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rer nicht unterwerfen. Dublin steht in Gefahr, nächstens ohne Straßenbeleuchtung zu sein, denn die Arbeiter weigern sich, Kohlen in die städti schen Elekdrizikäts- und Gaswerke zu verladen. Man hat an die Leiter der Streiks appelliert; aber diese bekennen offen ihre Machtlosigkeit und erklären, daß die ausständigen Arbeiter sich gegen sie wenden würden, wollte man ihnen die Aufnahme der Arbeit gegen ihren Willen anbefehlen. Diskonterhöhung der Bank in England. Während man sich) in Deutschland mit der Hoffnung einer Diskontermätzigung der Deut schen Reichsbank trug, hat nunmehr die Bank von England sich zu einem ungewöhnlich frühen Termin zu einer Heraufsetzung ihrer Bankrate um Prozent auf 5 Pro zent entschließen müssen. Wenn man auch die Möglichkeit dieser Maßnahme in Erwägung ge zogen hatte, so kommt sie doch insofern etwas überraschend, als sie unmittelbar nachdem Quar talstermin erfolgt. Man muß jedoch berücksich tigen, daß es anormale Verhältnisse waren, die die Bank von England zu ihrem Schritte ge nötigt haben. Die jetzige Heraussetzung der Dis kontrate ist nicht als ein Zeichen einer inter nationalen GeldmarAverteuerung anzusehen, son- dern sie bildet lediglich eine Schutzmaßnahme der Bank gegen die starken Goldabwanderungen. Während es der Deutschen Reichsbank gelungen ist, ihren Goldbestand im Lause dieses Jahres um über 300 Millionen Mark zu erhöhen, sind die Goldbestände der Bank von England in letz ter Zeit ständig zurückgegangen. Zu berücksich tigen war auch der in Kürze hervoickretende Geldbedarf der Balkanstaaten, für den die Bank von England gerüstet sein mutzte. Das Unge wöhnliche der Matznahtue geht schon daraus hervor, datz der Bank von England im ver gangenen Jahre, trotzdem bereits der Ausbruch des Krieges erfolgt war, erst am 17. Oktober ihre Rate von 4 auf 5 Prozent erhöhte. Das Institut ist jetzt wieder aus dem gleichen Satze angelangt, den es während der kritischen Win- termonate des vergangenen Jahres innegehabt hat und erst am 17. April dieses Jahres ver lassen konnte. Seit dem 17. April ist der Lon doner Diskont unverändert 4f^ Prozent geblie ben. Im Jahre 1911 ist der Londoner Diskont über 4 Prozent nicht hinausgegangen, in 1910 wurde er am 20. Oktober auf 5 Prozent her ausgesetzt, um am 1. Dezember wieder aus 4f^ Prozent ermähigt zu werden. Englische Unternehmungen auf Spitz bergen. Der Leiter der Northern Exploration Com pany auf Spitzbergen, Mansfeld, weilte auf der Durchreise in Christiania. Die in möglichster Stille vorbereitete englische Gesellschaft ist ein grotzes Unternehmen auf Spitzbergen, wo sie in der Kingsbai, am Bellsund, in der Braganza- bai, Vankeulenbai und Magdalenenbai sich aus gedehnte Claims sicherte. Besonders die Mar morlager in der Kingsbai sind viel versprechend, da in ihnen viele Marmortypen vertreten sind. Manssield zeigte von ihnen schöne Farbphvios. Die Engländer besitzen schon füns- unddreißig Wohnhäuser und ein grotzes Lager-, Haus in der Kingsbai, das mit der neuen Kai anlage durch Schienen verbunden ist. Es sind. Vorräte für hundert Mann auf ein Jahr vor handen; bisher wurden 2^ Millionen Mark ausgegeben. Die Vorbereitungen für das nächste Jahr sind großzügig. Die Arbeiten beginnen mit der Marmorgewinnung in der Kingsbai und dem Eisen- uud Kohlenbetrieb im Bellsund. Ein englisch-chinesisches Tauschgeschäft. England hat nach zuverlässigen Meldungen die Absicht, seinen chinesischen Hafen Wei haiwei an China zurückzugeben, das diesen Platz als Flottenstützpunkt wünscht. England beabsicht gt, dagegen die Insel Tschusan einzutauschen. Diese südlich von Schanghai ge legene Insel stellt einen außerordentlich günstigen Hasenplatz dar, der zu einem zweiten Hong kong werden könnte. Wie in Frankreich die Revanche-Idee gepflegt wird Das 26. Jäger-Bataillon, das bisher in St. Vincennes an den Toren von Paris stand, wurde nach Mussenbrück verlegt. Vor dem Abmarsch ließ General Regnault folgenden Tagesbefehl an das Bataillon verlesen: „Ihr werdet nunmehr in Mussenbrück an den Ufern der Mosel unmittelbar Metz gegenü-er der vorgeschobene Posten des Vaterlandes in Waffen sein. Dort, an der immer noch, klassen den Wunde, die der Unglückskrieg von 1870 in der Flanke unseres Vaterlandes osen gerissen hat, wird alles Euch die Betrübnisse der Nie derlage wiederholen. Die Felder, auf denen Ihr täglich Eure Uebungen abhalten werdet und von wo aus Ihr aus der Ferne die Ebene des losgerissenen Lothringens werdet erblicken können, werden vielleicht eines Tages die Schlachtfelder unserer k ü n s t ig e n Kämpfe sein. Unabsehbare Wirkungen einer rufstfchcn Probcmobiltfation. Man schreibt der „Deutschen Orient-Korr." aus Petersburg: Im Krei'e O st r o w wurde kürzlich eine Probemobilisation veranstaltet, um zu prüfen, wie die vorhandenen Einrichtungen zur Einberufung der Reservisten im Kriegsfälle sich bewähren. Die amtliche Ankündigung war so abgefatzt, datz die Bauern allgemein annah men, es handle sich tatsächlich um eine Mobil machung. Es entstand daher in den Dörfern überall eine große Bestürzung, die durch keine beruhigende Erklärung von feiten der amtlichen Stellen gebannt wurde. Ein Teil der einge zogenen Reservisten löste sofort den Hausstand auf, man verkaufte oder verpachtete den Land besitz und das bewegliche Inventar. Alle Spar einlagen wurden aus den Sparkassen zurückge zogen, wodurch eine geschäftliche Panik verursacht wurde. Erst nach drei Tagen sah sich die Behörde veranlaßt, eine aufklärende Bekanntmachung zu veröffentlichen. Für die Be hörde wird die Angelegenheit zweifellos eine ganze Reihe von Klagen zur Folge haben, da die Geschädigten die amtlichen Stellen für ihre Verluste haftbar machen wollen. Der König von Schweden erkrankt. König G u ft a v, der sich gegenwärtig auf Schloß Skabersjö in Schonen au'fhälr, ist dieser Tage erkrankt. Der heute von den Acrz-. ten ausgegebene Bericht lautet: „Der König hat seit der im Februar 1911 vorgonommenen Blinddarmoperation wiederholt an Schmerzen in der Bauchgegend gelitten. Da diese Krank heit in den letzten zwei Wochen sich wieder ein gestellt und in den letzten Tagen bedeutend zu genommen hat, haben wir dem Könige geraten, sich einer besonderen Behandlung aus Schloß Drottningholm zu unterziehen. Dies erfordert, daß der König in der ersten Zeit das Bett hüten und sich bis aus weiteres aller Negie rungsangelegenheiten enthalten muß. Die Tein-, peratur ist normal. Der Gesundheitszustand des Königs gibt zu keiner Beunruhigung Anlaß." Ruhe in Plcxiko. Nah einem offiziellen, bei der Berliner mexikanischen Gesandtschaft eingegangenen Tele-. gramm der Regierung von Mexiko ist die R e- bellion niedergeworsen. Die mili- tärischen Operationen gegen die Rebellen im Norden haben keine Bedeutung'mehr. Die Regie rling verfügt bereits über die endgültige Ver legung der Truppen behufs Kontrolle über die Nordstaaten, sie sich in Rebellion befanden. Die W a hlen sollen ftattfinden, weil sie in Ueber einstimmung mit dem Versprechen stehen, das die Regierung am 1. April dieses Jahres der Nation gegeben hat. Die Regierung ist ent schlossen, allen Kandidaten Garantien zu gewäh ren. Es liegen bereits zwei Bewerbungen vor für den Posten des Präsideilten bezw. des Vize- pr.ffidenten, so von Diaz, Reguena und Gam- bo^o-Rascon, andere werden angekündigt, unter ihnen Calero-Flores Mayon. Sscklilckts Oopeustein-Erusttha!!, 3. Oklbr. 19 l 3. — Der 1. Oktober 1913 hat für das deutsche Handwerk eine sehr wichtige Bedeutung. An ihm fand nämlich die Uebergangszeit ein Ende, die durch das Gesetz vom 30. Mai 1908 über den „kleinen Befähigungs- nachwei s" für eine gewisse Klaffe von Hand werkern für tue Ablegung der Meisterprüfung festgesetzt worden ist. Das Gesetz, das die Be fugnis zur Ausbildung von Lchrlingen nur den jenigen Handwerkern gibt, die die Meisterprü fung bestanden haben, ließ als Ausnahme nur die Fälle gelten, in denen die Meisterprüfung in einem anderen Gewerbe abgelegt ist und in de nen die Witwe oder minderjährige Erben den Betrieb eines Gewerbetreibenden, weiterführen. Das Gesetz brachte aber gleichzeitig Uebergangs- bestimmungen, durch die vermieden werden sollte, daß die sofortige strenge Auslegung seiner Be stimmungen als zu hart empfunden würde. Es wurde eine Frist von fünf Jahren festgesetzt für diejenigen Handwerker, die nach früherem Ge brauch in gewisseü Handwerkszweigen die Ge sellenprüfung nicht abgelegt hatten. Innerhalb dieser fünf Jahre sollte für solche Handwerker die Bestimmung des Gesetzes noch ruhen, die di« Zulassung zur Meisterprüfung von dem Bestehen einer Gesellenprüfung abhängig machen. Der Schlußtermin dieser Uebertzangszeit ist der« 1. Oktober 1913 Nach diesem Tage sind in der Regel nur noch solche Personen zur Meisterprü fung zugelassen, die die Gesellenprüfung bestan den und in dem Gewerbe,' in dem sie Meister werden wollen, wenigstens drei Jahre als Ge selle gearbeitet haben. Eine Ausnahme machen hinfort nur noch diejenigen Handwerker, die die Befugnis zur Ausbildung von Lehrlingen vor dorn Inkrafttreten des Gesetzes vonr 30. Mai 1908 nach den damals geltenden Bestimmungen besaßen. Wer also am 1. Oktober 1908 minde stens ein Alter von 24 Jähren hatte, fein Hand werk mindestens fünf Jahre lang persönlich und selbständig betrieb oder es in leitender Stellung (z. B. als Werkmeister) ausübte, muß auch noch nach dem 1. Oktober 1913 zur Meisterprüfung zugelassen werden, ohne daß er die Ablegung der Gesellenprüfung nachzuweisen braucht. Denselben Anspruch haben alle Handwerker, die ihr 17. Le bensjahr spätestens am 1. April 1901 vollendet hatten und die den Nachweis einer mindestens zweijährigen Lehrzeit in ihrem Handwerk zu erbringen vermögen. — Zu der Frage: „Können Zwangs-, innungen ihren Mitgliedern die öffentliche Bekanntgabe der Preise ihrer Waren und L e i st u n c, c n verbiete n?" hat der Mini ster für Handel und Gewerbe folgenden Erlaß bekanntgegeben: „Die Frage, inwieweit Zwangs-, innungen berechtigt sind, ihren Mitgliedern die öffentliche Bekanntgabe der Preise ihrer Waren und Leistungen zu verbieten, ist in den bisher zu meiner Entscheidung gelangten Fällen —, unter Berücksichtigung der jeweiligen besonderen Umstände des Einzelfalles — grundsätzlich da hin entschieden worden, daß einem solchen Ver bote zwar die Vorschrift des 8 100 g der Ge werbeordnung nicht entgegensteht, daß die Zwangsinnnngen aber gleichwohl durch ein der artiges Verbot ihre durch § Z 100, 100 c, 81a Im Geistert«!. Ein Roman von der Insel Mallorka von Anny Wothe. 23) tNachdruck verboten.) Jamos Antlitz war erdfahl geworden. Die grauen Augen glühten wie schwarze Kohlen, und auf der breiten Stirn schwoll dick die Ader des Zornes. Es war, als wollte er in wilder Empörung losbrechen, aber nur einen Moment, dann sank die hohe Gestalt ganz in sich zusam men. Wie ein alter Mann erschien ihr der Ver walter plötzlich, als er dann leise sagte: „Ich darf Ihnen noch nicht einmal zürnen, mein gnädiges Fräulein, datz Sie mich gewis- fermatzen für einen Jongleur halten, der mit seinen Schmerzen spielt, denn Sie kennen mich gar nicht, und ein Blick ins Auge scheint Ih nen ja beim ersten Sehen auch nicht verraten zu haben, datz ich trotz allem und alledem doch ein ehrlicher Kerl bin. Ihr Auge hat mir mehr verheißen, denn es kündet mir, datz Sie ver stehen, eines Freundes Freund zu sein, wie es bei Ihnen in Deutschland heisst, Deutschland, das ich liebe, wie einen fernen, schönen Traum." Er hatte einen Moment die Hand über die Augen gelegt, und Mare hatte plötzlich gefühlt, wie ihr Herz ganz unsinnig wild in der Brust gehämmert hatte. Sie hätte ihm gern ein gu tes Wort gesagt, aber sie konnte es nicht. Alles in ihr sträubte sich gygen den fremden Mann, der ihre Herrin verletzt, der sich mit dem Nimbus des Geheimnisses umhüllte, der als Einsiedler sern von den Menschen lebte und heimlich Simoneta liebte. Nein, sie konnte die sem Manne niemals sreundschasilich gegenüber stehen. Er mochte in ihren Astgen lesen, was sie dachte, denn seine fast durchbohrenden Blicke wurden plötzlich glanzlos und matt. Das Meer lag im trägen, grauen Mittags sicht, und schläfrig schlugen die Wellen gegen die hohen Felsenmauern. Von den Rosen ging ein betäubender Dust aus, der legte sich den beiden Menschenkindern mit schwülem Hauch auf die Brust, fodatz die Lippen plötzlich zitterten und sich durstig, wie nach Labe lechzend, öff neten. Was war das zwischen ihnen beiden? Mare haste unwillkürlich die Hand aus die Brust gepresst. Der Blick des Mannes, der dort vor ihr stand, versengte sie plötzlich. Die weitzen Callas im Gesträuch neigten tief ihre Häupter, matt hingen sie von dem schlanken Stengel wie be tende Menschenhäupter hernieder, und um Mare und den fremden Mann her brannte die sinn verwirrende Mttagsglut des endens. „Mittagszauber", dachte Mare matt und machte den Versuch, dem Rosenschlosse zuzuschrei ten. Da aber war ihr plötzlich der Spanier in den Weg getreten. „Nein, Sie sollen, Sie dürfen nicht so von mir gehen", war es leidenschaftlich von seinen Lippen gekommen, „so nicht. Ich weitz zwar, datz ich mich durch meine Worte ganz in Ihre Hände gebe, aber sie mögen auch ein Beweis sein, welches grenzenlose Vertrauen ich zu Ihnen hege, Sie, deren Augen so tief sind wie das Meer meiner Heimat, wenn es im blaugrünen Licht schimmert und funkelt." Und als sie abwehrend die Hände gegen ihn ausgehoben, da hatte er Ivie gegen sich selbst wütend in tiefer, verhaltener Leidenschaft ge sprochen: „Man verfolgt mich! Schuldig oder schuldlos, ich weih es nicht. Seit fünf Jahren leide ich hier in tiefster Einsamkeit, sern von den Men schen, allein mit meinen Gedanken, meiner Reue, meiner Buhe. Die Gnade der Prinzessin, die mich, den Heimatlosen, in selbstloser Güte in ihren Kreis ziehen will, würde, wenn ich ihr folgen wollte, mich ohne Zweife ver nichten. Ich muh also, selbst wenn es mich mit tausend Fäden zu ihr ziehen würde, aus die Huld, in der Nähe Ihrer Hoheit zu atmen, ver zichten!" Ganz betäubt hatte ihm Mare zugehört. „Aber der Prinz", hatte sie nur stammeln können, „der Prinz kommt! Gegen seinen Wil len gibt es keine Auflehnung." „Ich hoffe auf sein fürstliches Wort, das mir vollständige Isolierung meiner Person zu sichert. Wenn nicht, dann muh ich meinen Stab weitersetzen, aber ich wollte es nicht eher tun, als bis ich Ihnen gesagt, dah nicht ein Unwürdiger, nur ein Unglücklicher heimlich einen Zufluchtsort verlieh, der ihm lieb und wert ge worden ist, an dem man ihm nur Gutes er wiesen und Huld, die er nun vielleicht, wenn auch nur scheinbar, mir Undank lohnt." „Sie dürfen nicht sliehen", hatte Mare hef tig und atemlos erwidert. „Sie dürfen nicht leichtfertig einen Zufluchtsort aufgeben, der Ih ren Sicherheit und Schutz gewährt. Was Sie auch getan haben, Don y Cole, es wird sich süh nen lassen. Vertrauen Sie sich der Prinzessin oder noch besser dem Prinzen an. Er ist streng, aber gerecht. Er wird Ihnen gewitz helfen. AVer häufen Sie nicht neue Schuld auf die alte, indem Sie — verzeihen Sie — feige die Flucht ergreifen, die nur Sorge und Elend für Sie im Gefolge hat." Jamos y Cole hatte den Kops tief gesenkt. Die Bäume und Sträucher schimmerten;' in Schleiern eines flammenden Lichts. „Ich danke Ihnen, Fräulein v. Lübben, für das gute Wort", hatte er erwidert, während feine Lippen leise zuckten. „Ich will es als eine Erinnerustg bewahren für mein einsames, stil ¬ les Leben, und es mit mir nehmen, wenn mich -das Schicksal wieder hinaus in unbestimmte ! Fernen wirft." Und das Haupt leicht neigend, Ivar er in all dem Mittagsglanz dahin geschritten, zwischen den feuerroten Granatbäumen, deren Blüten feine Stirn streiften. Mare hatte nicht einen einzigen Laut er widern können, aber wie Flammen hüllten sie noch jetzt seine Worte ein, als sie so allein durch das Geistertal schritt und der heutigen Begeg nung gedachte. Sie hatten in der Landessprache mitein ander gesprochen, aber Mare dachte plötzlich: „Er ist kein Spanier, kein Mallorkiner — er muh, er muh ein Deutscher sein!" Scheu sah sie sich plötzlich im Weiterschrei ten um. Wurden da nicht vor ihr Schritte laut? Ka men sie nicht näher und näher? Nein, sie hatte sich getäuscht. Hier gab es keine Wanderer im Geisterml. Hier war ihr noch nie, auher damals am Sturmtag Jamos y Cole und Simoneta, ein Mensch begegnet. Simoneta! Warum drängte sich ihr, als sie dieses wil den Kindes der Balearen gedachte, plötzlich wie der so Heitz das Blut zum Herzen? Was ging es sie denn an, wenn das schöne, braune Kind Jamos y Coles Geliebte war? Jetzt war es Mare wieder, als vernähme sie Schritte, als fühlte sie die Nähe eines Men schen. Aufmerksam blickte sie den sich leicht senken den, steinigen Weg des Geistertales hinab. Sie konnte niemand entdecken. Sollte sie umkehren? Nein, die Prinzessin würde sie auslachen, datz sie aus Furcht ein fach davongelaufen wäre, und zudem hatte sie auch der Prinzessin versprochen, Frater Tama deus zu bitten, datz er am Sonntag in der Kapelle des „Castell de ses roses" die jheilige Messe lese. Freilich, es war noch ein gutes Stück Wegs bis zu der Felsenhöhle des frommen Franzis kaners, aber die Sonne stand noch hoch am Himmel, und Mare kam wohl noch gut zurecht. Und wieder stand das blonde Mädchen in dem futzfreien, weitzen Öodenkleide, einen großen, weitzen Hut mit rosa Rosen in der Hand, still und lauschte. Horchte sie auf die Tritte, die immer näher und näher kamen, oder lauschte sie dem ungestümen Schlag ihres Herzens? Was hatte er doch zu ihr gesagt, der fremde Mann: „Ich weih, datz ich mich durch meine Worte ganz in Ihre Hände gebe." Wäre es nicht Wahnsinn von Jamos y Cole, ihr, der ganz Fremden, sich so auszuliefern? Wenn sie nun sein Vertrauen mißbrauchte? Wenn sie hinging und ihn verriet? War es nicht vielleicht sogar ihre Pflicht, dem Prinzen oder der Prinzessin zu sagen: Hier lobt einer, der Ursache hat, sich zu verbergen, den man sucht, damit er sühnen kann?" Mare atmete schwer. Wie ihr Herz klopfte. Wie ein wildes Hämmern war es in ihren Schläfen. „Nein, ich könnte ihn nicht verraten", dachte sie, „selbst dann nicht, wenn er so schuldig wäre, daß die Welt ihn steinigte." Marc schauerte leise zusammen. Glaubie sie denn an seine Schuld? Und wieder klangen unheimlich die Schritte in dem siillen Geistertal, in welches die Sonne nur noch ein mattes Licht warf. Als das junge Hosfräulein, das tapfer ausschritt, jetzt plötzlich wie erschreckt die Augen aufhob, sah sie gerade an der Wegbiegung dicht vor sich einen Mann. Er war von großer, schlanker, sehniger Ge stalt, mit schwarzem Haar und Bart und dunk len Augen. Er trug die Landestracht: Weite Pumpho sen, die enge Jacke mit bunter Schärpe um den Leib, und auf dem lockigen Haar den roten „Sombra" eine Art Turban, der in den Städ ten Mallorkas jetzt mehr und mehr verschwindet. Ueber die Schulter hing ihm der Dudelsack. Als er Mare gewahrte, ließ er sich sofort auf einem Stein am Wege nieder, riß den Du delsack von der Schulter und entlockte ihm seine melancholischen Weisen. In weichen, klagenden Lauten klang es an ihr Ohr. Am liebsten wäre Mare jetzt umgekehrt. Aber es blinkte ihr doch zu närrifch, vor dem gewitz harmlosen Dudelsackpfeifer Reißaus zu nehmen. Hastig griff sie in ihre Jackentasche. Welch ein glücklicher Zufall! Sie hielt eine „Peseta" in der Hand. Nun ging sie schnell vorwärts, im Vorbei gehen dem Dudelsackpfeifer die Silbermünzo reichend. Sofort, als hätte er nur darauf gewartet, brach er sein Spiel ab und sagte, ausstehend, mit tiefer Verneigung: „Habt Dank, Madonna. Alle Heiligen mö gen Euch schützen." Mare erschrak und sah aufmerksam in das Gesicht des Mannes. So sprach kein Eingebore ner des Landes. Das Kastilianische des Mal- lorkiners klang ja fast wie ihr eigenes Gemisch, von kastilianisch und mallorkinisch, das sie im mer wieder durcheinander mischte. „Ein Deutscher", ging es wie ein Schreck durch ihre Seele, „und noch dazu in Verklei- dustg." Fast stand ihr das Herz still über ihre Ent deckung, aber der Mann am Wege, der mit strählenden! Augen di? Silbermünze betrachtete, sah ganz harmlos zu ihr auf. ^Fortsetzung folgt.)