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Nr. 54 1899 © Buchgewerbe Buchbinderei * * Buchdruck *** *** Buchhandel * * * Steindruck XXXKXX XXXXXXX Eingesandte Werke finden Besprechung Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Sachliche Mitteilungen finden kostenfreie Aufnahme Berliner Buchgewerbesaal Während der Sommer-Ferien werden an jedem zweiten Dienstag und zwar am 7. Juli, 21. Juli, 4. August und 18. August abends von 8 bis 10 Uhr Lesestunden im Buchgewerbesaal abgehalten werden. Die Mitglieder der Typographischen Gesellschaft werden ersucht, sich hieran lebhaft zu beteiligen und in Kollegenkreisen auf diese allen Facbgenossen zugänglichen Lese-Abende aufmerksam zu machen. Lesbarkeit der Schriften Der Modegeschmack zieht keine gerade Linie, er pendelt zwischen den Extremen hin und her. Eine Zeit lang schwärmt man für das Feine und Zarte, um dann wieder das Harte und und Kräftige angenehmer zu finden, und umso weiter ist der Ausschlag des Pendels, je näher man der Periferie des guten Geschmackes kommt, wo das feine Empfinden allmälig durch lautes geschäftliches Treiben und lebhaftes Reklame-Bedürfnis erstickt wird. Wieviel Richtiges und Unrichtiges war auch an dieser Stelle s. Zt. über den »Goldenen Schnitt« zu lesen, der in tiefgründigen Darlegungen als das wieder aufgefundene Maass für das Schöne auch im Buchgewerbe gepriesen wurde! Wer spricht heute noch davon? Nach der Periode der feinen Schriften und Ornamente, gegen die plötzlich alle Entrüstung aufgeboten wurde, erlebten wir eine starke Abschwenkung ins Gegenteil: die Schriften wurden gross, dick und massiv, ohne darum lesbarer zu werden, und nun kehrt man schon wieder um und sucht den goldenen Mittelweg, bis auch der — fade und abgebraucht — verlassen wird. In dieser Weise haben die grossen Stilarten abgewechselt, ab und zu durch einen neuen Stil bereichert, aber regelmässig wiederkehrend, und ebenso werden uns die heutigen Schrift formen nach Jahren hässlich und unleserlich erscheinen. Man sollte glauben, dass es nicht schwer sein könne, eine Idealschrift zu erfinden, die das Höchste an Lesbarkeit dar stellen sollte und dem Verlangen nach Schönheit möglichst entsprechen müsste — daran ist aber nicht zu denken, so lange die grosse Masse der Kaufenden jedem Schreier ohne Ueberlegung nachläuft. Schliesslich würde aber auch die Idealschrift lästig werden, denn das Auge verlangt nach Abwechslung, und dies ist die eigentliche Triebfeder für alle Umwälzungen auf jedem Gebiete künstlerischer Betätigung. Ganz falsch ist es, ein bleibendes Verhältnis zwischen Grund- und Haarstrichen der Druckschrift festlegen zu wollen. Derartige Schriften würden wir uns schnell satt sehen. In den heutigen Brodsohriften spukt übrigens wieder der »Goldene Schnitt«, der für die Grössen- und Stärke-Verhältnisse heran gezogen wurde. Dadurch entsteht ein zwar ruhiges, angenehmes, aber auch flaues Bild, und es wirkt recht erfrischend, einmal einer Schrift zu begegnen, die stärkere Unterschiede aufweist. Niedrige Formen der Mittel- und Kleinbuchstaben machen eine Schrift im Allgemeinen lesbarer. Dam widerspricht aber das künstlerische Prinzip, die Schriften ins Rechteck zu zeichnen, also hohe, schmale Gemeine zu bilden. Viele halten eine glatte Grotesk für lesbarer als jede andere Schrift, weil sie das ruhigste Bild gebe. Diese Auf fassung ist falsch. Gerade die Betonung der Grundstriche macht die einzelnen Formen von einander leichter unterscheid bar und hilft uns, Wörter und Sätze schneller aufzufassen. Aehnliches ist von den Formen selbst zu sagen: Schriften mit vielen charakteristischen Merkmalen, z. B. Fraktur, müssen nachweislich lesbarer sein, als solche, bei denen viele Formen, die in der Frakturzeile auf den ersten Blick hervorleuchten, in einer grauen Menge ähnlicher Figuren verschwinden. Man sieht, dass bei dem Bemühen, die lesbarste Schrift zu erfinden, Streitfragen auftauchen, die noch der Lösung harren, und über die selbst beim besten Willen aller Beteiligten keine Lösung herbeigeführt werden kann, denn hier spielen Gewohnheiten und Neigungen hinein, die grösseren Einfluss haben als vernünftige Ueberlegung. Diejenigen aber, die Schriften erzeugen, sollten in den Grenzen, die sie sich selbst ziehen mögen, den höchsten Grad der Lesbarkeit anstreben. Dies gilt auch für die Künstler, die sich dem Buchgewerbe nebenbei widmen. Da Zweckmässigkeit der erste Grundsatz für jedes Kunstwerk ist, so muss Lesbarkeit die Hauptbedingung für Schriftformen sein. Was soll man aber sagen, wenn Kunst- Professoren alle Lücken, die Zufall oder weise Berechnung in die Schriftformen gebracht hat, absichtlich ausfüllen? Der ruhige künstlerische Eindruck eines Ornamentes mag da durch erreicht werden, aber wo bleibt die Lesbarkeit? »Zierstücke aus der guten alten Zeit« hat die Firma Breil- kopf & Härtel in Leipzig in einem Sonderheft herausgegeben, das sich an frühere ähnlich interessante Ausgaben dieser Anstalt ansohliesst. Die Firma sagt selbst, dass sie die Originale in einem alten Schrank — vergessen und verstaubt — vorgefunden habe; wenn sie aber zufügt, dass es »zahlreiche wirklich köstliche Leisten und Vignetten seien, die auch noch heute volle künstlerische Geltung beanspruchen dürften«, so muss dem widersprochen werden. Die Stücke sind mangel haft gezeichnet, die Perspektive ist schlecht, die Gesichter sind Karrikaturen dessen, was sie darstellen sollen. Ausser dem ist das Ornament plump, unbeholfen, plastisch gehalten, und die technische Ausführung so, wie sie ein Xylografen- Lehrling in den ersten 14 Tagen seiner Lehrzeit liefern würde. Damit sollte man heute, wo die Begriffe über das Gute und Schöne sich abzuklären beginnen, den Buchdruckern nicht mehr kommen. Die Sammlung hat höchstens historischen Wert. Buntpapier und seine Verwendung für Bucheinbände von Paul Kersten Aus unscheinbaren Anfängen hat sich in Deutschland im Laufe verhältnismässig kurzer Zeit eine Industrie entwickelt, deren Erzeugnisse heute den Weltmarkt beherrschen: die Buntpapierfabrikation. Wenn wir seit kurzem auch wissen, dass bereits seit dem Jahre 1799 ein gewisser Graul in Leipzig Buntpapiere fabrikmässig herstellte, und dass um 1801 eben daselbst eine nach damaligen Begriffen umfangreiche Bunt papierfabrik von J. Heinrich Gräff bestand, so muss doch als Ursprungsort dieser spezifisch deutschen Industrie Aschaffen burg bezeichnet werden; denn während die erwähnten Leip ziger Betriebe wohl nur kurze Zeit bestanden, verbreitete sich diese Industrie von Aschaffenburg aus in eine Reihe anderer deutscher Städte, wie Breslau, Dresden, Schneeberg, Fürth, Kassel, Merseburg, München-Gladbach, Goldbach. Auch die belgische Buntpapierindustrie in Turnhout ist von Aschaffenburger Arbeitern dort eingeführt worden. In keiner von diesen Städten erreichte die Buntpapierindustrie aber die Höhe wie in Aschaffenburg, wo in vier Betrieben, von denen einer der grösste der Welt ist, gegen tausend Per sonen Beschäftigung finden. Als Gründungszeit dieser Industrie kann man das Jahr 1808 annehmen; damals musste der Bankier Alois Dessauer die Papierfärbeeinrichtung eines Buchbinders Namens Knothe übernehmen. (Bekanntlich fertigten sich ursprünglich die Buch binder alle benötigten bunten Papiere selbst an.) Dieser Alois Dessauer ist als Gründer der deutschen Buntpapierindustrie zu bezeichnen, er ist zugleich der Gründer der unter gleichem Namen noch heute bestehenden Firma Alois Dessauer, deren jetziger Inhaber Herr Alexander Herlein ist. 1850 starb Alois Dessauer, und dessen Söhne, Joseph und Franz Dessauer, übernahmen die Fabrik, doch trat letzterer bald wieder aus und gründete am 1. August 1850 mit einem Stamm alter Ar beiter eine neue Fabrik, die später, als ein gewisser Hausen als Kompagnon eintrat, Dessauer & Hausen firmirte und 1859