Volltext Seite (XML)
Gaston de Villiers stand wie angewurzelt, aber es war nicht die Sorge um die eigene Sicherheit, die seine Glieder lähmte und ihn für den Moment unfähig machte, auch nur ein Wort der Erwiderung her vorzubringen. In den vermeintlichen Hunden, die ihm jetzt alle drei gleichzeitig zähnefletschend die spitzen Köpfe zugekehrt hatten und ihn aus tückischen, unheimlich funkelnden Äugen anstarrten, hatte er mit namen losem Entsetzen Wölfe erkannt — wirkliche, vollständig ausgewachsene Wölfe, wie er sie bisher nirgend anders als in sicheren Käfigen zoologi scher Gärten gesehen. Und Kenias Warnung war gewiß keine grund lose gewesen, denn die Bestien, die sich gegen die Komtesse noch soeben wie zärtliche Schoßhündchen benommen hatten, schienen jetzt nicht geringe Lust zu spüren, sich auf den neuen Ankömmling zu werfen. Äber er dachte nicht an sich, sondern nur an die Gefahr, in der, wie er meinte, Xenia sich befand, und wenn ihm eine Waffe zur Hand gewesen wäre, würde er in seiner Erregung sicherlich irgend eine Thor- heit begangen haben. Es war gut, daß die Komtesse ihm gar nicht erst Zeit ließ, etwas zu ihrem Beistände zu unternehmen. <Äe hatte sich wieder dem Thorweg des Seitenflügels zugewendct und ihre vier beinigen Begleiter durch schmeichelnde Zurufe zum Mitgehen aufge fordert. Zwei von ihnen gehorchten sofort, der dritte aber war offenbar unentschlossen, ob er sich den Kameraden an schließen oder einen An griff auf den Fremden versuchen solle. Da sprang Xenia mit fun kelnden Augen auf ihn zu. „PaschollI" herrschte sie ihn an und zugleich fuhr ihre Reitgerte sau send durch die Luft. Kläglich winselnd duckte sich der Wolf, und unter den von ihrer kleinen, kraftvollen Faust ge führten Hieben mußte ihm wohl alle Kampfes lust rasch vergangen sein, denn mit cingezogcnem Schwänze rannte er den beiden anderen nach. Gaston aber schüt telte nun endlich die lähmende Erstarrung ab, die ihn angesichts der seltsamen Scene gegen seinen Willen so lange zur llnthätigkeit ge zwungen hatte. Er hörte noch immer das Heulen und Kläffen der Bestien und glaubte, daß sie sich da drinnen über ihre tollkühne junge Herrin geworfen hätten, um sie mit den furcht baren Zähnen zu zerfleischen. Verzweiflungsvoll sah er sich nach einer Waffe um, und da er keine fand, lief er unbewchrt zu der Thür hinüber, in der die Komtesse verschwunden war, fest entschlossen, mit seinen bloßen Händen den Kampf gegen die abscheulichen Raubtiere aufzunehmen, wenn die Geliebte seiner Hilfe bedürfe. Aber als er den angelehnten Thorflügel aufstieß, stand die, für die er gezittert hatte, unversehrt vor ihm und streckte ihm lächelnd die Hand zum Gruße entgegen. „Guten Diorgen, Herr Marquis! Und seien Sie mir nicht böse, weil meine ungebärdigen Spielkameraden Sie vielleicht erschreckt haben. Sie sind nicht so schlimm, als sie aussehen, und nur, wenn sic glau ben, daß mir jemand etwas zuleide thun will, ist nicht mit ihnen zu spaßen." Gaston vermochte sich nicht so schnell von seinem Entsetzen zu er holen. „Bei Gott, Komtesse," sagte er, „Ihre Verwegenheit hat mir eben die schrecklichsten Augenblicke meines Lebens bereitet. Und Ihre sonderbaren Spielkameraden — wo sind sie geblieben?" Xenia führte ihn durch den mit Schutt und allerlei altem Ge rümpel angefüllten Thorweg auf einen kleineren Hof, den er bisher nicht betreten hatte. Da liefen die drei Wölfe hinter dem Gitter eines festen, käfigartigen Vcrschlages ruhelos mit heraushängcndcn Zungen umher, und erst jetzt, als er sie aus unmittelbarer Nähe betrachten konnte, sah der Marquis, wie starke und wild aussehende Tiere es waren. Er betrachtete die zierliche, schlanke Gestalt an seiner Seite, die er fast um Haupteslänge überragte, und cs war ebensoviel Bewunde rung als Vorwurf in seinen Worten, da er sagte: „Vertreiben Sie öfter die Zeit auf solche Art, Komtesse? Und läßt Ihr Vater e, schehen, daß seine einzige Tochter ihr Leben in so.cher Weise aufs S setzt?" „Ei, Herr Marquis," erwiderte sie lächelnd, „ist das alles, i Sie mir zur Begrüßung zu sagen wissen?" „Ich hatte mir freilich vorgcnommen, Ihnen bei unserer erj Begegnung sehr vieles und ganz anderes zu sagen. Aber es darf nicht wundernehmen, wenn ich es über der Angst um Sic verg Wahrhaftig, Komtesse, Sie müssen mir mit Wort und Handschlag e sprechen, diese scheußlichen Bestien nicht wieder aus ihrem Käsig Hera zulasten, eine wie gute Meinung Sic immer von ihrer Harmlosig und Anhänglichkeit haben mögen." „Gut, solange Sie hier sind, werde ich es nicht thun — mci Hand darauf, Herr Marquis — obwohl Sie meinetwegen ganz un sorgt sein dürften. Einer unserer Leute hat mir diese Wölfe gebrac als sic noch nicht größer waren wie junge Hündchen. Ich habe sie : der Milchflasche aufgezogen, und keiner von ihnen würde mir je ein zufügen. Vielleicht habe ich auch ein besonderes Talent, mich mit i vernünftigen Kreaturen in ein gutes Einvernehmen zu setzen, denn I> auf Tcrcszewicze gi cs kaum ein vierbeinig oder zweibeiniges Ti das mir nicht aufs W gehorchte." „Sie sind eineZa berin — es bedarf m erst einer Versichern: um mich davon zu üb: zeugen. Aber Sie se ten von Ihrer Bia: keinen Gebrauch mach der den Nerven gewöl: lichcr Sterblichen nu zumutet, als sie ertrag können. — Und nu da ich Sie nach Gebü gescholten habe, in lassen Sie mich Ihm endlich sage», n schmerzlich ich Ihre A Wesenheit empfund^ habe, und wie glückl: ich bin, daß Sie »n nicht länger vergeben ans die Freude di scs Wiedersehens hab warten lassen." Während sie bi dahin sich ganz unln fangen und heiter g^ zeigt hatte, flog jetzt ei Schatten über Xenia Gesicht. „Wollen Si mir offen und ehrlic auf eine Frage am warten, Herr Marquis?" fragte sie, ihn fest ansehend. „Ich verspreche es Ihnen, Komtesse." „Sie sind von dem, was Sie hier bei uns gefunden haben, ge waltig enttäuscht, nicht wahr? Und wenn Sic nicht gefürchtet Hütten sich damit einer Unhöflichkeit schuldig zu machen, wären Sie schon au ersten Tage wieder abgereist. — Ist cs nicht so? Ich habc Ihr Ver sprechen, daß Sie ganz aufrichtig sein wollen." Gaston zögerte wohl ein paar Sekunden lang mit der Antwort Dann aber, als er die schönen, dunklen Augen in gespannter Erwartung auf sich gerichtet sah, sagte er mit all der liebenswürdigen Herzlichkeit die er in den Klang seiner sympathischen Stimme zu legen vermochte: „Ich werde Ihnen die Erklärung, die Sie von mir verlangen, nicbt schuldig bleiben, Komtesse. Aber nicht hier und nicht in diesem Augen blicke möchte ich sie Ihnen geben. Ich gestehe, daß mich manches hier fremdartig berührt hat, daß die Neigungen der übrigen Gäste JhrcÄ Herrn Vaters nicht die meinigen sind, und daß ich mich manchmal dcg Befürchtung nicht erwehren kann, meine Anwesenheit möchte von ihneni nur als eine Störung empfunden werden. Aber das alles bedeutet nichts, und es würde mich gewiß nimmermehr zu einer vorzeitigen Ab reise bestimmt haben, solange ich noch auf das Glück hoffen durfte, Sie wiederzusehen, auf das Glück, Ihnen — —" Mit einer jener raschen, ungestümen Bewegungen, die ihr in Augen blicken der Erregung eigentümlich waren, schnitt Xenia ihm die Weiter rede ab. (golychung soga> , Karte der Projektierten Baghdadbahn. I-i t)