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Die Linie Professor Henry van de Velde aus Weimar sprach am 18. Dezember im Verein für Deutsches Kunstgewerbe zu Berlin über die Linie. Die Linie ist nach ihm eine über tragene Gebärde. Schon der Mensch der Urzeit hat sich unbewußt an der Wollust seiner Bewegungen, Gebärden und Laute berauscht. Indem es ihm gelang, die Linie auf zuzeichnen oder einzuritzen, gewann er von ihr eine ähn liche Wollust wie die des Tanzes, des Kampfes, der Lieb kosung. Unbewußt aber unwiderstehlich hat sich daran die Linienfolge geknüpft, und damit der Rhythmus in der Linienfolge. Aber zwei Arten von Linien entstehen, die Gemütslinie und die mitteilende Linie. Die Geschichte der Ornamentik enthüllt uns einen Kampf um die Vorherrschaft zwischen diesen beiden Linien. Die mitteilende Linie unterliegt unserm Willen, die Gemütslinie strebt unwill kürlich über uns hinaus. Die ägyptische Linie bekundet den ernsten gleichmäßigen Rhythmus der Sandebenen und der Ufer des unteren Nils, die assyrische Linie erscheint stürmisch und grandios, die persische Linie gleichzeitig stolz und kleinlich. Erst die mykenische Linie ringt sich zur Freiheit durch, indem sie die Last der Sinnbilder ab- wirft und die Mittel der primitiven Linie wiederfindet. Sie bewegt sich wie das Wasser des Meeres, rollt sich auf und löst sich wieder. Aus ihr geht die griechische Linie hervor, indem sie die ganze Vollkommenheit der myke- nischen mit sich nimmt und veredelt. Umso härter wirkt die gewalttätige römische Linie. Ihr Rhythmus ist schwer, schnell, zerhackt; sie erstickt schließlich unter dem Ueber- iluß an Blattwerk und Getier. Erstarrt, eisig steril wirkt die byzantinische Linie. Umso stolzer die romanische. Gewissenhaft und kraftvoll ist sie, aber ihr Streben nach Unabhängigkeit ordnet sie der Disziplin unter. Diese Un abhängigkeit kommt erst in der gotischen Linie zum Aus bruch; sie findet einen neuen Rhythmus, der dahineilt, wie zusammengeballte Wolken; tollkühn zieht sie schwere Steine mit sich fort zu schwindelnden Höhen. Die Linie der Renaissance hingegen verzettelt sich; architektonische, ornamentale und plastische Linie verlaufen getrennt. Die Barocklinie kennzeichnet den beginnenden Kampf, sie trägt im Grunde ein Faschingsgewand. Die Rokokolinie spielt schon mit Kraft und Stärke, und im Empire erst bereitet sich die Auferstehung wieder, die die moderne Linie bringt. Sie erscheint in der Malerei und der Zeichnung früher als auf irgend einem andern Gebiet. Der Künstler ist der Aufklärende, der Sehende. Seurat befreit als erster die Linie von romantischem Rhythmus und Akzent; ihm folgt der Neo-Impressionismus, der im Verein mit der japanischen Linie uns vorwärts gerissen hat. Die neue Linie ist im Grunde eine Linie der Konstruktion. In der Baukunst wie im Kunstgewerbe hat die konstruktive Linie heute die Führung inne. Wettbewerb der Stuttgarter Zeitungen Nicht wenige Zeitungen in Deutschland haben im Laufe dieses Jahres ihre Bezugs- und Anzeigenpreise erhöht, um nicht ohne angemessenen Verdienst arbeiten zu müssen. Daß aber durch die Konkurrenz auch das Gegenteil eintreten kann, dafür hat man in Stuttgart den Beweis erhalten. Mit der im September 1907 erfolgten Gründung der »Württemberger Zeitung« wurde durch ein kapitalkräftiges Konsortium ein Organ ins Leben ge rufen, welches unter allen Umständen sich einen Platz am Er scheinungsort sowohl als im ganzen Lande zu sichern sucht und dafür große Opfer zu bringen sich nicht scheut. Von An fang an fand Gratisverteilung durch Austrägerinnen im ganzen Lande statt, angeblich in einer Auflage bis zu 120000 Exem plaren. Und als dann nach einiger Zeit in der Provinz ein Bezugspreis von monatlich 60 Pf. oder wöchentlich 15 Pf. bei freier Lieferung ins Haus erhoben wurde, dauerte in Stuttgart die Gratisverbreitung noch bis 5. Dezember; der Bezugspreis beträgt für Stuttgart monatlich 50 oder wöchentlich 13 Pf. Dazu wurde dann von Mitte Oktober ab die Wochenschrift »Der Schwabenspiegel« beigelegt. Gleich im Anfang wurden Preise ausgesetzt, Gratiszeilen im Anzeigenteil den Beziehern ange boten, ebenso billige Bücher und schließlich auch noch Künstler konzerte veranstaltet. Wenn durch geschickte Propaganda von Anfang an auch ein großer Anzeigenteil erreicht wurde, so ist es doch erstaunlich, was man es sich kosten läßt, um eine neue und große Tageszeitung einzuführen, ganz abgesehen von der kostspieligen Einrichtung mit 4 Doppelrotationsmaschinen, 6 Zeilengießmaschinen usw. Wenn nun bis dahin in Stuttgart nicht zuviel Zeitungen er schienen sind und zwar außer lauter Parteiblättern von links nach rechts und dem Staatsanzeiger das der Deutschen Verlags- Anstalt gehörige Neue Tageblatt, so mußte gerade diese Zeitung wohl merken, daß der Hauptstoß gegen sie gerichtet war. Das Tageblatt sah sich daher genötigt, Gegenmaßregeln auf seine Kosten zu treffen und zwar durch bedeutende Vermehrung des textlichen Teils durch Einrichtung mehrerer Beilagen und einer besonderen illustrierten Wochenbeilage. Außer einem seit Jahren beigelegten umfangreichen Gratiskalender, einem Wand kalender und Taschenfahrplan haben die Bezieher in diesem Monat noch ein Gratisbuch von Wilhelm Busch in Aussicht. Ferner veranstaltete man für die Stuttgarter Bezieher einen nur mit Lokalnachrichten und Anzeigen gefüllten Generalanzeiger, und berechnete 10 Pf. für Stellengesuche, 12 Pf. für Verkäufe, Vermietungen usw., und 14 Pf. für alle sonstigen Anzeigen. Für das Tageblatt selbst wurde der Preis für Stuttgarter An zeigen auf 18 und für auswärtige auf 22 Pf. festgesetzt gegen 20 bezw. 25 Pf. bisher; allerdings wurden aus 7 Spalten 8 gemacht. Die Herabsetzung erfolgte mit Rücksicht auf die »Württ. Ztg.«, welche den Zeilenpreis für kleine Anzeigen auf 10 und für Geschäftsanzeigen auf 15 Pf. festgesetzt hat. Wer wird bei solchem Wettlauf Sieger bleiben? —s— Papierverarbeitungswerk A. Bickel, Wittenberg Im Oktober 1907 siedelte die Firma A. Bickel aus der alten, im Jahre 1874 gegründeten, in der Juristenstr. 10 belegenen Fabrik nach ihrem neuerbauten Werk in der Großen Friedrich straße über. Infolge Ausdehnung des Geschäfts hatten sich die bisherigen Räume als zu klein erwiesen, deshalb wurde im März 1907 mit dem längst geplanten Neubau begonnen. In ver hältnismäßig sehr kurzer Zeit entstand unt-r Leitung des Zivil ingenieurs Paul Ranft, Leipzig, ein mustergiltiges Bauwerk. Es besteht fast nur aus Eisen, Stein und Glas; 31/2 m breite Fenster und fast über das ganze Gebäude sich hinziehendes Oberlicht sorgen für ausreichende Tagesbeleuchtung. Sämtliche Räume sind mit Steinholzfußboden belegt und mit Dampfheizung ausgestattet. Eine Dampfmaschine von 70 PS treibt etwa 50 Druck- und Verarbeitungsmaschinen und erzeugt gleichzeitig die Kraft für eine elektrische Lichtanlage von rd. 250 Glüh- und Bogenlampen. Ein geräumiger Fahrstuhl von 500 kg Tragkraft dient zur Beförderung der Waren von und nach den Stock werken. Eigenes Anschlußgleis vermittelt den Güterverkehr mit der Eisenbahn. Die Fabrik umfaßt einen bebauten Flächen raum von rd. 5000 qm, beschäftigt über 120 Arbeiter und Arbeiterinnen und unterhält ein ständiges Lager von rund 500000 kg Papier, das sich in dem 1000 qm großen Keller be findet. Druck- und Schneidemaschinen sowie Stanzen sind im Saal des Erdgeschosses aufgestellt. Auch Setzerei und Stereo typie befinden sich im Erdgeschoß. Im 1. Stockwerk sind die Verarbeitungsmaschinen, die Handkleberei und die Versand- Abteilung untergebracht. Das Lager der fertigen Tüten und Beutel hat im 2. Stockwerk seinen Platz gefunden. Das Kontor ist, um Störungen durch das Geräusch der Maschinen zu ver meiden, in besonderem Gebäude untergebracht und gleichfalls mit Oberlicht durchaus zweckentsprechend ausgestattet. Eine Fernsprechanlage mit 10 Anschlüssen vermittelt von hier aus den Verkehr mit den Abteilungen. Das Wirtschaftsgebäude enthält Ankleide- und Aufenthaltsräume für Männer und Frauen, Heizerwohnung und Stallungen. Die Fabrik hat ihren Betrieb mit dem Neubau bedeutend vergrößert und neueste Druck- sowie Verarbeitungsmaschinen aufgestellt. Sie ist außerordentlich stark beschäftigt und plant bereits neue Erweiterungen. R. W. Ortsverein der Steindruckereibesitzer. Die lithographischen Anstalten in Karlsruhe haben einen Fachverein gegründet unter dem Namen »Verein der Karlsruher Steindruckereibesitzer«. Zum Vorstand wurden gewählt: Hofbuchdruckereibesitzer Her mann Gutsch, Robert Glöckner und Gustav Kölble.