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Vn Zweiter SielSe. Humoreske von Georg Persich. (Nachdruck verboten.) „So ist denn wieder ein Jahr vergangen ohne daß du dich hast entschließen können, dir eine Frau zu nehmen, wozu dein Alter, deine Stellung als Gutsherr und auch deine Vermögensverhältnisse dich längst hätten veranlassen sollen. Als ob es keine jungen Damen aus guter, wohlhabender Familie gäbe! Es gibt ihrer schon genug, du magst nur nicht deinem Junggesellenleben und deinen Junggesellen- gewohnheiten entsagen. Mein Vertrauen zu deiner Soli dität, deiner Einsicht und deiner Wirtschaftlichkeit ist er heblich gesunken. Vorhaltungen mache ich dir nicht mehr, ich will aber auch nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn du die unausbleiblichen Folgen deiner Unvernunft zu tragen haben wirst. Deshalb kündige ich hiermit die Hy pothek von 75 000 Mark, die auf deinem Gut an zweiter Stelle steht, zum nächsten Fälligkeitstermin. Das Geld wird von mir anderweit sicherer angelegt werden. Ord nungsgemäß schicke ich dir diesen Bries „Eingeschrieben". Es grüßt dich Tante Regina." Der Neffe, Gutsbesitzer Bruno Malitz auf Birkenheide, erhielt diese freundlichen Zeilen, als er im Begriff war, sich in seinen schon etwas zu eng gewordenen Frack zu zwängen. Lettens auf Ahlfelde gaben eine kleine Ballfestlichkeit; da mußte er den Schwalbenschwanz anlegen. Aber erst, als er den Brief der braven Tante Regina gelesen, merkte er, wie eng so ein Frack sein konnte. Die Rippen drückte er zu sammen, daß man kaum Luft schnappen konnte. Oder war der Brief schuld daran? Fünfundsiebzigtausend Mark aus fremder Hand für die zweite Stelle aufzutreiben — eine Unmöglichkeit! Die Kündigung war der Schluß. Es ging hinein in den Wurst kessel. Wär schon so ein Kunststück gewesen, zu balanzieren. Die Tante zweifelte an seiner Wirtschaftlichkeit; die Euts- nachbarn würden ihm alle das Zeugnis geben, daß er nicht schlecht gewirtschaftet hatte, daß er es sich hatte sauer wer den lassen. Wenn der Erfolg nicht danach war, lag's dar an, daß er sich nicht ordentlich rühren konnte, weil das nö tige Betriebskapital fehlte. Und für solch einen armen Schlucker sollten genug wohlhabende junge Damen da sein! Geld ging doch zu Geld! Und die erste beste hätte er auch noch nicht genommen, nur weil sie Geld hatte. Lieber wollte er als anständiger Kerl hops gehen. Er lockerte die Binde. Ihm war doch höllisch heiß. Noch ein paar Monate Galgenfrist, dann: so leb' denn wohl, du stilles Haus! Und in der Verfassung sollte er anderer Leute Feste.mitfeiern, vergnügt sein, tanzen! Aber er hatte bei Lettens schon einmal abgesagt und konnte es nun nicht mehr im letzten Augenblick, hatte auch gerade von der Familie immer viel Wohlwollen und Freundschaft erfahren. Die lebhafte, witzige Dorothee, des gastlichen Hauses Zweitälteste, sah ihm prüfend ins Gesicht, als man sich be grüßte. „Was ist Ihnen heute über den Weg gelaufen?", fragte sie unumwunden. „Mir? Nichts, gnädiges Fräulein." „Schwindel!" „Danke gehorsamst!" „Eie können sich nicht verstellen, Malitz!" „Also, wenn es Cie denn interessiert: Meine Tante Re gina hat geschrieben." „Und das hat Ihnen die Laune verdorben?" „Ja, die alte Dame fühlt sich unpäßlich. Sie ist in den Jahren, wo einem Menschen leicht was zustoßcn kann, und der Gedanke, es wäre mir schmerzlich, sehr schmerz lich " „— wenn Sie in die unangenehme Lage versetzt wür den, erben zu müssen." „Sie sind gefühllos, Fräulein Dorothee!" „Mir fiel nur gerade ein: Wer einen Neffen drum bedauert, Weil eine Tante er betrauert, Hat eine Tante nie besessen Und nie beerbt infolgedessen!" „Ein Gedächtnis haben Sie für solche Schelmenverfe, Fräulein Dorothee — fabelhaft! Aber in diesem Fall —" „Ich weiß," unterbrach sie ihn wieder, „Ihnen liegt gar- nichts an einer Erbschaft. Und seien Sie auch nur nicht ängstlich, Sie werden den Schmerz so bald nicht erleben! Ihre Tante Regina hat heut auch an Mama geschrieben — seit ihrem Besuch aus Birkenheide im letzten Sommer korre spondiert sie mit unserer Mutter — und da erklärt sie aus drücklich, daß sie sich lange nicht so wohl gefühlt habe wie jetzt. Wie stimmt das nun aber?" / Er duckte den Kopf. ' „Lassen Sie doch hören!" „Fräulein Dorothee, haben Sie schon mal jemand ge sehen, der in den Erdboden versinken möchte, bis er auf der anderen Seite unseres teuren Planeten, im Pfefferlande wieder herauskommt, dort, wohin man sonst nur seine in timsten Feinde wünscht?" „Mir scheint, ich sehe jetzt jemand. Also wieder Schwin del?" Er wagte noch nicht aufzublicken. „Dann hat die verehrte Tante, aufrichtig, wie sie sich gibt, wohl auch einiges über mich geschrieben?", fragte er kleinlaut. „Selbstverständlich." „Daß sie mich ihres Vertrauens nicht mehr würdigt, meinen Ruin will, mir die Hypothek gekündigt hat?" „Das hat sie getan?" Fräulein Dorothee rief es so ehr lich erschrocken, daß er erstaunt die Augen hob. „Ich dachte, Sie wüßten es." „Nein, das wußte ich nicht. Ueberhaupt die ganze Ge schichte von dem Brief an Mama war doch nur eine Finte von mir, um Ihnen den Zahn zu fühlen." „Ist ja kostbar!" meinte er, wieder sicherer werdend. „Bei mir ist alles Schwindel, bei Ihnen nur Finte." „Wollten wir uns jetzt um dumme Worte streiten?" Ihre Stimme zitterte vor Erregung. „Sie sind in Sor gen, Malitz! Können Sie denn Ihre Tante nicht bewe gen —" „Sie läuft nicht auf Rädern, auch ihr Gemüt nicht." „Sprechen Sie doch vernünftig! Haben Sie keinen Men schen, der Ihnen das Geld gibt?" „Wenns die erste Hypothek wäre — ein Kinderspiel! Aber an zweiter Stelle — berühmt stehen die Fünfundsieb zigtausend da nicht. Schon mehr Cefälligkeitssache! Wird keiner für zu haben sein." „Und dann?" Er zuckte mit den Achseln. „Und dann saß er eines Morgens eine Leiche da! Bild lich natürlich nur." „Malitz, das darf nicht sein, Sie müssen Birkenheide be halten! Sie haben sich soviel Mühe damit gegeben. Papa lobte Sie neulich noch deswegen. Aber nun sagen Sie mir auch, wodurch Sie es mit Ihrer Tante Regina so gänzlich verschüttet haben?" „Weil ich ihr nicht den Gefallen tue, mich zu verheira ten. Sie hält mich für einen leichtlebigen Junggesellen und wer weiß was? Ich biete ihr in meiner unbeweibten Person keine genügende Sicherheit mehr. Ist das nicht eine lächerliche Schrulle?" Die drei Musikanten, die bei der Tafel musizieren und nachher zum Tanz aufspielen sollten, intonierten den Ein zug Ler Gäste aus Tannhäuser. Es sollte zu Tische gehen. Bruno Malitz sah sich suchend um. „Ich kenne noch nicht mal meine Dame!" „Nehmen Sie nur mit mir vorlieb!" „Sie, Fräulein Dorothee?" Er bot ihr seinen Arm. „Und ich will über Pech klagen, da ich das Glück habe! Wie hübsch, daß wir beide " „Ich stehe bei Ihnen doch nur im Range einer zweiten Hypothek!" „Ist diese nicht wertvoller als die erste, ist sie nicht schwerer zu ersetzen, ja kann sie nicht ganz unersetzlich sein? Sie ist es, wie die Freundschaft einer jungen Dame, die selbst unerreichbar ist, unerreichbar für höhere Wünsche —" „Warum, wenn man fragen darf?" „Zu schön, zu klug, zu reich, mein gnädiges Fräulein!" „Ach," sagte sie, „die beiden ersten abschreckenden Eigen schaften können Sie getrost gleich wegstreichen, die bestehen nur in Ihrer Einbildung. Und was die letzte betrifft, die brauchte Sie doch nicht so zu schrecken " „Dorothee!" Er preßte ihren Arm in den seinen und schien sie an sich reißen zu wollen. „Haltung!", flüsterte sie in holder Dräutlichkeit. „Hal tung, mein Herr! Erst die Pflichten der Geselligkeit. Bitte, führen Sie mich an meinen Platz. Alles andere — an zwei, ter Stelle!"