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Freitag, den 8. Februar 1901 Jahrgang «ML» Nummer bis vor«, vorher erbeten. Dieses Blatt erscheint mit Ausnahme der Sonn- und Festtage täglich Nachmittags. — Zu beziehen durch die Expedition und deren Austräger, sowie alle Postanstalten. Der Bezugspreis beträgt vierteljährlich 1 Mk. 25 Pfg. incl. der illustrirten Sonntagsbeilage. Redaction und Expedition: Bahnstraste S (nahe dem K. Amtsgericht). Telegramm-Adresse: Anzeiger Hohenstein-Ernstthal. Anuahme der Inserate für die 10 Uhr. Größere Anzeigen Jnsertionsgebühren: die fünfgespaltene Corpuszeile oder deren Raum für den Verbreitungsbezirk 10 Pfg., für auswärts 12 Pfg., Reklame 25 Pfg. Bei mehrmaliger Aufgabe Rabatt. für Hchnslm-kiWl, AnkWitz, GeMms, Lugau, Wüstenbrand, Ursprung, Mittelbach, Hermsdorf, Bernsdorf, Langenberg, Falken, Meinsdorf u. s. w. TagesHeschichte. Deutsches Reick Berlin, 6. Februar. (Reichstag.) Bei sehr leerem Hause wird die Berathung des Antrags Barg mann betreffend Aufhebung der Theatercensur fortge setzt. — Abg. Dr. Bassermann (nl.): Der Antrag will die Censur aufgehoben wissen 1. für die künstlerischen Vorstellungen gemäß tz 33 der Gewerbeordnung und dann in Absatz 2 auch für die Singspiel- und ähnlichen Vorstellungen gemäß ß 83. Wir werden beantragen, diesen Absatz 2 zu streichen. Anregung des Antrags in Bezug auf die wirklichen künstlerischen Vorstellungen halte auch ich für dankenswerth. Redner weist den neulichen Ausführungen des Abg. Müller-Meiningen gegenüber nach, daß die Gewerbeordnung dem Censur- recht der einzelstaatlichen Verwaltung nichts entgegen stelle. Materiell könne er dagegen der von Müller an der Censur geübten Kritik zustimmen, namentlich auch insofern, als jetzt hier erlaubt sei, was dort untersagt werde. Das sei ein unwürdiger Zustand. Es sei aber zweifelhaft, ob der Antrag Bargmann mit seiner ein fachen Negative genüge. Ans eine Bestimmung gegen Vorführung bedenklicher Stücke zu verzichten, sei doch bedenklich. Also positive Schranken für die Polizei, Bestimmungen über die Voraussetzungen, unter denen ein Stück verboten werden kann! Er beantragte daher Verweisung au eine Kommission. — Abg. Roeren (Centr.) will nicht die Censur selbst, sondern nur ihre mißbräuchliche Anwendung beseitigt wissen. Es werde sicher keine der betheiligten Negierungen in ihrem Ver antwortungsgefühl ganz auf die Theatercensur verzichten wollen und können. Wenn trotzdem ein solcher Antrag vorliege, so erkläre sich das einfach aus der wenig rühmlichen schwächlichen Haltung, welche die verbündeten Regierungen im Vorjahre bei der lox Heinze einge nommen hätten. Es sei daher auch nicht seine Absicht, den verbündeten Regierungen gegenüber diesem Anträge beizuspringen. Er müsse den Regierungen überlassen, für sich selbst einzustehen und eventuell, wenn sie den Augenblick dazu für gekommen erachten, wieder muth- voll zurückweichen. Die Einzelstaaten seien zur Theater censur durchaus berechtigt; die Gewerbefreiheit, die Zu lassung zu einem Gewerbe werde durch sie gar nicht berührt. Der Antrag sei ein Eingriff in die Rechte der Partikularstaaten. Der Hauptfehler der Censur sei nicht der, daß Manches gestrichen wurde, was hätte passiren können, sondern vielmehr, daß Vieles nicht ge strichen wurde, was hätte gestrichen werden müssen. In unseren Varietös kommt an Kleidung, Bewegungen und Darstellungen so viel das Schamgefühl Verletzendes vor, daß man nicht begreift, wozu denn eigentlich die Censur da ist, wenn sie so etwas duldet. Redner exemplifizirt insbesondere wieder auf die „Dame von Maxim." — Abg. Pachnicke (freis. Ver.): Die Reichs- verfaffung bestimmt die Beaufsichtigung der Gewerbe betriebe seitens des Reiches; zu derselben gehören doch zweifellos ökonomisch die Theater. Jedenfalls sei das Reich hierfür noch zuständiger als für die Materie des Toleranzantrags des Centrums. Die Aufhebung der Theatercensur bedeute nicht Zügellosigkeit, sondern Zügelung durch das Strafgesetz. Gedeckt durch den Censor wage man viel mehr, als wenn man den Strafrichter zu fürchten habe. Die Censur bleibe un verbesserlich, denn sie bleibe das System des polizeilichen Beliebens. Das gepfefferte Zweideutige gehe durch, aber wo Fürstlichkeiten, Gutsbesitzer und Pastoren aus träten, werde der Censor ungemüthlich; der Censor sei da zum Schutze von Gesellschaftsklassen und zur Schon ung von Parteien. Die „ganze Richtung" paßt uns nicht. Der Goethebund müsse der Polizei litterarische Sachverständige für die Censur zur Seite geben; aber ob die Polizei sich den Gutachten dieser Sachverständigen stets beugen würde, sei noch sehr zweifelhaft. Auch die Preßcensur ist gefallen, ohne daß die düsteren Prophezeiungen, die man daran knüpfte, in Erfüllung gegangen seien. Ein Volk, das keine Preßcensur habe, bedürfe auch keiner Theatercensur. Das Strafgesetz buch, die litterarische Kritik und das öffentliche Ge wissen würden vollauf genügen. — Abg. Himburg (kons.) erklärt, seine Freunde seien formell und materiell Gegner des Antrags, sie würden auch gegen seine Ver weisung an eine Kommission stimmen. Es sei un zweifelhaft, daß weder die preußische Verfassung, noch die Reichsgewerbeordnung der Censur entgegenständen. Bei deren Abschaffung würden Sittlichkeit, Staat und Kirche Schaden leiden. Das Strafgesetz allein genüge nicht, denn die Strafe könnte den entstandenen öffent lichen Schaden nicht ungeschehen machen. — Abg Stadthagen (Soz.) erklärt sich prinzipiell gegen jede Censur. Der einzige Censor, den man sich gefallen zu lassen habe, sei das Publikum. Ein Censor bleibe immer ein Mann, der den geistigen Schatten tödte. Die Censur, so ruft Redner der Rechten mit stark er hobener Stimme zu, soll nur der Verdummung Vor schub leisten. (Rufe rechts: Lauter!) Sie rufen „lauter!", uem, diese Gesinnung ist nicht lauter. (Große Heiterkeit.) Das Ballet sei früher durch Kabinetsordre lediglich den Hoftheatern vorbehalten ge wesen. Er selbst habe ein Ballet noch nie besucht; ein Freund aber habe ihm gesagt: „Ob Du ein Ballet siehst oder eine Dame auf dem Hofball, oder eine Dame, die in's Bad steigt, das ist Alles ganz gleich." (Große Heiterkeit.) Das allein Richtige sei: Keine Censur, dagegen der Strafrichter überall da, wo ein Eingreifen in Folge von Unsittlichkeiten wirklich ge boten erscheint. Die Polizei habe aus diesem Gebiete ihren Beruf vollständig verfehlt, beinahe ebenso voll ständig, wie auf dem Gebiete des Entdeckens von Mördern. Hierauf folgt Vertagung. — Der Reichstag feierte am Dienstag, wie schon berichtet, den Geburtstag des Deutschen Kaisers. Der einzige Toast wurde von dem Präsidenten des Reichs tages, Grafen von Ballestrem, wie folgt ausgebracht: „Hochverehrte Herren und Freunde! Nicht wie sonst, sondern unter cigenthümlichen Verhältnissen feiern wir heute Kaisers Geburtstag. Wir feiern ihn nicht am Tage selbst, da an diesem Tage die sterbliche Hülle der erlauchten Frau Großmutter unseres Kaiserlichen Herrn noch nicht ihre definitive Ruhestätte gefunden hatte, und es daher der pietätvolle Wunsch des Kaiser lichen Enkels war, daß Sein Geburtstag nicht festlich begangen würde. . . . Wenn Seine Majestät der Kaiser au Seinem Geburtstage zurückgeblickt hat auf das zu- rückgelegte Lebensjahr, so hat Er ja manches Traurige in demselben erblickt. Allein die erhebenden Momente, die freudigen Momente waren doch weit überwiegend. Im vorigen Frühjahr hatte unser Kaiser die Freude und das Glück, Seinen blühenden ältesten Sohn, den herr lichen Jüngling auf den Stufen des Thrones, seine Großjährigkeit erreichen zu sehen, den Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen. Auch wir, der Reichstag, haben an dieser Feier vollen Antheil ge nommen und haben unsere Glückwünsche dem Kaiserlichen Vater und dem Kaiserlichen Sohne ausgesprochen. . . . Im Sommer trat an unseren Kaiserlichen Herrn eine Aufgabe heran, wie sie nicht nur nie an Ihn, sondern auch niemals an einen Seiner erlauchten Vorgänger aus dem Hause Hvhenzollern herangetrcten ist. In einem barbarischen Lande war unser Gesandter gegen Völkerrecht und Gesinnung feig ermordet worden, unter Beihilfe oder wenigsten« unter Duldung Derjenigen, die dort die Regierenden genannt wurden. Sühne erheischte die schreckliche That! — Aber so leicht war diese Sühne nicht . . . Hier mußte die herrliche Maschine mit dem wunderbaren Räderwerk, die man die Preußische Armcc- organisation — oder vielmehr jetzt die deutsche Armee organisation nennt —, ein Werk verrichten, waS sonst Maschinen nicht verrichten können. Aber das ist eben eine Maschine, nicht wie eine andere, das ist eine durch Jahrhunderte der Intelligenz, der Selbstaufopferung gehobene Maschine, und sie hat die Arbeit gut verrichtet. — In allerkürzester Zeit wurde eine Truppenmacht auf die Beine gebracht, ebenso organisirt wie die deutsche Armee und dennoch ihr nicht einverleibt; in der kürzesten Zeil wurden, was gewiß unseren Kaiser, der immer so viel Sinn und so viel Verständniß für die Angelegen heiten auf dem Meere gehabt hat, hoch erfreuen mußte, — in der kürzesten Zeit wurden von unserer Handels marine, von unserer PostdampsschiffS-Marine die nöthigen Schiffe gestellt, um diese Truppen und Alles, was dazu gehört, ausschließlich auf deutschen Schiffen nach Ostasien zu bringen. Es war jedenfalls ein großartiges Werk, wie es noch nicht dagewesen ist. Und wenn Seine Majestät der Kaiser auf dasselbe zu rückblickt, so wird Stolz und Befriedigung Sein Herz schwellen lassen, und Er wird sich sagen: das, was meine Voreltern vorbereitet in mühsamer Zeit, was ich fortgepflegt, das hat herrliche Früchte getragen . . . Endlich, meine Herren, hat unser Allergnädigster Herr, wenn er auf das Jahr zurückblickte, das schöne Fest ins Auge fassen müssen, das er gefeiert hat: das zwei hundertjährige Bestehen des preußischen Königreichs. Auf der 200jährigen preußischen Königsgeschichte basirt das Deutsche Reich. Was Preußen gesäet, was Preußen erfochten, das hat das Reich geerntet. So hat nun unser Kaiser einen schönen Rückblick auf das letzte Jahr seines Lebens. Und wenn wir ihn bei allen diesen Gelegenheiten betrachten — so einen Herrn kann man ja verfolgen, denn es wird ja in den Zeitungen genau berichtet, was er lhut — so sehen wir ihn immer im Dienst des Vaterlandes, im Dienst der Allgemeinheit. Meine Herren, mögen auch die Mitglieder des Reichstags sich ein Beispiel nehmen am Kaiserlichen Herrn (Heiterkeit und Bravo!) und in steter Pflichterfüllung ihren Dienst thun! Das wäre ein Rückblick für uns, der uns sehr heilsam wäre. Wir aber erfreuen uns an unserem thatkräfligen Kaiserlichen Herrn, der uns eben ein leuchtendes Beispiel ist, und ich bitte Sie, die Gläser zu ergreifen und mit mir zu rufen: Seine Majestät, der Deutsche Kaiser, König von Preußen, Wilhelm II., er lebe hoch! — Die Preß-Association erfährt, Kaiser Wilhelm habe Lord Roberts den Schwarzen Adlerorden verliehen. — Ein Antrag des Spiritusringes soll im preußi schen Landesökonomie-Collegium in Anwesenheit deS Kaisers zur Verhandlung kommen, durch die Gesetz gebung jeden Brenner zu verpflichten, einen bestimmten Procentsatz seines Productes zu verdenaturiren und damit der Erzeugung des Trinkverbrauchs zu entziehen. Um nicht infolge der gesteigerten Production die Preise herabsetzen zu müsse», fördert man nach Möglichkeit den Verbrauch von d natnnrtem Spiritus. Infolgedessen aber sind nun alle diejenigen Brenner, die nicht dem Ring angeschlossen sind, im Vortheil. Sie ziehen den vollen Nutzen aus dem du >en Ring gesteigerten Verkaufspreis. Das droht den Spiritusring zu zer sprengen, weil eine große Anzahl Mitglieder sich zu dem Anschluß an denselben nur für die Dauer von zwei Jahren verpflichtet hat. Darum soll ein allge meiner Zwang ausgesprochen werden für die Brenner, einen Theil ihrer Production dem Trinkverbrauch zu entziehen und zu denaturiren. — Millionäre gab eS in Be' n im Jahre 1899 nach den Steuerlisten 1336, denn diese Zahl von Per sonen versteuert ein Vermögen von 1 Mill. Mk. und