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Unterhaltungs-Beilage zum MW-WlW AOM M ASM Druck und Berlaa von I. Ruhr Nachf. Dr. Alban irisch, Hohenstein-Ernstthal. Liebeszauber Roman von Oslo l7 Fortsetzung.) Am andern Morgen stellte sich verabredetermaßen frühzeitig ein Lauernbursche aus dem viele Stunden entfernten, tief in den Unterharzwäldern gelegenen Hei matdorf Brcckeuschmieds ein; er kam mit dem Handwägel- chcn, um Wolframs Koffer zu fahren. Der nahm Abschied. Und unter lachenden Augen ver barg sich das von Wehe übervolle Herz. In den wcisheitsvollen Reden des alten Dorfschul- lehrcrs, in seiner schnarrenden Kantorenstimme, die an eine geborstene Orgelpfeife erinnerte, und in dem leichten Altermüen seines gütigen Hauptes, das dem hölzernen Petruskopfe neben der Kirchenkanzcl merkwürdig ähnlich geworden war, und in dem gleichzeitigen Necken, Gelächter und Händedrücken des großen Arno ging dies Wehe des Schweigens zwischen ihm und Elga lautlos unter. Als er mit Bursch und Wägelchen im Herbstmorgen dust unter goldschimmernden Obstbäumen beim Gänsege- schnattcr die Dorfstraße hinauswanderte und sich immer noch einmal umkchrte, stand der Großvater im Schlafrock und mit der langen Pfeife froh und behaglich zwischen seinen Enkeln im Gartentor und winkte ihm zu. Arno setzte die Hände zum Schallrohr und ries. Doch verstand er nicht mehr. Als er sich zum letzenmal an der Biegung der Dorfstraße zwischen den dichten, berst- bunten, silbern dnrchschleierten Lanbgürten zurückwandte, war Elga weit in die Gasse vorgetretcn, führte das weiße Taschentüchlein ans Gesicht und sandte ihm den letzten Gruß nach. Biele Stunden später zog er jenseits großer, pracht voller Laub- und Tannenwälder, über einsame Harzhöhen seiner eigenen Heimat zu. Umwaldete Berge umragten ihn. Der Kirchturm grüßte ihn über den Schornsteinen der Stroh- und Ziegeldächer, das Hundegebell aus baumver- grabencn Bauernhöfen, so, wie es ihm in verlorener Kind« heil einst als tägliche Musik ans Herz geklungen war, die Turmuhr mit demselben Hellen, vollen Klang, den der Wind vom Ta! über die Feldhöhen trug wie in ver gangener, lebendig heraufsteigender Kindcrzeit. — Das Herz war ihm froh und wehe von der Lust der Heimkehr und dem Schmerz des Bewußtseins, au ein fremdes Tor zu pochen, und wo die Liebe einst war, nur an Gräbern zu stehen — froh und wehe im Zurückhorchen aus meilenserne Stimmen, die ihn riefen und doch in der ungeheuren Weite lautlos erstorben und begraben schienen. Aber die Stimmen der Ferne schliesen nicht. Sie drangen in diese seine Geheimwelt, ob er nun in Ler Ober- stube am offenen Fenster den Dorsschwalben lauschte und ihr redseliges Gezwitscher aus gewesenen Jahren in heimliche Gedichte schmiedete, oder ob er im Goldlaub der Waldrandhöhcn über dem Selketal einsam vergessenen Kinderwegen nachschlich, oder ob er auf den kahlen Wicken- höwen über dem Dorse stieg und im Abendsonncnglanz zum feinen blauen Brocken und zum brennenden Broüen- feuer hinüberstarrte, die Stimmen der Ferne schliefen nicht. ald Bergeser. kNaLdruck verboten.) Und nur um zwei Wochen stillen Lergrabenfeins im Frieden seiner Waldberge bezwang er sic. — Dann erhob er sich, nahm wieder einmal Abschied, führte wiederum viele treue Güte als lichte Schatten der Erinnerung mit sich auf den Weg und karrte mit demselben Burschen und demselben Wägelchen denselben hohen, freien Feldweg zu rück, den er gekommen war, den dunklen Wäldern entgegen, hinter denen jene Hellen, frohen Stimmen riefen mit jauch- zender Dringlichkeit. Was begehrst du noch mehr, du junges hochaufschla- gendes Herz? Noch ragen um dich die Berggipfel Ler Heimat, die einst dich kannten als Dorfkind gleichwie die alten Weibchen im Dorfe, dort das einsame, ferne, hinaus- blickende Hochwaldturmkreuz; die meisten Wolken wan dern, unendlich ist das Blau, unermeßlich die Welt, riesen- groß, was du in deiner Zukunft abnst und dort, hinter den Zauberwäldern, ein blühendes Hcrbstrosen- gärtchen, durch das du wandern wirst im glänzenden Morgentraum des Lebens. Was begehrst du mehr, du un ruhig in Vie Wolken fliegende Seele? Auch die Schwalben nehmen Abschied, sie weisen dir Wege in schwindelerregender blauer Weite und Einsam- leit, die im Grenzenlosen verschwinden — du weißt sie nicht zu halten? Wo sind die geblieben? Sind auch die Wege im ewigen Glanze nur Wege des Scheidens oder doch einmal — des Wiedersehens? So staunte er — endlich — von den Harzhöhen wieder hinunter, aus dem herrlichen Herbstwaldmantel der Berge wieder dem grün und farbig gewürfelten, hügeligen Vor land und seinen traut und -artlich eingefchmiegten Dör fern zu. So zog er in das Dorf Elgas und Arnos und des Großvaters ein. Die laubbunten Gassenwinkel zwischen alten Zäunen und moosigen Strohdächern umarmten ihn. Hundebellen und Gänsegeschrei, Turmuhrklang und fun- kelnde Uhrweiser grüßten ihn — bist du endlich da? — Die Stunde flieht, der Tag vergeht, die Sonne sinkt und die Nacht rührt die Herzen an, daß sie mit Hoffen und Glauben für immer stille stehen! — Drum eile dich! — — Wie schlug ihm das Herz! Fast lief er — nun stand er am Gartentor! Es war ihm beschieden, den Glanz dieser Herbstferim bis zum letzten Tropfen des Glückes rein zu genießen. Der kopfwackelnde Kantor, der rotgelockte Apollo — und die feine, liebliche Fee dieses gelehrten Bauern- Winkels, Elga — sie lebten nur um ihn und für ihn und er nur für sie. Hinten im Schulhausgarten stand ein gewaltiger Wallnußbaum. Der Wind zog zuweilen ausrauschend durch seine Krone und warf «inen großen Nußregen klopfend in den Grasboden herunter. Elga führte ihn an der Hand durch den Garten» st« ließ ihn keine Minute frei; wie leicht hätte er wieder in eine stumme Ferienferne unerreichbar entweichen könne»?