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UMm-ClOIM T»Mit. Amtsblatt. Nr. 12V. Sonntag, den 27. Mai 1900. 1. Beilage. Politische Wochenschau. Im Reichstag Hal das große parlamentari sche Reinemachen begonnen, denn nach den heftigen und praktisch zumeist ergebnißlosen Kämpfen der letzten Zeit ist allseitig der Wunsch vorhanden, möglichst schnell mit dem „Rest zu räumen", der von den Auf gaben der Session noch rückständig geblieben ist. Auf die Tage des heißen erbitterten Kampfes ist im Reichs tag unerwartet schnell eine Zeit des tiefen Friedens gefolgt, der freilich vom höheren politischen Standpunkt aus nur als ein Waffenstillstand mit längerer Giltig keitsdauer bezeichnet werden kann. Die dreitägige Schlacht um die lex Heinze hat mit dem Rückzug der unter der Führung des Centrums kämpfenden Reichstagsmehrheit geendet, welche ihre Sache als hoffnungslos aufgeben mußte. Die Opposition gegen die kunstfeindlichen Bestimmungen der lex Heinze hat einen vollständigen Sieg errungen und wenn das Centrum seinen Parteigängern versichert, daß auch die lex Heinze mit den ausgebrochenen Gistzähnen im Grunde genommen einen Sieg des Centrums bedeutet, so ist es damit lediglich eines Heiterkeitserfolges sicher. Glücklich beendet ist auch der heftige Kampf um das Fleischbeschaugesetz, der die Gemüther nicht viel weniger erregt hat als der Streit um die lex Heinze. Aber auch der Kampf um die Fleischbeschau, der zu einer scharfen und tiefgreifenden Fehde zwischen der conservativen Partei und dem Bund der Land- wirthe gesührt und eine nachhaltige Verstimmung zwischen den „feindlichen Brüdern" zurückgelassen hat, ist im letzten Stadium mit unerwarteter Schnelligkeit zu Ende geführt worden, nachdem die Regierung sich endlich zu der entschiedenen Erklärung entschlossen hatte: Bis hierher und nicht weiter! Es wären mancherlei Kämpfe und viel werthvolle Zeit gespart worden, wenn die Regierung sich in letzter Zeit des öfteren zu einer solchen Erklärung aufgeschwungen hätte, statt mit fatalistischem Gleichmuth abzuwarten, wie die Dinge sich gestalten werden. Nach der Erledigung der beiden umstrittensten Vorlagen ging und geht das parlamentarische Auf räumen ohne sonderliche Schwierigkeiten vor sich. Die Nachtragsetats, die Gewerbeordnungsnovelle und das Münzgesetz sind, das letztere zur großen Betrüb niß der Bimetallisten, in den sicheren Hafen gebracht worden und vor den Pfingstferien hat das Haus, ab gesehen von der sozialdemokratischen Interpellation betreffend die einzelstaatliche Gesetzgebung über den Kontraktbruch ländlicher Arbeiter, nur noch die dritte Berathung der Unfallversicherungsgesetze zu Ende zu führen. Somit bleibt, da das Zustandekommen des Reichsseuchengesetzes sehr unwahrscheinlich geworden ist, dem Reichstag für den Rest der Tagung nach Pfingsten nur noch die Erledigung der Flottenvorlage, die aber in dem jetzigen Stadium auf keinerlei Hindernisse mehr stoßen wird, sodaß mit dem Schluß der Tagung bis spätestens am 13. Juni gerechnet werden darf. Die ersehnte Pfingsiferienmuße hat sich bereits der preußische Landtag gegönnt, nachdem das Ab geordnetenhaus in seiner letzten Sitzung die Waaren- haussteuervorlage in einer Form angenommen hat, welche von der preußischen Regierung durch den Mund des Finanzministers v. Miquel für unannehm bar erklärt worden ist. Wenn die Regierung, was mehrfach noch bestritten wird, bei dieser ihrer Er klärung verharren sollte, dann würde mithin diese mit so großem Eifer unternommene Aktion ausgehm wie das Hornberger Schießen. Recht undurchsichtig und trostlos sehen die politi schen und parlamentarischen Verhältnisse in unserem Nachbarlande Oesterreich aus, wo das begehrliche Tschechenthum jetzt völlig seine Maske abgeworfen und den Entschluß kundgegeben hat: Nichts von Verträgen, nichts von Uebergabe! Unter diesen Umständen wird dem Kabinet Körber, wenn es den Gang der politi schen Geschäfte in Oesterreich nicht völlig zum Stocken bringen will, nichts übrig bleiben, als zur Auflösung des Reichsraths zu schreiten. Dieser Entschluß würde freilich nichts nützen, wenn das Kabinet nicht gleichzeitig entschlossen ist, mit allen Mitteln das Tschechenthum zu bekämpfen, dessen Macht durch die falsche Politik der früheren österreichischen Kabinette auf eine so gefährliche Höhe gestiegen ist. Zu dem Mittel eer Kammerauflösung mußte auch das italienische Kabinet Pelloux wohl oder übel seine Zuflucht rehmen, obwohl Herr Pelloux dem Ausfall der Neuwahlen, die bereits in nächster Zeit stattfinden, mit schwerem Bangen entgegen sieht. Denn mag auch der Einfluß der Opposition gering sein, so ist doch auf die regierungsfreundlichen Parteien wenig Verlaß und die jetzige Regierungsmehrheit kann sich, wenn nicht über Nacht, so doch über die Neuwahlen in eine Minderheit verwandeln. Vor diesem Geschick ist das französische Kabinet Waldeck-Rousseau, welches dem am 22. d. M. erfolgten Wiederzusammentritt der Kammer mit starker Sorge entgegengesehen hatte, glücklich be wahrt geblieben. Der Sieg, den das Kabinet über die nationalistische Opposition davon getragen hat, ist nicht überwältigtnd groß, aber er genügt vielleicht, um sein Leben für die Dauer der Weltausstellung zu sichern. Diese Annahme ist um so wahrscheinlicher, als die Position dec Regierung durch die E>folge der marokkanischen Eroberungsexpedition eine wesentliche Stärkung erfahren hat. Diese Erfolge gereichen den Engländern, welche sich dadurch in ihren eigenem Interesse aufs schwerste bed:oht sehen, zu bitterer Bet: übniß, über die sie sich durch die unbestreitbaren Erfolge auf dem füda'frikanischsen Kriegsschauplatz hinwegzu- trösten suchen. In der That erscheint die Lage für die Buren von Tag zu Tag als hoffnungsloser. Wenn sich dieser unselige Krieg auch noch lange Zeit hin zieht und viel Opfer auf beiden Seiten erfordern wird, so kann doch, nachdem die Hoffnung auf eine Intervention der Vereinigten Staaren von Amerika zu nicht« geworden ist, über das Ende des blutigen Dramas in Südafrika leider keinerlei Zweifel mehr bestehen. Deutscher Reichstug. Berlin, 24. Mai. Präsident Graf Ballestrem spricht vor Eintritt in die Tagesordnung dem Abgeordneten Dr. Langerhans zu seinem heutigen 80. Geburtstage die Glückwünsche des Hauses aus. — Der Nachtragsetat wegen des neuen Kabels nach England wird in dritter Lesung endgiltig angenommen. Es folgt die dritte Lesung der Unfall Versicherungsgesetze. Abg. Molkenbuhr (Soz) erklärt die Resormgesetze, wie sie in zweiter Lesung beschlossen worden seien, für ungenügend. Mit Rücksicht auf den seit 1884 eingetretenen ungeheuren wirthschaftlichen Auf schwung hätten den Arbeitern ganz andere Vortheile zu gesichert werden müssen. Trotz aller Anfeindungen sei es seinen Freunden möglich gewesen, für die Gesetze zu stimmen, wenn nicht zugleich eine ganze Reihe Verschlech terungen des bestehenden Zustandes vor^enommen worden wäre. So sei in Z 5 einer Anzahl von Leuten, die bis her einen Rechtsanspruch hatten, dieser genommen worden; dann sei gewissermaßen ein besonderes Ehcrecht für Ar beiter geschaffen worden, indem schon bei einer bloßen Trennung die Berufsgenossenschaft die Ehen nicht mehr anerkennen, sondern die Deliktenrente verweigern wolle Ungünstiger gestaltet seien auch die Vorschriften über das Ruhen des Rechts auf Renten. Es werde die Tendenz verfolgt, nicht mehr in allen Fällen zu helfen, also ge rade das, was man bisher als das Humanitätsprinzip dieser Gesetzgebung bezeichnet habe, falle weg. Besonders bedenklich sei, daß dieses Gesetz sogar Personen, welche einen Rechtsanspruch auf Rente nicht haben und durch dieses Gesetz nicht erhalten, die ihnen nach dem heutigen Recht zustehenden Ansprüche auf Grund des Haftpflicht gesetzes nehme. Abg. Rösicke-Dessau (lib.) tritt oem Ver suche des Vorredners, die soziale Versicherungsgesetzgebung herabzusetzen, entgegen. Er verweist darauf, daß von 1884 bis 1899 für versicherte Arbeiter nicht weniger als 1^/, Milliarden in der Krankenversicherung, 500 Mill in der Unfall- und 402 Millionen in der,'Invalidenversiche rung aufgewendet worden sind. Trotz aller Bemängelungen des Vorredners habe die vorliegende Novelle, in der die Verbesserungen zweifellos überwiegen, mehr Werth für die Arbeiter, als ein noch so gutes Haftpflichtgesetz. Auch werde der Kreis der versicherten Personen und der Umfang der versicherten Thätigkeit beträchtlich erweitert. Abg. Oertel-Sachsen (kons) hält dem Abg. Molkenbuhr entgegen, daß von dem wirthschaftlichen Aufschwung von 1884 bis 1899, auf den sich Abg Molkcnbuhr berufe, auch die Arbeiter Nutzen gehabt hätten. Die Löhne seien seit damals überall erheblich gestiegen, dagegen die Getreidepreise trotz der inzwischen erfolgten Kornzoll erhöhung nicht höher geworden, sondern eher niedriger, wie ein Vergleich der Danziger Notirungcn von 1884 und jetzt ergebe. Auch seine, des Redners, Freunde hätten gegen die vorliegenden Gesetze mancherlei Be denken, denn zweifellos erwachse aus ihnen eine Mehr belastung der Le.ndwirthschafl. Es sei verständlich, wenn manche seiner Freunde deshalb am liebsten das Gesetz in Bausch und Logen abgelehnt hätten. Dazu komme noch u A. die Zulassung von Anlagen von Beständen oer Berufsgenossenschaften in Hypothekenbank-Pfandbriefen; das sei eine durch nichts berechtigte Liebesgabe an die Hypothekenbanken. Aber trotz all' die,er Bedenken würden seine Freunde fast ausnahmslos für diese Gesetze stimmen im Interesse der Arbeiter, insbesondere der landwirth- schaftlichen Arbeiter und kleinen landwirthschaftlichen Be triebsunternehmer. Abg. Hitze (Zentr.) erwidert den Sozialdemokraten zu ihrer ablehnenden Haltung: Werde das Gesetz abgelehnt — nun, die Regierungen könnten es aushalten, aber die Arbeiter würden darunter zu leider haben. Abg. Lehr (nl.) erklärt, seine Freunde würden für die Vorlage stimmen, obwohl sie sich nicht verhehlten, daß durch diese nicht nur der Landwirthschast, wie er dem Abgeordneten Oertel bemerken müße, sondern auch der Industrie neue erhebliche Opfer auferlegt würden Abg. Molkenbuhr (Soz.) erwidert, daß seine Freunde sich auf die bescheidensten Forderungen beschränkten. — Damit schließt die Generaldebatte. In der Spezial berathung des Gewerbeunfall Versicherunzsgesetzes werden eine Reihe von bereits in der zweiten Lesung abgelehnten sozialdemokratischen Anträgen abermals abgelehnt, dagegen wird aut Antrag Rösicke-Dessau in § 66a die Bestim mung gestrichen, wonach der Nentenanspruch der Wittwe ganz oder theilweise abgelehnt werden kann, wenn diese ein Jahr lang vorher ohne gesetzliche Gründe in Trenn ung von ihrem Mann und ohne Beihilfe desselben gelebt hat Ferner wird zu 8 66a auf Antrag Rösicke's be schloffen, daß für Berechtigte, die im Inland nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, das Recht auf Rente nur ruhen soll, insoweit sie Ausländer sind. Für berech tigte Inländer, die sich im Auslande aufhalten, soll die Rente nur ruhen insoweit und so lange sie es unterließen, der Berufsgenoffenschaf: ihren Aufenthalt mitzutheilen. Zu ß 67 wird auf Antrag Rösicke und Genoffen be schlossen, daß eine Kapitalabfindung erfolgen kann, wenn >er Anspruch sich auf höchstens 15 Prozent statt 20 Prozent der Vollrente beläuft. Auf Antrag von der« eiben Seite erhält 8 78 den Zusatz, daß in den Unfall Verhütungs-Vorschriften auch anzugeben ist, in welcher Art diese Vorschriften zur Kenntniß der Versicherten zu »ringen sind. Im klebrigen wird das Gewerbeunfall.- Vcrsicherungsgesetz in der Fassung weiter Lesung ange nommen. Morgen: Handelsprovisorium mit England, dann Unfallgesetz. Aus Paris. Industrieller Ausstellungsbrief. Von Ingenieur A. I. H»lz. Die Pariser Ausstellung ist wirklich eine Welt im Kleinen! Um einmal den seligen Schiller zu vari- iren, könnte man von der diesjährigen Weltausstellung fast sagen: Und sie will sich noch immer nicht erschöpfen und leeren, Als wollte die Ausstellung noch eine Ausstellung gebären! Das soll in schlichte Prosa übersetzt heißen: Trotz dem nun schon verschiedene Wochen seit Eröffnung der Ausstellung ins Land gegangen sind, nimmt die Anzahl der neu eingehenden Ausstellungsgegenstände noch immer nicht ab, so daß die einzelnen Gruppen dauernd vervollständigt werden können und fast wöchent lich ein anderes neues Gesicht zeigen. Von den großen technischen Riesen- und Wunder werken der Ausstellung an dieser Stelle viel Wesens zu machen, kann wohl kaum unsere Aufgabe sein; so etwas muß man sehen, das instruiit mehr, als alles Lesen. Aber die technischen Fortschritte im Kleinen, d e unaufhaltsam ihre kulturfördernde Wirkung aus üben, und von denen man sich schon aus einer Be schreibung ein Bild und eine klare Vorstellung machen kann, sollen hier eingehend gewürdigt werden. Da sind vor allen Dingen alle die kleinen und größeren Bestandtheile, die zur Errichtung von Bauten und Wohnhäusern nothwendig sind. Mit den Neuerungen auf diesem Gebiete wollen wir uns deshalb heute ein mal in unserem Briefe beschäftigen. Von der Reisiggrube des Ausstralnegers bis zum Wigwam des aussterbenden amerikanischen Indianers und von diesem wieder bis zur Riesenhalle der Welt ausstellung ist ein weiter Weg und doch ist dieser Weg eine Geschichte der Baukunst. Selbstverständlich ver dienen außer den Außenconstructionen an dieser Stelle die bei einem modernen Neuban zur Verwendung ge langenden Bausteine in erster Linie eine eingehende Betrachtung. Nach vorliegenden Proben und Plänen wird ein richtiges modernes Haus rur auS Steinen, mit Ausnahmen der Balkenlagen erbaut. Nur die Haupt- und Fassademnauern bestehen bei diesen Bauten jedoch aus reinen Ziegelsbinen im eigentlichen Sinne des Wortes. S^on im Jnnenauspatz gelangt eine andere, außerordentlich billige Steinsorte zur Verwend ung, die in der Hauptsache aus einem zu'ammenge- preßten Cvnglomerat von Thonecde, Glasschlacke und Kiestheilchen besteht. Dieses Gemengiel mit Cement verschmiert, besitzt den Vo-zuq einer ganz außerordent lichen Härle und Dauerhaftigkeit, die vor allen Dingen, wenn eine Luftsch'cht zwisch-.n der Auße:> und Jnnen- mauer gelassen ist, jedes Feuchtwerden des Hauses völlig ausschließen. Zum Treppenbau ko . mt in letzter Zeit vielfach der comprimirte Müllstein — gleichfalls ein ganz außerordentlich billiges Bauprodukt — der ähnlich dem vorhin erwähnten Jnnenbaustein, aus mineralogischen Ueberesten d-s Miillkasteninhalts zu sammengesetzt wird, zur Verwendung. Dieser Stein, an seinen Obeiflächen mit Asphalt oder gleichfalls mit Cement verstrichen, läßt eine leichte und wenig kvst- pielige Repaiatur zu, und dürste sich schon deshalb in absehbarer Zeit einer allgemeinen Beliebtheit bei allen Wirthen und Baumeistern erfreuen. Schließlich sei noch ein Baustein erwähnt, der vielfach zur Diel ung Verwendung findet und aus gepreßten Sägespänen besteht, die durch ein Leimfixativ gebunden sind. Dieser Stein läßt sich in seiner Oberlage auch mit dem Hobe! verarbeiten, zu künstlerischen Mosaiken legen und giebt mit einem durchsichtigen Finns versehen und bestrichen, eine ganz herrliche Fußbodentäfelung. Während so die Bausteine in jeder Form seit einem Jahrzehnt — denn die Erfahrungen dieser Spanne Zeit liegen auf der diesjährigen Ausstellung etwa vor — eine grnz neue und — man kann sagen — wohl früher kaum geahnte Gestalt angenommen haben, wollen auch die Heizvorrichtungen nicht zurück stehen, wovon gleichfalls die Ausstellung eine ganz stattliche Anzahl von Beispielen bringt. Torf-, Kohlen-, Dampf-, Luft- und Wasserhcizung in ihrer verschieden sten Gestalt sind längst überwundene, beinahe vorsint- fluthliche Standpunkte für den Fachmann. Heute heizt man mit Gas oder mit Elektricität. Während die Gasöfen meistens nur für kleine Räumlichkeiten: Stu- dirzimmer, Boudoirs usw. Verwendung finden, ist der moderne Geist der Technik, der auf den Namen „Elektricität" hört, in die Fesseln der großen Säle und hochherrschaftlichen Wohnungen gebannt. Zu diesem Zweck sind säulenähnlich^, hübsch dekorativge haltene Kachelschichten, etwa in Abständen von drei oder vier Metern in die Wände des zu heizenden Raumes eingelassen, durch welche die einzelnen elek trischen Drähte in spiralartiger Windung und zwar in hohlen Tyonröhren lausen. Durch Einschalten des Stromes werden nun die Drähte glühend, dadurch wird die Luft in den Thonröhren so stark erhitzt, daß die Kacheln den Ueberschuß an Wärme annehmen und denselben nach Art der frühtreu Kachelöfen oft Stun den lang bewahren. Die Heizung eines derartig ein gerichteten Hauses läßt sich in einer Sekunde durch einen einzigen Handgriff, nämlich durch die Bewegung des Stromhebels besorgen. Die Zeit, die der Heiz ungsprozeß bis zur Erwärmung der Kacheln in An spruch nimmt, währt fünf bis sieben Minuten. Ans diese Art und Weise läßt sich nicht nur eine ganze Wohnung, sondern sogar ein ganzes HauS in wenigen Augenblicken äußerst billig und ebenso sauber und gut erwärmen. Diese Einrichtung ist sicher so gediegen, daß sie sich bald in allen Ländern Eingang verschaffen wird. Mit der rapiden Umgestaltung der Heizung müßte natürlich, was ja auch ganz selbstverständlich ist, die Gestaltung der Schlote und Essen eine ganz andere werden. Auch hierfür giebt die Ausstellung die be redtesten Beispiele. Die Bestimmung der Schlote und Essen war vor kaum noch einem viertel Jahrhundert die, den Rauch abziehen zu lassen. Heute aber, wo in den modernen Bauten mit Elektricität geleuchtet, gekocht und geheizt wird, bedars es dieser Vorsichts maßregel so gut wie gar nicht mehr und an Stelle der Essen und Schlotte tritt daher — Schritt haltend mit der modernen Wohnungshyaiene — eine sich stän dig vervollkommnende Ventilatiönseinrichtung, von der die Weltausstellung die verschiedensten Formen und Abarten zur Schau stellt. Auch hier muß wieder die Elektricität ihre heut zu Tage so ostentativ bevorzugten Dienste leisten. Dynamomaschinen, die die Kraftfunk tionen im Hause zu vertreten haben, werden mit feinen Messingspitzen in den einzelnen Zimmern in Verbind ung gebracht. Aehnlich dem Blitz im Gewitter, saugt auch nun hier die Elektricität, die dauernd von der Spitze ausströmt, allen Staub und alle Unreinlichkeit im Zimmer auf, was bei starker Stromentwicklung, etwa den Zeitraum von zwei Minuten in Anspruch nimmt. Von einer längeren Funktion dieses Ventila tionsapparates sieht man jedoch in der Regel ab, da die Ozonentwicklung sonst eine so starke wird, daß sie leicht Kopfschmerz erregend wirken kann. Auch auf staubigen Straßen und Plätzen rühmt man diesem Ventilationsapparat eine reinigende und vorzügliche Wirkung nach. Treppenaufgänge — auch dies muß hier schließ lich noch seine Erwähnung finden — sind in einem modernen Hause fast gänzlich zim Luxusartikel und zur Raumverschwendung geworden. Auch hier muß sich die Göttin Elektricität in den Dienst der immer bequemer werdenden Menschheit stellen, indem sie die Fahrstühle derselben auf ihren geduldigen Rücken nimmt und dieselben geräuschlos von Etage zu Etage hinauf und hinunter, ganz nach Belieben befördert. So etwa schaut in großen Zügen das moderne Haus mit seinen hauptsächlichen Neuerungen aus. Immer mehr hören in der neueren Zeit die Paläste auf, eine Seltenheit zu werden, seitdem sich fast jeder Privatmann, der über einige Mittel verfügt, einen Prachtbau leisten kann. Daß dies aber in Zukunft noch mehr als bisher der Fall sein wird, auch dafür wird die Pariser Weltausstellung nicht zum geringsten und letzten die Anregung gegeben haben. Zum Sächsischen. — lieber schwere Körperverletzungen durch Kur pfuscher in Sachsen berichtet das ärztliche Vereins blatt: Im Mediciaalbezirke Annaberg waren eine Eierstockgeschwulst, sowie die davor befindlichen Bauch decken einer Patientin durch forcirte Massage eines Naturheilkundigen derartig in Reizzustand und schließlich in Eiterung versetzt worden, daß die Patientin in Lebensgefahr gerathen war und sich mehrere Wochen lang in das Krankenhaus begeben mußte. — In Leipzig wurde ein sogen. Baunscheidtist, welcher durch seine Behandlungsweise die Erkrankung eines Mannes an ausgedehnter Furunkulose verschuldet hatte, vom Landgericht zu 1 Monat Gesängniß vcrurtheilt. — In Zittau behauptete ein hysterisches Fabrikmädchen, sie hätte ein Theil ihres Gebisses verschluckt, dasselbe säße noch im Schlunde. Sie glaubte auch die seit lichen Metallhaken durch die Haut hindurch ganz deutlich zu fühlen; in Wahrheit aber war das, was sie fühlte und für Gebißtheile hielt, nur der obere Rand des Schildknorpels. Mehreren Aerzteu, die sie von ihrem Jrrthum zu überzeugen suchten, glaubte sie nicht, ebenso wenig maß sie der im Stadtkranken hause zu Zittau vorg-nommenen photographischen Aufnahme ihres Halfts mittelst Röntgenstrahlen, welche ein vollkommen negatives Resultat gab, irgend welche Beweiskraft zu. Sie begab sich jetzt in die Be handlung des vormaligen Sergeanten Walther, welcher es wagte, mit beiderseits vom Kehlkopf dreist aus- geführten Schnitten den vermeintlichen Gebißtheil zu entfernen, ohne jedoch etwas andere» zu erreichen, als daß er seinem Opfer zwei tiefe Wunden beibrachte und einen sehr starken Blutverlust verursachte. Das Mädchen wurde von seiner Krankenkasse einer Kranken anstalt überwiesen uud daselbst nach längerer Zeit geheilt. Wegen seiner Handlung in Anklageznstand versetzt, wurde Walther zu einer Gefängnißstrafe von 7 Monaten verurthcilt. — In Löbau «ar eine Frau Monatelang von einem Naturbeilkundigen mit Massage, Bädern rc. behandelt worden, weil sie „als Opfer der Medicin" eine Schwellung und zuletzt Vereiterung der Leber bekommen hätte. Der Arzt, an den sie sich endlich wendete, stellte weit vorgeschrittene Schwanger schaft fest. (!) — Der „Naturheilkundige" Bachmaun n Bühlau kam um Gewährung der Concession zur Errichtung einer Kranken- und Badeanstalt daselbst ein. Die anfangs in Aussicht genommene bedingungs weise Genehmigung dieses Gesuchs wurde schließlich nicht ertheilt, weil sich her ausstellte, daß Bachmann bereits Kranke in seinem Haufe verpflegt und einen derselben durch eine entgegen dec Warnung des be handelnden Arztes vorgenommenen Massagckur in höchste Lebensgefahr gebracht hatte. — Im Medicinal-