Volltext Seite (XML)
schimmernden Jacht, oder ob er in der Heimat oder Fremde, bei Verwandten imd Bekannten weilt. » .Wie alles in seiner Tätigkeit und in seinem Wirken, so satlte der Kaiser auch seinen „Berns", wie er dies selbst einmal ausgedrückt, als Oberhaupt der Familie nnd als Vater mit ebenso ernster ivic freudiger Hingebung ans. Von früh an leitete er persönlich die Erziehung seiner Kinder, bekümmerte sich um die unbedeutendste« Einzel heiten, ordnete auf das genaueste die körperliche Aus bildung nnd den Studieugang an, überzeugte sich regel- mäbig von deu Fortschritte» und Ergebnissen desselben und, was schließlich das wichtigste ist, gab seinen Kindern immerdar das nacheiferndste Beispiel in Ausübung seiner fürstlichen Stellung und des ferneren darin, daß er an sich stets die höchsten Anforderungen stellte. Die Erziehung der Prinzen war eine strenge, falls erforderlich, nicht der Strafen entbehrende. Die Kaiser söhne mußten sehr viel nnd alles sehr gewissenhaft lernen, für ihre Spiele blieben täglich kaum zwei Stunden übrig: der Tag war genau eiugeteilt, und der kaiserliche Vater sah unnachsichtlich auf die pünktlichste Erfüllung des von ihm ausgearbeiteten Unterrichtsplaues. Im Sommer ward um 6, im Winter um 7 Uhr ausgestandeu und um '/V Uhr das aus Tee nnd Gebäck bestehende Frühstück, meist in Gemeinschaft mit den Eltern, eingenommen. Um 8 Uhr fingen die Unterrichtsstunden an, die bis l t Uhr dauerten, wo eine einstündige Frühstücks- nnd Erholungspause ein trat. Dann begann wieder Unterricht, der bis 2 Uhr, der Zeit des einfachen Mittagsmahles, währte und darauf seine Fortsehung bis 6 Uhr fand, unterbrochen von Veit-, Turn- und Musikstunden. Stach dem schlichten Abendbrot, abwechselnd aus einem warme» oder kalten Gericht be stehend, wurden gemeinsame Spiele unternommen, bis es um l) Uhr in die Federn ging. Da der Kaiser vermutete, daß das lebhafte Treibe» im Berliner Stadtschloß die Knaben stören könnte, ließ er in dem im Tiergarten ge legenen Schloß Bellevue einige Schulräumc eiurichteii, genau wie andere Schulzimmer mit Landkarte», Tafel», Katheder ausgestattet, i» denen der Unterricht erteilt wurde. Ans ausdrücklichen Wunsch des Kaisers ward seinen Söhnen nichts nachgesehen, sie mußten sehr fleißig lernen, und auch Strafarbeiten blieben ihnen unter Um ständen nicht erspart. Von Titulaturen ward abgesehen, die Prinzen wurden mit „Sie" oder mit ihren Vornamen, wie „Prinz Wilhelm", Prinz Adalbert", „Prinz August" angeredet, und dies hatte auch noch Geltung, als sie nach einander das Plöner Kadettenkorps besuchten, sowohl im Verkehr mit den Lehrern wie mit den Kameraden. Hand in Hand mit der wissenschaftlichen Ausbildung ging die körperliche. Unweit des Neuen Palais bei Potsdam hatte man den kaiserlichen Kindern einen be sonderen Lummelplah geschaffen, deu sogenannten „Prinzen garten", in dem wiederum jeder Prinz und später auch das Prinzeßchen seinen eigenen kleinen Garten hatte, der sorgsam gehegt uud gepflegt wurde; nebenan befand sich der Spielplatz, schattig zwischen Palmengrnppeu uud Farne» gelegen, mit kleinen Zelten, mit Schaukeln und mit ans- geschütteten Sandhaufen, in welchem nach Herzenslust ge buddelt wurde. Für die ältere» Prinzen wurde später iu einiger Entfernung eine Miniainrfestung angelegt, die nach deu Entwürfen nnd unter der Aussicht eines Angestellten der Kruppschen Werke, eines früheren höheren Offiziers, erbaut wurde. Sie war das getreue Modell einer modernen Festung, mit Mauern, Gräben, Kasematten, mit drehbaren Türmen und kleinen Geschützen, die mittels einer mechanischen Vorrichtung durch einen Haudgriss mühelos vor die Schießscharten gebracht werden konnten. Wie hier der Kaiser seine Söhne praktisch vertrant machte mit einem wichtigen Zweig des Militärwesens, so über wachte er auch geru die Neitstuuden, deren Unterrichtsplan gleichfalls von ihm entworfen war, und dessen Anleitungen genau befolgt werden mußten. Es war eine hübsche Über raschung für die kaiserlichen Ellern, als zum 14. Geburts tage des Kronprinzen dessen Brüder Eitel-Fritz, Adalbert uud August Wilhelm aus einen, freien Platz am Neuen Palais eine Zirkusvorstellung veranstalteten, die durch einen vom Prinzen August Wilhelm gesprochenen Prolog eiugeleitet wurde und die in ihrem weiteren Verlanfe zeigte, wieviel Tüchtiges die Prinzen, an ihrer Spitze der Kronprinz, iu der Reitkunst gelernt. So streng der Kaiser bei seinen Söhnen daraus sah, daß sie genau befolgten, was er vorgeschrieben uud an geordnet, wie er jeden Verstoß dagegen, jede Überhebnng und Unart bestrafte, so liebevoll wußte er sich wiederum das Vertrauen der Prinzen zu erwerben, immer bestrebt, ihnen ein Freud, zu bcr.iten Von seinen Reisen brachte er sorgsam ausgewühlte Andenken mit. seine Mienen leuchteten auf, wem, es ans Auövacken uud Verteilen ging und des lanten Jubels unter der frohgemuten jungen Schar kein Ende war. Solch einer glücklichen Stunde gedachte er wohl, als ihm einst bei seiner Abreise von Hamburg ein Damenkomitee eine mit Schokolade nnd Znckerwerl gefüllte Schachtel für jedes seiner Kinder gab nnd er mit Herzlichem Dank sagte: „Ich bin in diesem Jahr in Petersburg, Stockholm, Kopenhagen und Wien gewesen, aber au meine Kinder hat anßer in Hamburg niemand gedacht. Sie können sich denken, meine Damen, Ivas das für ein Familienfest gibt!" Und wie un gezwungen es innerhalb der kaiserlichen Familie zuging nnd zugcht, aus der die gestrenge Dame Etikette verbannt ist, beleuchtet die Bemerkung des Kaisers in einer Aus stellung, in der ihn einer seiner Verwandten auf eine kost bare Toilette aufmerksam machte uud fragte, ob er sie nicht für die Kaiserin kaufen wolle: „Dieses Kleid mit dieser Schleppe? Nein, das würde bald in Stücke gehen, baumeln doch immer drei oder vier Jungen am Rock meiner Fran!" Man kann sich denken, daß der Kaiser, der seine sechs Söhne mit aller Festigkeit erzogen hat nnd ihnen nichts durchgehen ließ, das einzige Töchterlein sehr verzog, es mit Geschenken nnd Aufmerksamkeiten über- häusend. Dann griff aber die Kaiserin in diesen „Verzug" ein uud leitete die Erziehung sowie die Ausbildung des Prinzeßchens zu einer guten und umsichtigen Hausfrau. Auch nachdem die Kinder herangewachsen und heran gereift sind nnd sich vier von ihnen bereits den eigenen Hausstand gegründet haben, ist der Kaiserliche Vater, wie auch seine Gemahlin, innig und aufmerksam nm ihr Wohl und Wehe besorgt, an ihren Freuden nnd Leiden den sorgsamsten Anteil nehmend. Er hat die Freude, die große Freude, daß sie zu tüchtigen Menschen herangewachsen sind, in deren Lebensbnche das Wort „Pflicht" an erster Stelle steht — das ist eine gute Gewähr für die ZukunftI Kaiserlicke ^aknworte. 28. Februar 1889: „Wenn der Handwerkerstand infolge der großen Ereignisse, welche durch das Hinscheiden meines Groß vaters nnd Vaters sich vollzogen haben, bangend in die Zukunft schaute, so war es meine erste Aufgabe, meinen Landen den Frieden zu erhalten, denn mir im Frieden kann auch das Handwerk gedeihen. Üben wir Gottes furcht, bleiben wir einfach und arbeiten wir fleißig, dann werden wir auch zu den gewünschten Zielen gelangen: das deutsche Handwerk muß meiner Ansicht nach wieder ans die Höhe kvmmen, wie vor dem dreißigjährigen Kriege. Ich versichere Ihnen, daß ich und meine Regierung Ihnen im Sinne meines Großvaters schützend zur Seite stehen werden." 16. Mai 1889: „Ich möchte Sie bitten, dafür Sorge zu tragen, daß den Arbeitern Gelegenheit gegeben werde, ihre Wünsche zu sormnliereu, uud sich vor allen Dingen immer vor Augen zn halten, d^' diejenigen Gesellschaften, welche einen großen Teil metuer Untertanen beschäftigen und bei sich arbeiten lassen, auch die Pflicht gegenüber dem Staat und deu beteiligte« Gemeinde« gegenüber haben, für das Wohl ihrer Arbeiter nach beste« Kräften zu sorgen." 3. Februar 1899: „Es ist ja ein herrliches Beginnen, für alle Völker den Friede« herbeisühre« zu wolle«; aber es wird ein Fehler bei den ganzen Rechnungen angestellt. Solange in der Menschheit die nnerlöste Sünde herrscht, so lange wird es Krieg nnd Haß, Neid nnd Zwietracht geben, und so lange wird ein Mensch versuchen, den anderen zu über vorteilen; was aber unter den Mensche», das ist auch unter deu Völker» Gesetz. Deswege» wolle» wir trachte», daß wir Germane» wenigstens zusammenhalten, wie ein fester Block!" 10. August 1890: „Heute verleibe ich diese Insel (Helgoland) als das letzte Stück deutscher Erde dem deutsche» Vaterlcmde wieder ein ohne Kampf und Blut. Das Eiland ist dazu berufen, ein Bollwerk zur See zu werden, den deutschen Fischern ein Schutz, eiu Stützpunkt für meine Kriegs schiffe, ein Hort nnd Schutz für das deutsche Meer gegen jeden Feind, dem es einfallen sollte, sich hier zu zeigen." 4. Dezember 1899: „Der letzte Moment, wo unsere Schule noch für ckmser ganzes vaterländisches Leben und für unsere Entwicklung maßgebend gewesen ist, ist in den Jahren >864 bis 1870 gewesen. Jeder Abiturient, der ans der Schule Heraus lam uud als Einjähriger eintrat oder ins Leben hinaus ging, alles war einig in dem Punkte: das Deutsche Reich wird wieder aufgerichtet uud Elsaß-Lothringeu wieder- gewonuen. Mit dem Jahre 187k hat die Sache aufgehört; wir haben, was wir wollten, und dabei sind wir strhen- geblieben. Die Philologen haben hauptsächlich auf den Lernstoff, auf das Lernen und Wissen den Stachdruck ge legt, aber nicht auf die Bildung des Charakters und die Bedürfnisse des jetzigen Lebens. Es fehlt vor allem an der nationalen Basis: wir müssen als Grundlage für das Gmunasium das Deutsche nehmen, wir sollen nationale junge Deutsche erziehen, und nicht junge Griechen und Römer." 18. Dezember 1901: „Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch ans das Volk einzuwirken, sie soll auch den unteren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Ideale» wieder aufzurichte». Wenn nun die Kunst, wie es jetzt vielfach geschieht, weiter nichts tnt, als das Elend noch scheußlicher hinzustelle», als es schon ist, dann ver sündigt sie sich damit am oeutschen Volke. Die Pflege der Ideale ist zugleich die größte Kulturarbeit, und soll die Kultur ihre Aufgabe voll erfüllen, dann muß sie bis in die untersten Schichten des Volkes durchgedrungen sein." Zus Kaiser Milkelms l^ebensgang. 1859 am 27. Januar geboren als ältester Sohn des damaligen Kronprinzen von Preußen, später Kaiser Friedrich III., und seiner Gemahlin Viktoria, geborene Prinzessin von Großbritannien und Irland. 1869 Eintritt in die 1. Kompagnie des 1. Garde-NegimentS zu Fuß als Sekondelcutnant. 1874 Einsegnung und Eintritt in die Obersekunda des Gmnnasiums zu Kassel. Am 25. Januar 1877 Reife prüfung. 1877 Premierleutnant bei»! 1. Garde-Regiment zu Fuß. Im Herbst des gleichen Jahres eingeschrieben bei der Universität Bonn als Hörer für Rechts- und Staats wissenschaften bis zum Herbst 1879. 1880 am 14. Februar Verlobung mit der Prinzessin Auguste Viktoria von Schlcswig-Holstein-Sonderburg-Äuguürn- burg in Gotha. 1881 am 27. Februar Vermähluiigsfeierlichkeiten und fest licher Einzug des jungen Paares in Berlin. Im gleichen Jahr Beförderung zum Major, 1885 zum Obersten und Kommandeur des Gardehusaren-Negiments, 1888 Generalmajor uud Kommandeur der 2. Garde- insanterie-Brigade. 1882 am 6. Mai Geburt des ersten Sohnes, des Kronprinzen Friedrich Wilhelm. 1888 am 15. Juni infolge des Todes Kaiser Friedrich Ul. König von Preußen und Deutscher Kaiser. 1890 am 4. Februar die zwei Erlasse über Sozialreform an den Reichskanzler und die beteiligten Minister. 20. März Rücktritt des ersten Reichskanzlers Fürsten Bismarck und Ernennung des Generals v. Caprivi zum Nach folger. Verzicht aus die Erneuerung des Sozialisten gesetzes am 1. Oktober. 1893 am 6. Mai Auslösung des Reichstages wegen der Ab lehnung der Heercsvorlage, die vom neuen Reichstage angenommen wurde. 1894 Entlassung Caprivis und Ernennung des Fürsten Hohenlohe zum Reichskanzler. 1898 Reise mit der Kaiserin und großem Gefolge nach dem Orient, Besuch der heiligen Stätten in Palästina und des Sultans in Konstantinopel. 1900 Hohenlohes Rücktritt, Erüeniiung des Grasen v. Bülow zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten am 17. Oktober. 1904 Erholungsreise ins Mittelmeer, Zusammentreffen mit den Königen von Italien und Spanien, Besuch von Tanger. 1906 Auflösung des Reichstages am 13. Dezember wegen Ablehnung der Kolonialforderungen,Neuwahl 25. Januar 1907. 1909 Rücktritt des Fürsten v. Bülow und Berufung des Herrn v. Bethmann Hollweg ins Reichskanzleramt. 1913 an: 11. Februar Verlobung, am 24. Mai Vermählung der einzigen Tochter des Kaiserpaares, der Prinzessin Viktoria Luise, mit dem Prinzen Ernst August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Aussöhnung der Häuser Hohenzollern un.d Hannover. feiner Gemahlin gesprochen, sagte er znm Botschafter: „Das wäre also in Ordnung, nnd mm können wir ja noch eine kurze Frist zusammeubleiben, es gibt ja uoch so viel zu besprechen." Als dann der Kaiser im Begriff war, sich zn entfernen, fuhr ein kaiserliches Automobil vor, dem die Kaiserin entstieg, die sich an den Botschafter und dessen Gemahlin wandte: „Verzeihen Sie, wenn ich so früh bei Ihnen erscheine, aber ich wollte den Kaiser doch nicht ohne Abschiedswort von hier ziehen lassen!" Und sie geleitete den Gemahl zum Bahnhof. Mas „Cr" liest. Blick ans des Karsers Arbeitstisch. ^A'ui — Ex«, Diese Überschrift ans einem französischen Buche genügt, um den Franzosen zu sagen, wer ge- meint ist. Und daun: The Kaiser — „Der Kaiser." Kein Engländer wird, wenn er in seiner Zeitung diesen Titel liest, denken, es könne der Kaiser von Österreich oder sonst einer gemeint sein. Er. Er, der ganz Europa beschäftigt. Der photographierteste, gepriesenste, beschimpfteste Mann in Europa. Rundherum Töpfegn.ler, Geberdeuspäher, Ge schichtenträger, Andenkensnmmler. Entsetzlich. Man will kein „Er" mehr seih. In dflser Stimmung floh Philipp II. die Welt, ließ seine Kamarilla regieren und wollte nichts mehr hören und sehen. Verschwindet Kaiser Wilhelm II. auch hinter einer Wolke von Höflingen und Priestern? Liest er nichts, er fährt er nichts? Manchmal hat man das geglaubt. In Preußen, das ja noch in Großmutters Zeiten ein Kleinstaat war, ist es der Untertan einst gewohnt gewesen, daß der König alles persönlich entschied und die Beamten mit dem Stocke an hielt, ihre Pflicht zn tnu. Die „guten Familien" des Landes kannte er selbst, ebenso jeden Leutnant der Armee, jeden alten Dorfschulzen in der Mark. Im Deutschen Reiche mit seinen 67 Millionen Einwohnern ist alles das nicht mehr möglich; so wie vor hundert Jahren der Be gründer des Hauses Krupp jedem Gesellen seine Arbeit anwies, kann es der heutige Inhaber der Firma mit seinen 100 000 Menschen nicht mehr tnn. Etwas Unpersönliches stellt sich dazwischen. Die Aktiengesellschaft. Der Staat. Und alle die naiven Briefe an „Meinen lieben Herrn Kaiser", auch die gewollt naiven, kann der Monarch, der täglich im Durchschnitt allein 110 amtliche Aktenstücke zu I studieren nnd zn unterschreiben hat, natürlich nicht lesen. Auch nicht alle die Beschwerden wider irgendwelche Beamten. Das geht denn seinen instanzenmäßigen Weg: vom Kaiser wieder zurück an deu Oberpräsidenten, au deu Negieruugspräsideulen, an den Amtsvorsteher. Und dann klagt man: Er liest nichts, er erfährt nichts, er hat keine Ahnung davon, wie es in der Welt zngeht. DaS mag zntreffen, soweit es sich uni einzelne persönliche Angelegenheiten handelt. Das haben wir ja noch im Falle des Pächters Sohst in Kadinen gesehen. Obwohl es auch da nicht möglich war, den Kaiser — dauernd im Irrtum zn lassen, und obwohl er das Unrecht dann glänzend wieder gnt gemacht hat. Aber wir müssen uns eben drein schicken, daß einzelne persönliche Angelegen heiten nicht »lehr zum Bereiche der kaiserlichen Ent- scheidnng gehören. Soweit ist die Riesenfirma, genannt Deutsches Reich, eben schon znr Beamtenhierarchie ge worden. Aber soweit Allgemeinintercssen in Frage kommen, wirtschaftliche, soziale, politische, da kann niemand dem Kaiser ein für ein U machen. Dazu liest er zn viel. Dazu erfährt er zn viel. Dazu reist er zu viel. Es gab eine Zeit, da stand in der Hardenscben „Zukunft" allwöchentlich ein Artikel mit außerordentlich scharfen Angriffen wider den Kaiser. Sie warm fast immer nnsiunig. Maximilian Harden schrieb glänzend, aber er übertrieb. Seine Anhänger seufzten: „Wenn doch der Kaiser das zu lesen bekäme!" und sie meinten, selbst verständlich würden die Höflinge dem Monarchen diese Artikel verbergen. Ach nein. Das ist unmöglich. Wehe dem Höfling, der es versuchte, Diuge zn verstecken, über welche die ganze Gesellschaft spricht! Kaiser Wilhelm II. liest alles, genau so, wie Friedrich der Große alles las, was wider ihn erschien. Beide Monarchen hatten ein kräftiges Temperament. Friedrich der Große gelobte 200 Taler dem, der einen ihm mißliebigen Kölner Skribenten verblüne. So etwas geht heute nicht mehr. Der Kaiser hat sogar die Wiederznlassnug der „Zukunft" zum Bahuhofsverkauf, über die ihm der Kanzler selbst Vortrag hielt, genehmigt, wie sein Urahn auch schon für das „Niedrigerhängen" war. Aber er liest doch bloß Ausschnitte! sagen die Leute. Der „Berliner Lokalanzeiger" ist das einzige nn- zersclmittene Blatt, das ihm in die Hände kommt. Und das ist „bpzautinisch". Wer das aufgebracht hat, der hat keine Ahnung. Wie jeder gewöhnliche Bürger, bestellt mich der Kaiser seine Zeitungen bei einem Spediteur in der Nähe seiner Wohnung, einem Spediteur am Spittelmarkt zu Berlin. Auswärtige Blätter werden bei der Post abonniert. Zeit schriften direkt bei ihrem Verlag oder in einer Buch handlung Unter den Linden. Daß auch kein Buch von öffentlichem Interesse dem Kaiser entgeht, dafür macht er seinen Bibliothekar Dr. Krieger verantwortlich. DieAus- fchnitte kommen nur noch hinzu. Sie werden zweimal täglich von dem Ministerium des Innern, vom Aus wärtigen Amt nnd vom Großen Generalstab auf Kartons geklebt dem Kaiser übersandt. Der Lesetisch des Kaisers ist so gnt „assortiert", wie der irgendeines Klubs. Von der „Krenzzeitmig" bis znm „Berliner Tageblatt", von dem „Figaro" bis znr „Daily Mail" ist alles da, und alles unzerschnitten. Da der Kaiser ungeheuer schnell, und doch, wie seine zahllosen Randbemerkungen beweisen, außerordentlich aufmerksam liest, entgeht ihm überhaupt keine wichtige Meldung oder Meinung. Er lebt ja aber auch nicht als Einsiedler. Ans seinen Reisen spricht er mit Leuten der verschiedensten Stände nnd kommt häufig mit Männern zusammen, die kein Blatt vor den Mund nehme«. Unterwegs werden auf den Bahnhöfen auch Lokalblätter gekauft, und zwar sämtliche am Ort erscheinende. Auch sie sind alsbald mit Rand bemerkungen bedeckt. Die Blätter werden alle gesammelt, gehen an die Kabinette nnd an die Ämter zurück, ehe sie zur Aufbewahrung im Staatsarchiv kommen, nnd so weiß man denn, ganz gleich, ob der Kaiser im Hardangerfjord oder im Achilleion ans Korfu ist, jederzeit, wie er denkt und — was er an erläuterndem Vortrag etwa noch braucht. „Lui" ist nicht aus offiziellen Reden zn erkennen, auch nicht aus den albernen Büchern der Skribifaxe, nicht aus Schullesebnchgedichten und nicht ans Pam phleten, — aber in seinen täglichen Bleistiftnotizen, da lebt Er: „The Kaiser". Allerdings: Franzofen und Engländer wären davon enttäuscht. „Er" ist kein Lohengrin, sondern ein ernster und gründlicher Arbeiter. Und er steht mit beiden Füßen in der Welt. Kein Philipp U. Ohne Kamarilla. Ein dnrch und durch persönlicher Monarch, auch wenn nicht jeder einzelne Untertan mehr sein Ohr haben kann. „Er." Unser Kaiser, dessen Leben Mühe und Arbeit für Reich und Volk war und ist. /Ic/o^ S/E.