsteren, für politische Häftlinge bestimmten Löcher der Pascharewatzer Strafanstalt sind noch nicht die schlimmsten Herbergen für gefallene Größen in Serbien. Ranko Tajsic, der radikale Bauerntribun von Dragutschewo, den König Alexander einsten» mit dem roten Adlerorden, der höchsten Auszeichnung Serbiens, geehrt und zu wiederholten Malen zu Hof pladen hatte, wäre froh gewesen, wenn man ihm Püter ein solches Arrestlokal angewiesen hätte. Al» ihm der Prozeß wegen Heidukenhehlerei und Hoch- verrat gemacht wurde, sperrte man den unglücklichen Mann in einen Abort de» Polizeihause- ein. Um die Grausamkeit dieser Handlung recht zu beleuchten, ist es notwendig, daß der Leser die richtige Vor- tellung von einem serbischen AnstandSorte empfängt. Diese bestehen au» kleinen Kammern, in denen ein Mann in stehender Haltung Platz findet und haben am Boden eine große krei-runde Oeffnung, die in