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»Aw Hohenstein-ErnMaler Tageblatt Druck und Verlag vsn I. Ruhr Aachf., Dr. Uldan Krisch, Hohenstein-Ernstthal. TlM dis HSLMLt" vornan von Bruno Wagner, (22 Forsießuna.) Eines Tages hatte Frau Pastor Meraeuthien einen Besuch im Schuihause gemacht. Karoline war gerade dabei gewesen, im Wohnzimmer einige ihrer hübschen Kleider anzuprobieren, die sie zur Aussteuer bekommen harte. Rein zum Spaß tat sie es, um sich einmal wieder im Spiegel zu sehen. Auf allen Stühlen lagen Kleidungsstücke herum. Die junge Frau stand ge rade vor dem großen Pfeilerspiegel, den Mama Diestel ihr hatte schenken müssen, und fand sich im blanseidenen Jnpon mit modischem seidenen Mieder, aus dessen Spitzenbesatz die zarre Büste und die Weichen lästigen Arme reizend her vorschimmerten, selbst so hübsch, daß sie vor ihrem Spiegel bilds einen graziösen Knix machte. Da ging die Tür auf, und die Frau Pastor stand im Zimmer, ganz Hoheit und Würde. Mit raschem Griff warf Karoline ein duftiges blaues Kaschmirkleid, das für den Sommer berechnet war, vom Sosa auf die Erde und bat den Besuch, Platz zu nehmen. Dann verschwand sie selbst im Hinterzimmer, um nach wenigen Milruten in einer Weißen Spitzellbluse wieder zu erscheinen, wie sie die Frau Pastor »loch nie unanständiger gesehen zu haben glaubte; denn nicht nur die Arme, son dern auch Hals und Nackenansatz schimmerten in ihren Um rissen durch den zarten durchbrochenen Stoff. Frau Pastor Mergenihien nahm kein Blatt vor den Mund, nm der jungen Frau den Standpnnn klar zu machen. Erstens sei die Putzsucht überhaupt ein Laster, zweitens gebe sie dem ganzen Dorfe ein Ärgernis, und drittens paß ten so kostbare Toiletten ganz und gar nicht zu der beschei denen Stellung einer LehrerLsrau, die mit jedem Groschen rechnen müsse, wem» sie anSkommcn wolle. Einen Augenblick saß Karoline wie angewurzelt aus ihrem Stuhle. Was wollte denn diese Frau hier? .Hatte die ihr etwas zu sagen? Der Pastor mochte dienstlich mit dem Lehrer zu tun haben. Aber was sie tat, ging nie manden etwas an. TaS hätte sich doch in Natzebnrg nie mand herausgenommen, — nicht einmal die Tante Sena tor, — ihr ins HauS zu kommen, um ihr derartige Dinge zu sagen. Einmal hatte eine Nachbarin sie verklatschen wollen, Weik die großen Mädchen sich mit den Gymnasiasten geschneeballt hatten. Der hatte dir Mutter aber gehörig Bescheid gesagt. Und jetzt als verheiratete Fra»» sollt« sie sich so etwas gefallen lassen? Die Frau Pastor wollte gerade eine neue Rede über die Pflichten einer christlichen Ehefrau im allgemeinen und einer Lebrersfrau im besonderen beginnen, da stand Karo- lin« plötzlich hochrot vor Zorn vor ihr; und nun bekam dis Frau Pastor Ding« zu hörrn, die ihr noch niemand gesagt hatte, so daß si« kreideblaß das Haus verließ und sporn streichs nach Hause lies. Für Johannes Jessen war der Vorfall sehr unang«- nehm gewesen. Er könnt« das Verhalten seiner Frau natürlich nicht billigen. Aber er muhte zugeben, daß sie von Frau Pastor Mergenthien herausgefordert worden war. Als Pastor Mergenihien am nächsten Tage den Lehrer zu sich gebeten und verlangt hatte, daß Frau Jessen Abbitte lwachvkück VNvdttK., ' leiste, hatte Johannes zwar seit» Bedauern über der» Bo» fall ausgesprochen, aber es abgelehnt, sein« Fra« tnB Pfarrhaus zu schicken. Damit waren leider alle Beziebungen zwischen Pfarr haus und Schulhaus abgebrochen. Der Pastor erNärte, rurr noch dienstlich als Lokalschulinspektor mit Jessen verkehren zu können. Um so erfreulicher hatte sich das Verhältnis de- jun gen Lehrers zu den Eltern der Schulkinder gestaltet. Sie hatten bald den guten Einfluß gespürt, den JessenS Art de- Unterrichts ausübte. Die aufgeweckteren Kinder hingen mit Begeisterung an ihm, denn sie hörten von ihm so vieles, was sie mächtig interessierte. Er suchte ihnen den Blick für die Natur, für ihre Umgebung in Haus und Hof zu schärfen; er weckte dm Sinn für lebendige Anschau ungen und lehAe sie, irr dem, was sie sahen, die inneren Zusammenhänge zu suchen. Und was sür wundervolle G» schichte»» wußte er ihnen aus der Vergangenheit des Lauen- burger Landes zu erzählem ! Noch mehr aber hatten die schwachbegabten Kinder : voi» dem neuen Lehrer. Das hatte der alte Jessen nicht ' verstanden, jedes einzelne Kind besonders zu beobachten, damit keines hinter dem anderen völlig zurückblieb. E» - war eine schwere Aufgabe bei mehr als siebzig Kindern; und man hatte es dem alte»» Manne nicht übel nehmen dürfen, daß er damit nicht zustande gekommen war. Jo hannes Jessen aber nahm sich ganz besonder- der Schwachen an und suchte ihnen die Schule lieb zu machen. Die Mütter sahen das bald ein und verkündeten des neuen Lehrers Lob. Ihm selbst fing sein Beruf an, lieb zu »verden. Wider- willig war er Lehrer geworden. Nu », da er selbständig einer Schule Vorstand, ging ihm das Herz für seine Auf gabe auf. Er sah, daß es doch echte Freude,» im Lehrer beruf gab, und daß ein tüchtiger Lehrer nm mehr zu sorgen habe, als nur um daS bestimmte Pensum der vorgcschrtebe- nen Unterrichtsfächer. WaS ihm sein Vater gesagt, erfuhr er an sich selbst, daß es ein schönes Ding sei, junge Men- schenhcrzen zu bilden und den Keim zum Gute», in die Seele der Kinder zn senken. Gleich nach Weihnachten hatte er den ersten Eltern abend veranstaltet. Durch die Schulkinder hatte er e- in den Häusern ansagen lassen, daß er sich frenen würde, recht viele Väter und Mütter am nächsten Samstag abend im Schulhause zu sehen. So hatten sich denn an einem Samstag gegen vierzig Väter und Mütter der Gemeind« im Schulhause ver sammelt, und Johanne- Jessen hatte ihnen einen kurzen Vortrag über Schule und Etternbans gehalten, so recht verständlich für jedermann, und besonders sür die Dauern, die nicht viel Wort« machten, aber sich im stillen bei ihrer ruhigen Arbeit ihr« eigenen Gedanken bildeten. Dann hatte Jessen- besonderer Freund, der Bauernvogt, dessen Sohn der Erste in der Schule war, ein paar Fragen an den Lehrer gerichtet, um eine Erörterung über den Vor trag zu veranlassest; Wd richtig, e- hatten sich noch anherß