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Nr. 82. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 14. Juli 1910. Seite 6. und betrügerischen BankerottS gegen den damaligen In haber der Bo mb ast uS werke Kaufmann Emil Adolf Berg mann hervorgegangen. Bekanntlich hatten die damaligen Besitzer und Beteiligten an den Bombastuswerken die Mittel zum Betriebe derselben in spiritistischen Sitzungen, die angeblich vom Geiste des BombastuS beeinflußt wor den waren, von gläubigen Seelen zu erlangen verstan den. Die Angeklagten hatten nun in einer Broschüre dem Geheimen Kommerzienrat Lingner des Betrugs und verschiedener anderer unsauberer Manipulationen beschul digt. Lingner fühlte sich beleidigt und strengte die Klage gegen die 11 Angeklagten an. Diese werden von den bekannten Rechtsanwälten vr. Fleischner-DreSden und Or. Koch-Leipzig verteidigt, während Justizrat vr. Popper- DreSden den Kläger Lingner vertritt. Fast sämtliche Angeklagte haben gegen Lingner die Wiederklage erhoben. Der Prozeß dürfte von längerer Dauer und großem all gemeinen Interesse sein. — Der Prozeß des Geheimen Kommerzienrates Lingner gegen die BombastuSwerke wurde nach I3stündiger Verhandlung vertagt, weil die Beklagten den Gerichtsvorsitzsnden wegen Befangenheit ablehnten. 8 Dresden, 14. Juli. (Vorsätzliche Körperver letzung durch einen Arzt bei einer Operation.) Den Strafsenat des Kgl. Sächs. OberlandeSgenchts be schäftigt jetzt ein Prozeß, der für weite Volkskreise von großem Interesse ist. Der praktische Arzt und Natur heilkundige vr. mecl. et piül. Tiems hielt im vorigen Jahre in mehreren Städten Vorträge über Wucherungen der Nasen und Rachenschleimhäute. Einem in Werdau gehaltenen Vortrage hatte die Postassistenten. Ehefrau bet- gewohnt. Sie litt an chronischem Schnupfen und bat ven Arzt, sie am nächsten Tage zu untersuchen, erklärte aber ausdrücklich, daß sie sich keiner Operation unter- ziehen, überhaupt nichts mit sich geschehen lassen wolle, was irgendwie Schmerzen bereiten könne. Der Arzt kam, untersuchte die Frau, ließ sich mehrere Schüsseln mit Wasser geben, ersuchte den anwesenden Ehemann, die Hände seiner Frau festzuhalten und fuhr, ehe sich's die Frau versah, mit einer Sonde durch beide Nasenlöcher, die im Munde wieder zum Vorschein kam. Zugleich hielt er der Frau den Mund mit seiner Hand zu. Dickes Blut drang alsbald aus Mund und Nase, die Frau schrie vor Schmerzen, aber mit den Worten: „Halbe Sache machen wir nicht!" griff er der Patientin zum zweiten Male in den Mund und zerdrückte ihr mit dem Daumen beide Mandeln. Der Arzt gab der Patientin noch einige Verhaltungsmaßregeln, steckte das Honorar von 20 M ein und ging seine Wege. Die Familie ließ nunmehr ihren Hausarzt kommen, der über die von sei nem Weelauer Kollegen vorgeaommene Operation aufs höchste überrascht war. Die vorgenommene Untersuchung Das am 5. Juli enthülle Kaiser-Wilhelm-Tentmal in Aalesund» Dm Mser-WiWm-MM- ml in AMmd. Die norwegische Stadt Aalesund hat ihrer Dankbarkeit gegen den Deutschen Kaiser, der nach dem großen im Jahre sgOH soviel für ihren Wiederaufbau ge tan hat. durch die Stiftung eines schönen Denksteins (eines „Bantasteines", wie man in Norwegen sagt) Ausdruck gegeben. Das Denkmal ist etwa 2 Meter hoch; es besteht aus einem auf einem Sockel ruhen den Monolithen, den das bronzene Relief bild Wilhelms II., das deutsche Reichs- waxpen und eine Inschrift ziert. Die Enthüllung fand am s. Juli statt. Nus aller Wett Berlin, zz. Juli. Die Angeklagte aus dem Allenstein-Prozeß, Frau Weber, ist heute nachmittag in Begleitung ihres Mannes im Sanatorium des vr. weil zu Schlachtensee eingetroffen. Dort bewohnt sie in Gemeinschaft einer Krankenschwester zwei Zimmer in einer separaten Villa der Anstalt. London, >2. Juli. Aus Halifax wird gemeldet: Eine Feuersbrunst äscherte gestern Abend Lampbelltown in Neu- Braunschweig ein. Die Stadt hatte qooo Einwohner, Menschen sollen nicht verun glückt sein. Die Banken und Kirchen, das Hospital und das Theater find zer stört. qooo Personen sind ohne Obdach. Die Verluste werden auf 2 Millionen Dol- lbr geschabt. <S. Hauptbl.) Aonstantinopel, ;r. Juli. Auf einem im Schwarzen Meer befindlichen deutschen Schiffe soll ein Lholerafall vor gekommen sein. Marienbad, s3. Juli. Gustav Ka- delbura, der bekannte Bühnenschriftsteller, der gestern abend hier zur Kur eintraf, unternahm heute früh einen Spaziergang in das Lafe Rübezahl. Kaum hatte er dort sein Frühstück bestellt, als er von heftigem Unwohlsein befallen wurde und tot vom Sessel stürzte. ergab, daß die Nasenschleimhäute zerrissen, die Mandeln schwarz-brandig waren und im Gaumen hing ein Haut fetzen, der bereits in Fäulnis übergegangen war. Durch das Dazwischentreten de? Hausarztes wurde rechtzeitig folgenschweren Komplikationen vorgebeugt. Der Opera teur wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung zur An zeige gebracht und vom Landgericht Zwickau zu 150 M Geldstrafe und 100 M Buße verurteilt. Die beim Ober landesgericht eingelegte Revision wurde kostenpflichtig verworfen. Der oberste sächsische Gerichtshof führte hier zu folgendes aus: Ein Mensch, der einen Arzt hole, habe auch Vertrauen zu ihm und der Arzt habe das Recht, zu tun, was er für Recht halte. Aber wenn der Patient nichts von einer Operation wissen wolle, habe der Arzt diesen Willen zu respektieren. Im vorliegenden Falle habe die Patientin dem Angeklagten 3 mal gesagt, daß sie nichts von einem operativen Eingriff wissen wolle, er habe aber trotzdem die Sonde durch beide Nasenlöcher geführt. Der Angeklagte habe sich der vorsätzlichen Kör perverletzung schuldig gemacht und in Bezug auf seine angeblich vortreffliche Methode in Neberhebung gehandelt. 8 Dresden, 12. Juli. Das Landgericht verurteilte den 26 Jahre alten Hausdiener Otto Theodor Kaiser aus Dresden wegen schweren Diebstahls zu 2 Jahren Zucht haus, 5 Jahren Ehrenverlust und Stellung unter Poli zeiaufsicht. Er hat am 11. April d. I. im Hause Schnorr- straße 38 aus einer verschlossenen Wohnung, die er mittels Nachschlüssel öffnete, Brillanten und Goldsachen im Werte von 2376 M und für 15300 M Wertpapiere gestohlen. Wettervorhersage der Kgl. S. LandMvcttcrwarte zu Dresden Freitag, den 15. Juli 19lO. Nordwestmind, veränderlich, warm, trocken, Gewitterneigung. Magdeburger Wettervorhersage. Freitag, den 15. Juli 1910. Teilweise heiter, teilweise wolkig, warm, fortgesetzt Gewitter. MrckNÄrS Nackrlcktsn. Pulsnitz. Sonnabend, 15.Juli: 1 Uhr Betstunde. Hilfsgeistlicher Schuster. Sonntag, 16. Juli, 8. »ach Trmitatis: V,9 PEgt (Röm. 8, 12—17) ! Schuster. Der NachmittagSgottesdtenst fällt au?. '^9 „ Jünglings- und Männerverein. Amts woche: Pastor Resch. / Serien. - Freudenvolle Sommertage Wenn der Schule Pforten schließen, Wenn die Buben und die Mädel Volle Ferienluft genießen. In der Ecke schlummern friedlich Bücher, Hefte und Atlanten, Dafür reist Jung-Deutschland fröhlich Hin zu Onkeln und zu Tanten. In den Wäldern, auf den Wiesen Streifen sie mit bloßen Armen, Und es schallt der grimme Kampfruf Zwischen Räubern und Gendarmen. Keine Knixe, Drehn und Wenden Nach der Etikette Qualen, Draußen rennen sie und jubeln, Ja, das ist ein Bild zum Malen. Kraft die Freizeit bringt der Jugend, Jugend Leben ist allein. Leise seufzt der Greis beim Schauen: Selig, noch ein Kind zu sein! Redaktion: In Vertretung Otto Dorn in Pulsnitz. — 7. Kapitel. — Neber seinen Nachforschungen nach dem „Großkarrierten", wie Brümmel den Mann mit dem Kneifer bei sich nannte, hatte er völlig verabsäumt, wegen de» Morphium» nachzufragen, wie Dr. Heilmann ihm aufgetragen. Hätte er nur da» mindest« Gewicht auf denselben gelegt, so würde er dessenungeachtet Zeit gefunden haben, e« zu tun, aber er war völlig überzeugt von der Nutzlosigkeit solcher Erkundigungen, da er sie für über» flüssig hielt. Welshofen war doch nicht an Morphium ge» storben. Al» dann die Stunde herangekommen war, in der er dem Unterfuchungtricher Rapport ablegen sollte, ging er der Form wegen in mehrere Apotheken und fragte, ob man sich dort viel» leicht erinnerte, daß etwa acht Tage zuvor ein junger Mann vom Aulsehen eine» Südländer« Morphiumpulver gekauft hätte. Natürlich wußte niemand davon und Brümmel ging ebenso klug in dieser Hinsicht, wie er zuvor gewesen, nach dem Büro seine» Chef«. „Nun, Brümmel" — empfing ihn dieser mit einer eigen tümlich pfiffigen Miene, di« ihm nicht« Gut«« weitsagte — „wa« haben Sie mir zu melden?" „Ich habe nicht« bezüglich de« Morphium« «»»gekundschaftet", entgrgnete Brümmel. „So I So I Also nicht» l Hält' mir» denken können. Aber ich desto mehr, lieber Brümmel, ich desto mehr. Da ich mir dachte, daß Eie di« Sach« lässig brtreiben würden, hab' ich sie selbst in die Hand genommen. Ja, ja ich! Und ich hab' wa» au»gekundschastet, nämlich, daß am 25. Oktober in der Bären» apotheke ein junger Mann Morph'umpulver gekauft hat auf ein Rezept, da» dem Provisor gleich den Eindruck machte, al» ob e» von keinem Arzt geschrieben wär«. Da der Nam« de» Arzte» sich aber unter dem Rerzteverzeichni» fand, da« in allen Npothek«n liegt, so hatte der Provisor am Ende keinen Grund, da« Rezept nicht zu machen. Die Beschreibung de« jungen Manne« aber paßt genau aus Olfer«. Er war schlank, über Mittelgröße, brünett und elegant gekleidet. Der Provisor sagt, daß er recht gut «in Jtalirner oder Spanier hätte sein können. Der 25. Oktober war der Tag, an dem abend» spät Graf Wel»hofen durch Morphium vergiftet wurde. Nun — wa» sagen Sie nun, Brümmel?" Der Gefragte sagte gar nicht» und wenn sein Chef nicht durch die Befriedigung über seinen angeblichen Triumph so vollauf in Anspruch genommen worden wäre, so hätte er gesehen, wie um de» Detektiv» Lippen ein verächtliche» Lächeln zuckte. „Natürlich" — fuhr Hellmann fort — „habe bei dem be treffenden Arzt — Bittner heißt er — sofort ungefragt, ob er einem jungen Mann, der sich Leugingg nennt — die» war der Name, der auf dem Rezept gestanden hat — Morphium ver schrieben hat. Selbstverständlich wußte der Arzt nicht» von diesem Rezept, trotzdem er über alle Rezepte, mit genauer Datum«- angabe Buch führt. Eine wichtige Entdeckung — ein höchst wichtiger neuer Jndizi«nbewri», der un» die Untersuchung in dieser Affäre wesentlich erleichtern wird!" sagte Heilmann, sich vergnügt die Hände reibend. .O du Esel, du zehnfacher Esel!" dachte der Detektiv höchst respektwidrig seinem Vorgesetzten gegenüber. „Wenn Sie so lässig meine Weisungen befolgen, Brümmel", sprach der Untersuchungtrichter, „so kann ,ch Sie bei dieser Sache gar nicht weiter verwenden, denn da werden Leute ge braucht, die findig und eifrig sind, nicht träge Menschen, die nicht weiter sehen, al» ihre Nase reicht —" „Er wird sich noch zeigen, Herr Doktor, wer hier weiter sieht, Sie oder ich", fuhr e« Brümmel herau». „Wat unterstehen Sie sich — wat?" brüllt« der Richter ihn an. „So sprechen Sie mit Ihrem Vorgesetzten? Erst dumm und faul und dann noch unverschämt. Ich werde Sie in Vieser Sache nicht weiter verwenden — hören Sie? Viel zu lange habe ich mit Ihrer verstockten Borniertheit Geduld gehabt, aber jetzt ist meine Geduld zu Ende, Von jetzt ab werden Sie nur noch benutzt, um — na, Sie werden schon sehen, wo zu Sie benutzt werden. H«lbusch wird an Ihrer Stelle mit den Ermittelungen im Fall Welthofen.Olfer« betraut werden, denn Sie — Sie — danken Si« Gott", schrie er, im Zorn sich wie eine bissige Bulldogs« gebärdend — „daß ich nicht Anzeige wegen Ihre« Betragen erstatte. Da« ist ja Insubordination, Beleidigung eine« Vorgesetzten, darauf erfolgt sofortige Entlassung. Dankrn Sie e« meiner Milde, daß Sie nicht entlassen werden. Und jetzt rau« — packen Sie sich." Damit war Brümmel entlassen. Noch am selben Vormittag wurde Helbusch, rin gänzlich unfähiger Mensch, der e« aber ver stand, Heilmann« Schwächen zu schmeicheln, mit den Ermitt lungen im Fall Welthofen betraut. Brümmel verwandle man dagegen zu den unwichtigsten Dingen, die seiner Begabung gänz lich unwert waren. Er ärgerte sich indessen weniger über den Lauf der Dinge, alt man et hätte erwarten sollen, denn ersten« war der Vorgesetzte, mit dem er fortan zu tun hatte, ein scharf sinniger Mann, der Brümmel« Genie erkannte und gegen Heil mann seit jeher einen stillen Groll hegte, und zweiten« fiel, seit dem er seine Weisungen nicht mehr von Heilmann erhielt, jede Rücksicht gegen diesen für ihn fort. Er schwor sich zu, Rache an ihm zu nehmen, für sich selbst aber diese Sache al» Staffel zu seinem Emporkommen zu benutzen. Zuvörderst bat er seinen neuen Vorgesetzten, ihn so weit e» tunlich sei, von dienstlichen Verpflichtungen zu entbinden. Jener, ein junger, ehrgeiziger Mann, dachte sich sein Teil und bewilligt« sein« Bitte. „Haben Sie eine Spur, Brümmel?" fragt« er. „Mir können Sie'» sagen, ich halte reinrn Mund." Brümmel nickte. „Nun, so arbeiten Sir fleißig, meinen Segen haben Sie" sagte der Richter. Brümmel durchschaute ihn. Er hoffte wohl im stillen, daß' Heilmann sich unsterblich blamieren möchte, sofern «» Brümmel wirklich gelang, Licht in diese Sache zu bringen und daß er selbst dann an Heilmann» Stelle treten könnte. Am Abend derselben Tage» stand Brümmel schon vor Er öffnung der Kaffe vor der Tür der „Kaiserhallen" und späht« nach den Artist«« au», die dort «ingingen. E» dauerte denn auch tatsächlich nicht lange, al« ein magerer Mensch mit leder gelber Haut, der bi« zum Kinn in einem engen, hechtgrauen Paletot «ingeknöpst war, daher kam. Unter dem Paletot aber lugten drei Hand breit weiß und schwarz karrierte Beinkleider hervor. Brümmel schlug da« Her, bi« zum Halse hinauf, für einen Augenblick verschleierte sich sein Blick, sodaß er sich Mühe geben mußte, de« Manne« Züge seinem Gedächtni« einzu prägen. „Wissen Sie, wer der Herr im hechtgrauen Paletot ist?" fragte er den Portier der „Kaiserhallen", nachdem jener im Innern de« Gebäude« verschwunden war. „Dak ist der Clown Long-Bell", entgegnete der Portier. „Kennen Sie ihn nicht? Da« ist eine außerordentliche Zugkraft der „Kaiserhallen". Sie sollten ihn sich einmal ansehen. Da werden Sie lachen." „Da« hoffe ich zu tun', gab der Detektiv zurück. Al« dann die Vorstellung anfing, saß er an einem der mittleren Tische, nahe genug der Bühne um all« Vorgäng« gut s«h«n zu können, aber doch weit genug, um von dieser au, selbst nicht allzu deutlich gesehen zu werden. (Fortsetzung folgt.)