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Die Gartenbauwirtschaft Str. 1«. 17. 4. 1SS0 Die Produktion könnte gesteigert und damit verbilligt werden, so daß, abgesehen von der Wirkung aus Außenhandel und Zahlungsbilanz, durch sinkende Preise der Reallohn, auf den es doch letzlich ankommt, bald nur wenig vom heutigen abweichen würde." — Immerhin scheint man auch in Gewerkschafts kreisen die Unrichtigkeit der Kaufkrafttheori«, daß höhere Löhne die damit verbundenen höheren Kosten jeweils durch Stärkung der Kaufkraft aus glichen, einzusehen, wie die auch im Rahmen der „Stveifzüge" erwähnten Stillegungsver handlungen des Stahlwerkes Becker zeigen. Hier ist die Stillegung vermieden worben, weil sich die Arbeitnehmer verpflichten, auf 15°/a rhres Lohnes zu verzichten. Abgeschlossen am 14. April 1930. Sv. Hannes Hillner Skizze von Felix Burkhardt. Hannes Hillner stürzt auf dem Acker am Roten Busch Roggenstoppeln um. Im Winde weht sein weißes Haar. Barhäuptig stapft er Hinterm Pflug, schlagauf, schlagab. Hat den Blick in der Furche. Aber gen Abend zu zieht «r manchmal aus der Höhe die Zügel an, be schattet dre Augen und schickt einen suchenden Blick talwärts. Der Hillner vom Kreuzhanghof ackert vom Morgentau bis zum Tagausläuten. Füttert unter Mittag am Wegrain die Braunen und löffelt aus dem irdenen Henkeltopf sein Mahl. Rückt am Morgen vor den Knechten vom Hofe und bringt seine Pferde als letzter in die Stände. Und ist doch schon nahe an die Siebzig ran. Wohl zwingen noch seine Fäuste die jungen Pferde, aber sein Rücken ist gebeugt von der Last der Bauernjahre. Geht der Pfarrer, der auch kein Junger mehr ist, am Kreuzhanahof bauer vorüber, hebt er zuerst die Hand zum Gruß — er tut es nicht, weil der Kreuzhanghof bauer mehr Acker unterm Pflug hat als die anderen Bauern und weil seine Stimme viel wiegt in der Gemeinde: sein Gruß gilt dem blanken Leben des Mannes. Ist wohl keiner im Dorfe, der den Leuten vom Kreuzhanghof Ungutes nachsagen könnte. Sie leisten Nach barschaftshilfe und Bittdienste, ohne sich zu sperren. Und ist keine Wöchnerin im Dorfe, die nicht ihr Süpplein und ihre Taube erhielte. Keiner geht ohne Rat und Hilfe vom Hofe. Eingegraben im Eichenbalken der Tür steht «ine alte Jahreszahl. Der Hof aber ist älter, als die Zahl dort kündet. Sind doch die Linden, die den Hos umrauschen, ein halbes Jahrtausend alt. Ein Hillner, so geht die Sage, hat den ersten Acker im Waldboden gerodet und den ersten Hof des Dorfes gebaut. In der Eichen truhe des Bauern liegt ein Freibrief für den Kreuzhanghof. An die siebenhundert Jahre ist das Pergament alt. Bunte Schicksale sind im Hausbuch des Hofes ausgezeichnet. Biele Bauern schrieben den Bericht ihres Lebens hinein. Und jeder legte Buch und Hof in die Hände seines Erben, daß er nun die Last und den Segen des Geschlechts und des Hofes trage. Reben der Truhe steht eine bunte Wiege. Der alte Bauer hat in ihr den ersten Schlaf gefunden und vor vielen Jahren seinen Sohn hineingslegt. Der Bauer verhätschelte seinen einzigen Jungen nicht. Er ließ ihm manches Jahr freien Lauf wie dem Füllen auf der Weide. Aber dann steckte er ihn ins Geschirr. Er wollte ihn zum rechten Bauer erziehen, zum festen Herrn des Kreuzhanghofes. Weil er wußte, daß gutes Wissen zum Rüstzeug gehört, tat er ihn auf die Schule in der Stadt. Als der Junge dann wieder heimkehren sollte, kam er mit dem Wunsche, daß er auf die Universität wolle. Der Rauer wetterte: „Du wirst Bauer! Schlag' dir die Hirngespinste aus dem Kopf!" Aber schließlich gab er doch nach und ließ den Jungen ziehen. Die leise Hoffnung keimte in ihm, daß doch noch der Tag kommen würde, wo der Junge sich wieder zum Hof zurück fände! Aus dem Jungen ist ein Mann geworden. Der Kreuzhanghofbauer könnte stolz aus ihn sein, denn die gelehrten Leute nennen den Namen seines Sohnes mit Achtung. Am Hochzeitstage des Jungen haben Vater und Sohn einen Pakt geschlossen: Das Enkel kind soll aus dem Kreuzhanghof geboren werden! So lag denn wieder ein Hillner in der bunten Wiege. Vor seinem ersten AuSgang schlug der alte Bauer das Kind in sein Saat- tuch, trug es auf den Acker und legte es in eine frische Furche. Daß das Kind hineinwachse in die Erde und der Acker es binde. Nun geht der Bauer mit der festen Hoffnung über sein Land: Bauernblut drängt wieder zum Acker! Manchmal hebt er die Augen aus der Furche und läßt sie über das Land gehen, um zu sehen, ob nicht ein schlanker Bursche über den Hang kommt, der ihm den Pflug aus der Hand nehme „Die BodenaziditSt." Don Prof. Dr. H. Kappen. Mit 35 Abbildungen, einer farbi gen Tafel und 363 Seiten. Preis brosch. RM. 36,—, geb. RM. 38,80. Daß es saure Böden gibt, auf welchen unsere Kulturpflanzen nicht gedeihen, und daß man hier durch Kalk Abhilfe schaffen kann, ist längst bekannt. Sind doch die Hochmoore Ms und die Niederungsmvore sehr häufig sauer, so daß bei der Moorkultur Entwässerung und' Mergelung gewöhnlich Hand in Hand gehen müssen. In ein ganz neues Stadium aber trat die Bodensäurefrage, als man di« Entdeckung machte, daß nicht selten auch Sand-, Lehm und Tonböden saure Reaktion zeigen, was bis dahin übersehen worden war. Hatte man sich di« Azidität der Moove durch die Annahme be sonderer an den Humus gebundener und durch die Verrottung entstandener Säuren erklären können, so erschien es nun zunächst ziemlich rätselhaft, wie in humusarmen, ja sogar humus- freien Mineralböden Säuren auftreten können. Je mehr sich die Wissenschaft mit dem Problem befaßte, um so verwickelter wurde es; je mehr Einzelbeobachtungen gemacht wurden, um so mehr Widersprüche ergaben sich zunächst dabei. Es kann daher begrüßt werden, daß Prof. Dr. Kappen in Bonn-Poppelsdorf, der als erster deutscher Agrikultur-Chemiker an das gründliche Studium der Bodenazidität schon vor mehr als einem Jahrzehnt herangetreten ist, sich nunmehr der Mühe unterzogen hat, die seitdem enorm angeschwollene Literatur aus allen Kulturländern über diesen an sich ja nur engen Ausschnitt der Bodenkunde übersicht lich zu ordnen und den ganzen Fragenkomplex nach einheitlichen Gesichtspunkten zu behandeln. Das vorliegende Werk gibt auf 356 Textseiten eine 15 Kapitel umfassende Darstellung des heutigen Standes der wissenschaftlichen For schung und ist daher unentbehrlich für jeden, der, selbst auf die bisherigen Ergebnisse fußend, in di« hier aufgerollten Probleme tiefer eindringen möchte. Bei der Fülle des Stoffes kann der Inhalt nur in Stichwörtern angedeutet werden: Das Wesen der Azidität. Die Bodenreaktisn und deren Bestimmung. Das Pufferungsver mögen. Di« hydrolytische, aktiv« und Aus tausch-Azidität. Di« Bedeutung der Versaue rung für die physikalischen Eigenschaften des Bodens, für die Mikroorganismen und für die Welt der höheren Pflanzen. Einfluß der Düngemittel auf die Bodenversauerung, ihre Verbreitung und Bekämpfung. Der Verfasser wendet sich, wie aus dieser kurzen Inhaltsangabe hervorgeht, zwar auch an di« Praxis der Landwirtschaft und des Garten baues, setzt aber beim Leser nicht geringe Kenntnisse sowohl in der allgemeinen und physi kalischen Chemie wie auch in der Agrikultur chemie voraus. Prof. Heine, Berlin-Dahlsm. Das kleine Aussprachewörterbuch von Paul Grunow, Oberkorvektor der Reichs- druckerei, RM- 1,—, 56 Seiten. Es ist in letzter Zeit viel über die Aus sprach« der botanischen Namen geschrieben und gesprochen worden. Sie werden auch noch eine Zeit das Schmerzenskind bleiben. Dennoch sind die Reihen derer, die sie gänzlich entfernt haben möchten, sehr zusammengeschrumpft. Ihre Notwendigkeit ist genau so erkannt, wie die der vielen anderen Wörter aus fremden Spra chen, ohne die wir selbst bei den heftigsten Bemühungen der „Sprachveiniger" nicht aus- kommen. Wir dürfen da gern einmal an eine fremde Tür klopfen und fragen, wie es bei diesen „alltäglichen" Fremdwörtern aussieht, auf die wir genau so angewiesen sind, wie auf die botanischen Namen und Ausdrücke. Da stand vor kurzer Zeit fast täglich in den Tageszeitun gen der Nam« „Grzesinski". Wer kann ihn richtig aussprechen? Wohl nur wenig« wissen, daß zu sprechen ist: gjesinßki (j wie in Jour nal). — So geht das 100- und 1000mal täglich. Der Oberkorrektor der ReichSdvuckerei, Paul Grunow, hat den Versuch gemacht, mit ganz einfachen Mitteln die einigermaßen beste Aus sprache und die richtige Betonung für etwa 3500 gangbare Fremdwörter zu geben. Das kleine preiswerte Heft bringt im Anhang außer dem 66 Beispiele richtiger Kommasetzung. Dr. Zd. persönliche Mleilnngeu Es find verstorben: Fritz Goeke, Haus Laer, Post Meschede, Bez.- Gruppe Westfalen-West. Otto Lenz, Gorgast, Bez.-Gr. Küstriu u. Umg. * Am 16. April dieses Jahves feierte der bekannte Hortensienzüchter Friedrich Matthes in Ottendorf-Okrilla seinen 60. Geburtstag. Im Jahre 1894 gründete er seine Gärtnerei- die zur damaligen Zeit bereits als sehr fort schrittlich galt, denn es war wohl eine der ersten Gärtnereien Deutschlands, wo im Winter die Gewächshäuser nicht gedeckt wurden. Ursprünglich zog Fr. Matthes in seinem Be triebe Blumen und Pflanzen für die Dresdner Blumengeschäfte; erst später stellte er den Betrieb auf die Spezialkultur von Hortensien und auf Neuzüchtungen ein. Welche hervor ragenden Sorten seine Züchtungen geliefert haben, ist ja allgemein bekannt. Die Bez.-Gr. Dresden im Reichsverbawb des deutschen Gartenbaues e.V., deren stell vertretender Obmann Fr. Matthes ist, gratu liert ihren« verdienten Jubilar auf das herz lichste und wünscht ihm noch recht viele wei tere Jahre beruflichen Schaffens. Rudolf Schrön. Johannes Olbertz in Erfurt, der Heraus geber der „Bindekunst", konnte am 1. April das goldene Gärtnerjubiläum feiern. Nach seiner Ausbildung im Inland war er in ver schiedenen Betrieben des Auslandes tätig. Hier und hauptsächlich bei der Mitwirkung an ver schiedenen Ausstellungen befaßte er such im be sonderen mit der Blumenkunst. Nachdem er kurze Zeit ein eigenes Geschäft geführt hatte, kam er zu I. C. Schmidt nach Erfurt, und dort war ihm Gelegenheit geboten, sich ganz der Binderei zu widmen. Nach der Veröffent lichung einiger Bücher über Bindereisrage« brachte er dann, am 1. April 1897, die erst« Nummer seiner bekannten Zeitschrift ,Albertz' Bindekunst" heraus, die er heute noch heraus gibt und leitet. Er hat in ihr auf di« Ent wicklung der deutschen Binderei maßgebenden Einfluß genommen und es verstanden, sein« darin gegebenen Anregungen bei seiner Mit arbeit an verschiedenen Ausstellungen in die Tat umzusetzen. ,O> nein, gnädige Frau. Ich bin ja fast den ganzen Vormittag und den ganzen Abend unter Menschen." „Sie sind zum Vergnügen in Paris?" Das junge Mädchen lachte über das ganze Gesicht. Das kam ihr denn doch zu komisch vor, daß sie zum puren Vergnügen nach Paris gereist sein sollte! „Nein, gnädige Frau, ich arbeite natürlich. Ich bin . . ." „Halt!" rief Cornelis HemsterhuiS. „Wir wollen lieber raten. Das ist viel amüsanter. Nicht wahr, kleines Fräulein?" „Gut, raten Sie!" „Sie sind — Malerin?" „Falsch geraten!" „Dann studieren Sie hier?" fragte Frau tzemsterhuis. „Nein, auch nicht." „Also find Sie in ... in einem Geschäft?" riet der Holländer. „Ja, — so könnte man es schließlich auch nennen. Aber es ist nichts Kaufmännisches." Frau tzemsterhuis sah das Mädel nochmals prüfend an: „Na, beim Theater sind Sie »och bestimmt nicht?" „Nein. — Aber ich muß es Ihnen -schon selbst sagen, denn raten werden Sie das doch niemals. — Ich bin Dompteuse." „Was sind Sie?"' tzemsterhuis legte die Hand ans Ohr, als höre er nicht recht. „Ich bin . . . Tigerbändigerin, wenn man «S so nennen will." Ein kurzes Schweigen entstand. Dann sagt« Frau tzemsterhuis ein wenig gekränkt: „Sie machen sich wohl lustig über uns?" „Aber, gnädige Frau, was denken Sie?" Cilly machte ein ganz erschrockenes Gesicht. „Ich bin hier im Cirque d'Hiver engagiert mit meiner Gruppe von zwölf Tigern. Wenn «S Ihnen Spaß macht, können Sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen." Cornelis tzemsterhuis schlug sich vor Ver gnügen aufs Knie: „Ja, ist denn so was möglich! Wie alt sind Sie denn, wenn man fragen dars?" „Ich werde im April siebzehn." „Und die Tiger, die Sie da bändigen, — die gehören Ihnen?" „Nicht alle; nur drei davon gehören mir. Die anderen neun gehören dem deutschen Zirkus Kreno." Und nun erzählte Cilly ganz treuherzig, wie sie so allein mit den zwölf Tigern nach Paris gekommen. Und nun erzählte Cilly ganz treuherzig, wie sie so allein mit den zwölf Tigern nach Paris gekommen. Di« Sache lag so: Als Zirkus Kreno im Oktober — zu derselben Zeit, als Bux und Fee in Buenos Aires eintrafen — von der Sommertournee in jein Winterquartier nach M. zurückgekehrt war, kam die Anfrage aus Paris, ob er nicht die in Zirkuskreisen bereits be kannte Nummer „Cilly Berndt, die jüngste Dompteuse der Welt, mit ihren zwölf Tigern" zu einer sehr hohen Gage den Winter über dem Cirque d'Hiver" überlassen wolle. Cilly wurde gerufen und erklärte sich sofort bereit, nach Paris zu gehen. Als Frau Direktor Kreno die Frage aufwarf, wen man zu ihrer Begleitung mitschicken könne, war Cilly säst beleidigt gewesen, weil sie es für Mißtrauen in ihr« Zuverlässigkeit hielt, während das Ehe paar Kreno doch nur an einen persönlichen Schutz für Cilly dachte. „Aber sind die Tiger denn nicht furchtbar bös« und gefährlich?" fragt« Frau H ernster- Huis, als Cilly ihren Bericht beendet, und musterte kopfschüttelnd das zierliche Persönchen. »Möse sind sie nicht," sagte Cilly; „bis auf einen, den Butan. Der muß durch schlechte Behandlung schon verdorben worden sein, bevor wir ihn bekamen." „Und kann Sie dieser Tiger nicht einmal anfallen?" „Ja, natürlich. Er versucht es auch manch mal, ab«r da muß man eben aufpassen." „Und die andern sind ganz ungefährlich?" Obgleich sich Cilly von diesen schon tausend mal an sie gestellten Fragen höchst gelangweilt sühlte, antwortete sie der alten Dame doch mit liebenswürdiger Sachlichkeit: „Gefährlich sind sie natürlich alle, aber nicht aus Bosheit. Sie müssen bedenken, gnädige Frau, daß es Katzen sind." „Also falsch« MeM!" „Nein gerade das Gegenteil! Sie find offen und tapfer. Wenn sie sich ärgern, kneifen sie nicht den Schwanz ein, sondern fauchen einen an und schlagen auch mal mit der Tatze. DaS meinen sie nicht so böse, aber wenn sie einen treffen, dann tut das nicht wohl. — Auch beim Spielen gibt's manchmal einem Kratzer. Aber das ist alles nicht so schlimm. Wirklich übel wird die Sache nur, wenn sie sich gegenseitig in die Wolle geraten. Läßt man sie gewähren, dann beißen sie sich kaputt, geht man dazwischen, bekommt man im Eifer des Gefechts selbst was ab." „Also kann «s dann wirklich lebensgefährlich werden?" fragte Herr tzemsterhuis gespannt. „Natürlich. In der Aufregung kommt doch die ganze Wildheit zum Vorschein, sozusagen gegen den eigenen Willen der Tiere. Das Schlimmst« ist, wenn man in einer solchen Situation umgerissen wird und hinfällt. Dann ist man meist so gut wie verloren," „Aber das ist ja entsetzlich! Da müssen Sie doch jeden Abend Todesängste ansstehen!" rief die alte Holländerin ganz erregt. Cilly lachte vergnügt. — „Nein, kein« Spur! Wie sollte ich das denn aushalten! — Es ist nicht anders, als wenn man auf der Avenue des Champs Elysäes über den Fahrdamm geht. Wenn man aufpaßt, geht's meist gut; wenn man nicht acht gibt oder gar hinfällt, ist man so gut wie Verloven." „Nicht wahr, Sie dürfen den Tigern doch niemals den Rücken zuwenden, — müssen sie immer mit den Augen in Schach halten?" quält« die neugierige Dame weiter. Wieder schüttelte Cilly lächelnd den Kopf. „Ich weiß gar nicht, wer so etwas aufge bracht hat. Ich hab' das schon öfters fragen hören. — Nein, auf di« sogenannte Macht des menschlichen Blickes pfeifen die Heroen Tiger! Ich kann ihnen auch ruhig den Rücken zu wenden, mich sogar mitten unter sie hinlegen, wenn sie nicht gerade Krakeel miteinander haben." „Und was sagen Ihre Eltern zu dieser Tätigkeit? Sind sie auch beim Zirkus?" „Sie waren beim Zirkus. Sie sind tot . . . schon seit fast vier Jahren. Mama ist in der Vorst ellung ab gestürzt, und Papa ist bald dar auf auch . . . verunglückt."" „Mein Gott! Und da stehen Sie jetzt ganz allein aus der Welt?' „Nein, ich habe zwei Vormünder; meinen Direktor, Herrn Kurt Kreno und . . meinen Onkel Bux." ,O>nk«l Bux? Wer ist denn das? — der Onkel Bux?' fragte Cornelis HemMhuis lächelnd. „Er ist alles: Clown — und Mar ein ganz berühmter — und Dresseur und Arzt und Tierarzt und Reiter und Akrobat — überhaupt alles. Aber er ist leider schon lange in Süd amerika; jetzt ist er in Brasilien beim Zirkus d« Manzo." „Alle Wetter! Das muß ja ein Teufelskerl sein! Von dem müssen Sie uns mal erzählen!" rief der Holländer vergnügt. Nichts hätte Cilly lieber getan. Und sie berichtete so begeistert von ihrem Onkel Bux, daß das Ehepaar Hemsterhuis ihn für einen Halbgott hätte halten können. Am Abend war das holländische Ehepaar natürlich im Cirque d'Hiver. Cilly hatte, wie allabendlich, einen Riesenerfolg. An diesem Abend bekam sie drei große Kränze. Der größte und schönste war von dem Ehepaar Hemsterhuis. — Am solgenden Morgen frühstückte man schon gemeinsam an einem Tisch. „Sie bekommen sicher aus dem Publikum furchtbar viel Geschenke und Kränze und Briefe?' fragte der Holländer. „Bei diesem Erfolg kann das doch nicht nusbleiben." „Ach ja, ziemlich viel", sagte Cilly ohne besonderen Stolz. „Aber ich nehme natürlich nur Blumen und Kränze an; sonst nichts." „Aber da müssen Sie doch auch furcht bar viel Leute ksnnenlernen?' „Ach nein; nur die Artisten. Ich sprech« doch mit niemand sonst. Erstens mag ich nicht, und dann hab' ich es Frau Direktor Kreno auch fest versprechen müssen, daß ich mit nie mand aus Privat Bekanntschaft mache." „Aber mit uns haben Sie doch auch Be kanntschaft gemacht?" fragte Cornelis Hemstsr- huis neugierig lächelnd. „Ja, weil Ihre Frau Gemahlin dabei ist", sagte Cilly naiv. „Sonst hätt' ich's auch nicht getan." „Also mich allein hätten Sie sür einen gefährlichen Wüstling gehalten?" Der Hol länder brach in unbändiges Gelächter aus. Cilly aber wußte nichts zu erwidern und bekam einen feuerroten Kops, — Von diesem Tag« au begann für Cilly ein herrliches Leben. Das alte Ehepaar hatte für das bescheidene und reizende Mädel eine solche Sympathie gefaßt, daß es Cilly fast täglich zu irgendeinem Ausflug mitnahm, ihr alle Sehenswürdigkeiten der glänzenden Stadt zeigte und erklärte, von denen sie bisher fast nichts gesehen hatte. — Eines Morgens aber, etwa zehn Tage nach jener ersten Unterhaltung mit den Hol ländern, fand Cilly zu ihrer Verwunderung am Frühstückstisch noch eine weiter« Person: einen großen, schlanken, blonden, jungen Mau« mit denselben lustigen Blauaugen, wie sie Cornelis HemMhuis hatte- 3. Da man erst in der zweiten Hälfte Februar war, herrschte in der brasilianischen Hafenstadt Pernambuco noch eine infernalische Hitze. Auch um halb neun Uhr abends, als Bux, in einem Korbstuhl auf der kleinen Veranda seines Wagens sitzend, die eben eingetroffene Post las, war die mit Feuchtigkeit überladene Luft noch unerträglich schwül und dumpf. Außer einem Brief aus Nördlingen war noch ein wichtiges geschäftliches Schreiben von Direktor Kreno und ein langer Brief von Cilly dabei. Der letztere war am 29. Januar von Paris abgegangen, und sein Schluß lautete so: . . . Vor einigen Tagen ist auch Pieter Hemsterhuis, der Sohn von Herrn und Frau Hemsterhuis, aus Java kommend in Paris eingetrosfen. Er ist ein furchtbar netter und lustiger Kerl und ebenso sympathisch wie seine Eltern. Ich verlebe mit diesen feinen Hollän dern reizende Tage. Ich hätte gar nicht ge dacht, daß Privatleute so nett sein können und gar nicht hochmütig. Mit Pieter Hem sterhuis habe ich mich schon in den wenigen Tagen ganz gut angefreundet. Wir unter nehmen alles mögliche und lachen sehr viel. Er treibt immer so viel Allotria, und jeden Abend schickt er mir wundervolle Blumen in die Manege. Die Leute müssen furchtbar reich sein. Sie haben mich schon zu sich nach Amsterdam eingeladen. Das geht natürlich nicht, denn ich kann doch nicht mein Engage ment unterbrechen. Aber Zirkus Kreno geht wahrscheinlich im Sommer nach Holland, da freue ich mich doch, die Familie Hem sterhuis wiederzusehen. Du mußt sie dann auch kennenlernen. Alle sind schon sehr neu- gierig auf Dich! — Sonst geht es mir gut. Nur muß ich so oft an den armen Moritz denken, den ich nun nicht Wiedersehen soll. Und dann habe ich große Angst, daß Du vielleicht doch nicht nach Europa kommst. Das wäre furchtbar! Ich kann es gar nicht mehr erwarten, bis ich Dich endlich wisderhabe! Schreib doch bald, daß Du sicher kommst! Bitte, bitte! Grüße Fee vielmals von mir. Hoffentlich seid Ihr beide trotz dem schlechten Klima bei guter Gesundheit. Es küßt Dich ganz toll Deine Cilly. (Fortsetzung jolgtj