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CentrumSresolution. Man solle die Sache nur erst einmal an einem Ende anfangen, ehe man weiter gehe. Dem Arbeiter liege die Fürsorge um seine Angehörigen viel mehr am Herzen, als die um seine eigene Person. Was die landwirthschastlichen Arbeiter betreffe, so habe deren Wegzug nach der Stadt ganz andere Ursachen. Je mehr auf dem platten Lande mit Maschinen ge arbeitet werde, desto mehr fehle es den Arbeitern dort an Beschäftigung für das ganze Jahr. Dem gegen über falle es gar nicht in's Gewicht, ob die ländlichen Arbeiter in die Reliktenfürsorge einbezogen würden oder nicht. Abg. Hahn (B. d. L.) empfiehlt kommissa rische Vorberathung. An sich sei eine solche Fürsorge sicher sehr erwünscht, namentlich auch für die Hinter- bliebenen von Seeleuten; das platte Land aber könne, ehe nicht eine gerechtere Regelung der Armenlasten zwischen Stadt und Land stattgefunden hätte, neue Lasten nicht tragen. — Der Antrag Richter wird schließlich gegen Freisinnige Volkspartei und Deutsch konservative abgelehnt und darauf der Antrag Stumm gegen die Deutschkonservativen und den Abg. Richter angenommen. Das Centrum hatte vorher durch den Abg. Hitze erklären lassen, daß es für den Antrag Stumm stimmen werde, da sonst Gefahr bestehe, daß nichts zu Stande komme. — Morgen: Etat des Reichsamts des Innern. Vom Landtage. Dresden, 9. Januar. Zweite Kammer. Zu Beginn der heutigen Sitzung erklärte Präsident Dr. Mehnert, daß Herr Staats minister Dr. Schurig in der Ersten Kammer geäußert habe, die Zweite Kammer habe den Gesetzentwurf, be treffend die Anlegung von Mündelgeldern, zu langsam erledigt. Demgegenüber müsse er namens des Directoriums der Zweiten Kammer protestiren und, sofern in den Worten des Herrn Ministers eine Kritik enthalten sein solle, erklären, daß die Kammer für sich allein das Recht in Anspruch nimmt, zu bestimmen, welchen Zeitpunkt sie zur pflichtgemäßen Erledigung ihrer Aufgaben für erforderlich hält. Au? der Tages ordnung der heutigen Sitzung stehen Petitionen, zu nächst die von Richard Schädlich, städtischem Verkaufs- Vermittler in Dresden und Gen, um Aufhebung der gesetzlichen Bestimmung, betreffend das Verbot des Feilbieteus ausländischen Wildes während der Schon zeit des inländischen Wildes. Die Kammer beschließt einstimmig demgemäß. Weiter steht zur Verhandlung die Petition des Bürgerichullehrers emor Lcisker in Weinböhla und Gen. um Erhöhung der Pensionen der vor dem Inkrafttreten des neuen Pensioosgesetzes emeritirten Volksschullehrer nach den Procentsätzen des neuen LehrcrpknsionsgesetzeS. Den Bericht erstattete Abg. Uhlich-Chemnitz, welcher ausführte, daß, wenn den Wünschen der Petenten entsprochen werden sollte, das PensiouSgesctz vom Jahre 1892 aufgehoben werden müsse. Dazu liege aber um so weniger Veranlassung vor, als die gegenwärtige Finanzlage nicht dazu an- gethan sei, die Staatskasse noch mehr zu belasten. Die Kammer ließ hierauf die Petition auf sich beruhen DaS gleiche Schicksal erfahren die Petitionen Karl Adam Stillers in Meißen und Gen., die von dem Stadtrathe in Meißen beschlossene Einziehung des durch den Hof der dortigen Felsenkellerbrauerei führenden Weges betreffend; der Frau Louise Dix in Zwick, u wegen Rückgängigmachung einer Zwangsversteigerung oder wegen Schadenersatzes; und des Karl Ernst Schild bach, vormals Bureauassistent der StaatSbahuen in Zwickau, um Prüfung seiner Angelegenheit im Sinne der 88 18—20 deS StaatsdienergesetzeS vom 3. Juni 1876 wegen Wiederanstellung bez. Gewährung von Pension. Dresden, 10. Januar. Auf der Tagesordnung der 14. öffentlichen Sitzung der Ersten Kammer steht zunächst oie Pctition der Mühlenbesitzer» I. Gottlieb Wähle in Schöna um Ge währung einer StaatSbeihilse aus Anlaß der ihm in der Rächt vom 6. zum 7. Juli 1899 durch Wolken bruch entstandenen Wasserschäden. Die 4. Deputation beantragt, die Petition der Königlichen Staatsregicrung zur Kenntnißnahme zu überweisen. StaatSminister v. Metzsch: Der von der Deputation eingenommene Standpunkt decke sich grundsätzlich mit dem von Seiten der Regierung eingenommenen. Allein er halte doch für nothweudig, diesen Standpunkt mit wenigen Worten deutlich zum Ausdruck zu bringen. Gelegentlich der Katastrophe im Sommer 1897, die eine allgemeine umfängliche HilfSaction rechtfertigte, seien von ver schiedenen Calamitosen Ansprüche erhoben und theil- weise auch befriedigt worden, die mit den erlittenen Schäden nicht im Einklang standen. Der damals ge- übte Liberalismus habe vielleicht in der Richtung einer gewissen Begehrlichkeit gewirkt, bei jeder Gelegenheit die Staatshilfe anzurufen. Die Regierung müsse dem gegenüber daran fcsthalten, daß sie nicht in der Lage sei, in jedem einzelnen Calamit^tSfälle eine Unrer- stützuvg zu gewähren. Einmal aus rein rechtlichen Gründen und zweitens in Rücksicht auf die Beschränkt heit der für solche Zwecke verfügbaren Mittel, die lediglich in Höhe von 6000 Mark etatrechtlich zur Ver fügung ständen. Ein Zarückgrcifen auf die für Wasser- reguliruvgs- undWegebauunterstützu 'gen ausgeworfenen 600000 Mark würde eine Schädigung vieler Gemeinden bedeuten, die auf eine Unterstützung bereits warteten Er warne vor einer Verfolgung der Sache im Sinne des DcputationsantrageS, weil damit ein Präcedenzfall geschaffen werde, dessen Folgen nicht abzusehen seien. Für jeden privaten Schaden die Hilfe deS Staates zu beanspruchen, gehe nicht an Nichtsdestoweniger werde die Regierung alle solche Fälle in wohlwollendster Weise prüfen und überall, selbst unter Ueberschreitung der verfügbaren Mittel helfend eivtreten, wo sich ein allgemeines öffentliches Interesse construiren ließe. Die Regierung würde nie vergessen, daß sie in dem Augen blick helfend cinzugreifen hat, wo die localen und individuellen Kräfte vrrsagen oder nicht ausrcichen Herr v. Trützschler warnt vor den Conscqne-zen, die sich nothwendiger Weise ergeben müßten, wenn man bei jedem privaten Schaden Staatshilfe cintreten lasse Er stelle den Antrag, die Petition im Gegensätze zuw Deputationsautrage auf sich beruhen zu lassen. Der Antrag wird ausreichend unt-rstützt. Nach kurzer Debatte beschließt die Kammer mit großer M-hrb-n die Petition auf sicy beruhen zu lassen. Bezüglich d cier weiterer Petitionen, denen dasselbe clementar? Ereigniß zu Grunde liegt, beschließt die Kammer, zur nochma igcn Berichterstattung au die vierte D putatior zurückzuweifen. Zum Schluffe berichtet Wirkt. Geh. Rath Meusel, Excellenz, über die Petition tuzw. Be schwerde des Stadtverordnetencollcgiums zu Z'tmu wegen Auspfarrung der Gemeinden Alt- und Neu- Hörnitz aus der Parochie Zittau, sowie wegen Er lasses eines Auspfarrungsgesetzes. Das Stadtver ordnetencollegium zu Zittau stellt an die Stände versammlung das Ansuchen, sie wolle beschließen: 1. das Evangelisch-lutherische Landesconsistorium auf zufordern, die Auspfarrung der Gemeinden Alt- und Neu-Hörnitz aus der Parochie Zittau in Gemäßheit der von ihm selbst aufgestellten Auspfarrungsgrund sätze vom 5. Juli 1866 einzuleiten und durchzusühren, und zu diesem Behufs zunächst damit zu beginnen, die bei dieser Auspfarrung wirklich „Betheiligten" über die Auspfarrung zu hören, sowie ferner 2. die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in der nächsten Session des Landtages den Kammern den Entwurf eines Sächsischen Auspfarrungsgesetzes zur Berathung und Beschlußfassung vorzulegen. Die vierte Depu tation ist nach eingehender Prüfung ver Sachlage zu der Entscheidung gekommen, daß das Ansuchen des Stadtverordnetencollegiums zu Zittau zu 1 unzulässig CI, zu 2 auf sich beruhen gelassen werden möge. — Die Kammer beschließt demgemäß. Dresden, 12. Jan. In der heutigen öffentlichen S.tzung der Zweiten Kammer wurde über 2 Petitionen aerathen. Beide ließ die Kammer auf sich beruven. Die eine ging von dem SteinbruchSpächter MöbiuS-HummelShain und Genossen aus, welche um Aufhebung deS Verbotes dir Verwendung von Gollusin als Sprengmittel in den Steinbrüchen bat, und die andere betraf die Petition de- R. Frank in JeriSau und Genossen um Gewährung einer StaatS- hülfe zur Milderung von Hochwasserschäden. Letztere erwie» sich als nicht ganz klar, da dar uS nicht zu er- kennen war, ob Petenten eine Neurezulirung der Mulde wünschen oder eine Unterstützung erbitten. Sie führe» aber aus, daß sie durch die Wolkenbrüche im Jahre 1899 erhebliche Schäden besonders an Feldfrüchten er litten haben. Die Deputation war der Ansicht, daß eine Unterstützung aus der Staatskasse mit Rücksicht auf die unabsehbaren Conscquenzen nicht bewilligt wer den könne und beantragte, die Petition auf sich b rühen zu lassen. Abg. Thieme-Franken bestätigte die Angaben der Petenten bezüglich der erlittenen Schäden und hätte gehofft, daß die Deputation wenigstens zu dem Votum der Ueberweisung an die Regierung zur Kennt- nißnahme gelangt wäre. Hierauf beschloß das Hau einstimmig dem Anträge der Deputation entsprechend. M dm MWcn WMlcchck. Im preußischen Abgeordneten Hause stand am Donnerstag auf der Tagesordnung die Interpellation, betr. die Maßregelung politischer Beamter wegen ihrer Abstimmung in der Kanalfrage. Abg. v. Köller (kons.) begrüßt die Interpellation. Das Ver fahren der Regierung gebe zu den ernstesten Bedenken Anlaß. Am Tage der Abstimmung hat der Minister des Innern die Landräthe, welche Mitglieder des Hauses waren, zu sich geladen und zu ihnen gesagt: „Stimmen Sie für den Kanal, sonst werden die strengsten Maßregeln gegen Sie ergriffen werden!" Das durste er nicht thun; er hatte ehrliche, an ständige Leute vor sich, die sich durch ihn nicht von ihrer Pflicht abbringen lassen konnten. (Sehr richtig!) Der Minister hätte sagen müssen: „Das mache ich nicht mit, lieber nehme ich meinen Abschied." (Sehr richtig! und lebhafter Beifall rechts.) Die Regierung hat keinen Vortheil von den Maßregelungen gehabt, Sie Wähler werden die als unabhängig erkannten konservativen Männer wieder wählen. Die liberale Partei hat immer die bürgerliche Freiheit auf ihre Fahnen geschrieben, von Jacoby bis Waldeck und von Waldeck bis Richter haben die Liberalen von „Männerstolz vor Königsthronen" gesprochen; in diesem Falle aber hat die liberale Presse ihre Ideale verleug net. Ihre Haltung entspringt dem Haß gegen die Agrarier.. Und nun will auch die Regierung diese Ostelbier, mit deren Hilfe allein der große König sieben Jahre lang den Heeren Europas widerstanden hat, abschütteln wie einen alten Handschuh, und noch dazu um dieses jämmerlichen Canals willen. Wir werden uns durch solche Maßregelungen nicht abhalten lassen, so zu handeln, wie unser Gewissen es uns vor schreibt. Ich stehe nicht an zu erklären, daß ich nicht begreifen kann, wie der Canal den ostelbischen Gegen den schädlich sein kann; den Schaden würden die westländischen Landwirthe haben, die dann ihr Getreide billiger verkaufen müßten. Wenn es der Regierung nicht gelingt, die neue Vorlage zur Annahme zu bringe', dann bleibt nur die Auflösung des Hauses, und wenn dann das neue Haus den Canal ablehnt, dann bleibt der Regierung nichts weiter übrig, als sich zu fügen. Fügt sich die Regierung jetzt, so ist das ein Sieg, (Lachen) jawohl, der schönste Sieg, der Sieg über sich selbst. Ministerpräsident Fürst zu Hohenlohe Das Vorgehen der StaatSregierung ist Gegenstand scharfer Angriffe in derPresfegewesen; es muß deshalb derStaatS regierung daran liegen, die Deutung und den Sinn der von ihr getroffenen Maßregeln gleich zu Beginn dieser neuen Session klar zu legen. Von einer disciplinarischen Bestrafung kann dabei keine Rede sein. (Lachen.) Die Staatsregierung hat ihre Verfügung allein erlassen im Interesse des Dienstes, entsprechend der Absicht »eS Gesetzes vom 21 Juli 1852. Das Recht der Regierung, Beamte im Interesse des Dienstes zur Ver fügung zu stellen, wird durch dar Recht der Beamten, nach ihrer Uebrrzeugung zu stimmen, nicht beinträch- tigt. Solange eine einheitliche Aktion der StaatS regierung möglich sein soll, ist es unerläßlich, daß die in erster Linie mit der Vertretung der Politik der Regierung betrauten Beamten, d. h. die politischen Be amten, auch Willens und in der Lage siod, die Politik der Regierung zu vertreten. Im vorliegenden Falle haben die betreffenden Beamten eine der Politik der StaatS- kegierung entgegengesetzt« Ansicht bekundet; von ihnen rannte daher nicht erwartet werden, daß sie die Ab sichten der StaatSregierung im Lande wirksam vertreten konnten. In Folge dessen konnten in ihnen geeignete Beamte zur Durchführung der Absichten der Regierung nicht erblickt werden. Es blieb deshalb nichts weiter übrig, als sie zur Verfügung zu stellen, unbeschadet der Möglichkeit ihrer anderweitigen Wiederanstellung! Der StaatSregierung ist der Entschluß zu den getroffenen Maßregeln nicht leicht geworden, es fiel ivr schwer, Beamte, gegen deren Geschäftsführung und gegen deren Ruf absolut nichts vorlag, aus ihren Stellungen zu entheben, aber die Rücksicht auf diese Beamten kann nicht so weit gehen, um die Autorität der Regierung zu schädigen. Die Staatsregierung hat nur gethan, was ihr das Interesse des Staates zur Pflicht machte und wozu sie verfassungsmäßig berechtigt war. Abg. Dr. Krause-Königsberg (nat.-lib.) Die Maßregel sei kleinlich und politisch unklug. Wenn die Regierung so vorgehen wolle, so seien die Beamten in ihren Abstimmungen als Abgeordnete nicht mehr frei, und es werde erwogen werden müssen, ob das passive Wahlrecht, die Wählbarkeit politischer Beamten, überhaupt noch aufrecht zu erhalten sei. Die Ver fassung solle heilig und die Regierung keine Paitei- regierung sein. (Beifall.) Der Minister des Innern v. Rheinbaben erklärt im Auftrag seines Amtsvor gängers, daß seitens desselben eine Aufforderung und Androhung gegenüber den betreffenden Beamten in der vom Abgeordneten v. Köller oargestellten Form nicht erfolgt sei. (Bewegung.) Abg. Fritzen (Centr.) bedauert, daß diese Erklärung nicht zu Beginn der Verhandlung abgegeben worden sei. (Sehr richtig.) Die Entscheidung darüber, ob politische Beamte gewählt werden sollen, könne man den Wählern überlassen. Die Maßregelung sei nicht zu billigen, sie werfe einen Schatten auf das Ansehen des Hauses und dieses habe allen Grund, dieses Ansehen voll zu erhalten. (Beifall.) Abg. Rickert (freis. Ver.): Die Auflösung würde keinen Zweck haben, wenn die Regierung weiter dulde, daß Landräthe und Amtsvorsteher für den Bund der Landwirthe agitiren. Auch die weiteren Reden sprechen ich sämtlich gegen die Regierung aus. Pflege der Hustenden. Bon Or. me6. R. Ebing. (Nachdruck verboten Der Husten ist an sich gar keine Krankheit, er st nur die Begleiterscheinung von Krankheiten, welche )ie Luftwege des Athmungsapparates, also den Kehl kopf, die Luftröhre oder die Lungen b-treffen. Wenn man nun bedenkt, daß es eine Kehlkopf- und Lungen- Schwindsucht giebt, so ist es schon Grund genug, um auf jeden Husten zu achten. Sobald ein länger an dauernder Husten austritt, ist die Beobachtung und Das Gewürz »er seligen Fra«. Novellen« von Lonradi ne Stinde. (Nachdruck verboten.) „Ein ganz besonderes Gewürz war es, das alle Speisen meiner seligen Frau durchzog", hatte Pastor Weber so häufig zu seiner zweiten Gattin gesagt. „Alle Speisen?" war dann dir erstaunliche Frage der ehelichen Nachfolgerin gewesen. „Ja, so ziemlich alle. „„Milchsuppen, süße Speisen, abgebackene Klöße, Saucen"" u. s. w.; aber was für eins es sein mochte, kann ich Dir nicht sagen." Elisabeth, die junge Gattin, war viel zu klug, um merken zu lassen, wie sehr es sie schmerzte, daß sie ihrem Manne die Gerichte nicht genau so be reiten konnte, wie seine verstorbene Frau sie würzte. Die Speisen schmeckten ihm stets vorzüglich, ja sie konnten ihm kaum besser munden, und doch mußte sie immer wieder „von dem Gewürz der seligen Frau" hören. Ihr Mann beabsichtigte gewiß nicht, sie damit zu kränken, das lag ihm fern, er sah eine Voll- kommenheit in seiner Elisabeth. Er wollte nur mal wieder das schmecken, was ihn an vergangene Zeiten erinnerte. Wie mit der verstorbenen Frau, so lebte Pastor Weber auch mit seiner jetzigen sehr glücklich. Man hätte denken können, sie lebten noch immer in den Flitterwochen. Als die erste Frau gestorben, ward es dem Pastor nicht schwer, Ersatz für sie zu finden; er war liebenwürdig, anspruchslos, gutge stellt und ansehnlich, daß er überall hätte anklopfen können. Seine Wahl fiel auf Elisabeth; ihre be scheidene Art und ihr häuslicher Sinn stellten andere Konkurrentinnen in den Hintergrund. Elisabeth liebte ihren Gatten abgöttisch und mühte sich ohne Unterlaß, alles für ihn zu schaffen, was sich zu seinem Wohlleben ersinnen ließ. Nur eins quälte sie Tag und Nacht. „Das Gewürz der seligen Frau" war es. WaS hätte sie darum gegeben, könnte sie es ihm verschaffen! Alle Gewürze, die der Krämer im Dorf führte, hatte sie erstanden und durchgekocht, alle I! Und keins von diesen war das Bewußte gewesen. Zimt, Vanille, Kardamom, schwarzen Pfeffer, weißen Pfiffer, Ingwer, Nelkenblüte, Nelkenpfeffer, Zitronenschale, Apfelsinen schale, Muskatnuß, Muskatschale und Lorbeer hatte sie zu den verschiedenen Speisen verwandt, mit denen zu sammen sie paßten. Stets halte die Bereitung dem Pastor vorzüglich gemundet, aber o Kummer, „das Gewürz der seligen Frau" war keins davon gewesen. Aus dem Garten Katte Elisabeth Kirschblütter, Pfirsich- olätter und Zitronen-Melisse genommen, die den Speisen einen angenehmen Geschmack gaben, doch auch diese Versuche hätten unterbleiben können. Eines Nachts quälte Elisabeth sich wieder nm das gewünschte Gewürz, es ließ sie nicht schlafen. Plötzlich rief sie: „Johannes, waren es vielleicht Zwiebeln?" Doch ihr Gatte schlief so fest, daß er nichts hörte; und als sie die Frage ausgesprochen, ärgerte sie sich auch bereits über ihr albernes, kindisches Be nehmen. Gottlob, daß Johannes ohne Unterbrechung weiterschlief. Die Frage war ja außerdem zu dumm, denn mit Zwiebeln konnte man doch weder Milchsuppcn noch süße Speisen würzen, die er gerade genannt. Sie hatte an eine jungverheirathete uner fahrene Freundin gedacht, die zu den meisten Gerichten Zwiebeln brauchte, um ihnen wenigstens etivas Geschmack zu geben, aber trotzdem schmeckte nichts danach. Schließlich stellte sich heraus, daß die Freundin alle Hyacinthenzwiebeln zum Kochen verbraucht hatte, in der Meinung, es seien die für die Küche! Doch solche Unerfahrenheit durfte Elisabeth ihrer ehelichen Vorgängerin nicht zutrauen. Sie mußte weitersuchen nach dem Gewürz. Am nächsten Tage ging Elisabeth abermals zum Krämer und fragte ihn: „Halten Sie vielleicht noch irgend welche Gewürze, die ich noch nicht kaufte, oder die mir unbekannt?" Der Alte suchte in den Schubfächern nach, die solche Kleinode bargen, und bald kehrte er mit spanischem Pfeffer, trocknem Kümmel und Senfkörnern zum Ladentisch zurück. „Dies sind die einzigen, Frau Pastorin, die andern haben Sie alle gehabt," erklärte er dabei. Elisabeth ließ sich von diesen drei Sorten geben, dabei fragte sie: „Wissen Sie vielleicht, ob die selige Frau meines Mannes für irgend ein Gewürz oder einen Geschmack besondere Vorliebe zeigte, daß sie es viel kaufte?" Der Alte erinnerte sich dessen nicht. Doch die Ki ämersfrau, die im Laven erschien, um ein Wörtchen mit der liebenswürdigen, jungen Pastorin zu plaudern, wußte, daß die verstorbene einmal sechs Citronen zur Zeit gekauft! „Ja, sechs Citronen kaufte sie auf einmal," be tonte die Alte wiederum, „ich weiß es ganz deutlich; kurz vor Weihnachten war es, ich suchte ihr noch die! schönsten aus. Also hatte sie gewiß doch eine Neigung! für Citronen. Du warst gerade nicht im Laden," wandte sie sich mit den letzten Worten an ihre Ehe hälfte „aber ich erzählte es Dir nachher gleich. Ja, sechs Citronen auf einmal." Der Kauf hatte unvergeßlichen Eindruck auf die alte Fran gemacht. Sicher waren noch nie so viele Citronen zur Zeit bei ihr erstanden, seit sie im Be sitz des Geschäftes gewesen. Mit Citronenschale würzte Elisabeth bereits mehr fach die Speisen während ihrer Verheirathung, ihr Gatte hatte diese nie ausnehmend gelobt. Die eheliche Vorgängerin brauchte das halbe Dutzend wohl zur Weihnachts bäckerei. — Indessen wollte sie mal eine Speise mit dem Zitronensaft versuchen; sie mußte „das Gewürz der seligen Frau" doch endlich finden. So ließ sie sich denn eine Zitrone einhändigen und kehrte hoff nungsvoller heim als wie sie fortgegangen. Am nächsten Tage (es war ein Sonntag und an Sonn- und Festtagen gab es stets eine süße Speise als Nachtisch) bereitete Elisabeth nach ihren selbstgeschriebenen und erprobten Recepten ein Dessert mit Zitronensaft. Der sechs Zitronen gedenkend, konnte sie nicht die Zeit abwarten, bis ihr Geliebter die Speisen kosten würde. Es wäre die glücklichste Stunde ihres Lebens, wenn er sagen würde: „Elisa beth, Du hast das Gewürz meiner seligen Frau gefunden!" Die süße Speise mit der Zitronensäure schmeckte dem Pastor vorzüglich. Er nahm zweimal, ja er nahm sogar dreimal davon und als er sagte: „Elisa beth, Du hast" — stand ihr das Herz still vor Glück, denn nun würden die Worte folgen: „Das Gewürz meiner seligen Frau gefunden." Doch bald schlug das Herz ruhig weiter, denn er sagte nur: „Elisa beth, Du hast ganz vorzüglich gekocht!" Welche Enttäuschung! Also Zitronensäure war es auch nicht, trotz des halben Dutzend. Nach Tisch gab sie ihrem Gatten einen so innigen Kuß, als wollte sie damit Abbitte thun, daß sie das Gewürz noch immer nicht ausfindig gemacht. Als der Pastor sich dann nach seinen sonntäg lichen Anstrengungen und dem reichlichen Mittags mahle ein Stündchen Ruhe gönnte und seine Augen chonte, und Elisabeth ihn mit einer selbstgehäkelten, warmen Decke einhüllte, schrieb sie an ihre Mutter, sie möchte ihr doch aus der Apotheke einige feine Gewürze besorgen, die sie hier nicht bekommen könnte, :vie z. B. Bittermandelöl, Rosenöl (das führte der Krämer nur zur Weihnachtszeit), Pomeranzenschale, Orangenöl, Zitronat und was es sonst noch gebe. — „Sobald ich in die Stadt komme," sagte sie sich dann, „muß ich es finden, „das Gewürz der seligen Frau," eher ist mein Glück nicht vollkommen." Am nächsten Mittag war das Mahl bereitet; Herr Pastor ließ noch auf sich warten, weil er eine Amtshandlung zu vollziehen hatte. Elisabeth holte sich das Kochbuch der verstorbenen Frau; sie hatte heute eine Biersuppe gekocht, die fertig und schmackhaft war, doch wollte sie mal nachschlagen, ob die Verstorbene in ihrem Kochbuch vielleicht dafür ein besonderes Gewürz notiert hatte. Sie setzte sich neben den Herd auf einen Stuhl und las in dem Buch. Unter den meisten Recepten stand: „Gewürz nach Belieben." Das brachte Elisabeth fast zur Ver zweiflung. Die Notierungen in dem Kochbuche waren wenig systematisch gehalten, sie mußte lange suchen, bis sie „Biersuppe" fand, denn unter einem Gericht Champignon stand eine süße Speise; dann folgte Stiefelwichse, Gänseleberpastete, Leinen zu bleichen und so wechselte es ab. Hier war endlich die Biersuppe. Just im Begriff das Recept zu lesen, hörte Elisa beth die Hausihürklingel — ihr Gatte war zurückge kehrt. Schnell richtete sie die Speisen an, damit der Geliebte nicht zu warten brauche, aber, o weh! — über dem Studieren des Kochbuches war ihr die Suppe angebrannt! — Die junge Frau mußte mit sich kämpfen, daß sie nicht in Thränen ausbrach. WaS sollte sie thun? Eine frische Suppe zu kochen, dazu fehlte ja die Zeit. Elisabeth war rathlos! Solch miß glücktes Gericht hatte sie ihrem Johannes noch nie vorgesetzt, wo sie stets mit Liebe kochte. Die Köchin tröstete ihre Herrin, und versicherte, „so schlimm sei es garnicht mit dem Anbrennen, man schmecke es nur wenig." Es ließ sich ja auch nichts dabei ändern, die Suppe mußte zu Tisch wie sie war; „Herr Pistor soll sich an die Nachspeise halten, an der allein er sich auch sättigen konnte." Zaghaft füllte Elisabeth ihrem Manne nur wenig von der angebrannten Suppe auf den Teller — wie unglücklich war sie über das mißrathene Essen. Der Pastor nahm einen Löffel voll davon, lang sam, probierend, nun folgte ein zweiter, dann reichte er die linke Hand über den Tisch, erfaßte und drückte die seiner Gattin mit inniger Zärtlichkeit und sagte: „Elisabeth, wie danke ich Dir, Du hast es ge funden, ,das Gewürz meiner seligen Frau'!"-WWW