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Beilage zu Nr. 154 der Sächsischen Elbzeitung. Schandau, Donnerstag, den §5.. Dezember 1913, Weihnachten! Geweihte Nacht, du wundersame, Was ist's, das deine Feier bringt, Daß keines andern Festes Name So ties im Herzen wiederdltngt? O, nicht mit Worten licht sich'» sagen, Wer deinen Zauber will verstehn, Der muh aus seinen Kindertagen Noch deinen goldnen Schimmer seh n. Nur wer in alter, schlichter Weise, Bei Tannendust und Kerzeuglanz Dich seiert in der Seinen Kreise, Nur der genießt dich voll und g«nz. Und wer dich fern im fremden Land», Du heil'ge Nacht, verleben muß — Die Liebe aus der Heimat sandte Auch ihm des Festes holden Gruß. Doch, wem kein traute» Helm beschieden, W»r dich in Einsamkeit verbracht — Auch diesem schenke deinen Friedrn, Du heilige, geweihte Nacht. Berthold Rosenthal. Lokales. —Klagen über Unzuträglichkeiteu btim Besteigen und Verlassen der D-Zngwagcn werden namentlich in Zelten größeren Neiseverkehrs erhoben. Diesen Be schwerden gegenüber muß eindringlich darauf hingewiesen werden, daß die Neisenden meist selbst an solchen unlieb samen Zuständen schuld sind. Die Elsenbahnbedlensteten sind angewiesen, daraus hi.izuwirken, daß zunächst die aussteigenden Neisenden den Wagen verlassen, bevor di« neu hinzukommenden einsteigen. Gleichwohl versucht regelmäßig ein großer Teil der Abrelsrnden, in dem Streben, sich einen möglichst guten Plaß zu sichern, in den Seitengang der V-Zugwagen einzudringen, bevor die «ussteigenden Neisenden ihn verlassen haben. Da sodann ost und zudem unzulässigerweise mehr und größere Ge päckstücke mitgcsiihrt werden, als in dem Naume Uber oder unter dem bezahlten Sitzplatz untergebracht werden können, entsteht aus den Gängen ein Gedränge, welches die Verteilung der Neiscnden noch mehr verlangsamt. Das Stations- und Zugbegleitpersonal ist bei starkem Verkehr nicht immer in der Lage, überall die Ungeduldigen zurückzuhalten, vielmehr muß darauf gerechnet werden, daß das Publikum auch selbst die nötige Nuh» und Zurückhaltung übt, zumal die Schaffner nach Möglich keit dafür zu sorgen haben, daß die Reisenden, die keinen Platz gesunden haben, einen solchen erhalten. —* Dit Zahl dcr Apotheken in Sachsen betrug zu Beginn dieses Jahres 359. Hiervon entfielen 276 auf Stadtgemeinden und 83 auf Landgemeinden. Von den Städten steht obenan Leipzig mit 45 Apotheken, dann folgt Dresden mit 40 (ausschließlich zwei Krankrnhnus- apotheken) Chemnitz mit 23, Plauen mit 8 und Zwickau mit 6 Apotheken. Auf dir übrigen 138 Stadtgemeinden kamen somit 154 Apotheken. Die Zunahme der Zahl der Apotheken ist verhältnismäßig gering. In den letzten 10 Jahren wurden in Stadtgemeinden 32, in Land gemeinden 14 Apotheken neu eröffnet, das sind zusammen 46 oder nicht ganz 15 Prozent der 1903 vorhandenen Apotheken (313). Es entspricht das fast genau der Be- oölkerungszunahme, dir ebenfalls etwa 15 Prozent im letzten Jahrzehnt betrug. —* Drr Abschuß bou Amseln und Eichhörnchen in Sachsen. Der Bericht der Geseßgrbungsdeputation der Zweiten Kammer über den durch das Kgl. Dekret Nr. 7 vorgelegten Entwurf eines Gesetzes, die Amseln und Eich hörnchen betreffend, schlägt die Annahme des Dekrets ohne Aenderung vor. Das Dekret wurde in der Sitzung der Zweiten Kammer am 18. November in allgemeine Vorberatung genommen und an die Gesetzgebungsdepu tation verwiesen. Das Grundprinzip des Gise-entwurss ist folgendes: Es hat bet der Regierung kein Zweifel bestanden, daß die Eichhörnchen und Amseln, wo sie in größeren Massen auftreten, schädlich seien und deshalb vermindert werden müssen. Andererseits müsse aber auch aus Gründen des Naturschutzes und Heimatschutzes einer systematischen Ausrottung dieser beiden Tiergattungen entgegengetreten werden. Diesen beiden sich widerstreben den Gesichtspunkten hat die Negierung dadurch Rechnung getragen, daß sie den Abschuß dieser Tiere von einer von den Verwaltungsbehörden zu erteilenden Erlaubnis abhängig machte. Diese Form hat nunmehr auch die Gesetzgebungsdeputation anerkannt. Vermischtes. Ein Beispiel ersrcnlichcr Bodenständigkeit ist aus dem Gute des Grasen zu Solms-Roedelheim Altenhagen zu verzeichnen. Nicht weniger als 28 Gutsleute konnten für eine Dienstzeit von 28 bis 40 Jahren mit der Ver dienstmedaille der Landwirtschastskammer ausgezeichnet werden. Der Gras überreichte den Veteranen der Arbeit die Medaillen mit einem namhaften Geschenk persönlich und ehrt» sie beim gemeinsamen Mittagsmahl in einer warm empfundenen Ansprache. — Zu dru dunkelsten Existenzen der Großstadtkultur gehören die „Ehe-Ueberwachungs-Bureaus", gegen die in nächster Zett, einer Anregung des Reichstages statt- gebend, energischer vorgegangen werden wird. Diese Institute, die unter der Flagge eines Detektiv-Bureaus segeln, bezwecken nichts anderes als Ehemännern oder Ehefrauen, die ihr« Ehe geschieden haben wollen, aus besondere Art behilflich zu sein. Angestellte des Bureaus suchen die Ehefrau oder umgekehrt den Ehemann auf Abwege zu locken, damit ein Scheiduugsgruud vorhanden ist. — Auch eine strkilcude Slbanspielerin. Im Halleschen Stadttheater gab es das alte Ausstattungsstück „Die Reise um die Erde in 80 Tagen". Unerhörte neue Bühnen ausstattungen waren angekündigt worden, so daß das Publikum nur so herbeiströmte. U. a. sollte auch das Elefantenweibchen aus dem Zoologischen Garten auftreten. Die «dle Dame, die auf den Namen Buparie hörte, be währte sich trefflich ans der Bühne. Doch als sie das Theater wieder verlassen sollte, war sie nicht durch gute, nicht durch böse Mittel dazu zu btwegen. Schließlich, nach mehrstündiger Arbeit, gelang es den vereinten Kräften aller Anwesenden, vom Direktor herab bis zur Logen- schließrrin, da« von der Biihnenleidenschast ergriffen« Tier mit Stricken und Ketten in den bereststrhenden Möbelwagen zu zerren. D«r Direktor meint» nachher, Durchgreifende Kuren bei Hais- M ÄWiiÄka ist dcr Dstcl ci»cs i» unscrcm Bc>Ia»c ccklmmocu B»clilci»s. in welchem eine neue kombinierte Milch und Pflanzen Nm beschrieben wird. Diese» Büchlein wird gratis an jeden .Banken versandt, dcr cS verlangt. Jeder Hals- und Lungenkranke sollte c« sofort verlangen, selbst wenn sein Leiden lmrmtoser Art zu sein scheint. Denn ji.dc schweie Erkrankung dcr Lunge, vor allem die morderilche Lungenschwindsucht, bcgiunt mit dem „bißchen Husten", mit dem „kleinen Katarrh" und vcr,lichtet oft in wenigen Wochen ein blickendes Menschenleben. DaS Mittel selbst besteht ans giflsreicu. von allcrs her be rühmten und auch voll dem verstorbenen Pfarrer ickeivv cmpsohlcncn Hcilvflanzcu. Die gntc Wirkling liegt in dcr geschickten Zusammen- stcltnng, die darauf berechnet ist, das liebel von mehreren Seiten zugleich zu packen. ES wird auch bei größter Kürvcrichwächc gut ve.trage» nud ist so billig, da» auch der Miuderbcmckette seine segenbriugcude Wirkung sich zu Ruhen machen kann. Lei» Arzt dürste gegen seine Anwendung etwa« cinznwcndcn haben, wenn man ibn dar um fragt, da cs sich nicht etwa um eil,cs der teuren und dabei ost schädlichen Gcßeimmittcß sondern um eine wisseuschastlich ein wandfreie Sache handelt. Damit jeder, der es beuuhcu will, cs erst versuche» kau», ehe ehe er Geld dasiir ausgibt, sende» wir eine Probe völlig kostenlos zugleich mit dem Büchlein. Nur 20 Pf. für Porlo usw. sind in diesem Falle in Briefmarke» beiznfügen. Mittellosen Banke» senden wir da« ganze, zu ihrer Wiederherstellung nötige QuaMum kostenlos nnd portofrei, wenn sic nnS ciuc Bescheinigung ihres Pfarrers oder der Ort« Polizeibehörde über ihre Mittellosigkeit und ihre Krankheit cinsendcn. Deutsche Seselkchaft für pflanrenheiikuntle Berlin-Halensec 3. Selige Weihnachten. (Fortsetzung ans dem Hanplblast). Bett gelegt, ihr brannte kein Weihnachtsbaum mehr. Und er lag nun ani heiligen Abend an Lungenentzündung krank vor Scimoa. Wenn er doch nur ein Tannenreis aus den Heimatrväldern gehabt hätte — weiter nichts, weiter garnichts! Noch immer flutete das Mondlicht durch die Scheibe. Sehnsüchtig schaute der Kranke in das Silberlicht. Er hätte gern gewußt, ob cs angehen könnte, daß die Brüder auch um diese Zeit in der Heimat den Mond sehen könnten. Dann müßte er wohl gerade über dem Woldenberge stehen! Vater, Magda und die Jungens würden heute bestimmt viel an ihn denken. Die Jüngsten sprachen wohl nur davon, was er mit bringen sollte und was er ihnen für feine gruselige Geschichten von Menschenfressern und Löwen und Ele fanten erzählen würde. Wie seine Gedanken auch durcheinander irrten, sie kehrten doch immer wieder zur toten Mutter zurück. Letzten heiligen Abend war sie noch an sein Bett ge kommen. Das Nesthäkchen, der Hansi, hatte so lange zu bitten gewußt, bis er bei ihm im Bett schlafen durfte. Beim Gebet und Gutenachtsagen schmeichelte der Kleine: „Mutta, ich mag dir so furbar gern leiden! Erzählst mich noch 'ne Aschichte, ja? Bitte, Muttal" Und die Gute, die nicht nein sagen konnte, erzählte dem kleinen Quälgeist zum soundsovielten Male das Bethlehemswunder. Wilhelm hatte auch mit zugehört, selbstverständlich, aber zwischendurch klangen ihm immer wieder Mutters Worte in den Ohren, die sie unter dem strahlenden Lichterbaum mit so wehem Lächeln gesagt hatte: „Was man so lieb hat, ist nicht zu ersetzen." Gewiß, diese Worte hatten mit der Weihnachts geschichte garnichts zu tun, das wußte er, konnte aber nicht davon loskommen. Das kleine Plappermäulchen neben ihm hatte noch so manches wissen wollen. „Du — Wilhelm, Mutta sagte, da wär'n die himmlischen Engelheerscharen hcruntergefliegt gekommen I — Du, is das an den Klippen? Wenn man sie da jetzt alle zusammen sähe; und denn nähme ich ganz furbar schnell einem sein Blasding weg — ätsch I Ei — das wär' zu fein! Du, Willemm, du, Willemm, un denn mit dein K'nonenschiff" — die anderen Worte verloren sich in Flüstern. Schlaftrunken hatte er noch mals gemurmelt: „Du, — dein Schiff — is auf so vieles nasses Wasser — o — so'n drvßes Schiff — oo!" Dann ebbten leise Schnarchtöne wie kleine Wellchen ails dem Traumlande Klein-Hansis, der es scheinbar mit einem gewaltigen Kanonenboote befuhr. Leise plätscherten auch die Welle» an diese Bord wand und riefen den Kranken wieder in die Wirklich keit zurück. Er lag hier im Lazarett — fern — fern von den heimatlichen Harzbergen, hielt auch nicht Hansis Hand umschlossen. Lag so allein mit dem brennenden Heimweh. — Heimweh! Blitzschnell huschte ein lichter Gedanke ins Gehirn- tiirchen, zog andere hinter sich her, bis an der silbernen Kette auch nicht ein Glied fehlte. Wie hatte er's nur vergessen können! So deutlich stand ihm der Abschied morgen in den ersten Januartagen vor Augen. Zu letzt hatte ihm Mutter ein kleines Paket zugesteckt. „Wenn du schlimm' Heimweh hast, mein Junge, dann öffne es." „Kriege ich nicht, Mutter!" war seine fröhliche Antwort gewesen; und als er an Bord das Päckchen in seinen Koffer packte, hatte er im stillen gelächelt und gedacht: Mutter brauchte mir doch keinen Brotknust gegen Heimweh mitzugeben. Wer ein richtiger Seemann ist, der wird nicht mal gewahr, was das überhaupt heißt. Ja — und heute? Ach — nein, das war bloß die Sehnsucht nach Tannen, nach Tannen, nach Tannenduft! Das Mondlicht schwand allmählich aus dem kleinen Raum. Ein letzter Strahl strich nach einmal über das fiebergerötete Antlitz und blieb dann sekundenlang auf den) blanken Schloß des braunen Segeltuchkoffers haften. Lange schauten die Augen des Kranken auf das blitzende Ding. „Ja, ich tue es!" sagte er ermunternd zu sich elbst, „es schadet all lange nichts, wenn das Brot chimmlig unterdes geworden ist. Aber Mutter hat es )och eingepackt." Zögernd schob er die Bettdecke zurück. Das Aus richten war wohl leicht, doch schwer war's Stehen. Die durch das Fieber geschwächten Beine wollten erst gar nicht seinem Willen gehorchen — doch schließlich ging es doch. Taumelnd tastete er nach dem Koffer, kniete da vor, und das Schloß sprang auf. Hastig wühlten die heißen Hände drin herum, schoben alles andere acht los weg — da! — auf dem Boden, unter den neuen Taschentüchern versteckt, fanden sie das Gesuchte. Nun lag er mit klopfendem Herzen wieder im Bett. Ja, das mar das Paket! Es war noch genau so, wie er's bekommen, der Bindfaden noch unversehrt. Scheu betrachtete er es erst von allen Seiten, dann lösten die zitternden Hände behutsam die Knoten und wickelten leise und sachte das weiße Papier ab. „O — Mutter!" Als die Papierhülle entfernt war, sah Wilhelm das Neue Testament, umwunden von weißseidenem Band und darunter auf jeder Buchdeckelseite ein Tannenreis. „Mutter — Mutter!" Sein Kopf siel in die Kissen zurück. Unter den gesenkten Wimpern rannen langsam Tränen. So lag er eine ganze Weile. In seinen Ohren war ein Singen und Klingen und Jubeln. Und dann war ihm wieder, als führte vom Monde her eine sil berne Brücke über die weiten, unendlich weiten Meere und Lande — von ihm, hier aus der Südsee — bis zu den Harzbekgen. An den Bodensteiner Klippen hatte sie ihr Ende erreicht. Da stiegen die himmlischen Heerscharen herab und bliesen auf ihren goldenen Po saunen: „Ehre sei Gott in der Höhe!" und dazwischen läuteten lieb und vertraut die Heimatglocken. Der Engellobgesang war schön, und was ihm die Glocken weich und lind zuriefen, war auch schön; aber kein Ton reichte an den heran, der gleichsam über allen Klängen zu ihm in dieser heiligen Nacht schwebte: „Was man so lieb hat, ist unersetzlich." Er würde aus Japan keine Jmnri-Schale mit- bringen, denn Vater würde ihnen ja auch keine an dere Mutter geben, trotz der unmündigen, kleinen Kinderschar. „Was man so geliebt!" Wie hatten Vater und Mutter sich lieb gehabt! Nun konnte er doch den verwaisten Kindern kein besseres, kein heiligeres Weihnachtsgeschenk bringen, als daß Mutters Platz nie non einer fremden ausge füllt wurde. Vorsichtig — weil bei der leisesten Berührung die Nadeln von den Zweigen fielen, legte Wilhelm ein Tannenreis in das Blich, das andere band er oben drüber. Lange, lange preßte er die spröden Lippen auf da» Reis und meinte ganz gewiß, den würzigen Duft der heimatlichen Tannen zu spüren. In seinem Herzen war selige Weihnacht.