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WOm-LMM UM! Amtsblatt Nr. 276. Sonnabend, den 27. November 1S0S. Beilage. Sächsischer Landtag. Erste Kammer. 2. öffentliche Sitzung. Dresden, 25. November. Die Erste Kammer hielt heute nach 14täaiger Pause eine zweite öffentliche Sitzung ab. An den Verhandlungen, die mittags 12 Uhr pünktlich begannen, nahm auch Prinz Johann Georg teil. Im übrigen war das HauS nur schwach besetzt. Auf der Tagesordnung standen nur Mahirn. In den LandtagSauSschuß zur Verwaltung der Staats schulden wählt die Kammer zurufSweise: Vizepräsident Oberbürgermeister Geh. Finanzrat Dr. Beutler-Dres den und Geh. Oekonomierat Dr. v. Waecht er au Räcknitz zu Mitgliedern, Oberbürgermeister Dr. Käub - ler - Bautzen und Rittergutsbesitzer Stadtrat v. Trebra- Lindenau zu Stellvertretern. In den ständischen Ausschuß für daS Plenum der Brandversicherungskammer werden gleichfalls akklamationS- weise Geh. Oekonomierat Dr. v. Wa « chter und Sekretär Oberbürgermeister Dr. K ä u b l e r » Bautzen zu Mit gliedern, sowie Rittergutsbesitzer Hüttner auf Pirk und Bürgermeister W i l i s ch - Annaberg zu Stellver tretern gewählt. Damit ist die Tagesordnung erledigt. Nächste Sitzung mangels Beratungsstoffs erst Mittwoch, 8. Dezember, mittags «12 Uhr- Tages ordnung: Gesetzentwurf wegen vorläufiger Fort erhebung der Steuern und Abgaben. Erledigungen und Entschließungen auf die während des vorigen Landtages gefaßten Beschlüsse. Ein neuer natinnnlliberaler Antrag. Abg. Dr. Niethammer und weitere fünfund zwanzig Abgeordnete der nationalliberalen Fra'tion, denen sich auch der freikonservative Abgeordnete Dürr an- schloß, haben im Landtage folgenden Antrag eingebracht: Die Kammer wolle beschließen, die Königliche StaatS- rcgierung zu ersuchen, die Verwaltung der säch- fischen Staatsbabnen baldigst durch Verminderung der Instanzen und Erhöhung ihrer Verantwortung zu vereinfachen, damit den Ansprüchen, die man an den Verkehr in einem Lande von der industriellen Be deutung Sachsens zu stellen berechtigt ist, besser und in mehr kaufmännischer Weise genügt werden kann; >>) dir dazu erforderlichen Vorlagen ver Ständeversammlung noch in der gegenwärtigen Tagung zu unterbreiten. Sächsisches. — Lugau, 25. Noo. Tin hiesiger Fleischer- meister machte mit seinen Angehörigen eine Schlitten fahrt nach Lößnitz. Kaum war er in Stollberg an- gelangt, als der Schlitten inS Rutschen kam und in den Straßengraben stürzte. Die Insassen flogen heraus, ohne nennenswerte Verletzungen daoonzu- tragen. Man brachte das Geführt wieder in Ord- nung und alSdann setzte man die Fahrt fort. Kaum war man von Stollberg ein Stück entfernt, als wiederum der Schlitten inS Rutschen kam und diesmal auf der Straße umbppte, wobei sich die 12 jährige Tochter des Fleischermeisters schwere Ver- letzungen zuzog. Die Pferde rissen sich los, jagten mit der abgebrochenen Deichsei die Landstraße ent- lang und konnten erst ein halbe Stunde später auf- gehalten werden. Nach 3 stündiger R-paraturar- beit wurde die Heimfahrt angetreten. Der Fleischer meister selbst hat eine Verletzung am Kopfe davon» getragen. — Niederplanitz, 25. Nov. Der Häuer Hermann Müller von hier, der vor einiger Zett im Wilhelmschacht verunglückte und einen Bruch der Wirbelsäule und eine Zerschmetterung der Beine er litt, ist jetzt im Kgl. Krankenstift Zwickau seinen Verletzungen erlegen. — Olbernhau, 25. Nov. Der hiesige Stadtgemeinderak beschloß, den hier neu anzustel lenden städtischen Beamten von nun ab keine ilm zugskosten mehr zu getvähren. -- Dresden, 25. Nov. Das „Italienische Dörfchen" an der Elbe hat seit kurzer Zeit den Restaurationsbetrieb eingestellt und soll denmächst infolge des immer weiter fortschreitenden Brücken baues abgebrochen werden. Mit dem Italienischen Dörfchen schwindet wiederum ein Stück Ali-Dresden dahin, dessen Abbruch seitens der alten Dresdner Einwohner und auch von vielen Fremden, die Dresden kennen, lebhaft bedauert werden dürfte. Bekanntlich entstand die kleine Häuserkolonie aus Anlaß des Baues der katholischen Hofkirche, da die bei dem Bau beschäftigten Künstler und Bau leute hier wohnten, um nicht so weit zu ihrer Ar beitsstätte zu haben. Früher war Helbigs Etcwlis- emenr ein stark frequentiertes Restauranif und seine chön gelegene Elbterasse bildete besonders an war nen Tagen und Abenden einen Lieblingsaufenthalt )er Dresdner Bevölkerung. Hier fanden auch viel- ach große Festlichkeiten aus Anlaß von hier tagen- )en Kongressen statt, die gewöhnlich mit Wasser esten auf der Elbe und Auffahrten der Ruderve':cinc verbunden waren. Auch zahlreiche Dresdner Ver eine und Korporationen hielten jahrelang im Italienischen Dörfchen ihre Versammlungen und Festlichkeiten ab. Die kleinen intimen Säle niit ihreni Ausblick nach der Elbe wurden stark begehrt und es gab Zeiten, wo man lange vorher die Räume bestellen mußte, um sie benutzen zu kön nen. Bereits in der nächsten Zeit soll mit dem Abbruche begonnen werden, woraus dann auf dem- elben Gelände ein neues, modern eingerichtetes Nestaurakionsctablissement erstehen soll. — Leipzig, 26. Nov. Eines groben Ver- trauensbrüches machte sich Emil Riestnger, der Bu rauvorsteher und Kassierer der hiesigen General agentur einer Auswärtigen Versicherungsgesellschaft chuldig. Der Unehrliche wurde, wie jetzt erst br äunt wird, bereits am 8. November flüchtig, nach dem er innerhalb der letzten Monate etwa 8 006 Mark Geschäftsgeldcr veruntreut hakte. Wahr scheinlich befindet er sich bereits im Auslande. — Eine im Nordviertel wohnhafte Geschäftsinhaberin nahm kürzlich ein Dienstmädchen an, das sich Ida Marta Müller aus Grasdorf nannte, aber kein Dienstbuch vorlegen konnte. Die Person verschwand alsbald Ivieder, nachdem sie einen Geldbetrag von 270 Mark gestohlen hatte. — Wurzen, 25. Nov. Am Sonnabend hielt sich eine Leipziger Jagdgesellschaft im Jagd Hause Bach bei Wurzen auf. Ein Jäger sah seine Flinte nach, die sich entlud. Die Schrotladung drang dem Kaufmann Laton aus Leipzig in den Unterschenkel. Der Schwerverletzte wurde nach Leipzig in das Krankenhaus gebracht, wo er am Montag verstor ben ist. — Altenburg, 25. Nov. Kommerzien rat Hülsemann, Inhaber der gleichnamigen Tabak- lund Zigarrenfabrtk, die gestern ihr lOOjähriges Bestehen feierte, hat ein Kapital von 50 000 Mk. izur dauernden Aufrechterhaltung aller seiner bis jetzt bereits in das Leben gerufenen Wohlsahrts- einrichiungen bestimmt. Ferner soll a.n kommen den Lohntage in Altenburg und in sämtlichen aus wärtigen Filialen den Arbeiten! die Zahl der Ar- beilsjahre in Markstücken doppelt ausgezahlt werden. — Schleiz, 25. Nov. Seitens der deut schen Lustschiffahrtsgesellschaft in Dresden ist an die hiesige Stadtverwaltung ein Gesuch um Ueber- laffung eines möglichst ebenen, freiliegendes Platzes in der Größe von etwa —60 000 Quadratmetern zur Erbauung einer Halle für lenkbare Luftschiffe resp. Einrichtung eines Ankerplatzes eingegangen. — Tetschen, 25. Noo. In Jungwoschitz setzten vier Kinder dcS Ehepaares Perscbl beim Spielen mit Zündhölzchen Betten in Brand und erstickten im Qualm. Neuestes vom Tage. * B o m b e n a t t< n t a t eines Eifer- ü ch t i g e n. Aus Nom meldet man: Francesco Santafedo aus Neapel war vor zwei Jahren nach Amerika ausgewandert und hatte seine Frau und vier Kinder, denen er regelmäßig seinen Verdienst sandte, daheim zurückgelassen. Nach einiger Zeit vernahm er, daß seine Frau ein Liebesverhältnis nit dem Osterienwirt Turrddu unterhielt. Rache durstig fuhr er mit dem nächsten Dampfer über das große Wasser und warf in das Haus seines Ri valen zwei Bomben. Diese explodierten in dem- elben Augenblick, als das Pärchen in zärtlichem Tete-a-tete beisammen war. Durch die Explosion wurden die Fenster aller Nachbarhäuser zerbrochen, onst hat das Attentat des betrogenen Ehemanns einen Schaden angerichtet. * Reiche Beute eines Juwelen diebes. Die Juwelendiebe machen zurzeit in Rom glänzende „Geschäfte": Als der Juwelenhänd ler Moisaghi aus einer vergnügten Gesellschaft in sein Hotel zurückkehrte, fand er einen seiner Koffer zerschnitten vor. Es waren daraus Brillantringe, ein Hälsfchmuck Und Kerten im Werte von über hunderttausend Mark verschwunden. Blutstropfen, die im Zimmer entdeckt wurden und bis zum Ho telausgang führten, bewiesen, daß sich der Dieb bei seiner eiligen Arbeit verletzt hatte. * Retiung aus Seenot. Aus Bremen, 25. November, wjird telegraphiert: Am 25. No vember wurden von der bei Stilo-Leuchtturm ge strandeten deutschen Bark „Frida", Kapitän Speck, mit Kochsalz von Breiholz nach Königsberg be- stinnnt, zwe! Personen durch den Raketenapparat der Station gerettet. * Gasquelle. Im Klaufenburger Ko- mitat wurde in der Gemarkung der Gemeinde Kis- ärma eine Gasquelle entdeckt, wie sie bisher nur n Nordamerika vorhanden ist. Die ungarische Re gierung ließ an der Stelle Bohrungen vornehmen. Das Gas entströmte dem Boden schon in einer Tiefe vion 20 Metern, bei 200 Metern wurde der Druck so stark, daß faustgroße Kieselsteine mit in die Höhe geschloudert wurden. Man stellte fest, laß der Gasdruck 100 Atmosphären beträgt. Es handelt sich hierbei um iselten klares Methangas, das nur Prozent Nitrogen enthält. Gegenwär tig strömt das Gas aus einem sechs Meter hohen Rohr frei in die Luft. Die Negierung will den Gasdruck zur Errichtung eines Zentral-Elektrizttäts- werkes ausnutzen und hak das Ausnutzungsrecht von dem Besitzer derGasquelle für 100 000 Kronen erworben. * Pariser Spielhöllen. Die Pa riser Polizei geht jetzt wieder einmal scharf gegen die Häuser und Klubs vor, wo verbotenem Glücks spiel gehuldigt wird. Erst jüngst wurde qm Boule vard ein elegantes Nest dieser Art ausgehoben. Die Meisten Spieler gehörten dem schönen Geschlechte mr. Es wurden nicht weniger als drei Spiel häuser ausgenommen. Das eine nannte sich „Müt tervereinigung" und segelte unter der Flagge phi- laniropischer Bestrebungen. Am grünen Tisch dieses Cercle, der sich angeblich dem Schutze verlassener Kinder widmete, überraschte der Polizeikommissar dreißig Personen, darunter 25 Damen. Ein anderer Klub huldigte angeblich dem Fliegerspork. Die arme französische Sprache hat bisher für Fliegen und Stehlen das gleiche Wort. * Choristin und N a b 0 b. Miß Dollys Parnell, eine kleine Choristin in Hicks-Theater, hat ch in aller Stille mit Prinz Nasir Ali Khan, dem Sohne eines der mächtigsten und reichsten indischen Fürsten trauen lassen. Miß Parnell war in dem Stücke „My Darling" allgemein durch ihr schönes Gesicht und ihre graziöse Figur ausgefallen. Der Zrinz sah sie zum erstenmale vor etwa zwei Jahren. Der Prinz beschenkte seine junge Frau nach der Trauung mit einem Brillantenschmuck im Werte von vierhunberttausend Mark. Er und sie ind 26 Jahre alt. * Ein Nathans gestürmt. Aus bis her unbekannten Gründen sammelte sich in Castel orte bei Neapel ein großer Volkshaufe, hauptsäch lich Frauen und junge Burschen, und stürmte das Rathaus. Carabinieri und Feldhüter stellten sich der wütenden Menge mit erhobenen Revolvern ent gegen. Die Angreifer kümmerten sich aber nicht darum und häuften Register, Bücher, Dokumente und das Mobiliar zu einem Haufen zusammen, den sie in Brand steckten. Von dem Rathausge bäude blieben nur die kahlen Wände übrig. Jetzt wurde Knv-aNerie gegen das aufsässige Städtchen beordert. * Auf eigenartige Weise zu Tode gekommen ist ein Arbeiter aus Köln- Nippes, der einen Ofen gekauft hatte, den er auf einem Handwagen transportierte. Der Ofen kam dabet ins Schivanken, und der Mann sprang hin zu, um ihn zu stützen. Er wurde aber von dem Ofen getroffen und auf der Stelle getötet. Vsndet «ntz SsvsrSL» Kanmmolle. Liverpool, 2b. November. Tagesumsatz 6006 Ballen. Lieferungen Ruhig. November 7,42, November-Dezember 7,42, Januar-F-bruar 7,48, MSrz-April 7,56, Mai-Juni 7,5b, Juli- August 7,b1. Aorlt«, 25 November. SchlußpreiSsesistelluvgen der Ker- liner um »'/. Uhr. Wetzen, per De» Mirjam. Ein Roman aus Lem modernen Kairo von Erich Friesen. 4j Nachdruck verboten.) Ihren eigenen Kummer für den Augenblick ver gessend, faßt sie teilnehmend Madame St. Claires schlaff herabhängende Hände. Sie sind eiskalt. „Liebe Madame St. Claire! Was ist Ihnen?" „Nichts, nichts! Nur die schmerzliche Ncber- raschung, daß ich Dich so rasch verlieren soll. Du bist meine beste Schülerin . . . und ich habe Dich lieb —" Hastig streicht sie sich über die Stirn, in die Kummer und Sorge bereits tiefe Furchen gegraben. Dann fragt sie mit erzwungener Ruh«: „Wo wirst Du Dein ferneres Leben verbrin gen, Mein liebes Kind?" Wieder breitet sich finsterer Trotz über Mir jams weiche Züge. „Bet — ihr!" stößt sie erregt beraus. „ Bei — wem?" „Bei - - Lady Isabelle Morland." Ein leiser Schrei des Entsetzens entringt sich Madame St. Claires Lippen. „Bei — bei — — Lady Isabelle Morland?" „Sie kennen Sie, Madame?" forscht Mir-^ jam erregt. „In - - - nein ... das heißt, nur ganz flüchtig," stottert die Musiklehrerin. „Es ist schon viele Jahre her. Man erzählte sich damals gar eigenartige Geschichten über sie." „Was? Was?" Voll brennenden Interesses hängen die großen schwarzen Mädchenaugen an dem erregten Gesicht vor ihr. Doch Madame St. Claire schüttelt den Kopf. „Nichts für Deine Ohren, mein Kind! Lassen wir das!" Fest preßt Madame St. Claire die Lippen aus einander. Und auch Mirjam schweigt. Das seltsame Be nehmen der Musiklehrerin beunruhigt sie. — Eine Stunde später sind die Lichter ausge löscht in dem Institut der Madame Durand. Alles schläst. Nur die bleiche Musiklehrerin schreitet erregt in ihrem Zimmer auf und ab. Und Mirjam wirft sich in unruhigem Halb schlummer auf ihrem Lager hin und her . . . Träumt sie von den finstern Wolken, die sich über ihrein Haupte zusammenballen? . . . Durch zuckt eine Ahnung davon ihr juNgcS Herz, welch furchtbare Prüfung die Vorsehung für sie bereit hält? . . . Wird ihr heiterer Frohsinn, ihre überquellende Lebensfrcudtgkeit, ihr brennendes Verlangen nach Glück gebrochen werden? .... Oder wird ein gütiges Geschick die Hand über sie halten, daß ihre Jugendkraft triumphiert über die bösen Mächte, die sie zu verderben trachten? 2. Kapitel. Am nächsten Morgen. Leuchtendes Frührot. Die Weißen Wölkchen am tiefblauen Himmel überhaucht von zartestem Rosa. Eine leichte Brise weht vom Meer herüber durch die weit offenen Fenster der Schlafsäle des Instituts der Madame Durand. Noch umfängt tiefer Schlaf die rosigen Mäd chengesichter, die mit lächelnden Lippen dem kom menden Tag entgegenträumen . . . Nur Mirjam sitzt bereits vollständig angeklei- dei am offenen Fenster. Der Helle Sonnenschein hat jeden »rüben Ge danken in ihr weggewischt. Ruhig, ja fast in freu ¬ diger Erwartung, steht sie ihrer Zukunft entgegen. Da pocht es leise an die Tür des Schlaf saals. „Komm für ein paar Minuten mit in mein Zimmer, Mirjam! Ich habe mit Dir zu reden." Verwundert über den erregten Ton und die auffallende Blässe der Musiklehrerin, folgt Mirjam ihr durch verschiedene schmale Gänge bis zu dem kleinen, ziemlich kahlen Raum. Heute, bestrahlt vorn Hellen Sonnenlicht, sieht Madame St. Claire noch älter und vergrämter aus als gestern abend in dem halbdunklen Gang. Oder Hal die eine Nacht diesen schmerzlichen Zug um dil'>feinen Lippen gegraben? Die trau rigen Augen Mit solch dunklen Rändern umgeben? Mirjam gewahrt diese ^Veränderung kaum. Ihrer Jugend erschien Madame St. Claire stets alt — selbst, als sie vor etwa sechs Jahren von Madame Durand anstelle der verstorbenen Made moiselle Etienne als Musiklehrerin engagiert wurde. „Ich habe eine Bitte an Dich, Mirjam," be ginnt Madame St. Claire nach kurzem Zögen!. „Aber erstaune nicht zu sehr!" Ein aufmuntemdes Lächeln der frischen Mäd chenlippen als Antwort. Doch die Musiklehrerin scheint noch nicht ge willt, sogleich mit dieser Bitte herauszurücken. Sie steht auf, geht ans offene Fenster und steht hinaus auf die leuchtende Unendlichkeit des Meeres, als wolle sie in diesem erhabenen Anblick Mui schöpfen für das, was sie zu sagen hat. Plötzlich wendet sie sich mit einem Ruck dem harrenden Mädchen wieder zu. „Wer hat bestimmt, daß Du fernerhin bet jener Frau — bei — — Lady Isabelle Morland leben sollst?" „Mein verstorbener Baier." „Unmöglich." „Er hat sie zu meinem Vormund eingesetzt, wie Madame Durand mir sagte. Aber —" fährt Mirjam mil wieder erwachender Leidenschaftlichkeit fort — „ich werde mich nicht miterdrücken lassen! Ich nicht!" Ein bitteres Lächeln zuckt um Madame St. Claires Lippen. „Du kennst sie nicht, mein Kind. Kennst nicht ihren starren, unbeugsamen Willen, die fast hyp notisierende Macht, die sie auf ihre Umgebung ausübt. Du wirst ihr genau so verfallen, wie —" sic zögert, um hastig hinzuzufetzen — „wie andere Leute auch . . . Die kleine Fliege im Netz der großen Spinne!" Mirjam ist ganz still geworden. Wie eine Vor ahnung befällt sie eine große Angst vor der Zu kunft. Und plötzlich verläßt sie ihr Stolz, ihre Selbst beherrschung, ihr ganzer kindlicher Frohsinn. Sie birgt das Gesicht in den Händen und bricht in Tränen aus. Ein heftiger Kampf malt sich in Madame St. Claires stillen Zügen. Einen Augenblick ist es, als wolle sic den gesenkten Mädchenkopf an ihre Brust betten. Doch rasch bezwingt sic diese Aufwallung. Langsam geht sie auf das junge kiefbekümmerte Geschöpf zu. Mit sanfter Hand zieht sie die trä nenfeuchten Finger von dem lieben Gesichtchen fort und flüstert: „Mirjam, darf ich Dich begleiten? Du weißt, ich habe Dich lieb! Ich habe auf der Welt nie manden, zu dem ich gehöre. Ob ich hier lebe oder dort — Wer fragt danach!" Grenzenlose Ueberraschung läßt Mirjams Tränen rasch versiegen. Zwar hängen »och große Tropfen an den langen schwarzen Wimpern; aber der liebliche Mund lächelt bereits. (Fortsetzung folgt.)