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Das unsichtbare Denkmal Wir bringen nachstehend anläßlich des Gefallenen-Gedenktages einige Stel len aus dem Buche „Das unsichtbare Denkmal", herausgcgeben von Maxim Ziese und Hermann Ziese-Beringer. Eine eingehende Besprechung des Werkes cr- solgt umstehend in der Bücherschau. Zehn Zähre später ES war in einer Stunde der Dämmerung, da noch lichter Schein über den Höhen lag. Ein Schein, eine Dämmerung, die man irgendwo schon einmal so gesehen. Das war wann ... wo war es . . . ? Und da stand dieser Gedanke auf und wuchs zur Sehnsucht: Noch einmal das Land Wieder sehen, jene Ebenen, Höben und Schluchten, über die hinweg man in endlosen Nächten mrt dem Tod um die Wette gelaufen. Wo tausendmal zehntausend Männer mit übernächtig heißen Angeu über das Korn des Gewehres gezielt und nach anderen Männern geschossen, die irgendwo gegenüber wie gut ver steckte^ Zielscheiben im Gelände lagen. Hüben Soldaten, drüben Soldaten, und da zwischen und dahinter Land . . . Erde, die langsam nach einem System zerwühlt, er mordet wurde. Bier Jahre lang schritt der Krieg mit dem Tod an der rasselnden Kette über das Land dahin. Und nun ist es zehn Jahre später. Jahre, in denen ans dem Hauptmann, dem Leumant, dem Musketier längst wieder doppelte Buchhalter, Zimmerleute und Privatdczcntcn wurden. Sie alle gingen nach Haus und ließen das zerfetzte Land einsam und erstorben zurück: Toles Land. Niemand scheint sich mehr im Lärm des Tages daraus zu entsinnen. Und doch brennt einmal in einsamer Stunde in all jenen Männern ein Weh aus, und in den Narben der Seele, die der Krieg geschlagen, klopft dann schmerzhaft die Erinnerung, das Gedenken an das tote Land. Für diesen ist es ein Steilhang, für jenen ein Dorfrand und für den Dritten eine Stra ßenkreuzung oder eine Höhe. Kleine, vielleicht nur nach Quadratmetern begrenzte Flecken Erde sind es — aber bei» Seelen dieser Männer heilig. Geheiligt dem Einzelnen, weil er dort in jenen lichtlosen Abgrund schaut, den der Bürger iu seinem ganzen Dasein nnr einmal erschaut, dann — wenn cs mit ihm auf der Matratze zu Ende geht. So hat jeder der Millionen Kämpfer in dem großen, weiten Laud einen Platz, der ihm so nahe am Herzen ist, als nur das Grab der Mutter es sein kann. Warum dies? Fragt sie in einer stillen Stunde, und wenn euch Antwort wird, dann ist es diese: Jenes Stück Erde in dem Kampsgelände ist das stille Heiligtum des Soldaten. Denn dort ist der Platz, wo jedem anderen unsichtbar das Denkmal seiner ManncStar steht: Am Slraßenkreuz, am Steilhang, vor dem Dorfrand. Das sind nicht Heldentaten, die dort ge schahen, wo jetzt unsichtbar ein Monument cmporragt. Nein, das sind nnr Menschen- taten gewesen, aber wohl gerade darum so groß. Denn nicht jeder kann ein Held sein. Und die namenlosen Toten, die verschüttet und zcrfpellt in den Granattrtchleru ringsum ruhen, bitten mit einem wcißgcbleichteu Knochenrest wie mit einem Schweigen heischen den Finger um Ruhe und Andacht, wenn man vorübergeht. Sie starben einst vor zehn Jahren — ein lächelndes Gedenken ans den Lippen oder einen Fluch. Nun ruhen sie seitwärts von den schnurgerade und neu ge bauten Straßen, namenlos und ohne Kreuz in den unzählbaren Granattrichteru . . . Copyright lS28 by Ernst Keils Nachf. A g, Scherl) G. m. b. H , Berlin SW 68 (16. Fortsetzung.) Als die Ozeania nach einem Kreisflng über Potsdam sich wieder Berlin näherte, kam ihr ein Geschwader aller in Tempelhof statio- niexte» Flugzeuge entgegen, ein zoeiter Schwarm, noch stärker fast, brauste von Staaken heran Vierzig Maschinen, mächtige Drei- .notorige, wendige Einsitzer, umspielten den Niesen wie ein Mückenschwarm, kreisten ihn ein und geleiteten ihn im Triumph nach Tempelhof. Wie ein Vogelschwarm sielen die Tempelhofer dann ein, während die Staakener in der Lust blieben. Majestätisch in ihrer Ruhe senkte sich die Ozeania aus den Boden. Trotz der kurzen Zeit waren Tausende auf das Feld geströmt und drängten sich an den Absperrungen, durch die Udenhof und Geisen heim auf die Hallen zuschritten, wo die Hansa und die Stadt Berlin ihnen ein Frühstück geben wollten. Eine Dame im F.iegerdreß wollte sich von den Beamten gar nicht aus halten lassen. „Ich muß starten, hier ist die Bescheinigung Ihrer Polizei", sie winkte ihrem Begleiter. «Hommen Sie doch, Tioaroni!" Während des Aufenthalts des Luftschiffs ist jeder Start verboten." Sonja stampfte mit dem Fuß auf. „ES ist eine ausländische Maschine." „Für alle, Fräulein." Jetzt kam Geisenheim heran, er erkannte sic, stutzte. „Lassen Sie mich", sie stieß den Polizisten brüsk >ur Seite. Als der sah, daß sie mit Geisenheim sprach, zuckte er die Achseln. „Heute ist Ihr Tag, Geisenheim", sie sprach spanisch, um nur von ihm verstanden zu werden. „Morgen starte ich von Paris mit dem „Aiglon" zum Ozeanslug nach Argen tinien." Geisenheim war stehcugcbliebeu. „Warum tun Sie das, Sonja, es ist ein Wahnsinn." „Meinen Sie?" für Flugzeuge zu groß. „Die Strecke ist glauben Sie mir!" „Sie sind neidisch", zischt« sie. „Sie wollen den Ruhm haben, Sie wollen alles für fick,, kiffen Sie das?" „Ich spiele nicht mit Menschenleben." Uoeuhof sah sich um. „Wo bleiben Sic, Geisenheim?" Bei Tisch saß Hilde neben Baumeister, Fritz führte eine Äi aistersgattin, Udenhof eine au- dere Größe. Der Ingenieur war einsilbig wie immer. „Woher kennt mein Bruder die Vcntana?" ,LSeiß ich nicht!" Sie überlegte. „Ventaua? Beulana? Er hat den Namen nie genannt." „Es ist doch gut, wenn einer sich die Welt angesehen hat", verkündete Baumeister als Er gebnis langen Nachdenkens. „Auch wenn's aus der Perspektive des Stiefelputzers ist." „Fritz war nie Stiefelputzer", Hilde war gekränkt. „Dem hätte es nicht geschadet, verlassen Sic sich drauf! Ihr Bruder gehört zu den Men schen, die immer sich selbst treu bleiben." Und wieder nach einer Weile: „Jetzt weiß uh, warum der vierte Motor versagte, gerade als wir über Ihrem Hause waren. Die Pleuel stange." „Ich habe nichts gemerkt." „So was sollte man merken", schloß Bau meister traurig. „Aber es gibt iinmer noch Laien, die den Motor für ein totes Ding halten." Und er versank wieder in seine Gedanken. 27. Nicht zuletzt hatte sich Larange, Geisen heims alter Gegner aus Buenos Aires, für den Ozeanflug Sonjas und Tivaronis einge setzt. Der fabelhafte Ausstieg von der kleinen Tänzerin Sonja zu der gefeierten Vcntana im ponierte ihm, und er war es auch gewesen, der die Finanzgruppe, die hinter der Socicdad Franco-Argentina stand, aus die Denkungsart der Argentinier aufmerksam machte. „Wie im alten Nom muß man Völkern psnem et cirrensss geben", sagte er. „Brot habe» sic da drüben genug, aber mit Schau stücken und Spielen sängt man sie." Der alte Boneourt, der größte Flugzeug- industrielle Frankreichs, schüttelte seinen weiß haarigen Kops. ,Mas liegt daran, baß eine Tänzerin in Buenos Aires landett" Er war - « . Ms der Krieg in den November tage« des Jahres 1918 sich ebenso jäh von jenen Ländern erhob, übcr die er sich vier Jahre vorher wie ein Adler mit silbernen Klauen gestürzt, ließ er ein ermordetes Land und trostlose Einsamkeit zurück. Nur Tote blieben in diesem Land. Unzählige Tote in zerrissenen Wäldern, auf einsamer Heide und kahlen Höhen, in Schluchten, Tälern und schweigendem Sumpf. Nur das Grauen blieb bei den Toten, ver kroch sich am Tage in dumpfe Stollen und geisterte im Mondlicht durch leere Gräben, über verlassene Trichterfelder und um starr« Drahtverhaue, die leise singend der Nacht- Wind durchzog. Einen Winter lang lagen die Kampffelder der Westfront in unheimlicher, ödnisstarrer Verlassenheit, kaum eines Menschen Fuß durch schritt das leere Land. Der Frühling des Jahres 1919 kam und gab nach vier Jahren der Verdammnis der zerrissenen Erde wieder GraS und Blumen . . . Links vom Eingang lag hinter dem großen Holzkreuz ein Massengrab. Zwei Fuß über den rundlaufenden Pfad war die Erde angchöht. An dem Schmalende war eine Grube. Man grub das Grab zu groß, denn der Tod war großmütig und ging davon, bevor es gefüllt war. Am Rande steckten in Abständen von einem halben Schritt Holzpflöcke in der Erde. Auf jedem einzelnen war ein Schildchen aus Blech oder Blei festgenagelt. Meist waren es Erkennungsmarke». Regiment, Name und Hei mat sagten, daß hier Bayern lagen. Wieviel? Zweihundert etwa in einem Grab. Und von jedem Pflock, ans den ein Namens- schildchcn genagelt war, ging ein Draht in die Erde und war unten dem Soldaten um das Handgelenk gebunden, ihm, dem einst der Name war, der oben »och geschrieben stand. Zwei hundert Drähte gingen so in die Erde, faßten zweihundert Soldaten bei der Hand. Und wenn der Wind von Osten kam, von Deutschland herüber, daun brachte er mit sich sein Leben lang ein Tüftler und Konstrukteur gewc'en, der mehr am Zeichentisch saß als in der Oper. „Sie müssen die Vcntana sehen", Larange wurde eifrig. „S g'hört zu den ganz großen Talenten." „Aber nicht in der Fliegerei." „DaS macht der Marchese." Dem vertraute Boncourt seinen „Aiglon" schon an. „Er hat genug geleistet, aber achten Sie mir auf den jungen Menschen, Larange! Es wäre nicht das erstemal, daß ein Weib einen Mann um de» Verstand bringt. Er soll ruhig die Wettermeldungen abwarten und erst starten, wenn alles günstig ist." „Wir haben nicht viel Zeit, die Deutschen —" „Für große Unternehmungen muß man Zeit und Geduld haben. Wcnu wir eiwaS von den Deutschen lernen können, dann ist es das." Als es zur Abstimmung kam, stimmte er nicht dagegen. So hatte Tivaroni den „Aiglon" in Paris übernehmen können und ihn zuerst einmal nach Deutschland geflogen. Das war Sonjas ausdrücklicher Wunich gewesen, sie wollte keine kürzere Flugstrecke als die Ozeania zurücklegcn. In Deutschland hatte man dem Unternehmen kein allzu großes Interesse enlgcgengebracht. Für alle Ozeanüderauerungen, bei denen man Vor bereitungen und Mittel als ungenügend emvsand, war wenig Meinung. Im Gegenteil, man war geneigt, ein generelles Verbot solcher Flüge zu erlassen, das natürlich auf den „Aiglon" der seinen Flug nur in Berlin begann, der aber nicht zum Non-Stop-Flug starten sollte, keine Anwendung fand. So hatte sich, als der Start endlich möglich war, nur ...w Gruppe von ZeilungSlentcn zwei ter Garnitur eingefunden, und während die Dsut'chlandfahrt der Ozeania alle ersten Seilen der Blätter füllte, mußte der „Aiglon" ßch it kleinen Notizen an versteckter Stells begnügen. Anders war es in Paris. Der Tanzabend, an dem die Ventana zum letzten Male vor ihrer großen Reise auftreten sollte, war völlig ausver- kauft. Die an sich vhantasti'chen Preise wurden unter der Hand noch überboten, die Gesellichafts- Neider der Damen, die an dem anschließenden intimen Diner teilnehmen sollten, wurden in allen mondänen Zeitschriften abgebildet und be schrieben. Tie bereits abflauende Saison Halle einen letzten Glanzpunkt. Sin war nicht mit dem Flugzeug gekommen, er hatte den Nachtzug genommen, der am Morgen des Fluges in Paris einlief. So hatte er weder den Start in Berlin noch die Landung der Ozeania gesehen. Aber überall vc-solglen ihn die Noti zen ü - Ne Fahrt des Schiffes. In Köln wollte er eine Zeitung kaufen, sie brachte lange Be richte. Im Speisewagen unterhielten sich dcut- schc Herren über den Flug, in St. Ouentin die ersten französischen Zeitungen über den xrsnck rnscS« »örcumuticms cketi ^llemLuckr. Er zer- bas Gedenken der Mütter, der Väter, der Frauen und Bräute. Leise klirrte dann der Wind um das lose Eude des Drahtes au dem Pflock, trauernd und grüßend, zitterte die ge denkende Liebe hinein iu die Erde bis dorthin, wo der Draht das Handgelenk des Toten um faßt hielt . . . Uns steht kein Denkmal. Unsere Taten und unsere Leiden, unsere Erfolge und unsere Toten ließen kaum eine Spur in dem Lande, in das Millionen deut scher Soldaten ihr Leben warfeir. Kein einziger Stein kündet dort von ihren Taten, nur ein paar rtesenweit gedehnte Fel- der, Friedhöse sind sie genannt, künden von ihrem Schicksal. Und dieses Schicksal ist Tra- güdie, die größte, die je einem Volke geschah. Es ist die Tragödie der Erfolglose», das Drama derer, die kein Glück hatten. Aber an eines wollen wir denken: Wir wollen niemals vergessen, daß überall aus den Schlachtfeldern der ganzen Welt, vor dem Dorfrand, am Slraßenkreuz, hinter dem Steilhang unsichtbar das Wahrzeichen unserer größten Mannestat steht. Und alle diese Male sind ein einziges, un sichtbares Denkmal für Euch, die wir grüßen. Tote Soldaten, Brüder ihr, die ihr neben uns gestanden habt in den Graben vom Meer bis zum Gebirge uud die Heimat geschirmt, euch grüßen wir! Ihr mit uns und wir mit euch, so haben wir zusammen in dunkle Nächte gesehen und über Helles Land geschaut, auf dem friedlos die Sonne lag. Vor uns das Niemandsland und hinter uns die Heimat. Wir kehrte» wieder. Euch warf der Krieg auf das Kampfseld. Wer aber darf rechten mit dem Tod? Doch dn, mein Kamerad rechts von mir, du mein Kamerad zur Linken, die ihr im Lande der Toten ruht, wir neigen uns in Ehrfurcht. Bruder du, toter Soldat, Deutschland denkt dein und vergißt dich nie. knüllte das Blatt wütend und schleuderte es in die Ecke. Sin hatte in diesen Tagen scharfe, tief ge fürchtete .^'chc beommen. An der Gare du Nord erwartete ihn Larange. „Sie können stolz sein auf Ihre Frau, Oppen heim!" „Was soll ich stolz sein", giftete Sin. „Eine Tänzerin ist Tänzerin, nicht Akrobatin." „Fliegerei ist keine Akrobatik." „Sie fliegen nicht, und ich flieg nicht. Aber j Sic und der Tivaroni und die anoern alle. Sie Hetzen die Hrau." „Ich habe noch gestern mit Boncourt gespro chen. der,Aiglon' ist seine beste Maschine, in langen Flügen bewährt und sicher." „In Flügen, bei Venen man auf die Erde gehen kann, wenn das unheimliche Ding, der Mo tor, stchenbleibt. Mag doch der Tivaroni, der Marchese, wenn er so ehrgeizig ist, sich neben seine Maschine stellen und sich verpflichten, daß er sich totschießl, wenn sie nach fünfzig Stunden nicht mehr läuft." „Der ,Aiglon' bekommt in Lissabon Schwim mer." Sin machte eine abwehrende Handbewegung. Und am Abend stand er doch zitternd vor Erwartung auf dem Flugplatz von Le Bourget und suchte mit dem Fernglas den Horizont ab. „Der.Aiglon' hat vor zwei Stunden Köln verlassen", sagte der Flugleiter. „Sie müssen sich noch gedulden." Sin antwortete ihm nicht. Als der alte Boncourt mit seinem Wagen kam, ging er aus ihn zu. „Sie sollten den Un fug verbieten!" Boncourt kannte Sin nicht. „Wer ist der Mensch?" „Der Gatte unserer Pilotin und Diva." Daraufhin sah er ihn mit merkwürdigen Augen an. „Ich habe meine Schuldigkeit getan", jagie er kurz. „Was ist Ihre Schuldigkeit?" „Ich habe mich gegen den Wcibcrflug ausge sprochen, mehr kann i<h nicht tun. Der .Aiglon' schaffl's." Seine Augen blitzten. „Dcr .Aiglon' ist mein Werk." Als man die Maschine endlich sichtete, war sic schon fast über dem Flugfeld, sie senkte sich rasch und setzte gut und sicher aus. Mit fiebrig nervösen Augen sprang Sonja heraus. „Die erste Etappe ist gelungen." In Boncourts eleganter Ltmousine fuhr sic zur Stadt, wo sie im Hotel von Zofe. Friseuse und Schneiderin erwartet wurde, die sie mit ih^er Unrast zur Verzweiflung brachte. Nichts saß heute, nichts gefiel ihr, kaum nahm sie sich ge nug zusammen, um Interviews, die man von ihr verlangte, abzuwickcln, Die paar fliegerische» Ausdrücke, die sie wie ein Pavagei hersagte, imponierten. Ihr waren sic nichts, nichts, wie alle Technik, nichts, wie alles, das nicht von Körper und Gefühl diktiert