Volltext Seite (XML)
„Wie schön Du bist!" Grete klatschte jubelnd in di Hände. „O Tu! Viel zu schade bist Du für eine Bolksschullehrcrin, viel zu schade! Gelt, Lene?" „Tu hast ja eure hohe Meinung von unsrem Beruf —" „Ach, Jutta wäre gewiss zehntaulcnomal lieber was anderes geworden, nicht Jutta?" „Nein, ich wüßte nicht, wes. Als Volke schull-hreriv hoffe ich sehr glücklich zu werden." „Das glaub' ich Dir, Jutterle, sprach Lene voll Ueberzeugung. „Wer so die Kinder liebt und versteht, wie Du! Mein Himmel, man möchte rein selbst noch solch ein erziehungsbedüntizcS Butt sein, bloß, um zu Dir in die Schule gehen zu können. Vergöttern werden Dich die Babies in C. Schreib' uns nur mal darüber" „Ja, oft mußt Du schreiben, Jutta, und wir werden's auch thun," versicherte Grete. „Ich nicht. Jutterle, mir nimm es nicht übel. Aber weißt, man hat genug mit den Heften zu thun und mit den Tabellen. Das ist eine ewige Schreiberei. Aber wenn ich gerade in Laune bin, kriegst Du, als Entschädigung für geduldiges Warten, gleich eine meterlange Epistel." „Wißt Ihr, wir sollten eigentlich heute ein Wieder» iehcn verab'eden, so in zehn Jahren —" „In zehn Jahren? Du bist verrückt, Grete,! Bis dahin können wir gestorben und verdorben sein Sonst ist der Gedanke ja vielleicht nicht schlecht" — überlegte Lene. „Aber kürzen wir die Frist, dann ist die Geschichte auch weniger langweilig. Sagen wir über s Jahr Was meinst Du, Jutta?" „Mir ist es recht." „Abgemacht. Hoffentlich sitzt nicht gerade eine von uns am Nordpol oder lehrt kleinen Hottentottenbübchen das ABC, oder verheirathet sich inzwischen und wird dann vom Ehelichsten nicht weggelassen. Kinder, das macht nur bei der Hochzeit gleich kontraktlich aus." „Wie? Willst Du am Ende als alte Jungfer sterben, Lene?" „?as ist der schlimmste Tod noch nicht. Ich komme bis dahin in den Ferien zu Dir, wenn Du den Pfarrer bekommen hast, der Dir seil Uranfang vor- ichwebt. Do wirds sicher Arbeit für mich geben, denn Pfarrhäuser und Kindersegen sind dicht beisammen." „Und wenn Martin Dich zur Frau möchte!" „Martin? Gott soll mich beschützen! Hoffentlich fällt ihm das niemals ein! Weißt, Gretel, Dich mag ich sehr gern, aber Deinen Marlin — nee — mich laßt aus! Mach' nur Du Deinen Pfarrherrn glücklich! Um mich sorg' Dich nicht. Ich verkrüm e mich schon " „Ach, aber immer und immer 'n der Schulstube — bis ans Lebensende — Lene, das hielte ich nicht aus. Ich heirathe und Jutta muß es auch thun." „Natürlich, die kriegt einen Grafen! Die muß schauderhaft glücklich werden mit dem Mann. Sonst ist's nix " Jutta stützte sinnend das Haupt in die Hand. „Ob zum Glück just der Mann nölhig ist?" Grete bejahte das entschieden. „Nöthig? Nein —" erklärte Lens, „aber Du, Jutta, Du darfst nicht so im Schatten verkümmern, in der Tretmühle des Alltags. Du darfst nicht einsam bleiben! Du bist ju viel, viel zu schön dazu!" „Darum?" Mit einem bitteren Lächeln schüttelte sie den Kopf. „Ich will nicht darum geheirathet werden, nicht nur um meiner Schönheit willen. Ich Haffe die Männer, die in uns nur das Weib sehen, die Mutter ihrer Kinder vielleicht, die gerade gut genug ist, für des Mannes Bequemlichkeit zu sorgen und im höchsten Falle ein Spielding für müßige Stunden ab- giebt. Ich will des Mannes Kameradin, will seine Gefährtin sein, die neben ihm durchs Leben wandert, theilnimmt an seinem Schaffen, die daheim ist in seiner Seele, wie er in der ihren. Aber noch bringt der Mann uns zu wenig Vertrauen entgegen, er achtet das Weib zu gering, er schaut herab auf dasselbe, weil er es zu wenig kennt, weil er sich auch nicht Mühe nimmt, es kennen zu lernen, in seiner Seele zu lesen Der Mann ist zu sehr Egoist. Doch der, den ich wähle, der soll nicht auf mich herabschauen dürfen, ich will nicht unter ihm stehen, sondern auf gleicher Höhe mit ihm —" Rasch, erregt hatte Jutta gesprochen, und starr vor Stauner waren die Freundinnen ihren Worten gefolgt. Erst als sie tiefaufatmend schwieg, kam wieder Leben in die schier Fassungslosen. „Das versteh' ich nicht," gestand Grete offenherzig. „Ich finde eigentlich, daß Du schrecklich anspruchsvoll bist. Das ist wieder Dein Stolz, das —" „Schwatz' kein Blech, Gretel!" fuhr Lene da» zwischen, die Juttas Hand ergriff und heftig drückte. „Jutterle, ich versteh' Dich! Ich versteh' Dich so gut! Du bist nicht anspruchsvoll — aber Du bist stolz! Und Du darfst es sein, mein Jutterle wahrhaftig, Du darfst es sein!" Fortsetzung folgt. war: „Sonnabend, 3. Mai 1902. Ich wache auf; es ist 5^ Uhr. Die Straßen und Häuser sind mit ein-r Schicht grauer Asche bedeckt, die dem Portland Cement ähnlich sieht Die Montagne PelSe, die seit acht Tagen «US ihrem langen Schlafe nach einem halben Jahrhundert erwacht ist, scheint von einer tiefschwarzen Rauchwolke um hüllt zu feint. Saint-Pierre — ein den Eingeborenen völlig unbekanntes Schauspiel! — scheint eine von grauem Schnee überdeckte Stadt zu sein. Ich sage zu meinen Bekannten: „Sehen Sie mal! das sind ja wahre Schnee effekte. Eine richtige Winterlandschaft, nur ohne Frost!" — Auf dem Wege der RiviSre Blanche kann ich nicht über das Ex Vcto hinauskommen Ein Staubregen blendet mich und dringt mir in die Rase ein. In diesem unnatürlichen Nebel vermag man um 9 Uhr Morgens keinen Menschen 30 Meter weit zu unterscheiden. Die Bewohner von La Montage-Guirlande, Le Prßcheur, La Grande Savane, Ause Seron, Grand Case und des Morne-Saint-Martin, sowie die der Höhen von Jsnard und Pavillot verlaffen ihre Häuser, Villen, Landsitze und Strohhütten, um sich in die Stadt zu flüchten. Das ist ein wildes Laufen von erschreckten Leuten, ein seltsames Gemisch von Frauen und barfüßigen Kindern, von Bäuer innen, deren Zöpfchen, ohne daß sie eine Ahnung davon haben, bepudert sind, wie die Marquisen der Rokoko- Epoche, und von großen schwarzen Gesellen, die unter der Last der für die nächste Nacht erforderlichen Matratzen daherkeuchen, wahrend an den Fenstern der städtischen Häuser alte Frauen unaufhörlich die Lippen im Gebet be wegen. Gegen 10 Uhr lag die Asche drei Centimeter hoch in den Straßen des Forts. Die Läden und Schulen sind geschlossen. Der Gouverneur Herr Mouttet ist mit dem „Rubis" aus Fort de France angelangt Die Stra ßen liegen düster da; die Pflastersteine ertönen nicht unter den eilfertigen Schritten geschäftiger Leute Man sollte meinen, daß die Steine unserer Dämme und Bürgersteige plötzlich durch Holzpflaster ersetzt worden wären — Mit tag. Die Zeitung „Les Colonies" hat soeben eine Sub skription für die Bewohner der Montagne Pel4r und von Le PiHchcur eröffnet. Die Löschmä-ner bespritzen aus den Wasserleitungen die Straßen In den hochgelegenen Vierteln und in den Gäßchen ordnet ein Polizist, der non einem eine Glocke schwingenden Manne begleitet ist, die Besprengung an. Ich fühle mich beklommen und die Nafe brennt mir Sollen wir denn alle des Erstickungs todes sterben? Die Priester haben in der vergangenen Nacht die Kirchen öffnen lassen und wäbrend der Vulkan aus zwei Kratern eine Rauch- und eine Feuersäule in die Luft schleuderte, beteten und beichteten die Gläubigen und hörten aus die Ermahnungen der Priester, von dem Grollen des Vulkans au s äußerste beunruhigt. — Die Eltern E,'s Haven FondCorö verlassen wo man nicht mehr zu athmen vermag: sie sind bei Madame P. unter gebracht. Ich habe B. noch nicht gesehen und weiß auch sonst nicht, ob die Naturerscheinung ihn au- seiner Berg halde des Morne-Cods überrascht bat. Von der Place Bertin kann man nicht den oberen Theil der Rue Jlam- bert, das Bett der Roxelane und den Hügel der Erzieh ungsanstalt der Peres du Saint Esprit unterscheiden. Von der Ankerplatzschule aus macht eine dichte Rauch wolke über den Glockenthürmen der Kathedrale selbst die Masse des Morne Abel unsichtbar. Was bebält uns der kommende Tag vor? Einen Lavastrom? Einen Stein regen? Einen Ausbruch erstickender Gase? Oder irgend eine Ueberschwemmungskatastrophr? — Niemand vermag es :u sagen. Der Ausflug, den wir für morgen mit Unterstützung des Turnvereins organisirt hatten, ist auf ein späteres Datum verschoben worden. Ich umarme Dich von ganzem Herzen, theurer Bruder, und werde Dir meinen letzten Gedanken widmen, wenn ich sterben soll — Bezähme Deinen Schmerz unseretwegen. Roger Portei " . . . . * * * Dem „Bureau Laffan" wird aus Newyork über die Lage auf der Jn^el St. Vincent teligraphirt: Unser Korre spondenl auf St. Vincent ist 50 Meilen weit durch das verheerte Gebiet geritten und giebt von dem, was er ge sehen hat, folgende Schilderung: Das Land ist in eine 18 Zoll tiefe Decke von Asche und Steinev gehüllt, unter der die gekämmte Ernte und alles Grün begraben liegt. Am schlimmsten ist die Verwüstung im Nor.wsten der Intel. Sechs gesonderte Laoaströme ergossen sich aus dcm Krater und verbrannten die Dörfer WaMou und Richmond. Eine 100Fuß tiefe Schlucht, wo sich die Quelle desRabocc r Flusses befindet, ist ganz angesüll ; Wallibou ist zum Theil unter dem Meere, das ganz in der Nabe befindliche Rich mono hat sich dagegen gehoben, die Dörfer Rahacca u d Lot Fourtcen sind vernicht-t, während die Orte Orange Hill, Tourama, Mount Bentmck, Lang uno Byoark zum Theil zsiüört sind — Das Knecsich sf „Jndesatigable" ,brachte 25 Tonnen Lebensmuts! aus Trinidad. Nahrung st jetzt reichlich, aber die Unter lunn ist mangelhaft Schulen und Regierungsqebäudc dienen zur Beherbergung der Flüchtlinge. In Samy Bay fanden verschiedene Erd ¬ stöße statt und der Gouverneur befahl den 400 Ein- wohnern, den Ort zu verlaffen. Sie flüchten jetzt nach Kingstown und Georgetown. In den nächsten Monaten wird die finanzielle Lage in St. Vincent noch schlimmer werden, da das Land verwüstet ist und die Produkte zer stört sind. Die Regierung muß dann die Bevölkerung ernähren, bis das Land wieder bepflanzt ist. Die Zahl der Getödteten beträgt 1700. Im Gegensatz zu St. Pierre, wo die Verunglückten durch gifiige Gase erstickt wurden, find die auf St Vincent um's Leben Gekommenen meist durch heißen Sand tödtlich verbrannt oder von» Blitze erschlagen worden. Die Todten werden an den Stellen begraben, wo die Beerdigungsmannschaften sie finden. Längs der Landstraßen, aus Feldern und Hügeln, üllerall, wohin die Erschreckten flüchteten, reihen sich Gräber Ueber 1300 Leichen sind bereits begraben worden. 300 Verunglückte sind jetzt im Hospital zu Kingstown; 100 sind nach Georgetown geschafft worden. SSchsischeS. Hohenstein-Krnstthal, 22. Mai 1902. Mitthetlungcn von allgemeinem Interesse werden dankbar ent gegengenommen und eventl. honorirt. Deutsche LehrerBerfammlung. — Chemnitz, 20. Mai. In dem gestrigen Bericht haben wir bereits kurz angedeutet, welche Borträge am ersten Bersammlungrtage gehalten worden sind. Zunächst sprach Professor Dr. Rehmke-GreisL- wald über „Universität und Volksschullehrer". Er bezeichnete es als nothwsndig, daß den Lehrern das Recht des Universitätsbesuchs eingeräumt werde. Ju der Hauptsache müsse der Lehrer pädagogische Vor lesungen hören, er werde aber auch an anderen Wissenschaften nippen, ohne sich dadurch zu berauschen. (Beifall und Heiterkeit.) EL sei schon deshalb noth- wendig, den Volksschullehrern die weitaus größte w ssenschaftliche Ausbildung angedeihen zu lassen, da die Lehrer nicht bloß die Schule halten, sondern sie auch leiten sollen. Mit der Forderung, der Lehrer solle die Schule leiten, stoße man vielfach auf Wider spruch bei dem geistlichen Stande. Man müsse diesem klar machen, daß die Leitung der Schule durch den Lehrer keineswegs eine Feindschaft gegen die Religion bedeute. Es sei durchaus keine Feindschaft gegen die Religion vorhanden, wenn man die Selbstständigkeit und Freiheit der Schule fordere. Wenn dies aber voll erreicht werden solle, dann müsse dahin gestrebt werden, daß die Lehrer zum Universitätsbesuch zuge» lassen w rden. Er halte es für eine Ehre der Uni versitäten, wenn sie in den Dienst der Volksschule treten. (Stürmischer Beifall.) Lehrer Pretzel-Berlin sprach über die Bedeutung der Volksbildung für die Volkssittlichkeit. Der Redner wies die Behauptungen zurück, daß die größere Volks bildung zur Sittenlosigkeit beitrage. In Ländern, wie Belgien und Rußland, in denen die Volksbildung auf der niedersten Stufe stehe, vermehren sich die Verbrechen aller Art in ganz ungeheuerlicher Weiss. Die Statistik weise überhaupt auch in allen anderen Ländern nach, daß Volksbildung und Bolkssittlichkeit stets Hand in Hand gehen. Die Behauptung, daß die Volksbildung die Sittenlosigkeit sördere, sei nicht nur falsch, sondern geradezu eine Perfidie. Die Leute, die solcher behaupten, seien eben aus selbstsüchtigen Gründen Feinde der Volksbildung. Allerdings sei es einem Lehrer nicht möglich, die Kinder zu sittlichen Menschen zu erziehen, wenn derselbe 80, 100 und oftmals noch weit mehr Kinder zu unterrichten habe und kaum ein Jahr lang mit den Kindern zusammen sei. Im weiteren sei es erforderlich, daß die Unter- richtrstoffe auf den sittlichen Willen der Kinder ein wirken. Der Redner forderte zum Schluß die Ein- süh-ung des obligatorischen Fortbildungs-Unterrichts für Knaben und Mädchen und ersuchte, folgenden Leitsätzen zuzustimm n: 1. Die von Gegnern der Volksbildung aufge- stellte Behauptung, daß durch gesteigerte Bildung die Sittlichkeit d.S Volkes geschädigt werde, widerspricht ebensowohl den Thrtfachen wie den Lehren der Psychologie. 2. Alle d r Hebung der Volksbildung dienenden Veranstaltung w, vornehmlich die Bo.ks- und Fort- bildungSschub, üben um so mehr auch auf die sitt liche Entwicklung des Volkes einen günstigen Einfluß aus, als sie nicht etwa einseitig die Vermehrung ver standesmäßig angeeignetcil Wissens erstreben, sondern abwehrend und aufbauend die Entwicklung sittlicher Persönlichkeiten dir»kl fördern. In d.r D.tcafsio > stimmte Lehrer Golling am Zellengesäng riß zu Moabit Mm Vortragenden bei, daß die Volksbildung nur geeignet fei, die Sittlichkeit zu fördern. Wenn die Sittenlosigkeit in den letzten Jahren zugenomnicn habe, so liege daS daran, daß die Errungenschaften der Neuzeit noch nicht erkannt bezw. verstanden worden seien. Nach Eröffnung der 2. Hauptversammlung kam zunächst der Dank Sr. Majestät deS Königs auf daS an ihn gesandte Telegramm zur Verlesung. Hierauf nahm Hauptlehrer Wolgast-Hamburg das Wort zu dem Bortrage: „Die Bedeutung der Kunst für die Erziehung. Vom Werthe und der Nothwendigk.it der künstlerischen Erziehung ausgehend, schilderte Redner den Menschen, den wir erziehen möchten, ver breitete sich über die Mittel der künstlerischen Erziehung im Allgemeinen und im Besonderen, und stellte dabei eine ganze Reihe von Leitsätzen auf. In der allgemeinen Debatte spricht als erster Redner Lehrer Kasten-Brandt-Hamburg, der sich ent- schieden gegen die künstlerischen Bestrebungen der Hamburger wendet. Für die Hamburger sei die Kunst ein Kulturkampsmittel und es sei bezeichnend, daß gerade die Hamburger, die die Religion aus der Schule befördern wollten, die hauptsächlichsten Ver treter der Kunstbewegung seien. Otto Ernst und Wolgast spielten sich als Begründer der Bewegung auf, in Wirklichkeit sei es aber ein anderer Hamburger. (Beifall, Zischen, Lärm.) Otto Ernst (mit lebhastem Beifall begrüßt) weist die Angriffe Brandts zurück und widerspricht der Behauptung Brandts, daß der Lehrertag nicht das geeignete Forum sür die Frage der Kunsterziehung sei, ganz entschieden. Der religiösen Frage sich zuwendend, protestiert er gegen die Unter stellung, daß man seitens dw Hamburger Freunde der Kunstbewegung der Religion feindlich gegenüberstehe. Man solle abwarten, ob eine Sache, die angeblich nicht von Gott sei, werde bestehen können. Falsch sei auch die Behauptung, daß die künstlerische Erziehung die Sittlichkeit untergrabe. Er bitte dringend darum, die Sache nicht durch aufschiebende Beschlüsse im Sande verlaufen zu lassen. Wenn man eine Sache durch hundert Erwägungen wie durch hundert Siebe treibe, verkrümele sie sich schließlich ganz. Man möge prüfen, gründlich prüfen, aber dann für das als recht Erkannte mannhaft eintr-ten. Die Kunsterziehung werde zu einer Renaissance der deutschen Pädagogik führen. (Stürmischer Beifall.) RieS-Frankfurt a. M. tritt für Freiheit der Diskussion in der Kunster ziehungsfrage ein und wünscht, daß ihre Pfadfinder ungehindert zum Worte gelangen. Er verfolge die Bewegung seit Jahren und habe in seiner These einen freundlichen, aufmunternden Geleitsbrief niedergelegt. Die These lautet: Die allgemeine deutsche Lehrerver sammlung begrüßt die neue Kunstpädagogik mit Freuden und ist überzeugt, daß Schule und Leben zu ihrer Bereicherung und Veredelung daraus schöpfen werden. Sie hält aber zur Zeit die neu auftauchen den pädagogischen und künstlerischen Probleme noch nicht für genügend geklärt, um schon jetzt ins einzelne gehende Beschlüsse fassen zu können. Schließlich wird der Antrag Rics unter großer Bewegung der Ver sammlung, die sich in zwei einander gegenüberstchende Hälsten gespalten hat, mit 169 gegen 100 Stimmen angenommen. Nach kurzer Pause sprach Lehrer F. Wolgast-Kiel über „Wie stellen wir uns zur Einführung des Haus haltungsunterrichts in den Lehrplan der Mädchen- fchulen?" Der Redner hatte seinen Ausführungen folgende Leitsätze zu Grunde gelegt: 1. Die allgemeine Einführung des Haushaltungsunterrichts in den L hr- plan der Mädchenschulen ist abzulehnen, weil durch diesen Unterricht die Ausgabe der Mädchenschule als einer allgemeinen Bildungsanstalt nicht gefördert wird, ter Unterricht keinem allgemeinen Bedürfniß entspricht and die hauswirthfchastliche Unterweisung der Mädchen zunächst Pflicht der Hauses ist. 2. Wo in großen Srädten und Jndustciebeziiken die sozialen Verhältnisse dem Hause die hauswirthfchastliche Unterweisung un möglich machen, ist sie im Interesse dec Erhaltung des Familienlebens der Fortbildungsschule zu überweisen. 3. Wo diese fehlt, muß die Ueberweisung in besoi deren Kursen unter Anlehnung an die oberen Klassen der Volksschule erfolgen. Redner macht- aus die Gefahren aufmerksam, welche die Einführung des Haushaltungs- Unterrichts in den VolkSschulenmitsichbrwge u. bedauerte, daß man bereits in mehreren Städten den Volksschul- lehiern die Zumuthurg gemacht habe, einen Haus haltungsunterricht auf Kosten der anderen Fächer in den Lehrplan auszunehmen. Er bat die Versammlung, in irgend einer Weise zum Ausdruck zu bringen, daß die deutsche Lehrerschaft gegen eine derartige Neuerung protrstire. Nach langer Debatte, in welcher eine ganze Reihe von Nebenthesen zur Ausstellung gelangte, wur- den die Thesen des Referenten en bloe angenommen. Damit erreichten die Berathungen gegen 3 Uhr ihr Ende. — Der Schluß-CommerS am Nachmittag brachte eine Stimmung in die zum Theil mit ihren Damen erschienenen Lehrer, wie sie freudiger kaum gedacht werden kann. Den Schluß und Glanzpunkt des Lehrertages bildete das große Konzert des Lehrergesangvereins, daS am Mittwoch Abend im großen Saale des „Kausmännischen Vereinshauses" veranstaltet wurde und daS einen Kunstgenuß von auserlesener Güte darstellte. — Regen im Mai. Mit großer Liebe, so schreibt die „Wiener Abendpost", hat sich von jeher der Volksmund mit dem Regen im Mai beschäftigt. Vom Kinderliebe bis zu den Bauernregeln hören wir das Lob deS Mairegens singen. „Biel Regen im Mai, singt der Bauer „Juchhei". In Nieder- und Ober-Oesterreich lautet ein Spruch: „Viel Regen im Mai — bringt das ganze Jahr Brot und Heu." Dieselbe Wohlthat des Mai-Regens verspricht eine Regel, die lautet: „Mai kalt und naß, füllt dem Bauer Scheun' und Faß." „Nasser Mai — viel Stroh und Heu." Nach der Bauernregel und Er fahrung ist es immer das Heu und Getreide, welchem der Mai-Regen zu gute kommt. Den trocknen Mai liebt der Bauer nicht: „Trockner Mai — dürres Jahr." Schon vom 1. Mai verlangt man Regen. In Mähren lautet der Spruch dafür: Philipp und Jakobi Regen, Bringt sicher Frucht und Segen. Auch zu Pfingsten muß es regnen: Nasse Pfingsten, Fette Weihnacht. Zwei Tage sollen eine Ausnahme machen: „Pankraz und Urban ohn' Regen, Folgt ein großer Weinsegen." Nicht ganz im Einklänge mit den Meinungen von diesen Lostagen lautet ein Wort in Böhmen: „Maimond kühl — Brachmond naß, Füllen beide Boden und Faß." In Siebenbürgen singen die Kinder, indem sie beim Regen im Reigen tanzen, ein hübsches Liedchen: „Maire'n.... Trippe trä'n .... Re'n op mich, Dann wa's ich ... ." (Mai-Regen, tröpfelnde Thrüne regne auf mich, dann wachse ich . . . .") Dasselbe Liedchen hört man am plattdeutschen Nieder-Rhein. „Mai-Regen, Mai-Regen, Von oben kommt Segen . . singen die Kinder an vielen Orten. Regen und Segen reimen sich sehr schön — aber es kann auch zu viel des Segens werden. Ein Wort scheint darauf hinzu weisen : Regen am Himmelfahrtstag Zeigt schlechte Heuernte an." Im heurigen Mai hat eS an Kälte und Regen nicht gefehlt. Ob uns jetzt der Segen zutheil wird, welchen die Volkssprüche versprechen, haben wir abzuwarten. Die Vorbedingungen dazu sind aber gegeben. Der ausnahmsweise milde Winter hat ?alle Saaten gut aufgehen lassen und die Regenperiode jetzt seit Wochen, wenn auch den Großstädtern gar nicht genehm, hat doch das große Gute, daß aller Saaten- und Pflanzenstand kräftig gediehen ist. Das Bild von den lachenden Fluren und Saaten zur Maienzeit, fonst manchmal nur ein Zerrbild, rechtfertigt Heuer seinen Namen durchaus und an ihm mögen sich auch die Auiflüglerschaaren der Festtage erfreut haben, ob schon diese sonst mehr aus die Landschaft als auf die Landwirthschaft sehen. Mit einem Blick auf ihre wallenden Saaten tröstet sich Heuer die Landwirth- fchaft über ihre sonstige Unbill, über die Entwcrthung ibrer Erzeugnisse, über ihre mageren Aussichten im Zolltarif und vieles Andere mehr. Die Aussicht auf eine gute Ernte ist aber auch einer der wenigen, um nicht gleich zu sagen der einzige Lichtblick, der sich heute den Landwirthen bieten Falbs Prognose für die nächste Zeit lautet: 18. bis 25. Mai: D e Regen lassen etwas nach. Nur um den kritischen Termin des 22. Mai (3. Ordnung) nehmen sie wieder zu. Es treten zahlreiche Gewitter ein. — Hohenstein C. Schwerer Kummer hat eine hier wohnende achtbare Familie betroffen. Am 2. Pfingstfeiertag verließ der sich in guten Verhält nissen befindliche Strumpfwirker P- in Begleitung seines 5 jährigen Töchterchens seine Wohnung, um Jutta. Roman von Ella Lindner. 2. Fortsetzung. (RaLdruck verboten). Weich und wonnig wehte die Frühlingslust durch die Straßen und Gassen der alten Stadt Ein Häuflein Kinder spielte im Sonnenschein mit bunten Thonkugeln, und die ewig hungrigen Spatzen zankten sich schreiend um ein paar Semmelbrocken, die im Rinnstein lagen An den rauchgeschwärzten Schornsteinen glitten kosend goldene Flimmerstrahlen auf und nieder, und zwitschernd kreisten die Schwalben um den leuchtenden Thurmknopi der St, Johanneskirche. Und draußen am Waldrand da blühten die Anemonen und über der stacheligen Weißdornhecke hing es wie ein zartes Spitzengewebe, und ein Duft war überall — solch ein kräftiger Lenz duft nach frischer Erde und jungem Grün. Und de, Himmel, welcher durch die Bäume strahlte, war so wunde'som tiefblau, und der Vögel Lied klang so jauchz-nd aas dem Gezweig, und das Herz ging einem aus bei cll' der Herrlichkeit Und Lens fang mit den Vögeln um die Wette, aber nicht aus dem Kommersbuch, sondern lle ne, innige Volkslieder, die Jutta so besondere liebte, und bald fick auch diele mit ihrer weichen, dunk len Altstimme ein, indes Grete unter den Hrcken nach Veilchen herumlroch. Arg zerzaust, aber mit eimw ganzen Busch der duftenden Frühlmgskinder, kam sie in der Grundmühle an, wo sie die Veilchen, als man p audervd in der Gcieblattlaube beisammen saß, zum zierlichen Kranze flocht, und nicht eher ruhte, bis Jutta den breitrandigen Strohhul abnahm und sie ihr das Gewinde, dessen tiefes Blau w ndersam mit dem röthlich schimmernden Haar kontrastierte, in die Locken drücken durfte.