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Kon Uah und Fern. Berlin. Die Familie Friedmann wird dem nächst wieder einmal das Gericht beschäftigen. Ms nach der Flucht Dr. Fritz Friedmanns seine eheverlassene Frau mit den Kindern subsistenz los war, wurde von Verwandten und Freunden kW kleines Kapital aufgebracht, welches für die Erziehung der Kinder verwandt werden sollte. Die Geber verwahrten sich aber dagegen, daß dieses Kapital der Frau Dr. Friedmann aus gehändigt würde, da deren unsichere Existenz keinerlei Garantie dafür hat, daß das Kapital auch wirklich dem ins Auge gefaßten Zwecke zugeführt werde. Nun hat Frau Dr. Friedmann einen ihrer Verwandten denunziert, den Er ziehungsfonds der Kinder unterschlagen zu haben. Der Staatsanwalt hat dieser Denun ziation Folge gegeben und die Anklage ist be- reftS erhoben worden. — Den Hinterbliebenen der mit dem „Iltis" Untergegangencn ist jetzt von der Admiralität ein Gedenkblatt zugegangen. Es ist nach einem Entwurf des Kaisers in Buntdruck ausgeführt. Die kraftvolle Gestalt der Germania läßt einen Lorbeerkranz und einen Trauerflor über das de« Heimatswimpel führende Schiff schweben, das soeben den Leuchtturm passiert und in den Hasen einfährt. Am oberen Ende des Blattes leuchten in goldenen Strahlen ein Kreuz, unten ist in Medaillonform ein Bild des Gekreuzigten «ach Guido Reni angebracht. In der rechten Ecke hat auf schwarzem Grunde in goldenen Buchstaben, die sich wirkungsvoll abheben, der Spruch Platz gefunden, den der Kaiser selbst ausgewählt hat: Joh. 15, 13: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lasset für seine Freunde." Auf dem Gcdenkblatt selbst steht der Name des Verstorbenen und darunter die Worte: „Er starb für Kaiser und Reich, Ehre seinem Andenken." Kiel. Sämtliche schleswig-holsteinsche Ost seehäfen, ausgenommen den Kieler Hafen, sind durch Eis gesperrt. Die Schiffahrt ist ge schloffen. Von der deutschen bis zur dänischen Küste ist eine feste Eisdecke vorhanden. Ein Hamburger Dampfer fitzt im Kaiser Wilhelm- Kanal bei Kilometer 45 fest. Mainz. Bist dem 1. d. ging das gesamte Unternehmen der Hessischen Ludwigs-Eisenbahn- Gesellschaft auf den preußischen und hessischen Staat und seine Verwaltung von dem Ver waltungsrat und der Spezialdirektion der Gesellschaft auf die mit dem gleichen Tage in Wirksamkeit getretene, von bei den Staaten mit der Verwaltung der Hessischen Ludwigseisenbahn betraute königlich preußische und großhcrzoglich hessische Eisen bahndirektion Mainz über. In einen: Erlaß der Direktion heißt es: „Es wird erwartet, daß die gesamten Beamten wie bisher Pflichttreue, Gewissenhaftigkeit und Eifer in der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten bethätigen und auch der neuen Verwaltung jeder Zeit den schuldigen Gehorsam erweisen werden." - Erfurt. Ein eigentümlicher Unfall ereignete sich hier dieser Tage in der Regierungsstraßc, die von der elektrischen Straßenbahn durchzogen wird. Ein Telephondraht war derart herab gefallen, daß ein Teil desselben den ober irdischen Kabeldraht der Bahn berührte. Als ein Postbeamter das auf dem Schnee liegende Telephondrahtende, um es beiseite zu ziehen, anfaßte, wurde der Mann von dem hervor schießenden elektrischen Strom etwa drei Schritte weit fortgeschleudert. Der Genoffene blieb be wußtlos liegen, erholte sich jedoch bald wieder. Hannover. Nachdem am 22. Januar 1891 die Anbauersleute Heinrich AlbcrS und Frau in Osterholz bei Syke durch die Geburt eines Sohnes erfreut wurden, stellte sich am 22. Januar 1893 der zweite Junge ein und am gleichen Datum dieses Jahres der Dritte im Bunde. So haben denn die drei Jungen auf ein und denselben Tag ihren Geburtstag, und infolge dessen wird zweimal weniger im Jahre Geburts- ragsbutterkuchen gebacken werden, was niemand mehr bedauern wird, als die Hauptbeteiligten: die drei Brüder. Mühlhausen i. Th. Im benachbarten Küllstedt züchtigte ein dortiger Weber seinen etwa 5 jährigen Stiefsohn durch eine so kräftige Ohr feige, daß der Knabe sofort zu Boden Kürzte und verschied. Der Stiefvater soll verhaftet sein. Lennep. Eine grausige Fahrt mußte un freiwillig der auf dem hiesigen Bahnhof be schäftigte Bahnwärter Knorz mitmachen. Der Mann ging mit dem Weichenschlosser plaudernd am äußersten Ende des Bahnhofes über die Ge leise, als der Personenzug nach Born heran- braustc. Dichtes Schneegestöber wehrte die Fern sicht und die hohen Schncemassen dämpften das Geräusch des heranrollenden Zuges, so daß die beiden von dessen Annäherung nichts merkten. Der Wcichenschlosser erhielt von der Maschine einen Stoß und wurde mit zerbrochenem Schlüsselbein zur Seite geschleudert. Knorz ge riet unter die Maschine und wurde von einem Haken erfaßt. In der Todesangst hielt er sich an der Brcmsstange des Tenders fest, während seine Beine auf einer Radachse lagen. So mußte er die Fahrt bis Born mitmachen. Er ist schwer verletzt worden. Nürnberg. Der Leipziger Vertreter der Nürnberger Akticnbrauerei Henninger veruntreute au» spacht gerüchtweise von -.0 000 Mk. < r fluchtete, wurde aber in Stettin verhaftet. Posen. Die älteste Frau der Provinz Posen und wohl auch des Deutschen Reiches ist die Witwe Karasinska in dem unmittelbar'bei Posen gelegenen Dorfe Wilda. Frau Karasinska ist dieser Tage in ihr 108. Lebensjahr eingetreten Sie wurde im Januar 1790 geboren und ent stammt einer auffallend langlebigen Familie. Ihr Großvater starb mit 115 Jahren, ihre beiden Schwestern mit 113 und 105 Jahren. Frau Karasinska, die an einen Schmied ver heiratet war, dem sie zehn Kinder schenkte, lebt in sehr ärmlichen Verhältnissen. Sie ist aber noch leidlich rüstig. Nur im Winter verläßt sie ihre Wohnung nicht und liegt viel zu Bett. Im Sommer geht die Greisin jm Hofe umher und verrichtet auch leichte häusliche Arbeiten. Bei Witterungswechsel verliert die alte Frau regelmäßig das Gehör und die Sehkraft auf einige Tage.« Konitz (Westpr.) Den Miturienten des hies. Gymnasiums ist in diesem Jahre der übliche offizielle Kommers untersagt worden, auch dürfen dieselben keine roten Mützen tragen. Gleich zeitig wurde ein Oberprimaner auf ein halbes Jahr im Examen zurückgesetzt, während einige andere mit Karzerstrafen belegt wurden. Grund zu dieser Maßnahme hat eine Annonce in der ,Könitzer Zeitung' gegeben, nach welcher junge Damen, die geeignet wären, die Stickereien an den Abiturientenmützen zu besorgen, sich unter gleichzeitiger Einsendung ihrer Photographie (?) melden sollen. Wien. Ein Aufsehen erregendes Duell hat hier vor einigen Tagen stattgefunden: Prinz Philipp von Koburg, älterer Bruder des Fürsten Ferdinand von Bulgarien, also Sohn der Prinzessin Klementine und Enkel Louis Philipps, hat sich mit einem Oberleutnant geschlagen. Das Duell verlief unblutig. Prinz Philipp ist verheiratet und zwar mit der Schwester der Kronprinzesstn-Witwe Stefanie, Prinzessin Louise von Belgien, Tochter des Königs der Belgier. Die Prinzessin Louise ist Mutter zweier Heranwachsender Kinder. — Das Duell soll mit gewissen abenteuerlichen Vorgängen zu sammenhängen, über die in den Blättern allerlei mitgetcilt wurde. Man hat sich nicht entblödet, zu behaupten, die Prinzessin sei mit einen Leut nant nach Paris durchgegangen. Der Pariser ,Figaro', doch sonst eine Hauptablagestelle für pikanten Klatsch, setzt diesem Gerücht einen ent schiedenen Widerspruch entgegen. Paris. Eine Geliebte Napoleons III., die in den sechziger Jahren am Tuilerienhofe eine große Rolle spielte, Gräfin Pahte (allerdings weist der Kalender diesen Namen nicht auf) soll als ganz verarmte alte Frau, die sich durch Kränzebinden auf dem Kirchhofe zu Paris kümmer lich ernährte, gestorben sein. Edinbnrg. Der Taucher Thomas Bums sprang am Freitag von der schottischen Taybrücke in das Meer. Die Kleider hatte er abgelegt.! Seine Begleiter warfen ihm Eisenbahnschwellen in das Wasser, deren eine er bestieg. Das Ende > der kühnen Taucherthat war, daß Bums nach der Polizeistation in Dundee gebracht wurde. Brüssel. In der hiesigen Vorstadt Etterbeck ermordete am Montag ein Mann seine Frau samt drei Kindern und beging sodann Selbst mord. New Work. Bis vor einigen Tagen ist die Kälte in den Ver. Staaten nicht groß ge wesen. Jetzt aber ist der Niagarafall zuge- froren, und das ist gewiß ein Zeichen, daß der Frost im Lande regiert. Die Eisbrücke glitzert prächtig im Sonnenschein. Hinüberzugehen wagt freilich noch keiner. Den. Versuch wird jedoch mehr als einer machen, wenn das Frostwetter noch einige Tage anhält. In New York ist es in diesem Winter bisher nicht besonders kalt ge wesen. In Philadelphia hat weit größere Kälte geherrscht. Dort sind mehrere Personen auf der Straße erfroren. In Chicago weht der Sturm schneidend vom Michigansee über die Stadt. Dort ist es infolgedessen so kalt, als ob der Wärmemesser auf 40 Grad unter Null Fahren heit stände. Die Armen leiden furchtbar. In Wisconsin, Minnesota und den anderen nord westlichen Staaten verzeichnet das Thermometer durchschnittlich 15 — 20 Grad unter Null. In Nebraska sind ganze Schafherden erfroren. Selbst in Texas ist viel Vieh durch den Frost umgekommen. Jm nördlichen Teil des Staates New Jork hatte man am 27. Januar 21 Grad unter Null. Dieselbe Temperatur herrschte in Vermont, Maine und Südkanada. Gerichlshalle. Berlin. „Ick muß mir doch mächtig wun dern, Herr Jerichtshof, det mir der Herr Staats anwalt vorladcn dhut, wo doch die Anjelegen- heit vorn Herrn Zivilrichter in de Neue Fried richstraße hinjchört!" begann die Witwe Elise Amrum ihre Verteidigung. — Vors.: Geben Sie Ihrem Erstaunen an einer geeigneteren Stelle Ausdruck. Sie werden beschuldigt, die Zeugin Maruschkc vorsätzlich mißhandelt zu haben. Was erwidern Sie auf die Anklage? Angckl.: Aber ooch nich'n Schimmer von so wat, Herr Jerichtshof; int konträre Jejendehl, mir hat se beleidigt, indem se mir vor all die erwiesene Wohldhaten noch „Schmutzstücke" jeschumpsen hat, wat nu doch jewiß een Ekel name is un sich 'ne anständige, jebildete Frau nich jefallen lassen braucht. — Vors.: Erzählen Sie mal den Vorgang vom 5. Dezember v. — Angekl.: Die Sache is nämlich die. Vor jewöhnlich braucht unsereens keen Schnuppduch nich; aber wenn der Mensch mal det Sonn tags wo hinjehen dhut, denn macht et doch mehr Ehfekt, wenn er 'n recht wceßcn Spnupp- duch in de Hand hat. — Vors.: Kommen Sie zur Sache. — Angekl.: Ick stoße mir denn ooch so Ville ab und koofe mir een viertel Dutzend, aber wat Jediejenet; sechs jute Jroschen mußt ick for't Stück anlegen. Nu müssen se aber ooch noch jezeechent wcr'n, wozu meine eijenen Finger 'n bißken zu steif jeworden sin un weil ick det Mächen det Jeld nich vertragen will, jeb ick se ihr denn richtig hin. — Vors.: Uns interessiert nur der Vorfall vom 5. Dezember. — Angekl.: Det war am Sonnabend. Punkte zwee komm ick aus de Marchthalle un well ick nu nich erst noch jroß kochen wollte, denn ick bin jänzlich alleenstehend un hab mir nach niemand zu richten, denk ick mir in meine Jedanken, wirst de dir jeschwinde 'n Töpken Kaffee uffbrühn un ne Stulle zu essen, denn reicht et ooch. — Vors.: Das ist aber alles ganz gleichgültig. Es kommt nur darauf an, was sich in Gegenwart der Zeugin Maruschke zugetragen hat. — Angekl.: Da haben Se recht, Herr Jerichtshof. Wie ick nu jerade mein mageret Mittag präpple, bringt se de Dücher retuhr, wobei wir erst noch 'n jemütlichen Ton zusammen reden un se sich janz von alleene 'n Täßken rauslangt un sich mit über mein Kaffee un mein Brotleib hcrmacht. Det verschnuppte mir zwar, aber ick hielt an mir un sagte nischt. — Vors.: Was ereignete sich weiter. — Angekl.: Wie se mir denn bei't Wegjehen vorrechnete, det se vor jedet Duch drei Jroschen kriejen ohäte, indem se vor den Buchstaben 'n Jroschen un vor jede Zahl 'n Sechser rechnen dhäte, da stieg mir die Jalle jewaltig uff. — Vors.: Das würde allerdings nur 25 Pfg. für jedes Tuch betragen. — Angekl.: Ach nee, nach die ihre Rechnung stimmte et schon. Ick hatte in jedet Duch nein- lich zwee Zahlen insticken lassen, indem nich jeder zu wissen braucht, wie Ville Stück eener hat, un denn will ick mir ieberhaupt 'n janzet Dutzend zulejen. Da hab' ick mir man die letzten drei zuerst jekooft. — Vors.: Wenn die Rech nung aber stimmt, dann begreife ich nicht, wie Sie wegen der Bezahlung in Streit geraten konnten. — Angekl.: Na, ich wer mir doch nich von so'n Mächen über't Ohr hauen lassen. — Vors.: Sie hätten eben den Preis vorher ver einbaren sollen. — Angekl.: Det stimmt. Wie ick ihr nu in alle Ruhe sage, det ick den Preis 'n bißken jcsalzen finde, muckt sc jleich mächtig uff, woruff ick ihr sage, det se mir ja uff't Amtsjericht verklagen könnte, wcnn't ihr nich recht wäre. Sie radaut aber immer feste weg, wodruff ick ihr an die Lust setzte. — Aus der Beweisaufnahme ging hervor, daß die Angeklagte nur die Hälfte des geforderten Lohnes geben wollte und von diesem Rest noch 20 Pfg. für den genossenen Kaffee in Anrechnung brachte, trotzdem die Zeugin hierzu eingcladen worden war. Die Zeugin Maruschke war damit jedoch nicht einverstanden und wollte sich mit den Tüchern entfernen. Die Angeklagte entriß die Tücher dem bestürzten Mädchen und schlug auf dasselbe ein. Der Gerichtshof erkannte gegen dsx Angeklagte in Rücksicht auf mehrere, einen gkwaltthätigen Charakter dokumentierende Vor strafen, auf zwei Monat Gefängnis. Konstanz. Der Reichsbankagent Hegcle wurde zu sieben Jahr Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für zehn Jahre verurteilt. Kuntes Allerlei. Der Charakterkomiker Ewald Gro becker, der vor einigen Tagen kurz nach seinem goldenen Bühnenjubiläum in Wiesbaden ge storben ist, war Ende der vierziger Jahre am Königstädtischen Theater in Berlin thätig. Eines Abends wurde dort die Posse „Gebrüder Fidibus" gegeben und erregte großes Mißfallen. Grobcckcr stand gerade mit feinem Kollegen Hänsel auf der Bühne, als ein großes Lärmen, Pfeifen und Schreien losbrach. Ein Teil schrie „Aushören l", ein anderer „Wciterspielen!" Da wandte sich Grobecker zu Hänsel und sprach laut: „Um beiden Teilen des geehrten Publi kums zu genügen, kannst du weiterspielen und ich werde aufhören." Diese Bemerkung schlug so glücklich ein, daß das Stück wenigstens zu Ende geführt werden konnte. Die langlebigste Raffe find die Bul garen, denn es leben nicht weniger als 3883 Angehörige dieses Volkes, die die Hundert überschritten haben. Uebcrhaupt zeichnen sich die Balkanvölker durch Langlebigkeit aus. Nächst den Bulgaren kommen die Rumänen mit 1084 Hundertjährigen und die Serben mit 578. Eben soviel, also 578 solcher Leute, gibt cs in Irland. 401 in Spanien. In Frankreich zählt man 218, in England 146, in Deutschland nur 78. Das ist sehr wenig im Verhältnis zu seinen 50 Millionen Einwohnern. Viel weniger im Verhältnis als die 46 in Schottland, die 23 in Norwegen und selbst die 10 in Schweden. Nur Belgien mit sechs und Dänemark mit zwei Hundertjährigen erweisen sich als Länder, die der Langlebigkeit noch weniger günstig sind als Deutschland. Sollte hier nicht das deutsche Kncipenleben und der Alkohol seine Hand im Spiele haben?! Ein eigenartiges Zeugnis, das merk würdigerweise die amtliche Bestätigung der zu ständigen Gemeindeverwaltung erhalten hat, trug ein jüngst von der Polizei in Passau kon- trolierter Dienstknecht in seinem Wanderbuche. Dasselbe lautet: „F. H. stand bei mir vom 29. März bis 20. Mai 1896 in Dienst und war fleißig und treu und alleweil rauscht dabei." Die Laterne am Futz ist eine neue amerikanische Erfindung, um den Weg nach Hause bei vorgerückter Nachtstunde mit Sicher heit zu begehen. Der Amerikaner befestigt die Laterne kurzweg an einem Bügel und unter Benutzung eines Schnallricmens an einem der Füßc(!) — und siche da — über Nacht ist das Wunder geschehenI Wie eine Rose erglühte Ulla plötzlich und wurde so verlegen, daß die übermütige Prinzeß Mitleid mit ihr hatte. Aber auch das wollte sie nicht. Jm Nu war sie wieder dieselbe Ulla, die sie früher gewesen war, kalt und zurückhaltend, ja beinahe gereizt klang ihre Antwort: „Ich glaube nicht an Wunder, Hoheit!" Nach der Tafel spielte Ulla Schach mit dem Baron. Die Prinzeß führte Trautmann in den Park, wo der Regen triefte und erzählte ihm in Aufregung, die Jagden seien nur veranstaltet, um dem Erbprinzen von H. Gelegenheit zu geben, sich ihr zu nähern. Sie habe sich früher auf 'das höchste gewundert, daß man von feiten des Herzogs und der Herzogin ihrem Wunsche so bereitwillig zugestimmt, jetzt sei ihr klar, warum man sie hier gelassen habe. „Und nun helfen Sic! Der Herzog wird rasen, wenn ich diese Partie refüsiere; lernt er aber meinen Verlobten nur kennen, so wird sich dieser schon in Gunst zu setzen wissen. Aber Ivie sollen wir eine Einladung ermöglichen für meinen Adalbert?" »Mein Gott, die Sache liegt ,a sonnenklar! Er besucht die Gräfin Rheustein," rief Traut- "üwn nach einigem Besinnen. . .Das thut er sicher nicht, denn er wird auch u>cht indirekt an den Wohlthaten teilnehmen sollen, Hix dixstr abenteuerliche Herr Winzcer U Gräfin erweist. Ich könnte ihm diesen Vor- gar nicht machen, denn er erfuhr von der M»nn die Vergangenheit des Gutsherrn, so weit sie bekannt ist, und ich meine, die Rheu stein wird unter diesen Umständen durch seine Güte nur noch mehr gedemütigt." „Und überdies hängt man ihn jetzt noch." „Ja, ich habe davon gehört. Es hat mich empört, die Leute hier von dieser Seite kennen zu lernen," unterbrach ihn die Prinzeß. „Mir thut dieser Mann leid; ich erinnere mich noch gern an seiu kavaliermäßiges Wesen, als er mir damals zu Hilfe kam. Ich glaube eher, er ist aus vornehmem Hause und durch Jugend- vcrirrungen in den Zirkus geraten." „Hoheit haben vielleicht nur zu sehr recht. Aber wenn Hoheit nur wüßten, wie mich mit jedem Male Winzcek mehr überzeugt, daß er einer wahren hilfreichen Teilnahme wert ist." „Aber will Herr Winzcek sich denn nicht wehren gegen diese Meute?" rief die Prinzeß. „Ich fürchte, nein!" „O, mein Gott, so muß er doch Gründe dazu haben — und das können nur schlimme sein." „Ernste Gründe find es jedenfalls, Hoheit." Der Regen wurde so heftig, daß sie sich in das Schloß flüchten mußten, wo Ulla und Baron von Luyken noch immer spielten, wo gegen die Hofdame mit sehnsuchtsvollen Blicken am Kaffeetische ihrer wartete. Man musizierte, plauderte und that das möglichste, den Abend gut hinzubringen. In der Dämmerstunde lenkte die Prinzeß das Ge spräch auf den Punkt, der ihr am meisten am Herzen lag. „Ich kann nicht leugnen, ich habe eine ge wisse Sympathie für diesen Winzcek; erzähle uns doch, Ulla, was dich gegen ihn eingenommen hat. denn früher warst du mit ihm und seiner Frau bei der alten Rheustein doch öfter und nicht ungern zusammen?" fragte sie. Aber Ulla wollte nicht Rede stehen. „Verzeihung, Hoheit, ich bitte, erlassen Sie mir, darüber zu reden," sagte sic ablehnend. Die Prinzeß erschrak. „Es ist unrecht, Ulla, Beschuldigungen aus zusprechen, für die man den Beweis nicht er bringen will!" sagte sie vorwurfsvoll. „Für Herrn Winzcek sollte eS mich freuen, wenn Hoheit dem Herrn Assessor Trautmann mehr glaubten als mir!" „Sind Sie in der Liebe eben so treu, Fräu lein Ulla, wie zäh im Haß?" fragte Traut mann, sich zur Unbefangenheit zwingend. „Ich habe darin noch keine Erfahrung, doch glaube ich es bestimmt," lächelte sie. Wie tief sie errötete, sah nur er. Am anderen Tage erhielt er von Winzcek einige Zeilen. „Mein ganzes Dienstpersonal, mit Aus nahme des verheirateten Kutschers, der Haus hälterin und einer Stubenmagd, hat mir den Dienst aufgekündigt. Sie hätten allerlei Schlim mes von mir gehört, man könnte nicht wissen, ob mich die österreichischen Soldaten nicht eines Nachts aus dem Bette holten, und dann wären sie um ihren mühsam verdienten Lohn. Das ist ihre Begründung der Kündigung, der Schäfer hat sie mir gegeben für ein Extra-Zehnmarkstück und das Versprechen, daß ich ihn nicht bei Ge richt verklagen wolle. Mit der Dummheit zu kämpfen gebe ich auf, ich fahre sofort in die Stadt, neue Leute zu mieten. — Denken Sie an mich! Max Winzcek." ES summte wie in einem aufgestörten Bienen schwarm in dem Städtchen. Alle Dienstboten und Arbeiter hatten Winzcek an einemTage verlassen! Was er nun wohl anfing? „Es ist eine wahre Schande, wie sie einem daS Brot vor dem Munde wegnehmen. Der Herr verbraucht viel, alles nimmt er bei hiesigen Kaufleuten, alle Handwerker bezahlt er gut, und nun treiben sie den noblen Herm weg von uns," murrten die Vernünftigeren. Und wieder andere sagten: „Ein Dieb soll er gewesen sein und aus Oesterreich. Als ob wir bei uns nicht auch große Herren hätten, denen der Herzog um der Kinder willen das Schuldbuch zuschlägt." In diese Aufregung hinein kehrten Ober försters von ihrer Reise zurück, erfrischt, in ge hobener Stimmung erst lachten sie deS Orkans im Glase Wasser, später begannen sie sich zu erhitzen über die „Schändlichkeit" ihrer lieben Mit bürger. „Jetzt laden wir ihn sofort ein und thuu ihm alle Ehren; es ist ja zu abscheulich, den Mann so zu verunglimpfen!" rief der Ober förster. Seine Frau war damit zufrieden und Trautmann freute sich jeder Parteinahme für seinen Freund. „Und wär' er auch in der Jugend irre ge- gangen — er ist jetzt ein Ehrenmann, und ich will ihn festigten, trotz allem!" sagte er sich. «E 17 (Fortsetzung jol^t.i