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»Großvaters Heinzelmännchen schüttelten den Baum/ saate sie mit lachenden, heißen Wangen und Augen, .sie bombardieren dir zu Ehren, sie salutieren vor dir!" Astern über Astern blühten in einzig schöner Farben pracht. Dahlien erhoben ihre stolzen Leiber und Kronen darüber in herberem Farbenleuchlen — Ritter in männ licher Kraft über dem reizenden Blütenchor der Fronen. So deutete Wolsram das sinnvolle herrliche Blu- menseld. »Tu sollst mein Ritter sein/ sprach sie mit lieblichem Lächeln und steckte ihm eine leuchtende rote Dahlie an die Joppe. »Du sollst und wirst immer meine Dame sein'" er widerte er. Daraus schmückte er ihr das Haar mit zier lichen, ziselierten, weißen und blauen Astern, halb erblüht wie sie selbst; Blume an Blume, so gehörten sie ganz zu einander, des Dorfschullehrers Enkelin und seine Garten- blumen. Auf dem großen Boden des Hauses war zwischen den hindurchragenden Schornsteinen eine Obstkammer ringe- baut. Hier arbeiteten sie ganz allein miteinander stunden lang an dem wohlgeordneten Aufbau der kostbarsten Apfelsotten aus Großvaters Gatten. »Man muß Enthaltsamkeit und Entsagungen lernen!" Darüber waren sie sich in unergründlicher Lebensweisheit einig und aßen nicht einen Bpsel; sie waren klüger als die ersten Menschen im Paradies, freilich wohl kam ihnen keine Schlange in die Quere. In sehr weiter Entfernung erklang das dumpfe Poltern eines Eisenbahnzuges über eine große Flußbrücke. »Warum fährt gerade jetzt der Eisenbahnzug vor über?" fragte er mit hochgezogenen Brauen und ge- runzelter Stirn. »Damit wir daran denken, daß alles entflieht!" ant- wartete sie und lächelte und freute sich, daß sie ihm recht und ganz nach seinem Sinne zu antworten wußte. »Darum hatte die Stunde fest!" sprach er ernst. »Du auch!" erwiderte sie bedachtsam. Dann stieg Wolsram auf der stehenden Leiter zur Dachluke hinauf und Elga stieg ihm nach. Er hob die gläserne Luke auf und steckte den Kopf hinaus. Sie zwängte sich an seine Seite, ließ sich von seinem Arm halten und schob ihr mit Astern gekröntes Köpfchen gleichfalls in die leere Luft hinaus. Es war ein enges, trauliches Quetschen. Aber sie hätten diese schreckliche Unbequemlichkeit um die Wett nicht eingetauscht mit der ganghastesten Freiheit auf dem ruhm reichsten Aussichtsgipfel. Denn dort lag sie im köstlichsten Gold und Blau, die weithin geschwungene Bergwaldmauer des Unterharzes.' Und wieder funkelte von ferner geheimnisvoller Höhe oas Bergfeuer herüber und warf ihnen durch unendliche Kilo- meterflucht im Feuer der untergehenden Sonne die Küste der Heimat herüber. »Ich werbe das Feuerglühen auf fernem Berge immer vor mir sehen, so lange ich lebe, und immer daran denken, wo ich es gesehen habe und was es bedeutet," sagte er und hielt sie fest umklammert, damit sie nicht von der Leiter in den Boden stürze; denn sie hielt sich nur mit den Zehen- spitzen aus der Sprosse. »Und was meinst du wohl, was es bedeutet?" ant wortete sie und blickte ihm neugierig in die klaren, tiefen Augen, in denen sich das Feuer spiegelte. »Es bedeutet, daß es die Menschen aneinander- schmiedet, die haben Hinschauen dürfen. Es hämmert die Glut in das Eisen der Herzen hinein, und darin brennt eS herüber und hinüber bis an den Tod." Da schaute er auch ihr in die Braunaugen und sah darin das Feuer lies bis an den Grund der Seele sinken. In ungeheuerer blauer Höhe steuerte ein Zug wilder Gänse über den Harz hinüber, kaum zu erkennen, den weißen Alpen, dem blauen Südmeer, der Sonne Afri kas zu. Um den spitzen Steinturm der alten Kirche, an dessen riesige Mauer der Efeu bis an die Schalluken und an den Dachrand kletterte, schwirrten Hunderte von Schwalben; sie ordneten ihre Reihen, prüften ihre Flügel, übten ihre Reiselieder zum Flug in die Ferne und stimmten ihr silbernes Gezwitscher auf das große Abschiednehmen des Herbstes. Am Abend lud der Kantor mit seinem unsicheren, ehrwürdigen, weißen Haupte sie noch einmal ans Tafel klavier vor altersgilbe, kaum leserlich geschriebene Noten eines Bravourmarsches von 18l3; darauf nahm er ein halb zerrissenes, abgebrauchtes Liederheft — und still ging er ans Bücherbrett und nahm seine Geige aus dem Kasten hervor. »Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzett klingt ein Lied mir immerdar . . ." Fein und merkwürdig, wie ans efeuüberwucherten Gräbern geboren, stieg eS in das stille, warme Licht der Lampe hinauf. > Sie hatten ihre Hände von den vergilbten, ausge griffenen Tasten sinken lassen und horchten stumm aus des Großvaters Geigenlied. Als er die Geige still wieder beiseite gelegt hatte, wandte er sich zu den beiden Schweigsamen am Klavier um, und seine seucht schimmernden grauen Augen streiften sie flüchtig mit einem freundlichen, sinnenden Blick: »Wenn Ihr einmal fernher zurückttäumt in diese Jugendzeit!" — Und von einer freudigen Eingebung gelenkt, trieb er sie von den Klavierstühlen, ließ sich selber nieder und griff in die ausgespietten Tasten zu einem Tänzchen von Anno dazumal: Grobmütterchens Hochzeitswalzer. — Das war nun gewiß gar lieblich anzuschauen, wie Elgas schlanke Mädchengestalt mit ihrer natürlichen Tanz, gäbe elsenleicht in Wolframs Arm sich schmiegte, wie sie den anfangs ungelenken Tanzherrn mit einer glücklichen, anmutigen Festigkeit in das einträchtige Drehen auf den ausgetretenen Dielen der Kantorstube nach Großmütter- chens Hochzeitswalzer wiegte. Arno, der philosophische Betrachter in der er- innerungsreichen Sofaecke, griff gedankenvoll von neuem in des Großvaters perlgestickten Zigarrenkasten. — Tief in dem großen Obstgarten stand Vas graue Ge mäuer des runden Kettenbrunnens. Der Mond spielte durch die Äpfel- und Birnbäume und lugte zu den jungen Reisegesellen hinein, die mit einem heftigen Geflüster einen gewaltigen Feldstein zum Brunnen schleppten, ihn mit beträchtlicher Anstrengung gemeinsam aufhoben, ihn auf den Rand der Mauer setzten und darauf mit feierlichem Bedacht in den Brunnen stürzten. „So werfen wir alles Schwere und alles Böse, das gewiß einmal zu uns kommen wird, in den Brunnen hin unter wie diesen Stein!" raunte er mit heißer Dring lichkeit. »Und so tief verschlossen soll auch unser Geheimnis sein," flüsterte sie, »als läge es unauffindbar unten im schwarzen Brunnen wie der Stein." »Sieh nur, wie der Mondstrahl auf dem finsteren Wasser funkelt," sagte er; »das sind die Elsen; unter ihnen wühlt der schwarze Abgrund, aber sie tanzen selig im Licht." Das heftige Schwingen und Blitzen und stumme, jauchzende Tanzen der Tiefe glättete sich zu lieblicher Ruhe, zärtlichem lautlosen Flüstern und schlief allmählich ein, bis es vollkommen stille stand in den stummen Küssen des Mondes. Der aber lugte schweigend durch die Apfel- und Birn- bäume dem Pärchen nach, das durch den mondfinsteren Garten Huschke, aus der Steintreppe noch einmal verlan gend in das Märchen des Gartenfriedens zurückschaute und darauf in den schweigenden Mauern des Schulhauses verschwand. Von Osterode herauf fuhr die Post ins Gebirge. Der weiche, dunkle Herbstabend begleitete die altväterische Kutsche aus der stillen Waldchaussec aufwärts und guckte in die dunklen Fenster neugierig hinein. Unbändiger Übermut jauchzte drinnen. Es war nicht zu fassen, was an doppelt und dreifach hervorbrechender Ferienlust noch einmal aus den Gemütern aufslackerte wie Mondfunkeln aus dunklem, erregtem Brunnen. (Fortsetzung folgt.)