Volltext Seite (XML)
Nr. 128. Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, den 29. Oktober 1910. Seite 6. urchgesandten Schüsse brachten sie zum Stehen. Man er- i ^ing sich in den ungeheuerlichsten Vermutungen über ein I wohlorganisiertes Sptonagesystem. Jetzt ist es gelungen, die Automobile festzunehmen, und eS hat sich herauSge- stellt, daß es sich um Schmuggler handelt. 1600 Kilo- gramm Saccharin wurden beschlagnahmt. * (DaS Klosterleben in Czenstochau.) Im- mer mehr Einzelheiten dringen jetzt über das Luder leben, das Jahre hindurch in diesem, sich der besonderen Gunst der höchsten Geistlichkeit und des Papstes erfreu- enden Kloster geführt wurde, in die Oöffentlichkett. Es ist gerade ungeheuerlich, was da vorgegangen ist. In der sittenlosesten Zeit römischer Priesterherrschast, wie sie zum Teil im Mittelalter herrschte, ist es nicht schlimmer gewesen. Die Mönche hielten sich Diener und Equipagen, etwa 20 Zellen waren allein mit zum perversen Verkehr dienenden Apparaten und skandalösen Vorrichtungen aus- gestattet. Im Vorort Czenstowka beherbergte das dem Kloster gehörige Altenheim 12 blutjunge Frauenzimmer, die abends ins Kloster geholt und früh wieder zurückge fahren wurden. Und auch damit nicht genug. Wochen ¬ lang ließ sich das Mönchsgelichter überhaupt nicht im Kloster sehen, sondern trieb sich in der Welt herum, der Abt an der Spitze. Als das Geld, so reichlich es floß, nicht mehr langte, griff man die Edelsteine der Krone Mauras an, und drohte Verrat, spielten Revolver und Gewehre Rolle. ES sind bisher drei Leichen ausgegraben, wo Giftspuren in ihnen nachgewiesen worden, und unter den aufgerissenen Zellenfußböden, wenn für luxuriös einge richtete Räume der Name „Zelle" gebraucht werden soll, haben sich 60 000 Rubel gefunden. Ein großer Miklich in Dresden. 8. Dresden, 31. Oktober. (Für 60 000 Mark ge fälschte Wechsel und Schuldscheine!) Der Zu sammenbruch der Dresdner Baubank und Baugefellschaft Gommern sowie die großen Veruntreuungen und Wechsel fälschungen des Prokuristen Wallbiener erregen das größte Aufsehen umsomehr, als durch diese jüngsten Finanzskandale verschiedene Existenzen bedroht sind. Dir „Baugesellschaft und Baubank Gommern", die vor kaum Mer io» der UMellerlaliilcoM auf der Mel ZgMa' Zur Nnwetterkatastrophe in Unteritalien veröffentlichen wir heute zwei Bilder, die die fürchterlichen Verheerungen dieses Elementar ereignisses zeigen. Beide Bil der sind in Casamicctola aus genommen. Diese kleine Stadt auf der Insel JSchia im Golf von Neapel war ein blühender und vielbesuchter Badeort; heute stehen in den verwüsteten Straßen nur noch einzelne un versehrte Häuser, alle anderen sind von dem Orkan und dem durch Wildbäche und Sturm flut verursachten Hochwasser in traurige Ruinen verwandelt worden. Viele Bewohner Ca- samicciolaS kamen bei der Ka tastrophe um; die meisten Ueberlebenden konnten ihr Hab und Gut nicht retten und lei den schwere Not, obwohl die Regierung eine energische Hilfs aktion eingeleitet hat. 6us aller Mslt. Dortmund, 30. Okt. (Ver- brannteLeiche.) Gelegent lich der Aufbahrung einer Leiche stürzte eine brennende Kerze um und entzündete die gesamten Trauerdekorationen. Auch der Sarg ging in Flam men auf und die Leiche ver brannte fast gänzlich. Der herbeigeeilten Feuerwehr ge- lang es nach einiger Zeit, den Brand zu löschen, bevor ein größerer Teil des Hauses ein geäschert wurde. Newyork, 30 Okt. (Streit exzesse.) Der Streik der Kutscher hat sich auf die an grenzenden Städte ausgedehnt. Zwischen mehreren tausend Demonstranten und hundert Polizisten kam es zu einem Zusammenstoß, wobei viele Personen verletzt wurden. Un- 1er den Exzedenten befanden sich auch Frauen. Jahresfrist gegründet wurde, hat es fc-rtiggebracht, mit einem Kapital von nur 25 000 Mark für acht Millionen Mark Bauten in Dresden aufzuführen. Sie war infolge dessen Haupttrsger der Bautätigkeit in Dresden. Schon seit längerer Zeit kursierten ungünstige Gerüchte über die Gesellschaft und wenn der jetzt erfolgte Zusammenbruch derse ben, die der Vorsitzende des Allgemeinen Dresdner Hausbesitzervereins, Stadtrat Schümichen, jetzt öffentlich als ,,Schwindelbank" kennzeichnet, noch einige Zeit hin- ausgeschoben worden wäre, stände Dresden wahrscheinlich vor einem neuen Ruin des Grundstücksmarktes. Der Baugssellschaft Gommern ist es aber zu „danken", wenn jetzt ein erheblicher Ueberschuß an Wohnungen von 1500 bis 2000 M vorhanden ist, und viele dieser Wohnungen leer stehen. Die Gesellschaft hat schon seit Juli keine Wechsel mehr eingelöst. Am schwersten betroffen sind aber von diesem neuesten Zusammenbruch die Dresdner Bauhandwerker. Sie verlieren insgesamt rund 800 000 Mark, einzelne Meister bis zu 70 000 Mark. Bereits vor kurzem war schon ein Antrag auf Konkurseröffnung ge- stellt, aber wieder zurückgezogen worden. Am 26. Oktober hatte der Gläubigerausschuß die ihm bekannt gewordenen Gläubiger der Gommern-Gesellschaft zu einer Versamm lung eingeladen, in der beantragt wurde, die Gommern- Gesellschaft und deren Hintermänner möchten den Gläu bigern einen angemessenen Vergleich anbieten. Die Ver sammelten beschlossen, daß sich die Gläubiger in Gruppen zusammenschließen oder eine „Schutz- und Trutzgesellschaft" bilden möchten. — Der nach Veruntreuungen und Wechsel fälschungen in Höhe von mehr als 100 000 Mark mit seiner Geliebten, einer Kontoristin, flüchtige Prokurist Wallbiener war Geschäftsführer des Versandgeschäftes Gräser L- Co.' und zugleich Prokurist der Firma Jähne L- Co., die vor allem auch Hypothekenlombardgeschäfte und dergleichen betreibt. Für beide Firmen hatte Wall biener die Bücher zu führen, hat dies aber in letzter Zeit so nachlässig getan, daß ihm ernste Vorhaltungen gemacht werden mußten. Am Mittwoch wurde der Firma ein gefälschter Wechsel von 7000 Mark präsentiert und am anderen Tage erschien im Bureau eine Dame und legte von dem Defraudanten für beide Firmen ausgestellte Quittungen und Schuldscheine im Gefamtbetrage von 62 000 M vor. Die Veruntreuungen erstrecken sich aus das letzte Jahr. Ihre Entdeckung wußte Wallbiener da durch zu vereiteln, daß er die eingehende Post stets selbst öffnete und sämtliche Briefschaften verräterischen Inhalts unterschlug. Geschädigt sind viele Gewerbe treibende und Handwe<ksr, denen W. unter dem Ver sprechen hohen Zinsgenusses ihre Ersparnisse abzulocken verstanden hat. Dis betrogene Firma soll vor ihrem Zu sammenbruche stehen und für die Gläubiger nur geringe Aussicht vorhanden sein, auch nur einen Teil ihres Geldes wiederzuerlangen. vsrNnsr Sstrsidsbörss. Da vom Ausland wesentlich niedrigere Kurse vor lagen, so eröffnete der Weizenmarkt in recht schwacher Haltung. Da aber später einige Rückkäufe zur Aus führung kamen, so konnte Weizen einen Teil der Ab schwächung wieder einholen. Roggen war in Ueberein stimmung mit Weizen ebenfalls schwächer. Das Geschäft in Weizen und Roggen war ziemlich lebhaft. Hafer, Mais und Mehl waren bei etwas schwacher Tendenz völlig vernachlässigt. Rüböl war pr. Oktober fester, während die späteren Sichten kaum nennenswerte Ver änderungen zeigten. Wettervorhersage der Kgl. S. Landeswetterwartc zu Dresden. Mittwoch, den 2. November. Starke Westwinde, bedeckt, mild, zeitweise Niederschlag. Magdeburger Wettervorhersage. Mittwoch, den 2. November: Nur wenig kälter, wechselnd bewölkt, zeitweise aufheiternd, teilweise neblig, hier und da leichte Niederschläge. gehen könnte — dahin, wo «, grün, still, sonnig und schön ist!" Im Loi» de Boulogne gibt ei solch rin idyllisch gelegene» Restaurant," rief Georg. Aber er wurde überstimm», „Warum nicht gleich in da» Palasthotel im Elyse«! Da gehören wir nicht hin. In da» Milieu unsere» Case» passen wir besser." W?^„Gut — wie Sir wollen!" KGeorg trat zu Nadine. Sie gingen hinter den anderen her di« Straße herunter. UA^Fräulein Nadine, Sie sollen aber trotzdem bald, sehr bald in dH grüne dämmrige Walderstille kommen. Wir fahren zu» sammen hin, skizzieren im Freien und hören die Vögel singen." Sie antwortete nicht sofort. Mit zurückgeworfenem Kopf und lässig hängenden Armen ging sie neben ihm her. „Ich habe in diesem Frühling noch keinen Vogel singen hören, habe nur abgeschnittene, halbwelke Blumen gesehen," sagte sie end« lich. Durch ihr« St mm« klang «in leise» Schluchzen. Ihre Augen hingen an dem dämmernden Himmel. Durch die zr«. henden Wolken schob sich ein blaffe», müde blinzelnde« Sternlein. „Wie lange sind Sie schon in Pari»?" fragte G-o g. „Seit fast zwei Jahren. Seitdem mein Vater tot ist." .Und Sie sind nicht gerne hier? Vorläufig begreife ich da» in meinem Entzückung«rausch allerdings nicht." „Sie würden e» schon begreifen, wenn Sir so leben müß» ten wie ich." „Wo waren Sie früher?" „Immer in Weimar. Mein Vater war dort Professor an der Kunstschule. Unser kleine» Hau» lag an der B.llvedereallee. Von unseren Fenstern au» sahen wir in den Park, auf Goethe- Gartenhau». Da blühen jetzt tausend wilde blaßlilae KeokuS auf den Wiesen. Die Ilm schleicht träge in ihrem Bett dahin. Zwischen den Steinen wachsen Veilchen, über den Birken hän gen lichtgrüne Schleier —" Sie sprach abgerissen, mehr zu sich selbst wie zu ihm. Er sah ihr feine« Profil scharf vom Laternenlicht beleuchtet. I« den langen Wimpern hingen glänzende Tropfen. Ein Heche» Mitleid quoll unbezwinglich in ihm hoch. . „Sir haben Heimweh, warum konnten Eie nicht m Wei mar studieren?" „Ich sagte r« Ihnen schon, ich bin ganz arm. Für m'ch gibt e» nur eine H lfe. Ich muß rasch weiterkommen in der Kunst, um einmal selbständig da« schaffen zu können, wozu meine «igentliche Begabung mich treibt " Norbert sah sich mißtrauisch nach den beiden Zurückgeblie benen um. „Etwa« rascher, bitte, ihr Nachzügler! Da ist «nv- lich unsere Kneipe." „Gott sei Dank! Ich bin so müde!" Lucy gähnt« herzhaft. Nur langsam waren sie mit dem unablässig vorwärtlhasten» den Menschenstrom weitergekommen. Hier in den engen Straßen herrschte ein noch dichtere« Gedränge. Aus dem Fahrdamm fuh ren Ommbuffe, Dampswapen, Lastkarren, Automobil«, Droschken in solchen Mengen hin und her, daß nur wie durch ein Wunder beständige Zusammenstöße verhindert wurden. In dem düsteren, nur durch trübe, rötlich brennende Gai flammen erhellten Lokal, in da« die kleine Gesellschaft einlrat, standen gedickte Tische, an denen bereit«, bunt durcheinander ge mischt, viele junge Leute. Maler, Echriflsteller, Studenten und Studentinnen, saßen. Ein so dichter Zigarren« und Zigaretten rauch lag über allem, daß e« den von draußen Hereintommenden im ersten Augenblick fast den Atem benahm. Die Erficht« der Anwesenden sah man nur wie durch einen zitternden, bläulichen Gazeschleier. „Könnten wir nicht draußen sitzen?" fragte Georg, der den Widerwillen bemerkte, mit dem Nadin« dir heiße, verbrauchte Luft de« Zimmer« empfand. Die übrigen steuerten aber bereit« auf den für sie reser vierten Tisch in einer Ecke lo«. „Hier ist« gemütlicher," mein Roland. .Draußen ist« so «ng." Der Vorplatz bestand allerdings nur au« einem schmalen Trottoirsireifen, Stühle und Tische waren dicht an« Hau« ge- rückt. Trotzdem stzeßen die Vorübergehenden oft an. »Lassen Sie nur!" schnitt Nadine Georg« Einwändr ab. „Mir ist e« gleich, wo ich sitze. D außen iß freilich die Luft «in wenig reiner, aber der Straßenstaub fliegt in« Essen, und die blaffen Gesichter der Armen, die einem hungrig auf den Tel ler sehen, sind schrecklich, weil man die Leute doch nicht satt machen kann." „Verderben Sie uni nicht di« Laune, Nadinr!" schalt Lucy. «Freuen Vie sich, daß Sie selber satt werden." „Alle« kommt auf die Beleuchtung an, in der man di« Dings ansieht," stimmte Noland bei. „Da» müßten Sie al» Malerin doch wissen, Fräulein Nadine!" Von dem Tisch, an dem sie saßen, könnt« man da« ganze Zimmer übersehen, Georg bestellte da« Effm. Der ziemlich schmierige Kellner notierte mit einigem Erstau nen da« au« mehrere» Schüsseln bestehende Abendbrot auf einen auSgcrisienrn Zettel seine« Notizbücher. Da» unsaubere Tisch tuch, die trüben Gläser und sch'echt »»«gewaschenen Teller fielen anscheinend niemand auf. Daran mochten sich all« mit der Zeit bereit« gewöhnt haben. E.st nachdem dis ersten Gänge vorüber waren, kam ein lebhafteres Gespräch in Gang. Mehrer« Herren, mit denen man Georg schnell bekannt machte, kamen von den anderen Tischen herbei. Von den Namen verstand Georg kaum die Hälfte, aber au« den bald sehr eifrigen Debatten entnahm er leicht, wer Jonurnalist, Maler oder Musiker sei. Die Kunst blieb da« ausschließliche Gesprächsthema. Die Maler beklagten sich lebhaft über die Jury de« Salon«, die un- glaublich ungerecht die« Jahr über Annahme und Zurückweisung «ntschieden habe. (Fortsetzung folgt.)