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10910 vörienblatt s. b. Dtlchn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 221, 23. September 1910. Kleine Mitteilungen. Handschriften des 10.—16. Jahrhunderts. — Die in den letzten Jahren von verschiedenen Antiquariatsfirmen heraus gegebenen, teilweise recht umfangreichen Verzeichnisse illuminierter alter Handschriften haben den Liebhabern und Forschern reichlich Gelegenheit geboten, kostbare alte Manuskripte verschiedenster Art zu erwerben. Auch die Firma Leo S. Olschki in Florenz hat soeben einen derartigen Katalog von Handschriften mit Miniaturen herausgebracht: Oatalo^us I.XXIV. NanuseriLs eur v6>miüiadursg äu^Xs au XVIIs siselo, soiA26U8SM6^t UV6066X. I'oils Lrs^20.—. Dieser sehr splendid ausgestattete Katalog verzeichnet 63 kostbare illuminierte Handschriften des 10.—16. Jahr hunderts deutscher, flämischer, französischer, italienischer, spani scher usw. Herkunft. Von diesen Manuskripten gehören Nr. 17 und 58 dem zehnten, Nr. 7, 8, 9 dem dreizehnten, Nr. 26, 62, 67, 61 dem vierzehnten, Nr. 1, 16, 42, 43, 46, 63, 59, 63 dem sechzehnten, Nr. 18 dem siebzehnten, die übrigen Nummern dem fünfzehnten Jahrhundert an. Verschiedene Nummern dieser Sammlung sind mit 10—30 000 Franken angesetzt. Dem zehnten Jahrhundert entstammt Nr. 17, eine lateinische Handschrift der vier Evangelien, mit vier großen ornamentalen Initialen und vier kleinen Miniaturen; ebenso Nr. 68, ein latei nischer Psalter mit 44 Initialen in Rot, Gelb und Schwarz. Die Nrn. 7, 8, 9, drei lateinische Bibeln, wurden im drei zehnten Jahrhundert rot und schwarz in gotischer Schrift ge schrieben. Nr. 7 zeigt zahlreiche Jnitialminiaturen zusammen mit Rankenwerkleisten, sowie eine Menge kleinerer roter und blauer Initialen. Die Initialen stellen gewöhnlich ein oder mehrere Personen der Bibel vor, während die Zierleisten aus Ranken werk, das durch Tier- und Menschenköpfe, Grotesken und Fabel wesen belebt ist, bestehen. Nr. 8 ist mit 58 Jnitialminiaturen und 79 anderen Verzierungen geschmückt. Die Miniaturen stellen meist Heilige, Bischöfe und Szenen aus der heiligen Geschichte dar. Die Bibel Nr. 9 enthält 66 Miniaturen. Aus dem vierzehnten Jahrhundert ist zu erwähnen Nr. 26, ein I-ivrs ä'bsur68 der französischen Schule mit 14 Miniaturen und einer Menge von Initialen verschiedener Größe. Nr. 62 ist eine römische Meßordnung mit Bildleisten und zahlreichen Arabesken-Jnitialen. Nr. 67, ein lateinischer Psalter, ist mit einer großen und sieben kleinen Miniaturen und sieben Initialen verziert. Die große Miniatur umschließt in zwei durch Bordüren getrennten Abteilungen das Bild des segnenden Christus, darunter das Bild des harfenspielenden Königs David. Nr. 61 enthält elf lateinische philosophische und astronomische Traktate und zeigt sieben miniaturengeschmückte Seiteneinfassungen von Stabwerk, das von Ranken, Blättern und Blumen, Grotesken, einem Hahn und vielen Initialen durchbrochen ist. Dieses in verschiedener Be ziehung interessante Manuskript ist von Professor Boffito in einem besonderen Artikel von »I.a kidlioMa« X, 1908—1909, xp. 326 bis 351, ausführlich beschrieben worden. Die größere Zahl der in dem Olschkischen Katalog aus gebotenen Manuskripte gehört dem fünfzehnten Jahrhundert an, und zwar Nr. 2, 3 (8000 Fr.), 4, 6, 6, 10, 11 (20 000 Fr.), 12, 13 (15 000 Fr.), 14,16, 19, 20, 21 (10 000 Fr.), 22 (16 000 Fr.), 23 (12 000 Fr.), 24, 26, 27 (30 000 Fr.), 28 (20 000 Fr.), 29 (6000 Fr.), 30 (25 000 Fr.), 31—41, 44, 46, 47 (16 000 Fr.), 48—61, 64—66, 60, 62. Unter diesen Nummern befinden sich mehrere Breviere, Horae, Offizien, Pontifikale, ferner Abschriften von Cicero, Diogenes Lasrtius, Felice Feliciano, Juvencus, Petrarca, ein Traktat über die Krankheiten der Pferde usw. Das Manuskript Nr. 2 »Inder Lxamsron 8anoti Xmbrosii ^rodiep.« usw. erscheint zum erstenmal vervielfältigt in einem Drucke des Johann Guldenschaff in Köln um 1477. Professor Tonnerion hat über diese Abschrift in »l^a öiblioLlia« X, 1908—09, xp. 135—136, gehandelt. Das Antiphonarium Nr. 3 ist ein sehr großes Foliomanuskript mit mehreren großen Miniaturen und 176, zum Teil ebenfalls sehr großen Initialen in Farben und Gold. Die Vorderseite von Blatt I ist mit einer 560:387 mm großen Bordüre von Ranken, Blüten und Vasen eingefaßt, in der sich oben eine Miniatur (175:120 mm) befindet, die Jesus, den schiff bruchbedrohten Jüngern auf dem See Tiberias erscheinend, dar stellt, während der untere Rand der Einfassung eine Büste Jesu auf blauem Grunde einnimmt. Eine zweite Bordüre mit Miniatur (185:185 min) befindet sich auf Rückseite von Blatt 41. Die großen Initialen von Nr. 3 sind von 97:97 mm bis zu 175:175 mm groß. Unter dem Bilde S. Benedikts (185:186 mm) auf Rückseite von Blatt 41 ist ein kniender Mönch abgebildet, von dessen zum Gebet erhobenen Händen ein Spruchband mit: »8. Lsusäiots, ora pro ms. v. Lsruaräo« ausgeht. Vermutlich hat sich mit diesem Bilde der Miniaturist selbst dargestellt. Mit dem Manuskript Nr. 6 befaßt sich ein Artikel des Pro fessor A. Tenneroni in »I.a Liblioklia« 'X, pp. 138—142. Von außerordentlicher Schönheit ist ein Lrsviarium I'ranei8oauum (Nr. 11), dessen reicher Schmuck von Francesco Antonio del Cherico herrührt. Vor der Blüte der Schule von Attavante war Francesco Antonio del Cherico der erste Vertreter der Kunst der Miniatur in Florenz. Seine Kunst stammt in direkter Linie von Fra Angelo her, dessen Anmut der Farbe und Zartheit der Aus führung er besitzt. Von ihm besitzen wir u. a. auch das wunder volle lüvrs ä'bsurs8 des Lorenzo il maSlliüeo und den Aristoteles der Libliotbsoa I-aursntiaua in Florenz. Vergleiche den Artikel von Paolo d' Ancona in »I-s. Liblioülia« X, pp. 46—48. Von außergewöhnlicher Seltenheit ist Nr. 22, ein flämisches lüvrs ä'bsurs8 vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts mit acht großen Bildern, davon zwei in Grisaille, 13 kleinen Figuren in Grisaille, einer Bordüre, sieben Leisten und einer Menge von Zierinitialen verschiedener Größe, sämtlich in Farben und Gold. Die 13 kleinen Grisailles sind auf blauem Grunde in einen gotischen Rahmen von Gold gefaßt und stellen Heilige usw. dar. Als eines der schönsten in letzter Zeit angebotenen französischen IÜVI-63 ck'bsurs8 dürfte Nr. 27 anzusprechen sein, das u. a. 16 große und 26 kleine Miniaturen, 384 Bordüren (auf jeder Seite), zahl reiche Initialen und sonstige Verzierungen enthält und für 30 000 Franken bereits einen Liebhaber gefunden hat. Diesem Exemplar reihen sich die Nrn. 28, 29 und 30, ebenfalls der fran- zösischen Schule angehörige I-ivrs3 ck'bsui-ss, würdig an. Nr. 30 ist ein sehr interessantes Beispiel der französischen Miniaturkunst vom Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, also etwa zwei Jahrzehnte vor Erfindung der Druckkunst. Die Iüvrs8 ä'bsurss Nr. 31—43 stammen ebenfalls aus der französischen Schule. Nr. 34 gehörte ehemals zur Bibliothek der Königin Maria Leczinska, Gemahlin Ludwigs XV., wie aus der eigenhändigen Widmung auf der letzten Seite hervorgeht: »äonvs ä. 8a ^lajssts I-a ks^ns par 8a trö8 bumbls st trö8 obsi^ants st tr^8 ücksls 8srvants D'^umals, Ein hervorragend schönes Stück ist auch Nr. 47, ein franzö- seiner sorgfältigen Schrift, seiner reichen Illuminierung, die noch die ganze Leuchtkraft der Farben zeigt, und seiner ausgezeichneten Erhaltung. Uber Nr. 60 und 51 findet man Näheres in »I,a 6ib1io6lia« X, pp. 48, 49. Nr. 54 ist eine schöne italienische Ab schrift der »1'rionü« des Francesco Petrarca. Aus dem sechzehnten Jahrhundert stammen die Nummern 1, 16, 42, 43, 45, 53, 69, 63 des Olschkischen Katalogs. Nr. 1 ist eine wahrscheinlich nach einer sehr guten alten Handschrift bewirkte, sehr korrekte Abschrift der »Lxpo8itio in ?8a1iuum« 6XVIII des S. Ambrosius (siehe »I,a Liblioülia« X, pp. 136—137). Nr. 16 ist eine mit 16 Miniaturen geschmückte Niederschrift von »Jusuf und Suleicha« von DschLmi (Abdur - Rahman ibn Ahmed 1414—92), eins der poetisch tiefsten Werke der persischen Sprache. Nr. 43 ist ein sehr reich und fein ausgestattetes lävrs ä'bsurs8 L I'u8a§s äs kauen, dessen Seiten mit einer schönen Bordüre versehen sind. Auf der letzten der sechzehn Miniaturen dieses Werkes sind der Besitzer desselben, Camus de Pontcarrs, und seine Frau, eine Le Cauchois, mit ihren Wappen abgebildet. Nr. 63 ist eine deutsche Leidensgeschichte Jesu Christi: »Dise heilige grose marter hebet die heilige schrifft also an«. Dieses Leiden Jesu ist von einem zweifellos guten Meister der deutschen Schule mit 34 prächtigen 115:110 mm großen Miniaturen geschmückt, die die verschiedenen Episoden der Passion illustrieren. Die Gruppierung der Personen in der deutschen Tracht der Zeit ist ebenso hervorragend wie die Charakteristik der zahlreichen Personen, der Realismus und die