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Der Dichter von Armut und Liebe. gu Anton Wildgans' 50. Geburtstag am 17. April. Der österreichische Dichter Arrton Wildgans ist zu nächst als Lyriker an die Oeffentlichkeit getreten. Aus seinen Dichtungen ist ein echter und warmer Herzenston für jedes Ohr sofort herausfühlbar. Da ist nichts Nachgesprocheues, nichts Anempfundenes, selbst erlebt oder im tiefsten miterlebt ist alles. Eine schöne Menschenliebe, ein Herz, das warm sAr die Not aller leidenden Menschheit schlägt, weil es selbst um Leid und Schmerzen weiß, sprechen aus Wildgans' Gedichten. Der soziale Grundgedanke steht unsichtbar hinter seinen Worten, unsichtbar, weil der Dichter die sozialen Dinge nicht politisch, sondern menschlich sicht. Von der Lyrik wandte sich Wildgans dem Drama zu. Gleich seine erste Tragödie „Armut" schuf ihm eine Ge meinde von Freunden und Verehrern. Nicht persönliche Zu fallsschicksale sind es, die den Dramatiker Wildgans zum Ge stalten anregen, sondern Allgemeinschicksale, die immer wie der und überall vor sich gehen und von denen jeder ein Stück in sich selbst erlebt. So schuf er seine „Armut" aus der Emp findung des Armen heraus, der, das Auge voll Licht, zähne knirschend erkennen muß, daß sein Weg immer im Dunkel bleiben muß und wird. Wildgans' verstehende Menschlich keit ist weit entfernt von haßerfüllter Anklage gegen ,mangel hafte, bestehende Einrichtungen, sein Drama bleibt eine resig nierende Klage über das Leben, wie es nun einmal ist und wie wir es nicht gewaltsam ändern können, über die Armut, die gütige Menschen verbittert, kranke zum Tode verurteilt, sehnsüchtige zur Entsagung zwingt, über die Armut, die schlecht macht. Nicht viel anders verhält es sich mit seiner Tragödie „Liebe". Auch dieses Drama bringt keinen Sondcrfall, sondern entrollt das Bild einer Ehe, wie sie immer und im mer wiederkehrt. Nur daß hier erstmalig und mit schonungs loser Klarheit das ausgesprochen wird, was die meisten Men schen als unabwendbare Tatsache uneingestanden mit sich her umtragen. Der Dichter leuchtet in eine Ehe hinein, die zwei kluge, anständige Menschen vor neun Jahren aus Liebe schlossen. Das Hochgefühl der Liebe ist im Alltag der langen Jahre lau geworden, allein es ist noch zu stark, als daß sie sich mit guter Kameradschaft bescheiden könnten. Ein Klage lied ist auch diese Tragödie, Klagelied auf die Liebe, die am Alltag stirbt, sterben muß, die reizbar macht und Haß keimen läßt. Denn die Gefühle werden schwach in den Menschen, die einander ohne Schleier kennen, und der Zwang, der sie noch länger gneinanderkettet, weckt Abwehr. Helfen? Nein, helfen und raten kann Wildgans auch nicht. Es bleibt nur Re signation. Die beiden genannten Dramen sind echtester, typischster Wildgans, mehr als seine späteren Werke „Dies ira e", die Tragödie des jugendlichen Sohnes, der an der Feindschaft der Eltern zerbricht, „Kain" und „In Ewigkeit Amen". Auch in seinen Dramen bleibt Wildgans ein Stück Lyriker. Das sie trotzdem in ihrer dramatischen Wirkung un geschwächt bleiben, spricht für die Kraft ihrer Idee, die in ihrer Problemstellung stets einen tiefen Eindruck — und zwar nicht nur auf Stunden — hinterläßt. Seiner ganzen Weltanschauung nach ist Wildgans ein echter Sohn seines lieblich-heiteren Vaterlandes. Dieselben Probleme, die den großen Schweden Strindbcrg zu schärfstem Hohn und beißendem Spott hcrausgcfordcrt haben, erscheinen bei Mldgans in mildem, versöhnlichem Licht. Seinem echten Oesterreichertum — natürlich neben seinen dichterischen Qualitäten — verdankt Wildgans auch seine Berufung an das berühmte Wiener Burgtheater, das er seit etwa einem Iabr leitet. Deutscher Kriegsgefangenenlager- KLüchtling gesucht. Eigenartiges Vorhaben des Londoner Rundfunks. London. Der englische Rundfunk ist zur Zeit sehr tätig, um sich international zu machen. So will er im Juni neun Sprecher in einer Serie vors Mikrophon stellen, die aus den verschiedensten Gefangenenlagern, während des Weltkrieges ausgebrochen sind. Dabei hat sich die g r o ße S chw i er i g - keit ergeben, einen Deutschen zu finden, der aus einem englischen Lager nach der Heimat entkommen ist. Gun ther Plüschow ist tot. Ein Mann von der „Emden" ist unauf findbar. Zwei andere deutsche Kriegsgefangene, die entkom men sind, sind nicht geeignet. Haftbefehl gegen Major Schmidt vom Heereswaffenamt. Berlin. Der Major a. D. Kurt Schmidt ist auf Grund eines Haftbefehls des Untersuchungsrichters beim Langericht II verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis eingeliefcrt worden. Der Haftbefehl ist sowohl wegen Verdun te- lungsgefahr als auch wegen Fluchtverdacht er lassen worden. Die Voruntersuchung ist erst am 14. April eröffnet worden. Major a. D. Kurt Schmidt, der lange Zeit Leiter der Druckverwaltung des Heereswaffenamtes gewesen war, wurde Anfang März plötzlich vom Reichswehrministerium f riftlos entlassen. Ihm wird zur Last gelegt, Kopfbogen des Heereswaffenamtes und einiger nicht mehr bestehender Be hörden des Heeres außerhalb seiner Befugnisse und ohne Wissen seiner vorgesetzten Dienststelle mißbraucht zu haben, um für sich Privatgeschäfte zu betreiben, durch die einige Fir men erheblichen Schaden erlitten. Drei junge Mädchen vermißt. Innerhalb eines Monats im Kreis Lauenburg verschwunden. Lauenburg (Pommern). Im Grenzkreis Lauenburg sind innerhalb eines Monats drei junge Mädchen auf geheimnis volle Weise verschwunden. Seit dem 9. März wird bereits die jugendliche Irmgard Pieper aus Neuendorf vermißt. Ob, wie anfangs vermutet, das junge Mädchen Selbstmord verübt hat, konnte nicht sestgestellt werden. Gleichfalls auf recht geheimnisvolle Weise verschwand die 16 Jahre alte Anna Guske aus Schweslin. Gerüchte sprechen von einer Ent führung. Am 8. April verließ die jugendliche Tochter des Landwirts Flötig in Abbau Buckowin das elterliche Haus und wurde nicht wieder gesehen. In allen drei Fällen konnten trotz der angestellten Ermittlungen keine Spuren der Ver mißten aufgefunden werden. Tagungen Reitcraufmarsch in Dresden Der Wafsenring der Deutschen Kava.erie hält seinen ersten Wasseniag vom n. bis >3. Juli in Dresden ab und Hai mit der Vorbcrciinng und Durchführung den Säch sischen Kavallcrieverband, Sitz Dresden, beauftragt. Der Protektor des Wafsenringcs Generalfeldmarschall von Mackensen sowie der I. Vorsitzende Generaloberst von Einem haben ihr Erscheinen, ebenso eine große Anzahl der bekanntesten Neitersührcr, schon zugesagi. Aus allen Gauen des Reiches werden die ehemaligen Kavalleristen zusammströmen, um an oem größten Reiieraufmarsch nach dem Kriege mit teilznnehnien. Gera. V u n d e s s ch i e ß e n. Durch Beschluß des Vor standes des Thüringer Schützenbundcs in Mühlhausen ist die Geraer Schüyengesellschast mit der Durchführung deS 29. Bnndesschießens betraut worden. Das Schießen ist offen für alle Schützen deö Deutschen Schützenbundes. Man erwartet die Teilnahme aus allen Teilen des Reiches. Das Fest wird am lö. Fnli eröffnet. Pfingsttagmrg des VDA. in Aachen. Aus Einladung der rheinländischen Landesverbände des Vereins für das Deutschtum im Ausland findet in diesem Jahr die Pfingst tagung in Aachen statt. Die bisher vorliegenden Anmel dungen lassen erkennen, daß auch in diesem Jahre mit einer Beteiligung von 15- bis 20 000 Menschen zu rechnen ist. Die vom 22. bis 26. Mai dauernde Tagung wird neben den üblichen Arbeitssitzungen wieder eine Heerschau der Jugend aller Stämme in Form eines Festzuges bringen. Anmeldun: gen: Verein für das Deutschtum im Ausland, Berlin 30, Martin-Luther-Str. 97. Aus sächsischen Semeindeparlamenteu. Immer wieder die unrentable Katzensteucr. Bautzen. Der Rat der Stadt Bautzen nahm davon Kenntnis, daß die G e m e i n d ek a m m e r die Zustim mung der Stadtverordneten zur Erhebung der Katzensteuer ersetzt hat und beschloß, die Katzensteuer in der abge änderten Form zu erheben. — Den Fehler, den der Dresd ner Rat inzwischen eingesehen und beseitigt hat, macht man in Bautzen nun abermals. 81 Anträge zum Stadthaushaltplan. Chemnitz. Zu der im Stadtverordnetenkollegium aus, der Tagesordnung stehenden Beratung des Stadthaus halts hat die kommunistische Stadtverordnetenfraktion nicht weniger als 53 Anträge eingebracht, in denen sie Streichungen bzw. Einstellung von neuen Posten fordert. U. a. soll die Bürger- und Biersteuer nicht erhoben wer den. Die Sozialdemokraten haben 16 und die National sozialisten 12 Anträge eingebracht. Rundfunk Rundfunk-Programm Leipzig (25S,S). Zwischensender: Dresden (319). Eleichbleibendes Werktags-Programm. 10. 15.40 und 17.55: .-ittlck-rftsnachnKten lSo. nur 10 und 15.45). » 10.05: Wetter, Verkehr. » ca. 10.10: Tagesprogramm. » 10.15: Was die Zeitung bring- «11: Werbenachrichten. « 11.45: Wetter, Wallerstände. « 12: Schallvlatten. « 12S5: Nauener Zeit. » ca. 13: Wetter, VreNc, Börse. SchaNvlatten. » 1720: Wetter. Zeit. » ca. 21: ackrichten. » ca. 22 bis 22.30: Zett, Nachrichten, Wetter. Sonnabend, 13. April. 14.30: Bastelstunde für die Jugend. 15.15: Dr. W. Kleefeld: Ein Overnwinter unter Carl Maria von Weber m Dresden. 16.00: Stunde der Jugendlichen. 16.30: Unterhaltungskonzert. 18 .00: FmikbastellUmde. 18.20: H. Kürsten: Entstehung und Bedeutung unserer Familien namen. 18.40: Zwei Kurzgeschichten von A. H. Lehmann. 19 .00: Dr. Diem: Der Weg zum gesunden Spott. 19.30: Edith Loranb spielt. 2 0.30: Humoristische Anekdoten. 21 .00: Konzert. Mitw.: Dresdner Philharmonie, Chemnitzer Bolks- chor. 22 .00: Berlin: Tanzmusik. Kapelle Gerhard Hoffmann. Rundfunk-Programm Deutsche Welle (1«»S). Deutsche Welle. Gleichblcibeiides '.-l erüd-Programm. 6ZV: Zett. Wetter für den Landwirt. » 6.30: Gymnastik, anschl. Früh- Frühkonzett. » 10.35, 13.30: Nachrickien. » 12.00: Schallplatten, bezw. Schulfunk. O 12.25: Wetter für Lnndwirle So. 12.50). « 12.55: Nauener Zett. » 14: Schallpl. * 15.30: Wetter, Börse. « 19.55: Wetter s Landwirte. « ca. 21: Wetter. Tages- ü. Svortn. Deutsche Welle: Sonnabend, 18. April. 12.00: Schulfunk: Der Stimmenmacher. Hörspiel o. Würzburger. 15.00: Kinderbastelstunde: Ursula Scherz: Raubtiere. 15.45: Paula Steiner: Frau und Gegenwarisnot. 16.00: Direktorin Renger: Die verheiratete Lehrerin. 16.30: Nackmittagskonzert aus Hamburg. 17.30: Prof. Dr. Dietrich: Bedeutung der Kurorte für die Volks gesundheit. 18 .00: Franzöfisch für Fortgeschrittene. 18.30: Dr. Hahn: Zauberei Magie und Heilkunde. 19 .00: Dr. Ziegenfuß: Kultur und Erziehung in der Gegenwart. 19.30: H. Tessmer: Anton Wildgans zum 50. Geburtstag. 20 .00: Hamburg: KaoaUerie-Konzert des Trompeterkorps da« L«» laren-Regiments Nr. 16. 21 .00: Lustiger Abend aus Köln. 22.15: Berlin: Wetter-, Tages- und Sportnachrichten, anfcht. Tanzmusik der Kapelle Gerhard Hoffmann. Kirchen-Nachrichten Od-rNchte«au S»»»tag «isericordia» Domioi, den 19. April, »/,S Uhr Gottesdienst. Reichenbach Sonntag Mtse^eordta» Domini, den 19. AprU, '/,9 Uhr Predigt, o »lisch > ß »o K nöergo i -dierst. Landeswetterwarte Dresden. Zeitweise lebhafte Winde aus westlicher Ruhttrng, stark bewölkt, Zunächst Temperaturanstieg, bei geringer Tageeschwanlung Nero-r- schläge, die g'ößeic Ergiebigkeit erlangen können Lm lebensfrohen Barcelona. Von vr. Konrad Döring. Buntes Menschengewühl auf den Boulevards der Rambiar. — Reichtum und Armut in dichtem Beieinander. — Sardanas klinge« imrch die Straßen. — „Schönes Land, unser Land, Land der Liebe ohne Ende." Auch durch das lebensfrohe Barcelona braust zur Zeit die Welle der Revolution. In den Straßen und in den Vergnügungsstätten hat sich das so heitere Bild gründlich gewandelt. An Stelle der feurigen Zigeunerweisen ist das politische Lied getreten. Dennoch dürften die nachstehenden Ausführungen, die uns einen Tag vor dem Umsturz in Spanien zu- gingen, von Interesse sein, geben sie doch ein Bild öom Leben und von den Einwohnern einer der typischsten spanischen Städte. Barcelona, 10. April 1931. Die Hauptstadt des katalonischen Landes und die größte Hafenstadt des spanischen Reiches, B a r c e l o n a, hat in den letzten Jahren einen ganz enormen Aufschwung genommen und dürfte mit ihren rund 1^ Million Einwohnern und ihren Reichtümern wohl als der bedeutendste Ort des ge samten Mittelmeerbeckens anzusehen sein. Der erste Eindruck von Barcelona, den man vom Dampfer aus gewinnt, ist nicht allzu überwältigend: Schornsteine, noch mals Schornsteine und Rauch. Das Stadtbild wird langsam deutlicher, von langgezogenen Bergen im Hintergründe um rahmt. Die Kaianlagen des Hafens kommen näher, kleine Kriegsschiffe erscheinen, Kasernen mit blau-weißen Schilder häusern werden am Ufer sichtbar. Am Freihafen wird fest gemacht. Durch den älteren Stadtteil, der etwa ein Zehntel des gesamten SKM^nfanges ausmacht, ziehen sich die welt bekannten breiten Boulevards der R a m b l a s, die sich vom Hafen bis zwp R4)cutendsten Verkchrszcntrum, der Plaza »e EataluLlUerstrulen. Hier findet man ein ununterbroche nes, buntesM^chengewühl, das in den Stunden von 9 bis l.1 Uhr voyWitaKi beginnt und in der warmen Jahreszeit dis zum nä-Ren Morgen gegen 3 oder 4 Uhr andaucrt. Lner steht man ein Kaffeehaus neben dem anderen, ohne besonderen Luxus, aber ansprechend eingerichtet. Die Kellner werden Durch Händeklatschen herbeigerufen. Sie tragen nach fran- jösischer Art weiße Schürzen, die bis zu den Füßen reichen, und bringen den Kaffee, die Milch usw. in vernickelten, ge schlossenen Kannen, aus denen sie die Getränke in die bereit stehenden Gläser und Tassen gießen. Zu jedem Kaffee wird fine reichliche Portion Zucker, in Papier verpackt, gegeben. Tische und Stühle stehen bereits im frühen Frühjahr auf der Straße und nehmen hier einen breiten Raum ein, ohne daß der Fußgängerverkehr darunter wesentlich leidet. In den Nachmittagsstunden besonders sitzen auf den Ramblas Tau sende und aber Tausende, rauchen, politisieren, trinken Kaffee und Limonade, bauen Luftschlösser und überanstrengen sich hierbei nicht allzusehr. Und ein großer Teil dieser Tausende ztzt am nächsten Vormittag schon wieder dort, am Mittag luch und in den späten Abendstunden ebenfalls. Bald wun dert man sich nicht mehr darüber. Obwohl Barcelona noch eine der Städte Spaniens ist, in der am meisten gearbeitet wird, darf man nicht vergessen, daß man sich hier unter südlicher Sonne befindet, wo der Pulsschlag der Arbeit niemals so schnell läuft wie in kühlerem Klima. Außerdem haben es diele Bewohner Barcelonas auch „nicht so nötig". Spanien hat keinen Weltkrieg hinter sich, und die Nachkriegscrschei- aungen beginnen sich eigentlich erst jetzt dort zu zeigen. Tri bute hat das Land an niemand zu zahlen, und in den vier llriegsjahren sind ganz ungeheure Summen verdient worden. Ganz besonders über Katalonien hat sich während der Kampf- sahre wegen der an Frankreich grenzenden Lage ein wahrer Soldstrom aus diesem Lande ergossen, der seine Aus wirkungen noch heute trotz des niedrigen Pesetenkurses zeigt. Und diese Auswirkungen machen sich auch noch in der ganzen Einstellung des Kataloniers zu Frankreich und Deutschland bemerkbar. Während der.größte Teil der Spanier wohl als deutschfreundlich anzusprechen ist, kann man den Katalonier am besten als neutral bezeichnen. Manche Kreise suchen auch bewußt einen zum mindesten geistigen Anschluß an die ihnen stammverwandten proven^alischen Südfranzosen, und auch bei diesen zeigt sich neuerdings — in Deutschland noch un beachtet — eine separatistische Bewegung, die sich von Paris abwendet. Durch die Straßen Barcelonas ziehen wie vor yunoerren von Jahren Troubadours, Minnesänger — in etwas ein facherer Aufmachung zwar, aber ihre Weisen klingen wie einst. Gitarre und Mandoline erschallen, dann wird das Lied vor gesungen, Sardanas heißen diese Volksgesänge. „Schönes Land, unser Land, Land der Liebe ohne Ende." — Es klingt wie weiches Italienisch, dieses Katalanisch, im Gegensatz zum härteren, gutturalem, vom Arabischen und von germanischen Sprachen beeinflußtem Spanischen. Wir durchwandern enge Gassen, die zu dem festungsgekrönten Berge Montjuich führen. Ein breiter langer Boulevard tut sich vor uns aus, der Parallelo. Es ist Abend geworden und Tausende von bunten elektrischen Lampen sind an Drähten über die Straße gezogen. Bei den Klängen einer auf dem Bürgersteig sitzen den Musikkapelle tanzen allabendlich zahllose Paare auf offe ner Straße. Hier steht eine Singspielhalle, ein Tanzlokal neben dem anderen, von den einfachsten Matrosenspelunken bis zu den elegantesten Dielen, wo der Ausländer mit Jerez wein zu 30 Peseten die Flasche übers Ohr gehauen wird. In den zahlreichen Quer- und Seitenstraßen Hmidertc von ähn lichen, häufig mehr denn eindeutigen Lokalen, in denen das Leben erst morgens gegen drei Uhr seinen Höhepunkt er reicht. Die Gegensätze im Aeuheren der Bevölkerung sind außer ordentlich stark. In der Innenstadt und den besseren Wohn vierteln sieht man raffiniertesten Kleiderluxus, und nicht weit ab davon Zigeuner, „Gitanos", die in der Mitte der Straße auf zusamengestellten Steinen eine Mahlzeit aus unerforsch baren Bestandteilen bereiten. Während die in bunte Lumpen gehüllten Zigeunerfrauen an diesem urwüchsigen „Herde" hantieren, rekelt sich der Häuptling auf einer alten Matratze auf dem Bürgersteig vor einer zerfallenen Baracke, die die Residenz des Stammes darstellt. Wie unverfälschte Indier schauen die Zigeunerkinder aus, die uns geschwätzig anbetteln und erst beim Anblick einer Polizeistreife ablassen. Aber nicht allein das Zigeunervolk haust hier in engem Zusammenhang mit der Natur, auch die ansässige Bevölkerung lebt und webt auf der Straße. Ein Trödler hat seinen Stand unter freiem Himmel aufgebaut, nicht weit ab davon arbeitet ein Tischler in frischer Lust. Der Begriff der Hauskultur ist eben im Süden ein anderer als bei uns.