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Montag, den 28. November 1932 Pulsnitzer und Ohorner Tageblatt 84. bzw. 2. Jahrgang, Nr. 278, Seite 6 GliM^L MM c.« i-iro«i..c«kir rcniro„zn voX >00..'- Urheber-Rechtsschutz für die deutsche Ausgabe: Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa „Das werde ich tun ... und lachen! Aber das sage ich dir ... die Frau ... diese schlechte Frau ... die wird, solange ich in diesem Hause bin, keinen guten Tag mehr haben. Das verspreche ich dirl In uns Menschen allen steckt ein Teil Bosheit. Wir bannen sie in die letzte Ecke, wir finden ja kaum einen Menschen, der uns schlecht genug erscheint, daß wir unsere Bosheit auf ihn loslassen. Kommt uns aber ein mal ein solcher Mensch in den Weg ... dann ist's uns eine grausame Freude. Verstehst du mich?" „Ich fange an, Otto?" „Mache dir also keine Sorgen, Peter. Ich weiß, wo ich immer eine Heimstatt habe, und ich danke dir ... aber laß mich erst meinen Weg gehen." Da lachte Peter Lenz hell auf und reichte dem Schwager die Hand. „Ist gut, alter Junge! Jetzt verstehe ich dich!" * Als Peter Lenz die Treppe Hinabstieg, stieß er unten im Flur auf Frau Antonie, die mit wütendem Gesicht herumlief. „Was wollen Sie hier?" rief sie Peter Lenz zu. „Wissen Sie nicht, daß Ihnen der .Grüne Kranz' ver boten ist?" Der Ochsenwirt lachte dröhnend auf. Oben ging eine Tür auf. Frank rief herunter: „An tonie ... ich bitte dich!" Peter Lenz hörte nicht mehr zu, was zwischen den Ehe leuten gesprochen wurde, das überlieh er dem Piccolo. * Am nächsten Morgen war eine neue Köchin da. Sie hieß Mariechen Lengerich, war sehr schlank und dürr und hatte ungute, stechende Augen. Ihr Organ hatte eine Ähnlichkeit mit der Stimme der Frau Antonie. Es war immer halb in Aufregung. Mariechen Lengerich nahm die Arbeit auf. Zugleich nahm auch Onkel Otto seine Arbeit auf. Im Schweiße seines Angesichts, angetan mit der grünen Schürze des verflossenen „Friedrichs", putzte er früh um fünf Uhr Schuhe. Dann half er der neuen Köchin, die zu komman dieren verstand. Er war ganz vergnügt. Beim Schuheputzen pfiff er ein Liedel, und als Dixi am Morgen ganz verlegen an ihm vorbeistrich, da nickte er ihr lustig zu, daß dem Mädel, das sich schämte, leichter ums Herz wurde. Am Morgen entwickelte sich zwischen der neuen Köchin und Onkel Otto ein ergötzliches Gespräch. „Na, Sie sind auch nicht mehr der Allerjüngste, Otto!" „Fünfundsechzig, Mariechen!" „Daß sich der .Grüne Kranz' keinen jüngeren Haus diener nimmt, das wundert mich!" entgegnet Mariechen. „Das hat seinen guten Grund!" „Sind Sie schon immer in dem Gewerbe?" „Nee, erst seit heute!" „Was waren Sie zuletzt?" „Millionär!" sagt Onkel todernst und zuckt mit keiner Miene. Mariechen, die Köchin, reißt die beiden Fischaugen auf. Dann lacht sie. „Ich war sogar mal Billionärin!" „Ja, in Mark ... ich hatte über SOO 000 Dollar. Das ist ein Unterschied!" Da stutzt die Köchin. „Nanu!" „Ja, alles verspekuliert, verarmt, von der Gnade meines Neffen abhängig. Ich muß arbeiten, ich muß mich nützlich machen." „Fällt Ihnen das nicht schwer?" „Bewahre, so ein bißchen Arbeet, die ist wie das Salz zur Suppe! Ich habe meinen Humor, und damit kommt man schon noch eine Strecke." Mariechen hat ihm nicht so recht geglaubt und hat die Madam gefragt. Frau Antonie ist wütend und hat sich daraufhin den Onkel Otto vorgenommen. „Ich wünsche nicht, daß Sie das Dienstpersonal über unsere verwandtschaftlichen Beziehungen unterrichten", sagt sie scharf. „Ich liebe solche Schwätzereien nicht!" „Ist gut, ich schweige wie der Karpfen!" „Und im übrigen ... Sie müssen mich jetzt Frau Käse bier anreden." „Madam klingt besser!" erwidert Onkel Otto sanft mit stillvergnügten Augen. „Madam ... gut, Vas können Sie auch." Onkel Otto ist in Gnaden entlassen und Frau Antonie sagt zu ihrem Gatten: „Onkel Otto ist vernünftiger wie du denkst, der arbeitet noch ganz gern. Der macht sich. Wir sparen Geld." „Wir müssen ihm doch Friedrichs Gehalt geben!" „Kommt nickst in Frage, er soll erst mal die Verpflegung der vergangenen Wochen abarbeiten. Was hast du damals bei dem Festessen ausgegeben? Das muß alles erst auf Heller und Pfennig wieder herein. Eher kriegt Onkel Otto keinen Pfennig. Mag er erst seinen Notpfennig verzehren." „Aber ... was werden die Leute sagen...?" „Ach was, die beruhigen sich wieder! Mach dir da keine Kopfschmerzen!" „Und unsere erstklassige Köchin ... die Lina, die sind wir glücklich auch los." „Ich bin herzlich froh!" „Aber ich nicht!" spricht Frank erbittert. „Hat's etwa unseren Gästen heute Mittag nicht ge schmeckt?" „Geschmeckt? Frage den Ober. Der Herr Stadtbank direktor hat gesagt: .Was ist denn heute mit der Lina los? So einen Fraß hat sie noch nie auf den Tisch gebracht!' Da hast du ein Urteil über deine Kochkunst!" Frau Antonie wird blau und grün vor Wut. Aber sie bewahrt Haltung. „Das ist Geschmackssache! Die Neue hat gute Zeugnisse, die wird auch was Anständiges kochen können." Sie rauscht davon. * Fünf Gäste übernachten im „Grünen Kranz". Fünf Paar Schuhe sind falsch gestellt. Es gibt Rekla mationen. Otto hört sie lächelnd an. Dann sagt er schwerfällig: „Sie müssen entschuldigen ... ich bin ganz neu hier!" Otto macht überhaupt alles falsch. Wenn er in der Küche helfen muß, dann sorgt er getreulich, daß seine Unge schicklichkeit hin und wieder einen Porzellanteller verbiegt. Frau Antonie kriegt da jedesmal beinahe einen Wut anfall. Aber sie kann doch den Onkel nicht gut wie einen Hauspumpel behandeln! Das geht eben doch nicht! Onkel Otto macht alles falsch, und das mit dem heitersten und treuherzigsten Gesicht der Welt. Er fährt grobes Ge schütz auf. Er weiß aus seiner Tätigkeit als Clown, nur die groben, derben Späße wirken auf die Menge, und Frau Antonie ist für ihn jetzt Menge, und er ist in seinen Bos heiten, die Frau Antonie treffen, nicht wählerisch. Er hält sie immer in einer gespannten Aufregung. Sie muß immer wieder eine neue Dummheit erwarten. Dann stellt er sich ein paar Tage mustergültig an. Den Tag dreimal trottet er zum Bahnhof und sucht Gäste einzuholen. Das sieht die ganze Stadt, und Frau Antonie täuscht sich. Die Aufregung und Verurteilung ist groß und ein mütig. Viele wissen doch, daß Onkel Otto einst Frank Käsebier 8000 Dollar zur Verfügung stellte und sind empört. Sogar von den Gästen bekommt Frank ein paar un angenehme Brocken zu hören. Der alte Medizinalrat Schnee sagt ihm ins Gesicht: „Die Stadt ist empört, Herr Käsebier! Wie kann man auch seinen Onkel, dem man Gutes dankt, so erniedrigen!" Frau Antonie hat aber kein Ohr für Franks Einwen dungen. „Die Leute werden schon still! Und wenn ein paar wegbleiben. Gott, unser Geschäft ist doch das Saisongeschäft Auf Pulkenau pfeifen wir dann sowieso." Frank entschließt sich, ein paar Tage zu verreisen. An demselben Tage geht Onkel Otto in die Apotheke der nahegelegenen Kreisstadt und kauft für fünf Mark .. Ab führmittel. „Wirkt unter Garantie binnen fünf Minuten, reinigt Darm und Magen gründlich!" hat der Apotheker gesagt. Onkel Otto ist's zufrieden. * Der Militärverein „Kameradschaft" hält im April sein traditionelles Iahresessen mit Damen ab. Das erfolgt immer im „Grünen Kranz". Onkel Otto wird mit zum Bedienen kommandiert. Man hat zwar Mühe, einen passenden Frack für ihn zu finden, aber auch dies Problem wird gelöst. Immerhin, er ist reich- ilch eng. Onkel Otto bedient mit einer Ruhe und Sicherheit wie ein routinierter Ober. Er reicht Suppe, Braten, Gemüse und zum Schluß PuddiiW und Käse. Belm Pudding hält Böttchecmeiftcr Meterlang seine fulminante Rede. Das tut er schon seit 20 Jahren. Er hat fünf Reden, und alle fünf Jahre kehrt also die alte Rede wieder. Aber das tut ja nichts. Keiner hört ja hin, und wenn begeistert geklatscht wird, dann tut man's immer aus Freude, daß der Redner wider Erwarten die Rede doch fertig ge bracht hat. Also Meterlang — er war größer, mindestens 1,55 — spricht. Wort für Wort würgt er sich durch Rede Nr. 3, und alles mimt andächtiges Lauschen. Plötzlich erschrickt alles. Man sieht, wie Meterlang das Gesicht verzieht und sich krümmt. Mit Mühe kann er weitersprechen. Plötzlich, mitten im Satz, sagt er: „Verzeihung, Kame raden!" und läuft, haste, was kannste, aus dem Saale. Nach einem Zimmer, an dessen Tür bescheiden P. P. steht. Was ist mit einem Male mit der Gesellschaft los? Die verziehen ja auch die Gesichter und halten sich den Leib. Einer nach dem anderen steht auf und läuft. „Gemeinheit!" schreit der Tierarzt Selter. „Man hat uns ein Abführmittel beigemischt!" Ungeheure Empörung der Zurückbleibenden. Das sind alle die Männer, die keine Puddingfreunde sind. Man ruft den Ober, der Ober ruft Frau Antonie, die, als sie davon hört, bald in Ohnmacht fällt. Es ist eine ungeheure Aufregung. Währenddessen steht man vor dem P. P. Schlange. * Fluchtartig verlassen die Gäste wütend das Haus. Man fragt nicht, wer schuld an diesem ungeheuerlichen Vor fall ist. Es ist im „Grünen Kranz" passiert. Der „Grüne Kranz" ist schuld. Vergeblich sind alle Beschwichtigungsversuche. Man fühlt sich blamiert, provoziert und noch verschiedentlich ge niert, und das läßt man Frau Antonie spüren. Onkel Otto macht ein unschuldiges, entsetztes Gesicht. Er müht sich scheinheilig tröstend um Frau Antonie, dir die Köchin hinausschmeißen will. Dixi kommt dazu. Sie ist's, die den Pudding in Ver dacht bringt und mit Beschlag belegt. Er soll in einer chemi schen Untersuchungsanstalt untersucht werden. Das beruhigt etwas, und ein kleiner Kreis von Herren bleibt noch im „Kranz" sitzen. Frau Antonie hat eine Auseinandersetzung mit der Köchin, die aber friedlich verläuft, denn die Köchin kann nachweisen, daß sie immer mit den Mädchen zusammen- gearbeitet hat Sie bringt auch das Puddingpulver herbei. Es wird auch von Dixi, die ganz energisch die Sache auf nimmt, beschlagnahmt. Am nächsten Tage aber lacht die ganze Stadt. Am nächsten Tage aber beleidigt Frau Antonie per sönlich den Kaufmann Schütte, der das Puddingpulver ge liefert hat. Schütte leitet Klage ein. Auch im „Ochsen" hat man gelacht. Peter Lenz aber weiß ganz genau, wer der alte Sünder war. * Frau Antonie macht am nächsten Tag für ihren Gatten die Jour bei den Mittagsgästen. Der Assessor Baldeauf stochert in seiner Suppe herum. Sie sieht es.- „Schmeckt's heute nicht, Herr Assessor?" „Versalzen, gnädige Frau! Total versalzen!" Frau Antonie wird blaß, jagt nach der Küche und kostet. Total versalzen! Tatsächlich! Es gibt einen Mordsskandal. Mariechen behauptet, als sie die Suppe zuletzt abge schmeckt habe, sei sie gut gewesen. Frau Antonie ist außer sich. Sie geht sich entschuldigen. * Zwei Tage später ist der Braten versalzen. Vier Tage später entdeckt man Salz in der Zuckerdose. Alles befürchtet, daß Frau Antonie die Gelbsucht kriegt. Sie verkracht sich nach und nach mit allen. Jeder und jedem traut sie die Schandtaten zu, seltsamerweise nur dem Onkel Otto nicht, mit seinem wohlwollenden, treuherzigen Gesicht. Onkel Otto fährt mit seinem Gepäckwagen vergnügt nach der Bahn. Ein Schein der Freude und Zufriedenheit liegt auf seinem runden Vollmondgesicht, es hat geradezu einen Schein des Wohlwollens. Am zweiten Tage begegnet ihm sein Neffe Theodor. Der Baumeister hält ihn an und sagt schmerzlich: „Onkel ... Onkel ... warum läßt du dir von Frank das bieten? Weißt du nicht, daß dir mein Haus immer offen steht?" Onkel sieht ihn sehr freundlich an und brennt die aus gegangene Zigarre — er ist nie ohne Zigarre — an. Dann klopft er Theodor auf die Schulter. „Ist nicht anders, lieber Neffe. Wenn man verarmt ist, dann muß man arbeiten. Das geht nicht anders. Sie haben mich so lange durchgefuttert, laß sie man, es ist ihr gutes Recht, daß ich alter Kerl ein bißchen arbeite." „Fällt's dir denn nicht schwer, Onkel? Ein Mann wie du! Einst so reich ...I" „Und jetzt nur ein Notpfennig! Verdammt wenig zum Leben, lieber Neffe, meine 2000 Mark. Sind's nicht mal mehr ganz. Du weißt doch, ich rauche gern, und das muß ich mir selber kaufen." Als Theodor die Höhe des Notpfennigs aus Onkels Munde hört, da erkennt er, daß von dem Onkel doch nichts mehr zu holen ist, und er wird merklich kühler und hat es eilig. Er versichert nochmals, daß der Onkel stets bei ihm will- kcmmen ist. Dann verzieht er sich. Er geht nach den» Kasino, spielen. * Onkel trottet weiter. An dem mehr als nüchternen Bahnhof steht der Maler meister Nolte, stürzt auf Onkel Otto zu und umarmt ihn. „Ah ... besoffen!" stellt der Onkel nüchtern fest. „Lieber ... Onkel ... aber ... das ... das ist schön ... das ist schön ... wir ... hupp ... wir müssen einen heben!" Onkel grinst niederträchtig. „Machen wir, lieber Neffe! Die Geschäfte gehen wohl gut?" „Ich ... hupp ... viel Arbeit, Onkelchen ... hupp ... viel Arbeit! Heute ... erhole ich mir mal. — Hupp ... das ... muß man doch!" „Das muß man!" stimmt ihm Onkel treuherzig zu. „Warte mal ein'n Momang, lieber Neffe! Ich muß mal kieken, ob ich was erwische!" „Gemeinheit ... hupp ... Schweinerei ... hupp ... daß dich der Frank ... zum Hausdiener... gemacht hat!" „Ist nicht so schlimm! Wenn man eben ein armes Luder ist, dann muß man arbeiten, da hilft nichts." Er geht zum Bahnhof und wartet an der Sperre, der Neffe klammert sich an ihn. Der Zug ist angekommen, die Leute strömen heraus und sehen Onkel und Neffen zu sammen. Alle lächeln, einige schämen sich. Aber Onkei Otto lächelt. Nein ... es ist kein Reisender eingetrofsen. Also trinkt Onkel Otto mit seinem Neffen ein Glas Bier und dann einen Schnaps und dann ein Bier ... bis der Neffe vollkommen fertig ist. Der Wirt ist etwas verlegen. (Fortsetzung folgt.»