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Der auf einen sittenstrengen Lebenswandel t gerichtete Linn der Pietisten nahm Anstoß an i der Sittenlosigkeit des katholisch gewordenen l Hofe». Deshalb verbanden sie sich mit ihren < orthodoxen Gegnern zur Abwehr der röm.-kath. Propaganda. t Bewegte Zeiten heiße» Aampfes aber sind i für die innerliche Erstarkung von viel größerer i Bedeutung als Zeiten einer faulen Ruhe. i Das zeigte sich im weiteren Laufe der ge- l schichtlichen Entwicklung immer deutlicher. Sicher hatte jesuitische Berechnung und Hinterlist einst f geglaubt, durch den Ilebertritt August des Starken ! und besonders des Aurprinzen die ganze evang. , Kirche des Sachsenlandes schwer zu schädigen, l wenn nicht gar auszurotten. Aber gerade das l Gegenteil geschah Ls bewahrheitete sich wieder i einmal das uralte Wort: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, z aber Gott gedachte es gut zu machen" (s. Nose < 5V, 20). — Was die evangelische Kirche des i Landes tödlich treffen sollte, das ward ihr in i gewissem Sinne zum Segen. Durch den Aeber- tritt des Regentenhauses zum Katholizismus er- i hielt tatsächlich die sächsische Landeskirche eine , größere Bewegungsfreiheit. Za, dieser Ueber- , tritt bewahrte die evangelische Landeskirche an , zweiter Stelle vor der Gefahr der CaesLreo- l pupie. , Wie groß diese Gefahr war, das zeigt die ! Geschichte der sür die vertriebenen Salzburger , «v.-luth. Glaubensgenossen im Sachsenvolke s?32 gesammelten Kirchenkollekte. Diese ergab die für die damalige Zeit horrende Summe von 28 366 Thalern 2s Groschen und 6^0 Pfennigen. Der katholische Kurfürst August 1Ü. aber ordnete einfach an, daß diese Kollekte zum Weiterbau der Frauenkirche zu Dresden verwendet werde, wobei es auch blieb trotz aller Gegenvorstellun gen des Geheimen Consiliums und des Vber- konsistoriums. Vbwohl hier unterlegen, wurden die staat lich kirchlichen Behörden doch nicht müde, über die ihnen anvertraute evangelische Kirche auf da» treueste zu wachen. Das zeigte sich deutlich bei der Bekämpfung der durch den Rationalis mus und die sogenannte Aufklärung der evan gelischen Kirche drohenden Gefahren. Gegen diese beiden, das Christentum ver flachenden Nächte hielt am Reformationsfest s8oO der Dberhofprediger Reinhard seine zur kirchengeschichtlicher Bedeutung gelangte Predigt über das Thema: „Wie sehr unsere Kirche Ur sache habe, es nie zu vergessen, sie sei ihr Da sein vornehmlich der Erneuerung des Lehrsatzes von der freien Gnade Gottes in Christo schuldig." Minister von Burgsdorf ließ diese Predigt auf Anordnung des Geheimen Consiliums drucken und an alle Kirchgemeinden des Landes versen den. Gerade diese Anordnung der höchsten kirchlichen Staatsbehörde aber beweist es, wie ernst sie ihre Pflicht nahm, sür die Erhaltung der höchsten Güter und Errungenschaften der Reformation jederzeit einzutreten. Diese Wachsamkeit treu gesinnter staatlich kirchlicher Vberbehörden sorgte nun auch dafür, daß die Segnungen, welche im Zahre ^83s die Einführung der Verfassung dem Volke brachte, auch der Kirche zu teil wurden. Die bisherigen kirchenregimentlichen Rechte des Geheimen Lom-ilinms gingen mit Einführung der Verfassung auf die m evaogelicis beauf- ' tragten Staatsminister über. Und wie das Volk durch die Verfassung tätigen Anteil an der Ge staltung seine» Geschickes erhielt, so ward auch die Kirche, wenngleich erst später, durch die Einführung der Kirchenvorstand«- und Synodal ordnung in den Stand gesetzt, sich auch freier entwickeln zu können. Diese Einführung des Parlamentarismus in die Kirchenverwaltung und das Kirchenregi ment bewahrte an dritter und letzter Stelle unsere Kirche vor der Lsessreopspie, dieser auf das kirchliche Gebiet sich erstreckenden Despotie. Däfür aber ließ dieser kirchliche Parlamen ¬ tarismus zwei neue Gefahren für die Landes kirche entstehen, die unter dem früheren nur vom Staate ausgeübten Kirchenregimente gar nicht ! aufkommen konnten. Die erste dieser Gefahren geht von oben aus. Das Heilandswort: „Aiemand kann zween Herren dienen" ist unumstößliche Wahrheit. Ebenso richtig aber ist es, wenn man sagt: Ei« Herr kann wohl zwei und mehr Diener befehligen. . Solange also der Landesherr wirklich ab soluter Herr über den Staat und zugleich über die Kirche war, war es möglich, daß er mit voller Gerechtigkeit als Schiedsrichter in solchen Lagen, wo staatliche und kirchliche Interessen kollidierten, entscheiden konnte. Er befahl, und was er sagte, mußte geschehen. Aber schon das Wort des großen Hohen- zollernsürsten: »Ich bin der erste Diener des Staates", zeigt an, daß auch der Regent, je idealer er seinen Berus als ihm „von Gottes Gnaden" verliehen auffaßt, sich eben nicht als „Herr", sondern als „Diener" des Staates sühlt, und genau so regelt sich dann sein Verhältnis zur Kirche. Und nun trifft wieder das Heilands wort zu: „Niemand kann zween Herren die »e»' Und wenn es nun hierbei auch nicht gerade weiter heißen muß: „Entweder er wird einen hassen und den andern lieben', so gilt doch sicher die Fortsetzung: „oder wird einem anhangen und den andern, wenn auch nicht ge rade „verachten", so doch — „vernachlässigen . Mit andern Worten die Gesahr — ich will nicht sagen — liegt nahe, aber — ist sicher vorhan den, daß im Verfassungsstaate eine oberste Be hörde, die sowohl an der Spitze des Staates, wie der Kirche steht, in Konfliktsfragen zwischen beiden mehr auf die Stimme ihres staatlichen, als ihres kirchlichen Gewissens hört. Doch dieser von oben drohenden Gefahr kann begegnet werden durch das Gegengewicht des kirchlichen Parlamentarismus, indem die durch die Kirchgemeinden gewählten Kirchenvor stände und vor allem die durch diese Kirchen vorstände gewählte Synode dann nachdrücklichst die vom Staate gefährdeten Rechte der Kirche wahrnehmen und mit aller Energie verteidigen. Hierbei aber kann es nun leicht geschehen, daß man bei der Abwehr der ersten Gefahr in j die zweite Gefahr gerät, die von unten droht. Es bewahrheitet sich dann das alte lateinische Sprichwort: „Inciäit ia Lo^Usm, c;ui vult vi- ture Ldni^bclim", was, formell frei, aber in haltlich richtig übersetzt, lautet: „Wer auf hoher See vom brennenden Schiffe, um dem Tode zu entgehen, in das Wasser springt, der ertrinkt". Die zweite, von unten drohende Gefahr ist nun wieder eine doppelte: Zunächst war es bei Einführung des kirchlichen Parlamentarismus möglich, daß auf Grund der allgemeinen Wahlen Männer in den Kirchenvorstand und durch diesen wieder in die Synode kamen, die gar keine lebendigen Glieder der Kirche mehr waren, son dern ihr nur noch dem Namen nach angehörten, ja — trotz ihrer äußerlichen Zugehörigkeit zur Kirche — dieser gar feindlich gesinnt sein konn ten. Dieser gewiß großen Gefahr für das kirch liche Leben, ja selbst für den Bestand der Lan deskirche als solcher hat nun von allem Anfang an unser Kirchenregiment, — und dafür ist ihm die ganze Bevölkerung den größten Dank schuldig, — dadurch unmöglich gemacht, daß es die Ver leihung des kirchlichen Wahlrechts an eine ein wandfreie, kirchliche Gesinnung des sich melden den Wählers knüpft. Nur der darf das kirch liche Wahlrecht ausüben, der am wachsen und Gedeihen der Kirche wirkliches Interesse hat und durch sein ganzes Verhalten kirchliche Ge sinnung an den Tag legt. Kirchenfeinde sind deshalb ohne weiteres vom kirchlichen Wahlrecht ausgeschlossen, eine Vorsichtsmaßregel, die der Staat für die Verleihung seines politischen Wahl rechts leider nicht rechtzeitig genug geltend ge macht hat. Diese Vorbeugungsmaßregel ist in letzter Zeit noch mehr betont worden durch die jetzt notwendige, schriftliche Erklärung, in der jeder, der sich zur Wählerliste anmeldet, sich verpflichtet, das kirchliche Leben in der Gemeinde in Ueber einstimmung mit den Ordnungen der Kirche zu fördern. Aber diese Anordnung des Kirchenregiments ist mehr als eine Vorbeugungsmaßregel, den Einfluß unkirchlicher Elemente auf das kirchliche Leben zn verhüten. Wir sehen in ihm zugleich den wohlgelungenen Versuch, in der „Volkskirche" oder „Aachwuchskirche", wie man sie auch nen nen könnte, eine Art „Freiwilligkeitskirche" groß zu ziehen, oder wie Rendtorff sagt, einen, wenn auch bescheidenen freikirchlichen Einschlag in die Vrganisation der volkskirchlichen Gemeinde, einen Ausbau der Unterscheidung von „Einge- pfarrten oder ksrockisoen" und „Gemeinde gliedern", wobei zu den Eingepfarrten alle ge tauften Glieder der Kirchgemeinde, zu den eigent lichen „Gemeindegliedern" aber nur die wirklich kirchlich lebendigen, kirchlich interessierten Glieder der Gesamtgemeinde zu rechnen wären. Diesen versuch, durch eine freiwillige Er klärung des bewußten Zugehörens zur Kirch gemeinde den Wert der durch Geburt und Taufe gegebenen, so zu sagen angeborenen Kirchenmit gliedschaft zu erhöhen, hatte man schon früher gemacht und zwar ganz im Anfänge der Zeit, wo in den deutschen Ländern die Landeskirchen sich bildeten. — Nan machte die persönliche Unterwerfung unter die Kirchenhoheit zur Vor aussetzung der vollinhaltlichen Kirchengliedschaft, indem man den in der Kindheit getauften Nach wuchs der Kirche durch die bei der Konfir- matio« abgegebene Erklärung der Treue gegen die Kirche erst zu vollwertigen Gliedern der Kirchgemeinde erhob. Diese Einrichtung, zunächst von Bugenhagen für Pommern und von Butzer für die hessische Kirche noch zu Lebzeiten Luthers angeordnet, fand in unsrer Landeskirche erst viel später Ein gang und zwar durch den vorhin schon erwähnten Pietismus. Hierbei ist interessant, daß die Konfirmation, ebenso wie die Beichtrede vor jeder Ausspendung des heiligen Abendmahles, erst von einzelnen Gemeinden eingesührt wurde, dann die kirchen- 1 regimentlicht Billigung fand und sodann für die ganze Landeskirche augeordnet wurde, — auch dies ein Beweis, wie mitten in der staatlich regierten Kirche dennoch individuell kirchliches Einzelleben und Linzelstreden sich entfalten und auf die gesamte Kirche Einfluß gewinnen konnte. Lo wie die Konfirmation aber Kirchen- gefr^ wurde, verlor sie auch den Charakter einer freiwilligen Zugehörigkeitserklärung zur Kirche, da eben nunmehr der Ltaat alle christ lichen Eltern zwang, ihre Kinder konfirmieren zu lassen- Dieser Zwang ist ja jetzt ausgehoben. Aber trotzdem kann man auch jetzt noch nicht die Konfirmation als eine freiwillige Erklärung kirchlicher Zugehörigkeit auffassen, dazu steht, — ich möchte sagen, Gott sei Dank! —, die Konfirmation noch zu sehr unter dem Zwange der kirchlichen Sitte, auch sind die Konfirmanden noch viel zu jung, um die volle Verpflichtung einer solchen Erklärung fassen zu können. Ls ist deshalb völlig zu billigen, daß die freiwillige Erklärung als Bedingung für das kirchliche Wahlrecht erst nach vollendetem 25. Lebensjahr« abgegeben werden kann. Soweit es nun menschlicher Gesetzgebung überhaupt möglich ist, ist durch diese für die Wahlrechtsverleihung geforderte, freiwillige Er klärung die Gefahr, daß unsere Landeskirche aus einer .Volkskirche" zu einer „Pöbelkirche" wer den könnte, beseitigt. Freilich ist es dabei un erläßlich notwendig, daß die berufenen Vertreter der Kirchgemeinde, die Kirchenvorstände, auch gewissenhaft darüber wachen, daß alle Gemeinde- glieder, die trotz der abgegebenen Erklärung kirchenfeindlich gesinnt sind, ohne jede Nenschen- furcht aus der Wählerliste gestrichen werden.