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M Wk M Ml! vriginalroman von H. C o u r t h s-Mahler. 42j (Nachdruck verboten.) Elisa hielt sich noch immer in dem fried lichen Doktorhäuschen aus. Weder Tante Jo hanna noch Ernst hatten etwas davon wissen wollen, daß sie sich schon jetzt wieder um eine Stellung bemühte.. Elisa war von Herzen dank bar für die liebevolle Ausnahme, die man ihr zuteil rverden ließ. In ihrer schmerzlichen Stim mung empfand sie es wie eine große Wohltat, daß sie im Hause dieser lieben, verständnisvollen Menschen ganz nach ihren eigenen Wünschen le ben konnte. Ernst Heinzius zeigte ein besonders feines Verständnis für ihren Seelenzustand und umgab sie mit einer zarten Fürsorge. Täglich gewann er sich ein Stündchen für sie ab, und als der Frühling seins Vorboten ins Land schickte, unternahm er täglich einen Spaziergang mit ihr. Meistens machte sie eine Promenade um den See, an dessen Ufer das Doklorhäuschen inmit ten eines großen Gartens lag, der nun bereits bestellt war. Dieser See übte auf Elisa, wie auf alle sensitiven Menschen, eine geheimnisvolle An-- ziehungskraft aus. Die Sage ging, daß er an manchen Stellen unergründlich tief sei, und daß er nie ein Opfer herausgab. Wer in den See stürzte und ertrank, dessen Leiche kam nicht wie der zum Vorschein. Das lag aber viel weniger an der großen Tiefe des Sees. Der Boden war nur dicht mit Schlinggewächsen, Schlamm und allerlei Wasserpflanzen bedeckt, und was da in die Tiefe sank, wurde festgehalten. Die Stadtbewohner hatten trotzdem alle Ur sache, mit diesem See zufrieden zu sein. Nicht nur, daß er einen großen Fischreichtum barg, bot er der Jugend auch Sommer und Winter viel Vergnügen. Im Winter sausten die Schlittschuhläufer darüber hinweg, und sobald der Frühling ins Land gezogen kam, wurde der Ruder- und Se gelsport fleißig betrieben. An dem nördlichen und westlichen Ufer zo gen sich liebliche Waldungen hin, im Osten und Süden dagegen waren hübsche Häuser mit Gär ten. Das Doktorhaus war eines der ältesten davon. In den letzten Jahren waren viel moderne Bauten aufgeführt worden, darunter zwei sehr stattliche Hotels, die zugleich Vergnügungsgärten bis dicht an den See angelegt hatten und eine Reihe von Ruderbooten ihren Gästen leihweise zur Verfügung stellten. Auch in dieses friedliche Städtchen drang der Zug der neuen Zeit. Die Einwohnerzahl wuchs von Jahr zu Jahr, die Eisenvahn brachte Fremde herbei, die Geschäfte hier zu erledigen hatten und sich wohl auch ganz gern einige Tage hier aufhielten. Eine Bootsfahrt aus dem See bis hinüber zll den waldigen Ufern, wo es sich herrlich un ter alten Buchen und Eichen rasten ließ, gehörte zu den hervorragendsten Belustigungen, die das Städtchen zu bieten hatte. An den Sonntagen zog alt und jung hin aus an den See, und selbst noch in der Dunkel heit schwammen die hübschen, leichten Boote, mit Lampions geschmückt, über das Wasser, und jugendfrische Singstimmen schallten herüber und hinüber. Dieses Jahr war an den Ostertagen der Wassersport eröffnet worden. Auch Elisa und Ernst Heinzius hatten sich um die Mittagszeit des ersten Ostertages bei herrlichem Sonnenschein auf den See hinaus gewagt. Ernst Heinzius besaß selbst ein hübsches Boot, das an dein Rudersteg hinter dem Gar ten befestigt war, wenn es nicht benutzt wurde. Weil es immerfort auf dem Wasser noch kühl war, setzte sich auch Elisa mit an die Ru der. So war sie früher wohl schon zuweilen mit Ernst hinübergerudert nach dem Walde. Die frische, würzige Frühlingsluft färbte ihre jetzt immer etwas bleichen Wangen mit leb hafter Röte. Sie sah Wohler und angeregter aus, als seit langer Zeit. Und als die beiden jungen Leute wieder landeten und das Boot be festigt hatten, sagte Ernst, sie lächelnd bettach tend: „Wir werden jetzt bei gutem Lüetter täglich eine Stunde rudern, Elisa, das soll Dir und mir gut tun." Elisa nickte ihm lächelnd zu. „Das »vollen wir tun, Ernst. Und wenn es erst wärmer wird, nehmen wir Tante Johanna mit und rudern hinüber nach dem Wald. Sieh nur, wie nahe die bewaldeten Ufer zu liege,» scheinen, als wäre inan in einer Viertelstunde drüben." „Und doch reicht kaum eine Stunde aus. Ueber das Wasser hinweg täuscht man sich in den Entfernungen." „Das Wasser trügt — in allen Stücken. Wenn inan den See so friedlich liegen sieht, glaubt man nicht, daß er so tückisch sein kann. Ist es wahr, was Dörte sagt, Ernst, daß der See keine Toten wieder heraus gibt?" „ES heißt so. So lange ich denken kann, sind zwei Menschen in diesem See ertrunken. Ein Mann, der mit dem Boot umschlug, und ein Mädchen, das freiwillig den Tod in dem »See suchte. Beider Leichen sind nie zutage ge ¬ fördert worden, »rotz aller Bemühungen, sie zu bergen." Elisa sah träumerisch in das leicht bewegte Wasser. „Ach — es mutz sich doch recht friedlich da unten ruhen", sagte sie leise, in Gedanken ver sunken. Ernst fatzte ihren Arm und zog sie vom Steg herüber an das Ufer. „Mit solchen Gedanken spielt inan nicht, Elisa", sagte er ernst. Sie richtete sich auf und sah in fein besorg tes Gesicht. Dann schüttelte sie schnell den Kops, und ihr Auge wurde klar und hell. „Nein, Ernst, das soll man nicht, da hast Du recht. Es »var auch nichts anderes als eine törichte Bettachtung. Sieh nur, wie sich die Sonne im Wasser spiegelt — wie schön — und da drüben der knospende Wald! Wie ein grüner, zarter Schleier liegt es schon auf den Bäumen. Ueber eine kleine Weile und die Wälder prangen in, frischem Grün. Im Garten blühen schon die Krokus und Himmelsschlüssel, und die Tulpen und Hyazinthen lugen auch schon hervor. Wohl uns, daß wir atmen im rosigen Licht." „Wohl uns", wiederholte Ernst, mit einem frohen Atemzug ihr schönes Gesicht bettachtend. „Ich freue mich mit Dir. Sieh nur, drüben in dem Wirtshausgarten, da sitzen die Leute wahrhaftig schon, als gäbe es keinen Schnupfen und keinen Katarrh im Freien." „Sie wollen sorgen, daß Deine Praxis noch größer wird", sagte sie lächelnd. „Ach daran fehlt es muh ohnedies nicht. Du mußt doch bemerkt habe»», daß meine Pattenten »nir kaum diele Erholungsstunde mit Dir gön nen." „Ja, die Kranken wissen schon, daß Dir ihr Wohl an» Herzen liegt. Ein herrlicher Beruf, der Deine. So als Trostspender und Helfer in aller Not — wie schön das ist." „In aller Not? Ach, Elisa, wenn Du wüß test, rvie oft mm» machtlos ist. Und wie oft die Not der Seele über die des Körpers geht. Auch da möchte man helfen, denn ost geht bei des Hemd in Hand. Und da reicht leider meine Kraft nicht immer aus. Da könnte ich recht gut noch einen tatkräftigen Assistenten brauchen. Du solltest bei uns bleiben, Elisa und mich unter stützen. Mutter »vird alt und bedarf wirklich der Entlastung. Und wir drei könnten so friedlich zusammenleben — wir verstehe»» einander so gut. ES ist so viel traulicher bei uns, seit Du wieder bei uns bist. Willst Du Dich denn nicht bere den lassen, Elisa?" Elisa sah mit einem lieben Lächeln zu ihm auf. „Neii», Ernst, nicht für immer. Nur ein Weilchen bleibe ich noch, dann gehe ich wieder hinaus in die Welt. Du aber solltest Dir ei nen anderen Assistenten ins Haus holen, Ernst. Ich weiß ein paar blaue, klare Mädchenaugen, die gar sehnsüchtig »rach dem Doktorhause blicken." Ernst sah sie unbehaglich an. „Mittler hat Dich wohl angesteckt »nit ihre»» Wünschen?" frug er. „Sie hat mir nur gesagt, wie sehr sie sich freuen würde, wen»» Du Dich entschließen könn test, zu heiraten." „Und vor» der Besitzerin der „klaren, blauen Mädchenaugen" hat sie Dir selbstverständlich auch vvrge.chwärmt, nicht wahr?" ,Käthe Brand ist eil» prachtvolles Geschöpf, Ernst. Ich habe sie ja kenne»» gelernt — und es hat wirklich nicht Not getan, daß mir Deine Mittler etwas von ihr vorschwärmte." Er lachte ein wenig spöttisch. „Ihr Frauen seid doch alle passionierte Ehe stifterinnen. Was habt Ihr »mn davon, daß Ihr mich damit plagt?" „Mancher Mensch sträubt sich gegen das Glück — aus lauter Bequemlichkeit", sagte Elisa lächelnd und sah ihn forschend m». Da blickte er ihr voll »md groß in die Augen. „Ich glaube nicht, daß ich je wieder ein Mädchen so lieber» kann, wie ich Dich geliebt habe." „Ernst!" rief sie erschrocken. Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, erschrick nur nicht gleich, Elisa. Das ist ja vorbei — überwunden. Seit ich weiß, daß Dein Herz einem andern gehört, ist es ganz still in »nir geworden. Aber — für eine andere vermag ich dock) nie dasselbe zu empfinden, wie einst für Dich. Unwillkürlich ver gleiche ich die andern mit Dir, und da bleibt eine leere Stelle, die nichts ausfüllen kann." Elisa seufzte und sah mit einem sehnsüchti ge»» Blick ins Weite. Aber gleich hatte sie sich wieder ii» der Gewalt. Sie lächelte unsicher. „Sieh — so schlecht kenne ich Dich — »nir war, als sähest Du Käthe Brand nicht ungern." „Tue ich auch nicht, Elisa. Sie ist eii» Mädel, das inan gern haben muß. Und ii» manchen Kleinigkeiten erinnert sie mich an Dich. Aber — so eii» Mädel kann doch nicht verlangen, daß Mw» sie um der paar zufälligen Aehnlich keilen mit einer andern gern hat, nicht wahr. Es wäre wirklich am hübschesten, Du bliebest bei uns. Wie ich Dich kenne, Elisa — so würdest Du schwerlich einen ander»» heiraten — und der, den Du liebst, der ist Dir verloren. Wir zwei würden einander immer prächtig verstehen. Du solltest Dich überreden lassen. Es ist mir direkt ein peinigender Gedanke, dah Du wieder zu fremden Leuten gehen willst. Hier ist Deine .Heimat, Elisa." (Fortsetzung folgt.)