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Die erste Blume Von Will Vesper Die erste Blume aus dem Boden bricht. Wo wohnt im Erdreich solch ein lieblich Licht? Ich blick gebeugt in goldnen Kelches Grund. Wie spricht der Staub mit also zartem Mund! Ein milchig Gold mit blassem Grün gepaart, Darinnen sich die Gottheit offenbart. Dart, zarter als der jungfräuliche Flaum, Gewirkt aus Erde, Licht und Traum. Ein Kellner Von Hans Siemsen Das Hotel, in dem ich abgestiegen bin, .st zu teuer für mich. Das kann ich nicht bezahlen, da muß ich raus! Ich habe auch schon ein anderes. Beinahe hübscher als das teuere und viel billiger. Da Passe ich besser hin. Und trotzdem fällt es mir etwas schwer, aus diesem für mich zu teuren Hotel wegzu gehen. Aber der alte Kellner hier! Er ist ein feines, kleines, zartes, altes Männchen. Schlanke Taille, weiße Haare, nobler, kleiner Frack und kleine, für ihn immer noch viel zu große Schuhe. Und so leise; so freundlich! „Haben Sie gut geschlafen?" fragt er mor gens, „Gute Nacht!" sagt er abends. Wenn man kommt, macht er die Tür auf, und wenn man geht, macht er sie wieder auf. Devot? Nein, devot ist er gar nicht! Nur freundlich ist er. Immer ist er da, wenn man ihn braucht, und nie ist er da, wenn man ihn nicht braucht. „Lieben Sie Melonen?" — „Ja, hie liebe ich." — „Leider sind sie nicht mehr ganz so gut, wie sie sein sollten. Es ist schon etwas spät für Melonen." — Nachdem ich hie He- lone gegessen habe: „War sie noch einiger maßen gut?" — „Oh, sehr gut!" „Sie sind sehr liebenswürdig, mein Herr!" „Was für einen Wein empfehlen Sie mir?" — „Wenn ich Ihnen raten darf, mein Herr, so haben wir sehr gute Weine, die leider etwas teuer sind. Diese Weine sind sehr hervor ragende Gewächse. Wenn Sie einen einfachen, aber guten Wein wünschen, so nehmen Sie am besten den „Vin ordinaire", den Tischwein. Er ist billiger als dis mittleren Weine und ebenso gut." „Sind Sie zufrieden mit diesem Wein?'" — „O ja, er ist wirklich sehr gut für den Preis/" — „Sie sind sehr liebenswürdig, mein Herr!" Dabei bin ich es gar nicht, der „liebens würdig"" ist. Aber e r ist so sein und so liebens würdig, daß er mich auf unmerkliche Weise zwingt und verführt, mit ihm zu wetteifern in „Liebenswürdigkeit". So fein und höflich wie mit ihm bin ich sonst gar nicht. „Es tut mir sehr leid, mein Herr, daß heute schlechtes Wetter ist!" Als ob er was dafür könnte! Er ist so leise und so höflich, daß sogar die lauten und hochmütigen Engländer etwas leiser und höflicher werden und nicht mehr so ganz überzeugt davon sind, daß sie die „Herren der Welt"" und die einzigen „Gentlemen" sind. Seine Höflichkeit mag ein höflich« Schwindel sein, seine Freundlichkeit eine freund liche Maske. Vielleicht denkt er nur an sein Trinkgeld? Trotzdem — was alles ist nötig, um ein alter Kellner zu werden und so leise und so höflich zu bleiben oder zu werden! Diese hunderttausend Gäste, die er in seinem Leben bedient hat und noch bediesit, wieviel Un freundlichkeit, Gemeinheit, Dummheit, Lächer lichkeit war darunter. Als ob er das nicht gemerkt hätte. Aber er hat gelernt, daß keine Dummheit und keine Gemeinheit und keine Unhöflichkeit gegen Höflichkeit auskommt. Daß Höflichkeit eine Distanz schafft, über die hinüber der Diener, der Kellner dem Gent lemen, dem reichen Mann, dem seinen Mann, dem „Herren" vollkommen gleich ist, unter Umständen überlegen. Eine Distanz, die auch ein Trinkgeld nicht zerstört. persönliche Mitteilungen Wir bitten unsere Mitglieder, uns bei der Ausgestaltung dieser Rubrik durch möglichst schnelle Berichterstattung über alle persönlichen Angelegenheiten, die für die Allgemeinheit von Interesse sind, unterstützen zu wollen. Es sind verstorben: Wilhelm Kulke, Guben, Bez.-Gr. Obst- und Gemüsegärtner von Guben u. Umg. Frau Bertha Jahn, Liebertwolkwitz, Bez.-Gr. Leipzig. Paul Fischer, Lockwitz, Bez.-Gr. Dresden. Am 28. April starb nach kurzem Kranken lager Gärtnereibesitzer Hugo Melzer in Grüna bei Chemnitz, im 73. Lebensjahre. Schlicht und bieder, so war er in den KreissA,1Mer„KÄlMN wie auch am Orte seines Schaffens und in dessen Umgebung allgemein beliebt und geachtet. Wie sehr er seinen Beruf liebte und darin aufging, bewies er am besten damit, daß er demselben drei seiner Söhne zuführte, von denen der älteste die väterliche Gärtnerei weiterbetreibt. Vor zwei Jahren hatte der nun Dahingeschiedene noch die Freuds, das vierzigjährige Bestehen seines Geschäfts feiern zu können. G. Johannes Dlabka ist tot Wer hätte geglaubt, oaß dieser hervor ragende Mensch und Fachmann bereits ein Jahr später, nachdem anläßlich seines 25jähr. Geschästsjubiläums in dieser Zeitschrift (Nr. 22 vom 30. 5. 1929) über sein Werden, Leben und Werk ausführlich gesprochen wurde, in das Reich der Schatten abberusen werden könne. Es ist geschehen. Am Sonnabend, den 17. Mai, mittags, tat er seinen letzten Atemzug. Wenige Monate nach der Feier seines Ajährigen Geschästsjubiläums, die fast mit der Feier seines 60. Geburtstages zusammensiel, machten sich bei Dlabka Zeichen einer schweren Erkrankung bemerkbar. Seit August vorigen Jahres war er bettlägerig. Bei der.Diagnose seiner Krankheit versagte alle ärztliche Kunst, hierin liegt die Tragik seines Todes; eine Kapazität der ärztlichen Wissenschaft nach der anderen wurde befragt, eine Behandlung stach der anderen wurde durchgesührt, aber immer erklärten die Aerzte am Schlüsse,, die Krank heit nicht ergründen zu können. Menschliche Hilfe war vergebens. ' Gar oft, wenn man au seinem Krankenbett weilte, bekam man neue Hoffnung, daß seine Natur sich doch von selbst helfen würde; noch als der Frühling mit seinem Sprossen und Blühen einsetzte, hoffte ich, daß die belebende Kraft der Natur auch ihm den Anstoß zur Genesung bringen würde. Die Liebe seiner Familie hatte ihm einen Genesungstempel ge baut, in dem er die Pracht, das Wunder der erwachenden Natur genießen und die Strahlen der Frühlingssonne auf sich einwirken lassen sollte. Er hat diesen Tempel nie beziehen, können. Ohne Schmerzen, ohne Kamps ist er sanft entschlafen. Mit ihm ist ein Mensch und Fachmann von seltenen Eigenschaften dahingegangen. Sein einfaches, bescheidenes Wesen, sein lauterer Charakter und seine stete Freundlichkeit und Hilssbereitschaft werden bei allen, die ihn per sönlich kannten, als leuchtendes Vorbild nicht vergessen werden. Seine Gewissenhaftigkeit als Züchter und Gärtner hat ihm und feinem Werk Weltruhm in Fachkreisen verschafft. Daß er die Früchte seiner Lebensarbeit, die äußere Anerkennung seiner Ge-wissanHastigkest simd seines vorbildlichen Fleißes genießen dürfte, war ihm immer neue Freude und neuer Ansporn in seiner Berufsarbeit. Aus kleinen Anfängen heraus -sah > er, sein Werk von Jahr zu Jahr sich festigen, von Jahr zu Jahr wachsen und gedeihen. Er gehörte zu den Wenigen, welche nur durch eigene Leistung, durch eigenes Können, durch eigenen Fleiß das gesteckte Ziel erreicht haben. Die persönliche Bescheidenheit, ein Grundzug seines Charakters, ließ ihn nicht nach äußeren Ehren streben. Die Zufriedenheit seiner Kundschaft war ihm Lebenszweck. Dux Der Zirkusroman von Hans Possendorf Copyright by Knorr L Hirth, G.m. v München (20. Fortsetzung) Abends wird dem Verhafteten gestattet, einen Anwalt zu empsangen. Aber es handelt sich nicht um seine Verteidigung in dem zu er wartenden Prozeß, sondern Willibald Buchs baum gibt Auftrag, gegen seine Frau die Schei dungsklage einzureichen. „Und wie wollen Sie die Klage begrün den?"" fragt der Anwalt. „Ich glaube, daß die Anstiftung zum Mord, die meine Frau begangen hat, wohl als Grund hinreicht?"" meint Bux mit bitterem Spott. „Anstiftung zum Mord?" fragt der An walt sehr verwundert. „Sie hat doch meine Tiere ermorden lassen!" „Mord an Tieren gibt es im Gesetz nicht." „Ach so! Also nur das Leben von Men schen ist heilig? Ein Tierleben ist wohl nicht von Gott geschaffen? Man kann Tiere töten, wie und wozu man will? Aus Spaß, aus Aerger, aus Langeweile, aus purer blanker Grausamkeit und Gemeinheit?" Der Anwalt zuckt dis Achseln. „Es hat keinen Zweck, daß Sie sich jetzt darüber auf regen. Sie wollen also geschieden sein. Als Grund dürfte vielleicht anerkannt werden, daß durch das zweifellos hinterlistige und Ihren Beruf schwer schädigende Verhalten Ihrer Fran die Ebe so zerrüttet worden ist, daß Ihnen eine Fortführung nicht zugemutet werden kann."' Am nächsten Mittag wird auch Tom Braß aus der Hast entlassen, weil der Verdacht der Täterschaft gegen ihn nicht aufrechtzuer halten ist. 10. Zirkus Kreno hat schon seit Wochen Berlin wieder verlassen und sein Winterquartier be zogen. Auch Buxens Tierwärter und Tiere sind mit dem Zirkus nach M. . . . gegangen. Aber Bux selbst sitzt noch immer in Berlin kn Untersuchungshaft. Sein Fall hat sich noch kompliziert. Bei den Vernehmungen der vielen Zirkus leute ist herausgekommen, daß Bux schon ein ¬ mal vor drei Jahren wegen Mordverdachtes in M. . . . verhaftet worden war. Der Re- gierungsrat hat sich also gleich von dort die Akten kommen lassen und zu seiner großen Ueberraschung daraus ersehen, daß es sich sogar um zwei Fälle handelt: den Fall Vegas und der Fall Jack Benson. Nun steht es für ihn unumstößlich fest, daß Bux in allen drei Fällen der Täter war, — daß er ein von krankhaftem Jähzorn getriebener Totschläger, wenn nicht ein abgefeimter Mörder ist. Neue Vernehmungen beginnen in Berlin und in M. . . . Die Akten gehen hin und her, die untersuchenden Kommissare müssen Reisen in der Sache machen, denn manche der zu vernehmenden Artisten sind jetzt wo anders tätig. So vergehen Wochen und Wochen. Dreimal wird Bux in dieser Zeit die Er laubnis erteilt, in Gegenwart des Kommissars Roth Besuche zu empfangen: Seine Mutter ist aus Frankfurt gekommen. Es ist ein trau riges Wiedersehen gewesen. Cillys Gesuche, Bux besuchen zu dürfen, sind glatt abgelehnt wor den. Aber Herrn Direktor Kreno hat man zu ihm gelassen. Er ist extra aus M. . . . ge kommen, um Bux zu sehen, ihm zuzureden, doch endlich die Wahrheit zu gestehen, — und um ihm zu versichern, daß alle über seinen Charakter so aussagen werden, daß wohl nur eine Anklage wegen Totschlags erfolgen könne. Und noch einer hat es seltsamerweise durch gesetzt, Bux besuchen zu dürfen: Major von Prastelny. Die Scheidung von Fe« ist unterdessen aus gesprochen worden. Fee hatte Gegenklage ein gereicht, ist aber abgewiesen worden, denn ihr Gatte ist ja vorläufig noch nicht verurteilt. Hingegen hat die Scheidungsklage von Bux Erfolg gehabt. Fee ist als schuldiger Teil erklärt und die Ehe geschieden worden. Am Tage nach der Verkündung des Schei dungsurteils erscheint also der Major bei seinem ehemaligen Schwiegersohn, und es geschieht etwas, das Bux nie und nimmer erwartet hätte: Herr von Prastelny erklärt ihm, daß er fest an seine Unschuld glaube, — daß er sich der Tat seiner Tochter tief schäme; und zum Schluß der kurzen Unterredung bittet er Bux unter verhaltenem Schluchzen um Verzeihung, daß er durch die Schuld seiner Tochter in diese schreckliche Lage gekommen sei. — Den einzigen Trost für Bux bilden Cillys Briefe, die in beschränktem Maße und nach genauer Durchsicht zugelassen werden. — Endlich, kurz nach Neujahr, sind die Vor untersuchungen abgeschlossen. In den Fällen Vegas und Benson haben die Ermittelungen zu keinem Resultat geführt. Es kann also nur Anklage in dem Falle Lorenzo Baredez er hoben werden. Aber Buxens Anwalt verhehlt ihm nicht, -daß der Mordverdacht in den beiden anderen Fällen sicher die Stimmung der Geschworenen ungünstig beeinflussen wird. * Von Neujahr ab spielt Zirkus Kreno wie der in seinem festen Zirkusgebäude in M. . . . Auch Cilly tritt wieder auf. Ihre gesunde Frische ist geschwunden, sie sieht elend und ab gehärmt aus. Die Verzweiflung über das Schicksal ihres Onkels Bux hat furchtbar an ihr gezehrt. Aber sie wollte durchaus wieder ihre Tigergruppe vorsühren, weil sie das Ge fühl hat, ganz ohne Arbeit diesen. Zustand nicht länger ertragen zu können. Sie hat sogar beim Direktor und brieflich bei Bux durchgesetzt, auch Judith wieder mit in den Zentralkäfig nehmen zu dürfen, auf der sie zum Schluß ihrer Nummer aus dem Käfig reitet. Wes halb ihr das irgendeinen Trost gewährt, weiß sie selbst nicht recht; wohl deshalb, weil ihr Onkel Bux an der Tigerin so hängt. Das Tier hat, seit es Lorenzo Baredez getötet, lange Zeit hindurch eine eigentümliche Verschüchterung gezeigt, scheint aber jetzt seine alte Frische ganz wiedergewonnen zu haben. — Es ist am Abend des 6. Januar. Cillys Nummer soll gerade an die Reihe kommen. Der Zentralkäfig ist soeben fertig ansgebaut. Die dummen Augusts, die das Publikum so lange durch ihre Scherze unterhalten haben, ziehen sich zurück. Das Orchester setzt mit Cillys Musik ein, ihrs Tiger werden bereits durch den Laufkäfig aus ihren Wagen in den Zentralkäfig getrieben. Als Cilly eben, durch den Aufsitzmum kommt, sieht sie eine Gruppe Artisten" dicht gedrängt beisammenstehen. Colani hat ein Zeitungsblatt und liest etwas vor. Sie hört den Namen Buchsbaum, drängt sich zu Colani durch und fragt erregt, was da stehe. Der Chef der Luftnummer zeigt auf eine fettge druckte Notiz, Cilly reißt ihm das Blatt aus der Hand und liest: Der Staatsanwalt hat gegen den Artisten Dr. Willibald Buchsbaum nunmehr die An klage auf Mord erhoben. Die Hauptver handlung soll am 10. Januar beim Kriminal gericht in Moabit beginnen. Cilly stößt einen Schrei aus: Also nicht nur ein Totschläger, — nein, ein Mörder soll ihr Onkel Bux sein! Da fühlt sie sich an der Schulter gerüttelt. Sie wendet sich um. Oberregisseür Rnperti steht vor ihr: „Raus doch! Schnell, schnell! Die Katzen sind ja schon alle durch!"" Cilly reißt sich zusammen. Sie sieht, wie gerade Judith als letzte durch den Lauskäsig der Arena entgegensaust. Am ganzen Leibe bebend, wankt Cilly nach dem Zentralkäfig, tritt ein und hört wie im Traum den Begrüßungsapplaus der Menge. Sie verbeugt sich mechanisch, aber sie kann sich dabei kaum auf den Beinen halten. Es sieht aus, als ob sie betrunken sei. Auf ganz unerklärliche Weise verbreitet sich eine große Unruhe im Publikum. Jeder fühlt, daß irgend etwas nicht stimmt. Auch die Tiger sind wie besessen. Sie wollen nicht auf ihre Postamente; nur Judith sitzt schon brav auf ihrem Platz. Cilly knallt mit der Peitsche, ruft di: Tiere mit ihren Namen an. Aber sie gehorchen nicht. Und Plötzlich stürzt sich Butan mit einem Wutgebrüll auf Schiva. Im Augenblick sind Krischna, Vischnu, Mir^a und ein paar andere Raufbolde auch dabei. Dann sieht man nur noch einen gelben Knäuel von beißenden, kratzenden, fauchenden, brüllenden Tigern. Cilly schlägt mit der Peitsche, stößt mit der Stange dazwischen. Ihre Helle Stimme schallt durch den Raum: „Butan! Schiva! Mirza! — Butan! Butan!!!" — Ein einziger Schrei geht durch die Menge. Der Tiger hat Cilly angesprungen, das Kleid hängt in Fetzen von ihrer bluttriefenden linken Schulter. Nur zwei Schritte ist Cilly zurückgewichen. Dann geht sie direkt aus Butan los, die Stange zum Schutz vor sich gestreckt. Das Tier duckt sich zum zweiten Angriff, dis übrigen beißen aufeinander ein. Da geht ein zweiter Schrei durch die Reihen des Publikums: Judith ist aufbrüllend von. ihrem Postament gesprungen, die anderen Tiere sind erschrocken zurückgewichen. Die riesige Tigerin fällt Cilly au. „Judith!" schreit sie gellend auf. Es ist kein Schrsckenslaut, wie das Publikum meint, sondern der Schrei einer furchtbaren Enttäu- fchung. Und während Cilly unter dem An-