Volltext Seite (XML)
In dieser ausklingenden Periode erreicht die Tripoljekultur ihre größte Ausbreitung, im Norden das Flußgebiet des Pripjat und im Süden bei Usatovo (nahe Odessa) die Küsten des Schwarzen Meeres. Im Osten verhindert die inzwischen erstarkte Kata kombengrab-Kultur ein weiteres Ausgreifen auf das linke Dneprufer. Die einst bevor zugten Schwarzerdeflächen werden verlassen, und die sich entlang der Flußtäler hin ziehenden Niederungen sind der Anziehungspunkt der sich allmählich herausbildenden Hirtennomaden. Neben diesen heute meist im Überschwemmungsbereich liegenden unteren Flußterrassen werden gleichfalls die sandigen Dünenböden besiedelt. Der An laß zu dieser Siedlungsverlagerung ist das wachsende Bedürfnis an Weideflächen, be dingt durch die sich immer stärker ausbreitende Viehwirtschaft. Im gleichen Zusammen hang ist allen diesen späten Tripoljestationen der geschlossene Charakter der Dorf siedlung verlorengegangen. Als eine weitere Folge der wirtschaftlichen Umschichtung dürfte sich auch der Übergang zu einer vorwiegend vaterrechtlich organisierten Ge sellschaft vollzogen haben. Das Anwachsen der Viehherden, begünstigt durch die leichtere Akkumulation von tierischem Kapital, war zugleich der Ansatzpunkt für den beginnenden Zerfall der Urgemeinschaft. Die in der Spätstufe erstmalig auftretenden Tierbestattungen sind ein Hinweis für den Übergang der bisher gemeinschaftlich genutzten Viehherden in das Eigentum einzelner Stammesmitglieder. Eine weiter fortgeschrittene soziale Differenzierung bezeugen die in Usatovo und im Chersongebiet aufgedeckten Kurgangruppen. Um ein an Größe und Ausstattung sich auszeichnendes Hauptgrab reihen sich die Gräber der übrigen Sippenangehörigen. Neben der des öfteren nach gewiesenen paarweisen Bestattung (Mann und Frau) dürften die in einzelnen Kurganen festgestellten Leergiäber zur späteren Aufnahme der noch lebenden Sippenangehörigen vorbereitet worden sein. Doch weitaus häufiger als die Hügelgrabform sind die in die Erde eingetieften, meist von Steinsetzungen um randeten Grabgruben. Diese Ungleichheit in der Bestattungsweise der Spätperiode spiegelt die in der Gesellschaft entstehenden sozialen Unterschiede. Wenige bemalte und schnurverzierte Gefäße sowie zahlreiche Kupfergeräte und bis zur Unkenntlich keit stilisierte anthropomorphe Figürchen bilden den Grabinhalt. Bezeichnend für den gesamten Kurgankomplex ist die starke Zunahme der Metallgegenstände. Letztere beweisen die immer größer werdende Bedeutung des Handels, der sowohl an den Küsten des Schwarzen Meeres als auch auf dem Landwege über den Balkan weit reichende Beziehungen mit der Zivilisation des Mittelmeers auslöste. Ist auch die Tripoljekultur seit ihrem ältesten Auftreten kupferführend 33 ), so fehlen doch bis in die Spätstufe hinein alle Anzeichen einer Metallerzeugung in dem an Rohmaterial armen ukrainischen Raum. Dagegen dürften die sich am Südrand der Karpaten erstreckenden Kupfer- und Goldvorkommen die frühe Entwicklung eines metallurgischen Zentrums in Siebenbürgen und den anliegenden Gebieten gefördert haben. Daß aber der Impuls zu der im Spätneolithikum nach gewiesenen boden ständigen Metallproduktion ebenfalls von der in ihren Produktivkräften höher ent wickelten vorderasiatischen Welt ausgegangen war, beweisen die zahlreichen inner halb der Bojan-A-und Gumelnitzakultur aufgefundenen Kupfer- und Goldgegenstände. Neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse bedingen das Siedlungsbild. Die eine Bauernkultur dokumentierenden Großbauten fehlen vollständig und an ihre Stelle treten jetzt die früher nur seltener belegten kleinen Grundrisse. Die Häuser sind gewöhnlich aus Flechtwerk errichtet und der einst durchgehende Bodenbelag ist auf das Ofenfundament verringert worden. Dies sind die sogenannten „reduzierten Ploscadki“, wie sie die zwei linksdneprischen Siedlungen Raiki und Lukasi in großer 33) In der noch zur Vortripolje-Stufe zu rechnenden untersten Schicht von Izvoar (westl, Cucuteni) ist der bisher älteste Metallfund der Tripoljekultur geborgen worden. Vgl. K. Vulpe, Civilisation pr^cucutenienne recemment decouverte ä Izvoare en Moldavie, Eurasia Septentrionalis Antiqua, Helsinki, XI, 1937, S. 88 f.