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^4 58 Leine selige Mama zu sagen pflegte, ein unpraktischer ! Mensch — mein Sinn schwebt eben höher als im Bereich i der Alltagsgeschäfte, . . . aber so viel ist mir klar, wenn Lu auf Scheidung bestehst, so ist es jetzt höchste Zeit, dir einen Advokaten zu nehmen/ „Wozu das?" „Nun, damit dein Interesse gewahrt werde ... du hast doch Anspruch auf einen entsprechenden Unterhalts- betrag, — Frankenburg mutz dir " Hertha sprang auf und begann heftig zu zittern. „Nichts, nichts" — rief sie, „nicht einen Heller von ihm!" „Aber Kind —" „Bater, wenn du mich nicht zur Verzweiflung bringen willst, so ehre meinen Entschluß! ... Er ist auch unwider ruflich . . . Anders kann ich in meinen eigenen Augen nicht entsühnt werden. Dieses infame Geld. . . nicht nur mein Leben noch ein anderes viel teuereres hat er zugrunde gerichtet . . ." Sie brach in krampfhaftes Weinen aus und stürzte aus dem Zimmer. „Verrücktes Ding!" brummte der Graf. Da sich Hertha zum Gabelfrühstück nicht zeigte, wurde er doch unruhig und ging hinüber, uni nach ihr zu sehen. Er fand sie sehr abgespannt und gedrückt. Sie klagte über Mattigkeit und Verstimmung, und ihr ganzes Gehaben war so beängstigend, daß der Graf vorschlug, den Arzt rufen zu lassen. Sie ging mit auffallender Lebhaftigkeit auf den Vor schlag ein, und der Vater beeilte sich, den nötigen Auftrag zu geben. Im Laufe des Nachmittags erschien der Gerufene. Nach längerer Untersuchung erklärte er den Zustand für nervös und erteilte dieselben Ratschläge, die sie schon in früheren Zeiten zur Genüge erhalten hatte. „Und was macht Ihr Kranker drüben?" fragte sie plötzlich. „Der Baron Erich? Ach, schlecht geht es ihm. Das ist einer von den Fällen, denen der Arzt machtlos gegen übersteht. Was helfen die kleinen Erleichterungen, die man ihm verschaffen kann, die aber nicht für die Dauer wirke.ü" „So ist keine Hoffnung vorhanden?" wagte sie bebend zu fragen. „Lieber Gott! Wenn er die kräftige Natur hätte von früher, dann könnte man sagen, vielleicht arbeitet er sich noch heraus. Aber er ist total gebrochen, körperlich und geistig; die Lebensenergie ist weg. Er ist einer von den wenigen Patienten, die sich nichts vorlügen lassen, die sich nicht ans Leben klammern." „Vielleicht gäbe es doch ein Mittel, seine Lebensgeister zu wecken." „Ich weiß keines mehr. Es ist doch bekannt, wie er an seiner armen Mutter hängt. Na, ich hab' gedacht von dieser Seite ließe er sich am ehesten packen. Wenn ich ihm aber vorhalte, wie die unglückliche Frau leidet und wie er sich doch bemühen sollte, seine Melancholie und Freudlosigkeit abzuschütteln, wie das von guter Wirkung für ihn selbst wäre, dann sieht er mich so eigen tümlich an und sagt: Es gibt Dinge, die man nicht abschütteln kann, manchmal stecken eben Empfindungen so tief drinnen, daß sie mit uns eins bilden . . . Oder wenn ich ihm eins Besserung suggerieren will, was oft erfolg reich ist, und zu ihm sage: Aber heut steht's ja viel besser! jetzt heißt's nur ein bißchen mithelfen und gesund werden wollen, — dann schüttelt er den Kopf und meint, das ver fange nicht bei ihm . . . Kurz, in der Beziehung ist er ein schrecklicher Patient, er sieht dem Tode so ruhig ent gegen, daß ich glauben muß, er wünsche eigentlich gar nichts anderes." Hertha blickte nachdenklich zu Boden; sie kämpfte einen harten Kampf mit ihrem Herzeleid, das sie zu unterdrücken suchte, um dem Arzte gegenüber unbefangen zu scheinen und eine Idee auszuführen, die ihr plötzlich gekommen war. Sie wußte, der gute Mann war schwatzhaft und liebte es, seinen Schutzbefohlenen Neuigkeiten bringen zu können, und daraufhin zielte ihr Plan, den sie in diesem Augenblick gefaßt hatte. Es kostete sie viel Überwindungs- kraft, um nun einen natürlich scheinenden Ton anzuschlagen, indem sie sagte: „Ja, er hat eigentlich recht, wenn er sagt, es gibt ! Empfindungen, die manchmal so tief drinnen stecken, daß sie mit uns eins bilden! Davon kann auch ich ein Wort reden." „Sie, Frau Gräfin?" „Jawohl. Sehen Sie, Doktor, was Sie bei mir ! Nerven nennen, und was auch andere Ärzte auf diese Weise bezeichnet haben, das ist etwas anderes. Das ist auch hier zu suchen", und sie wies auf das Herz. „Wenn man so wie ich zur Überzeugung gekommen ist, daß das Leben ein verfehltes, ein verpfuschtes ist, dann sieht es eben mit der Lebensenergie traurig aus." „Aber, Frau Gräfin, Sie! Jemand, der doch in be neidenswerten Verhältnissen —" „Das ist es ja, lieber Freund. Alle Weck glaubt, man sei beneidenswert, wenn man im Überflüße lebt. Nun, ich will Ihnen das Gegenteil beweisen, ich habe die Absicht, diesen glänzenden Verhältnissen für immer zu ent sagen. „Nicht möglich! Sie wollen —" „Ich will mich scheiden lassen." „Ah, da hört sich doch alles auf!" „Es ist so . . . Ihnen als altem Freund des Hauses kann ich's doch anvertrauen, diese Heirat war nie mein Wunsch. Sie haben viele Menschen im Leben kennen ge lernt; Sie werden auch öfter als einmal die Erfahrung gemacht haben, daß die Frau im Vergleich zum Manne ein willenloses Geschöpf ist, für das andere in gewissen Lebenslagen handeln und entscheiden. Hier war es meine arme Mutter, die meinte, ihrer Tochter eine glänzende Zukunft zu gestalten. Mütter wollen ja immer am besten wissen, was ihren Töchtern frommt. Nun, ich kann Sie versichern, sie hätte mir kein elenderes Loos als dieses be reiten können. Sie hat mir Millionen verschafft, aber dazu einen ungeliebten Mann, mit dem ich von allem An fang an schon unglücklich ivar." „Ja, aber da hätten Sie sich doch dagegen wehren - sollen!" „Natürlich hätte ich das sollen! Und das ist ja eben das, was mich heute so guält. Wohl kann ich mich los machen, und ich will es auch tun, aber das macht so manches nicht besser, das ändert nichts an der Tatsache, daß ich ein tiefunglückliches Geschöpf bin, daß eben mein ganzes Leben verfehlt ist. Und sehen Sie, Doktor, so werden Ihre Beruhigungsmittel und Ihre gutgemeinten Ermahnungen bei mir gerade so wenig fruchten, wie drüben bei Ihrem armen Kranken." Er schüttelte den Kopf. „Wissen Sie, daß Sie da aus gezeichnet zum andern", er wies mit dem Daumen nach der Richtung von Feldegg, „passen würden. Wer weiß, oh ich nicht Erfolg hätte, wenn ich Sie beide zusammenbrächte und Ihnen Gelegenheit gäbe, Ihre trüben Betrachtungen auszutauschen." Eine heftige Röte stieg ihr bei diesen Worten in die Wangen, und sie wandte das Gesicht ab, uni dem andern ihre Erregung zu verbergen. Dann sagte sie plötzlich: „Wir waren einmal sehr befreundet. Aber meine Heirat hat unsern Verkehr unterbrochen." „Ja, und er ist dann auf Reisen gegangen." „So ist es. Und ich bin auch in der Welt herum zigeunert. Wir habe beide auf längere Zeit unsere Heimat verloren." Der Arzt war sehr nachdenklich geworden; eine lange Pause trat ein, bis er wieder das Wort ergriff, und frug: „Können Sie mir nicht sagen, stand er mit Ihnen aus genügend freundschaftlichem Fuße, um Sie zur Vertrauten zu machen?" „Wie meinen Sie das?" „Nun, hat er Ihnen nie irgendeine Mitteilung oder eine Anspielung gemacht, daß ihn etwas sehr bewegte, — etwa ein Herzenskummer oder so etwas Ähnliches?" „Warum diese Frage?" „Weil mir eben scheint, daß etwas an ihm nagt, waS sozusagen neben seinem eigentlichen Leiden mitläuft. Er ist ein — Weiberfeind geworden. Natürlich seine Mutter ist da ausgenommen, — aber sonst —" „Haben Sie nie diese Frage an ihn selbst gestellt?" „Hm, ja . . . Angesvielt habe ich wohl, aher er ist mir immer durchgeglitten." (Fortsetzung folgt.)