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VulsmherZayeb!att Donnerstag, den 7. März 1929 Beilage z« Nr. 3b 81. Jahrgang Oie leere« Gemeindekaffen. Schon seit Monaten hat die ständig sich verschlim mernde Finanzlage der sächsischen Gemeinden den Vor stand des Sächsischen Gemeindetages mit schwerster Sorge «rffillt. Er hat deshalb die Regierung gebeten, unter Zu- zMnng der Referenten aller beteiligten Ministerien eine .Sitzung zu einer umfassenden Aussprache über die schwie rigen Verhältnisse anzuberaumen. Der Präsident des Sächsischen Gemeindetages, Dr. Raumann, gab eitlen zusammengefaßten überblick über He außerordentlich schwierige Finanzlage der Gemeinden, die sich leider seit den Darlegungen auf dem Sächsischen Gemeindetage am 3. und 4. Dezember 1928 weiterhin außerordentlich verschlechtert hat. Eine außer ordentlich große Anzahl der Gemeinden hat seit dem Jahre 1S26 ihre Abrechnungen mit einem kassenmäßigen Fehlbetrag abschließen müssen. Die Haushaltspläne für das Jahr 1929 können voraussichtlich bei etwa 90 Prozent der Gemeinden nicht balancieren. Viele Gemeinden haben zur Deckung der Fehlbeträge sogenannte Desizit anleihen aufnehmen müssen, eine vom Standpunkte ordnungsmäßiger Finanzverwaltung außerordentlich be dauerliche Maßnahme. Es sei verfehlt, schon jetzt von einem Bankrott der sächsischen Gemeinden zu sprechen. Dabei sei die Lage der Gemeinden viel ungünstiger als die des Staates, der nach den Ausführungen desselben Finanzministers im Jahre 1927 nicht nur das haushalt- mäßigeDefizithabe gutmachen,sondern darüber hinaus noch Wer drei Millionen Mark Überschuß erzielen können. Auch der gegenwärtige Kältewinter belastet in der Hauptsache lediglich die Gemeinden, denen schon jetzt durch die Schneebeseitigung ungeheure Ausgaben er wachsen, die aber vor allem durch die Frostwirkungen Schäden jetzt schon zu decken haben und in Zukunft nach Eintritt des Tauwetters erwarten müssen, die in ihrem riesenhaften Ausmaße jetzt noch gar nicht übersehen wer den können. Die Belastungen wirken sich bei allen Grup pen der Gemeinden aus, ganz besonders stark aber natür lich bei den mittleren und kleinen und bei diesen wieder bei den Arbeiterwohnsitzgemeinden. Deshalb müsse zu nächst auf alle Fälle darauf hingewirkt werden, daß der Gedanke des Reichsfinanzministers, den Anteil der Länder um 120 Millionen Mark zu kürzen, fallengelassen wird. Weiterhin sei dringend notwendig eine Entlastung der Gemeinden auf dem Gebiete der ihnen über tragenen Aufgaben. Auch müsse immer wieder die Forderung erhoben werden, daß die Klein rentner- und Sozialrentnerfürsorge, die den Gemeinden durch Reichsgesetz übertragen ist, ihnen abgenommen und dem Reiche übertragen werde. Vor allem müsse aber eine sofortige Entlastung auf dem Ge biete des Wegebaues erfolgen; es sei unverständlich, daß die Regierung trotz eines Beschlusses des Landtages es noch immer abgelehnt habe, mit den kommunalen Vpitzenorganisationen wegen der Übernahme der so genannten schwarz-gelben Straßen zu verhandeln. Wir fordern mit allem Nachdruck, daß der Finanz minister endlich an die Übernahme dieser Straßen auf den Staat herangeht und daß insbesondere auch der ß 146 der Gemeindeordnung geändert wird, damit eine wirkliche Entlastung der Gemeinden auf diesem Gebiete stattfindet. Außerdem müsse umgehend der unwürdige Zustand be seitigt werden, daß der Staat sich immer noch gerade von den armen und ärmsten Gemeinden einen Teil der Schnee- auswerferlöhne auf den Staatsstraßen auf Grund eines vorsintflutlichen Gesetzes bezahlen läßt. Endlich muß auch auf dem Gebiete des Schul wesens unbedingt gespart werden. Es ist nicht zu ver neyen, warum die Regierung unsere seit Jahren immer wiederholten Anträge auf Einstellung größerer Mittel zur Unterstützung namentlich der höheren Schulen der Gemein den nicht beachtet hat. Außerdem muß auch geprüft wer den, ob wirklich auf dem Gebiete des Volksschulwesens unter dem Zwange der Not gegenwärtig nicht mehr ge spart werden kann. Endlich sind die Gemeinden schwer be lastet durch die gegenwärtige Regelung des Polizeilasten gesetzes. Neben dieser Entlastung müssen aber den Gemeinden stärkere Mittel zugeführt werden. Hierzu ist not wendig größere Freiheit auf dem Gebiete der Grund- und Gewerbesteuer. Auch die Kraftfahrzeugsteuer muß umgehend geändert werden, so daß einmal die Ver teilung Sachsens im Verhältnis zum Reiche eine für säch- sifche Verhältnisse bessere wird, daß aber außerdem auch der sächsische Staatsanteil gegenüber dem jetzigen Zu stande im Verhältnis zu dem Gemeindeanteil zurück geschraubt wird, weil er in keinem Verhältnis zu der Lage des staatlichen und gemeindlichen Straßennetzes steht. Als wichtigste Forderung sei aber die zu bezeichnen, daß der Lastenausgleichs stock unter allen Um ständen gestärkt wird, und zwar selbstverständlich auf Kosten des Staatsanteils, weil die Finanzlage des Staates unbestritten um vieles besser sei als die der Gemeinden. Aus sächsischen Gefängnissen. Was kostet ein Gefangener? Statistik ist nicht immer interessant. Sie hat ihren Wert, aber meistens nur für einen bestimmten kleinen Kreis von Interessenten. Etwas anders steht es mit einer Übersicht, die das Statistische Reichsamt im Auftrag des Reichsjustizministeriums für den Reichstag bearbeitet hat und die den Titel trägt: „Statistik des Gefängnis wesens im Deutschen Reich". Auch über die sächsi schen Verhältnisse auf diesem Gebiete erfährt man dar aus mancherlei, das für die Allgemeinheit von Inter esse ist. Sachsen hat 119 Strafanstalten, während es im ganzen Reiche 1732 gibt. Fünf von den sächsischen An stalten sind für mehr als 500 Gefangene bestimmt, acht Anstalten fassen 120 bis 500 Gefangene, die übrigen nehmen weniger als 120 Gefangene auf. Die Be- legungssähigkeit sämtlicher sächsischer Anstalten lautet auf die Zahl 7722, während die aller deutschen An stalten 112 386 beträgt. Am 1. Januar 1927 waren aber nur 4475 Gefangene darin untergebracht (im Reich: 69 176). Das waren in Sachsen 58 Prozent der Velegungs- fähigkeit, und Sachsen stand damit unter dem Reichsdurch schnitt, der 61,6 Prozent betrug. Weit darüber stand vor allem Hamburg mit 81 Prozent. An Beamten und Angestellten waren im Gesängnisdienste des ganzen Reiches am 1. Juli 1927 14 893 beschäftigt, und in dieser Zahl waren auch das Kanzleipersonal, die Heizer, Köchinnen usw. mitgezählt. Für Sachsen lautet die entsprechende Zahl auf 1282. Von besonderem Interesse sind die Angaben über die Beschäftigung der Gefangenen. Von den am 1. Juli 1927 vorhandenen 62 080 Gefangenen des Reiches waren 84,3 Prozent mit Arbeiten beschäftigt und von diesen wieder 17 Prozent mit Hausarbeiten. Unter den sächsischen Gefangenen gab es nur 29, die aus Mangel I Ilirs Qsrckikisn u. QsröinsnslsnASn ksutsn Siv Ickoosi im Qsr^insniisus Wuncisrlicrff, bisuptmsrkt an Arbeit beschäftigungslos waren. Was verdienten die Gefangenen mit ihrer Arbeit? Unter Arbeitsverdienst ist zu verstehen, was die Gefangenen durch ihre Arbei: der Anstalt an Verdienst einbringen vor Abzug der Arbeits belohnung für sie selbst. Der durchschnittliche Arbeits- Verdienst je Kopf der mit Arbeit beschäftigten Gefangenen schwankte im Rechnungsjahr 1925 zwischen 35 Pf. (in Hessen) und 215 Pf. (in Bremen). In Sachsen betrug er 105 Pf. in den Anstalten, in denen Strafen von mehr j als neun Monaten vollzogen werden, in den übrigen rund 50 Pf. Der Arbeitslohn, der den Gefangenen gut geschrieben wird, war am niedrigsten in Mecklenburg- Strelitz mit 8 Pf., am höchsten in Bremen mit 30 Pf. In Sachsen betrug er 29 Pf. in den Anstalten mit Gefangenen von mehr als neun Monaten Strafe und 15 Pf. in den übrigen Anstalten. Der Ertrag der Gefangenenarbeit be zifferte sich in allen deutschen Strafanstalten auf rund 28,4 Millionen Mark, wovon 1,2 Millionen Mark auf die sächsischen Gefängnisse entfielen. Die Kosten des Strafvollzugs ohne Abzug der Einnahmen aus der Arbeit beliefen sich 1925 auf ins gesamt 90,4 Millionen Marrk, wozu allerdings noch ge wisse andere Beträge kommen, die bei verschiedenen Titeln des Justizetats verschrieben werden. Sachsens Straf vollzug kostete 7 556 292 Mark, das sind je Kopf der Be völkerung 151 Pf. Auch hier steht wieder Hamburg mit 458 Pf. viel ungünstiger da. Der Reichsdurchschnitt be trug 145 Pf. Auf jeden der Gefangenen selbst entfielen im'Durchschnitt an Kosten im ganzen Reiche 1219 Mark, in Sachsen 1460 Mark. Am teuersten kamen die Ge fangenen in Hessen mit je 1845, am billigsten in Mecklen- burg-Strelitz mit je 410 Marrk zu stehen. Es sind also ganz stattliche Summen, die der Staat zur Sicherung der Öffentlichkeit aufzubringen hat. Auch Fährverbindung Deutschland-Dänemark eingestellt. Nachdem schon seit einigen Tagen der Fährschiffverkehr Deutschlands mit Schweden eingestellt werden mußte, gibt nun auch die dänische Staatsbahn bekannt, daß der gesamte Fährverkehr zwischen Dänemark und Deutschland infolge der riesigen Packeismengen stillgestellt ist. Weder Personen, noch Güter oder Post können zur Zeit befördert werden. Die dänische Fähre „Danmark" ist von den Eismassen derart beschädigt worden, daß sie gedockt werden muß. Mit der „Danmark" war das dänische Königs- paar über den Aeresund gefahren. Die Fahrt ging elf Stunden lang durch Packeis, das wiederholt die Bordhöhe erreichte. Einige Male sah es so aus, als würden die Eismassen die „Danmark" niederschrauben. Die „Schwerin" lag am Mittwoch etwa zwei Kilometer vor der deutschen Küste stundenlang im Eise fest. Es herrscht Proviantmangel, da man mit einer derartigen un freiwilligen Fahrtunterbrechung keineswegs gerechnet hat. Eine Iunkersmaschine der Deutschen Lust Hansa startete mit dem Auftrage, die Mannschaft der „Schwerin" mit Proviant zu versorgen. Das Flugzeug unternahm zwei Vorstöße in die Gegend von Graal, Müritz und Wustrow, ohne die „Schwerin" zu sichten. Anscheinend ist das Fährschiff ost wärts abgetrieben. Die Schiffsschraube der „Schwerin" ist durch das Packeis derart mitgenommen worden, daß es dem Fährschiff wahrscheinlich unmöglich sein wird, sich aus eigener Kraft aus dem Eise herauszuarbeiten. / Koman von k r i 1 2 1° o r n e g A LopvnsM dv Martin NslEvanser, »alle i8sr0s> !3 Von neuem stürmte er die Holztreppe hinauf und beugte sich über den großen Vogen Papier, der über und über mit technischen Zeichnungen, Formeln und Zahlen bedeckt war. In den zusammengezogenen Augenbrauen, oem fest- geschlossenen Mund — die Augen starrten wie gebannt vor sich hin —, lag der Ausdruck angespanntesten Denkens. Es lag Leidenschaft in dieser Denkarbeit. — Plötzlich schien Albert ein schwerwiegender Gedanke zum Entschluß gereift zu sein. Er sprang auf, schloß einige Kontakte an einer umfangreichen Apparatur, einer selbstkonstruierten draht losen Fernsprechersendestation und betätigte sie, indem er seinen Freund Balthasar anrief, dessen Stimme alsbald aus dem Lautsprecher deutlich vernehmbar antwortete. Balthasar Scheuch sagte zu, in Kürze zu erscheinen. Es säuerte auch kaum eine halbe Stunde, da trat Balthasar ein, um sich augenblicklich mit Albert in die Be rechnungen zu vertiefen, die dieser in der vergangenen Nacht angest'ellt hatte. Wenn man die beiden jungen Männer betrachtete, die sich Freunde nannten, so blieb einem wohl lange ver borgen, was sie etwa Gemeinsames haben mochten, das sie verband. In die Augen sprangen nur Gegensätze, schon äußerlich: Albert, hochgewachsen, schlank und kräftig. Blondes, wallendes Haar über der hohen Stirn gab ihm etwas Geniales, vielleicht Künstlerisches. Seine blauen Augen blickten klar und offen, sie verrieten Güte, Ver trauen, Wahrheitsliebe. Die Adlernase, die straffen Mus keln zum Mund herab, die schmalen Lippen, das etwas vorspringende Kinn verliehen seinen Zügen den Ausdruck des Entschlossenen, Mutigen, Energischen. Balthasar war kleiner, gedrungener, dunkelhaarig; die Stirn war niedrig, die dunklen Augen hatten etwas Stechendes, Scharfes, die hervortretenden Backenknochen, ver breite Mund konnten dem Gesicht etwas Brutales ver leihen. Sicherlich konnte dieser Mensch hart sein, vielleicht auch grausam. Mitunter zuckte ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel und machte seine Züge hämisch, ver bittert. Stirnrunzelnd, die Augen halb-geschlossen, hörte er den Bericht Alberts an Der sprach, wie ein Seher seine Ge sichte, seine Träume schildert, als wollte er den Zweifler überzeugen, ver nur ab und zu eine kurze Frage, eine Zwischenbemerkung machte. Er prüfte die Berechnungen Alberts, nahm selbst den Stift zur Hand, saß schweigend va und rechnete. Endlich wandten sich beide neuen prak tischen Versuchen zu. Apparate wurden hergerichtet und aneinandergepaßt. In gemeinsamer Arbeit schmolzen sie Drähte in Glasröhren ein, erzeugten Quecksilberdämpfe, durch welche elektrische Ströme gesandt wurden. Tagelang, Nächte hindurch dauerten diese Vorbereitun gen. Immer wieder waren Berechnungen anzustellen über die erforderliche Dicke einer Metallmembran, das prozen tuelle Mischungsverhältnis einer Verbindung mehrerer Gase, die erforderliche Ohmzahl eines elektrischen Wider standes. Wußten die beiden, was sie eigentlich erfinden oder entdecken wollten? Je mehr man sich der Fertigstellung nahte, um so erregter arbeiteten die beiden Menschen, Albert immer vorangehend, immer ausführend, Balthasar stets beobachtend, stets beurteilend, oft hemmend und ver- werfend. Nervöse Blicke, schweigsames Hantieren, Span nung, fast Ueberspannung der Nerven. Und endlich mit zitternden Händen die letzten Griffe, Schaltungen, Ver bindungen ... Es war die fünfte Nacht, die Albert fast gänzlich durch gearbeitet hatte, während Balthasar oft bis in die Morgen stunden blieb, dann aber heimging. Albert schlief meist nach dem Mittagessen bis zur Dämmerung, die übrige Zeit gehörte seinem Werke. Heute nacht aber gab es kein Aufhören vor der Vollendung. Und so war es gegen fünf Uhr morgens geworden, als Albert das Licht ausschaltete und den Stromkreis seines Apparats endlich schloß. Die Freunde hatten schwarze Schutzbrillen aufgesetzt. Schwere Bleischürzen, Brustpanzer und Handschuhe schützten den Körper, ein Bleihelm das Hirn vor den Strahlen, die heute zum ersten Male mit voller Energie auf den Beobachtungsschirm ausgesandt werden sollten. Eine Abart der Röntgenstrahlen, befähigt, die festen Gegenstände zu durchdringen und gleichzeitig vielleicht — dies war die Hoffnung Alberts, die er sich kaum einzugestehen wagte — Heilwirkungen auszuüben auf die inneren Organe des Menschen, vielleicht zerstörend und dadurch heilend Krebsgewebe zu beeinflussen, inten siveres Leben aber hervorzurufen in geschwächten Organen. Gelang es, so war ein neuer Weg eröffnet zum Heil der gesamten Menschheit! Freudenbringer, Aerzte, Be freier und Beglücker aller Leidenden würden sie werden, wenn es gelang. Und es mutzte gelingen, jene Wunder strahlen künstlich herzustellen, die Albert entdeckt zu haben glaubte, ohne sie gefunden, angeschaut, ohne sie gesehen, erlebt zu haben, ohne ihnen begegnet zu sein in den langen, kühnen, phantastischen Spaziergängen seiner Phantasie... ----- -