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zwischen beiden Gebieten stützen jene Theorie nicht, nach der die Bevölkerung schon mit der entwickelten Aunjetitzer Kultur aus Böhmen nach Sachsen gelangt sein soll, dieses Gebiet besiedelte und den einzigen Träger der dortigen altbronzezeitlichen Zivilisation darstellte. Bei der Untersuchung der Tonware wird festgestellt, daß in Mittelsachsen die Lappenschüsseln fehlen, die für Nordwestböhmen, vornehmlich für die Altaunjetitzer Periode kennzeichnend sind; es fehlen weiter fast gänzlich Gefäße mit waagerechtem Henkel, die im Flußgebiet der Ohre sowie im Erzgebirgsvorland üblich sind, also Formen, die dort nicht nur während der älteren, sondern auch in der jüngeren Aunjetitzer Kulturperiode erscheinen. Dagegen tritt in Böhmen das kleine zweihenkelige faßförmige Gefäß, das für Nordsachsen typisch ist, nur sehr selten auf. Deutsche Forscher haben den Zustrom eines neuen Volkes, das die Aunjetitzer Kultur aus Böhmen in das Gebiet nördlich des Erzgebirges mitbrachte, ange nommen. Am deutlichsten formulierte diese Ansicht in letzter Zeit H. E. Man- dera 7 ), der sich auf dem Gräberfeld in Nohra und Merseburg bemühte, Be weise für die direkte, allmähliche Besiedlung aus Böhmen durch das Volk der Aunjetitzer Kultur beizubringen. Einen mehr toleranten Standpunkt hat schon früher G. Neumann 8 ) eingenommen, der während der Aunjetitzer Kul turentwicklung in Deutschland mit beiden Komponenten rechnet; und zwar mit dem heimischen sowie mit dem fremden Impuls vom Südosten und aus Böhmen. E. Schmidt-Thielbeer 9 ) macht darauf aufmerksam, daß im deut schen Gebiet die Bedingungen für das selbständige Entstehen der Aunjetitzer Kultur bestanden. Das Problem der eventuellen Expansion der Träger der Aunjetitzer Kultur von Böhmen aus nach Deutschland kann nur mit Hilfe einer gründlichen Analyse der mitteldeutschen Funde gelöst werden, worauf wir im Rahmen dieses Artikels nicht weiter eingehen wollen. Bei allgemeiner Auswertung der Gesamtsituation scheinen Mittelböhmen und Mitteldeutsch land entwickelte und an Funden reiche Gebiete mit einer stark vertretenen jüngeren Stufe zu sein (in Deutschland die sog. Metallgruppe). Dadurch äh neln beide Gebiete einander; es bestehen jedoch Unterschiede in deren Kultur inventar — in der Keramik, in dem Inhalt der Depotfunde u. ä. Zwischen beiden kulturell entwickelten Gebieten liegen Nordwestböhmen — ich denke vor allem an den Kern des Nordböhmischen Kohlenreviers — und Mittelsachsen, die man als ärmere, in der Entwicklung zurückgebliebene Gebiete bezeichnen kann. Ich nehme an, daß Nordwestböhmen als das Randgebiet im Verhältnis zu Mittelböhmen und Mittelsachsen als das Randgebiet zu Mitteldeutschland ’) H. E. Mandera, Versuch einer Gliederung der Aunjetitzer Kultur in Mitteldeutschland, in: Jahres schrift Halle 37, 1953, S. 198. ") G. Neumann, Die Entwicklung der Aunjetitzer Kultur in Mitteldeutschland, in: Prähistorische Zeitschrift XX, 1929, S. 128. ") E. Schmidt-Thielbeer, Ein Friedhof der frühen Bronzezeit bei Nohra, Kr. Nordhausen, in: Jahresschrift Halle 39, 1955, S. 114.