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wiäfiHLPe. Ei» erschütterndes Bild. Die Preußenkasse teilt über die voraus sichtliche Entwicklung der Landwirtschaft vor allen Dingen im Osten mit: „Es ist damit zu rechnen, daß von den 1328 ostprenßischen, pommerschen und grenz- märkischen Betrieben der Gruppe IV (das sind die Betriebe, die nach Feststellungen der Preußenkasse zu 70o/o und mehr — also hosf- nungslos — verschuldet sind), etwa 1000 gegen Ende des Wirtschaftsjahres 1928/29 die Grenze hoffnungsloser Verschuldung überschrit ten haben werden. Bei einer großen Zahl von ihnen ist dieser Zustand heute bereits erreicht. Dieses Erliegen der Betriebe wird nicht notwendigerweise alsbald Zwangsversteigerung oder Kon kurs auslösen. Es hängt vom Wollen und — mehr noch — vom Können der Gläubiger ab, ob überschuldete landwirtschaftliche Be triebe weitervegetieren, um allmählich abzu sterben, oder ob zur Liquidation geschritten wird. Die Personalkreditgläubiger ver suchen heute in solchen Fällen, ihre Forderun gen teilweise zu realisieren, daß sie sich den Verkauf der - Ernte und aller sonstigen Er zeugnisse sichern und nur einen Teilbetrag wieder als Betriebsmittel zur Verfügung stel- len. Der Erfolg dieser Maßnahme bewirkt zusammen mit dem sich alljährlich vergrößern den Betriebsverlust, der durch Neukredite nicht mehr überbrückt wird, die allmähliche Schrumpfung des Produktions apparates. Es werden wenige oder keine künstlichen Düngemittel mehr angewendct, Kraftfutterzukauf unterbleibt, ebenso der An kauf von Saatgut. Zur Beschaffung von Lohn geldern wird lebendes Inventar veräußert, bis schließlich nur noch minderwertiges und unveräußerbares Inventar vorhanden ist. Die Lohnansprüche der Landarbeiter werden zum Teil durch Vergrößerung des Deputatareals befriedigt. Diese Vorgänge wirken sich in Ertragsseukung aller Betriebszweige ans, bis der Betrieb in einen Zustand völliger Devastierung über gegangen ist. Dieser Prozeß greift in zahl reichen Betrieben seit Jahren nm sich." Es erübrigt sich, diesen Mitteilungen der Preußenkasse, die an Deutlichkeit nichts übrig lassen, noch irgend etwas hinzuzufügen. Moorkultur. Bayern ist in großen Teilen des Landes landwirtschaftlich ein Land der Widersprüche. Die weiten Uferflächen der rascheren Alpen abflüsse sind nicht selten derartige Schotter felder, daß die Pflanzkrume kaum nennens wert ist, während dazwischen sich weite Moor flächen austun, die landwirtschaftlich als grund los gelten können. Auf jenen dünngründigen Geröllfeldern muß es meist bei magerem Weidebetrieb bleiben. In den Mooren aber hat Bayern eine Tätigkeit entfaltet, die mehr als nur bemerkenswerte Erfolge brachte. Der Staat hat dort nach großzügigen Entwässe rungsarbeiten Mustergüter im wahren Sinne des Wortes angelegt, deren Weiterwirkung auf die landwirtschaftlichen Betriebe wieder von segensreichem Einflüsse ist. Beim 50-Jahres- feste der preußischen Zentralmoorkommission hob der Abgeordnete Peters (aus Holstein) die Verdienste Bayerns auf diesem Gebiete in Worten hohen Lobes hervor und unterstrich besonders die Bedeutung der Bayerischen Kulturarbeit in den Mooren als Pionierarbeit im Sinne mustergültiger Landwirtschasts- führung. Was bedeutet die 48-Stundcnwoche bei Bah» und Post? Das geht nicht nur Bahn und Post, sondern es geht jedermann und die gesamte Wirtschaft an. Denn die Erhöhung der Lasten bei beiden werden umgeschlagen in Lasten für die Wirt schaft in den Tarifen und Gebührensätzen. Die Bahn beschäftigt zur Zeit 700 000 Menschen. Die grundsätzliche Einführung der 48-Stundenwoche würde eine Erhöhung der Angestelltenzahl um 10°/», also um 70 000 Mann, erfordern und einen Geldaufwand für dieselben von jährlich 260 Millionen, die durch eine Fracht- und Fahrpreiser höhung um 15°/» gedeckt werden würden. Diese enorme Steigerung müßte selbstver ständlich die Selbstkosten der Wirtschaft belasten und eine sehr merkliche Erhöhung aller Preise im Gefolge haben. Die Reichspost müßte 18 000 Mann mehr einstellen und mindestens 60 Millionen Mark dafür aufwenden. Das sind Zahlen, die in guten Zeiten überwind bar wären. Bei der notvollen Gespanntheit unserer Wirtschaftsverhältnisse aber müssen unsere großen Verkehrsinstitute genau wie jeder einzelne Wirtschaftler ihre Ausgaben auf das Erträgliche beschränken. Die Reichsbahn wird also voraussichtlich nur dort Aenderungen eintreten lassen, wo es sich um die Sicherheit des Verkehrs handelt, und die Post wird wohl warten, bis ihre wirt schaftliche Lage eine Höherbelastung ohne Ge- sahr der allgemeinen Wirlschastsschädigung riskieren läßt. Gegen die Konknrrcnz durch Staatsbetriebe. Im bayerischen Landtage wurde der Grund satz unterstrichen, daß die staatlichen Land wirtschaftsbetriebe nur insofern auf rechterhalten werden dürften, als sie Ver suchs- und Forschungsgebiete staat- licher Institute seien. Infolgedessen wird die Regierung nachzuprüfen haben, ob alle zur Zeit durch den Staat geführten land wirtschaftlichen Betriebe nötig sind für ge nannten Zweck. Von Regierungsseite wurde versichert, daß man überflüssige Betriebe gern abstoßen oder verpachten wolle, wenn sich zahlungsfähige Käufer dafür fänden. P. Z. Was hat Lugano gebracht? In den Dingen, die geklärt werden sollten, ist es so gekommen, wie wir kürzlich hier schon ausführlen: Man hat sich unterhalten und hat dann eine gemeinsame Entschließung veröffentlicht. Unter „man" sind Briand, Chamberlain und Stresemann, die Außenminister Frankreichs, Englands und Deutschlands, zu verstehen. „Wir sind entschlossen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um so schnell wie möglich zu einer vollständigen und endgültigen Lösung der ans dem Kriege herrührenden Schwierigkeiten zu gelangen und auf diese Weise auf Grund gegen seitigen Vertrauens die gedeihliche Entwicklung der Beziehungen unserer Länder zu sichern " Das ist der Cchlußabsatz dieser Entschließung. Da wir nicht wissen, was die drei beredet haben müssen wir abwarten, bis Stresemann bei Ge legenheit den Mund auftut und uns in die ver einbarten Geheimnisse einweiht. Dann wird es sich erweisen, ob es richtig ist, was jeder beim Lesen der Entschließung empfindet: der übliche Schmus! Stresemann sagt den Pole« Bescheid. In der Schlußsitzung des Bölkerbundsrates erlaubte sich der polnische Außenminister Zaleski bei Behandlung der Schul-Beschwerde des Deutschen Volksbundes in Oberschlesien diesen in unverschämter Weise zu verdächtigen. Dr. Stre semann erwiderte in ungemein temperament voller und scharfer Weise, wie es in Völkerbunds- Versammlungen bisher noch nicht geschehen ist. Ausschnitte aus der Rede: „Soll ich Ihnen antworten, daß heute noch an den leitenden Stellen in Oberschlesien deutsche Männer und deutsche- Intelligenz stehen? Wo hin wären Sie gekommen, wenn diese deutschen Kräfte nicht vorhanden wären?" „Ich kann in keiner Weise zugeben, daß dieser Standpunkt in der Auffassung der Minder heitenrechte im Völkerbund Platz greift Wenn tatsächlich diese Auffassung im Völkerbund herr schen sollte, so werden sich große Staaten über legen müssen, ob noch weiterhin ihre Mitwirkung überhaupt möglich erscheint." Habe Dank. Stresemann, für diesen Weih nachtsgruß an Polinski und Konsorten! Krieg zwischen Paraguay und Bolivien. Zwei südamerikanische Staaten, wenn auch klein und unbedeutend der Bevölkerugszahl und der Wirtschaft nach, haben bewiesen, daß es trotz Völkerbund dennoch geht — das Krieg- führcn nämlich. Beide sind Mitglied dieses edlen Verbrüderungsinstituts, aber keiner kümmert sich darum, sondern handelt nach dem alten Prinzip: Angriff ist die beste Verteidigung, wobei jeder vom anderen behauptet: Du hast angesangsn. Man befürchtet, auch die anderen südamerika nischen Mächte könnten in den Streit einbe griffen werden. Briand hat als amtierender Ratspräsident des Völkerbundes vorwurfsvoll auf dessen Satzung aufmerksam gemacht. Vorläufig ohne Erfolg, denn so einige hundert Tote sinh schon auf jeder Seite vorhanden. Aman Ullah von Afghanistan hat einen Fehler gemacht. Er hat sich die westlichen Kulturländer angesehen und über das Gesehene soviel Entzücken empfunden, daß er auch seinem eigenen Volke teilgeben wollte an der Kultur Europas. Aber er hätte zuvor die schlichten Leute seines Nordostens in ein paar hundert Exemvlaren gleichfalls nach Europa schicken oder zwangsverschicken sollen, damit sie sich an Ort und Stelle überzeugt hätten von dem, was Aman Ulla ibnen zu gedacht hatte. Jetzt machen sie ihm die Hölle heiß, stürmen und beschießen die Hauptstadt, und man kann noch nicht absehen, wie der Aufstand abläuft. Der „gemilderte" Besatzungsdruck. DaS klingt wie ein Spott, wenn man sich die zahlreichen Ein- und Hebelgriffe ver gegenwärtigt, die von feiten der Besatzung sich immer wieder ereignen. Der neueste Alt ist die Nachforschung nach angeblichen Svionen, die von Mainz ausgeht und unter Aus schluß der deutschen Behörden statt- findet. Und der allerneueste, das Ludwigs hafener Verbot des Plakatsäulenanschlages, auf dem die gemeinsame Forderung aller Parteien der Stadtverwaltung zu lesen war, daß das besetzte Gebiet geräumt werden solle. Zwei Tage lang war das Plakat schon angeschlagen, und niemand von der Besatzung hatte Veranlassung, sich „bedroht" zu fühlen. Dennoch befahl die Besatzung die Entfernung des Plakates unter Strafandrohung. Ludwigs hafen mußte gehorchen. Jedoch erhoben Stadt und Parteien alsbald Einspruch, und vom Reiche her wird dieser Eiirspruch lebhaft unter stützt. Von allen Seiten wird die Rechtmäßig keit des Verlangens der Bevölkerung auf Entfernung der Besatzung betont. Aber stets wird auch damit die Versicherung verbunden, daß auf keinen Fall das Reich wirtschaftliche Mehrbelastungen übernehmen dürfe, um das Recht der Befreiung erst noch einmal zu erkaufen. Lieber will die Bevölkerung aus harren bis zum Jahre 1935, in welchem die Besatzung unweigerlich abziehen muß. Das Reichsehrenmal, so wurde im Reichstagsausschuß für die be setzten Gebiete beschlossen, soll erst nach Be freiung der Rheinlande von der Fremdbe satzung errichtet werden. Bekanntlich hatte Berka in Thüringen Aussicht, das ReichSehren- mal zu erhalten. Es bestehen aber zweifel los auch noch starke Neigungen, das Reichs ehrenmal an den Rhein zu setzen, wo ja auch das Niederwalddenkmal als deutsches Wahr zeichen seinen Platz gesunden hat. V. D. „Ganz nicht", knurrte der Professor. „Na, die Wirtschaft hat er eben abgestoßen, und freuen Sie sich, in sechs Wochen ist er hier." „In Berlin?" „Zuerst ja, und dann unten am Bodensee, da soll er uns bauen helfen. Aber davon können Sie doch nichts gewußt haben. Kann ich sonst Helsen?" Hilde setzte ihm ihren Wunsch auseinander, erklärte, daß sie eine Ausstellung vorhabe, daß sie Köpfe brauche, und studierte dabei immerzu das energische, Willensstärke Gesicht. „Also, wenn ich Ihnen nützlich sein kann —" Udenhof verglich unwillkürlich die Züge der Geschwister miteinander. Eins hatten die beiden gemeinsam: den geraden, offenen Blick, das Auge, das nicht auswich, wenn man scharf hineinsah, sondern das standhielt. Und doch, so ganz eins waren sie nicht. Prägte sich da nun allein der Altersunterschied aus, oder war es mehr? Krieg und Nachkriegszeit hatten einen großen Strich gezogen, die Äeltersn leb ten immer noch etwas m der Zeit, die einmal gewesen war und glaubten, eine Menschenhand könne den großen Zeiger zurückstcllen, der unerbittlich und immer weitergeht. So war Geisenheim. Das Wachwerden des Mädchens war in eine andere Zeit gefallen, in der der ruhige Fluß zum rasenden Strom geworden war, in der alles jagte, hetzte, einstürzte und wieder aufstieg. Hilde hatte ihre Zeit sich nicht auswählen können, kein Mensch kann das, sie mußte sich mit ihr abfinden, und nicht nur das, meistern mußte sie sie. Noch nie hatten Jugend und Alter einander so wenig verstanden wie in diesen Jahren. „Sie sind ein Idealist, Herr Professor", sagte sie. „Ideale Menschen kommen mir selten vor das Objektiv." So wie sie es sagte, war es eine kühl-sachliche Feststellung, keine Schmeichelei. „Andere nennen so etwas Querkopf." Sie lachte. „Das sind Sie auch. Idea lismus ist nicht immer mit Weichheit verbun den, besonders nicht, wenn er ans ein großes Ziel gerichtet ist, dann wird er hart, muß hart werden, denn dann ist er der Glaube an ein Morgen, das heute für die Allgemeinheit noch nicht zu erkennen ist." Und als er sie verblüfft ansah: „Sie meinen, das ist keine Damenunterhaltung nach dem alten Schema. Wir müssen immerzu erkennen, definieren und festlegen, es liegt in der neuen Einstellung der Frau begründet." „Ein bißchen zu hoch ist mir das schon" „Es ist nur halb so schlimm, es klingt neu, aber es ist nicht absurd." Sie stand auf und sah nach der Uhr. „Lieber Himmel, wie habe ich mich vertrödelt!" „Also doch Weib", lachte er. Sie lachte wieder, und als sie sich die Hand zum Abschied gaben, taten sie es als die besten Frennde. — Im Atelier erhob sich eine blonde, fast etwas schmächtige Fran mit harten, eckigen Zügen, die aber bei aller Härte nicht unschön wirkten, das Haar war strähnig. von einer gewollten Unordentlichkeit, der Anzug elegant. Etwas unbefriedigt Suchendes lag in diesem Gesicht, etwas Zerrissenes und doch etwas An ziehendes. , „Ich bin Carla Sendler." Ihrer Art nach mach'e Hilde eine einladende Handbewegung, die zum Sitzen aufsorderte. Aber die andere blieb stehen. „Ich bin nicht gekommen, um ein Bild von mir aufnehmen zu lassen — wenigstens nicht nur dazu." „Ich verstehe Sie nicht, gnädige Frau." Die ging direkt auf ihr Ziel vor. „Nehmen Sie Schülerinnen an?" „Ich habe bisher noch nicht daran gedacht." „Dann denken Sie bitte daran, an mich." Als der Gast sich gesetzt hatte, ließ sich auch Hilde in ihrem Stuhl nieder. „Etwas über- raschend kommt mir Ihre Anfrage schon." „Den Jahren nach bin ich vielleicht ebenso alt wie Sie, aber ich bin älter. Sie sind junges Mädchen, auch wenn Sie selbständig im Berufsleben stehen, ich bin geschieden, warnm, gehört wohl nicht hierher. Wenn es Sie moralisch beruhigt, kann ich Ihnen ver sichern, daß ich schuldlos geschieden bin. Uebri- gens messe ich dem keine Bedeutung bei, es ist eine Formsache, die sich zwangläufig aus der Gesetzgebung ergibt. Mein Mann und ich — aber lassen wir das! Ich bewohne die von meinen Eltern ererbte Villa in Dahlem, bin nach landläufigen Begriffen reich, unabhängig, aber nicht subaltern genug, um ein Dasein nur um des Daseins willen zu führen, in dem ich Zweck und Ziel nicht erkennen kann. Ich habe in Photographie eine gründliche Aus bildung im Letteverein genossen, habe mich mit der Materie wirklich beschäftigt, ein Examen abgelegt und gelte als ausgebildet. Zufrieden heit mit den Dingen, wie sie sind, ist nicht mein Fall, ich kann nichts ohne weiteres als gegeben hinnehmen. Ich sehe nun seit einiger Zeit Ihre Bilder und weiß, was mir fehlt. Aber warum betrachten Sie mich so eifrig?" Hilde hatte ihr Gegenüber unwillkürlich so gemustert, wie sie es mit ihren Objekten zu tun Pflegte, das war ihre Art, zu erkennen. „Ich beschäftige mich mit Ihnen", sagte sie ruhig „Ich weiß, daß der Mensch Ihnen nur Stndienobjekt ist, daß Sie aus Ihren Bildern sich gewissermaßen eine Leiter schaffen, um an ihr hinaufzusteigen." „Sie beobachten scharf." „Das macht mich zu dem, was ich will, nur geeignet. Wollen Sie es mit mir ver suchen ?" Hilde antwortete nicht sofort. Die Finger der anderen krampften sich nervös. „Fürchten Sie, daß ich Ihnen schaden könnte?" „Nein", Hilde schüttelte den Kopf. „Ich würde ebensowenig aus Talentlojigkeit ein Talent schaffen wie eins unterdrücken können. Das Trickmäßige ist bald gelehrt. Wenn es Ihnen recht ist —" „Also beginnen wir", sagte Carla Sendler. 12. Am Tage nach der Eröffnung ihrer Aus stellung bei Schulte saß Hilde Jobst Hallbaum im Cafö des Edenhotels gegenüber. Der strichelte, während sie sich miteinander unter- . hielten, auf seinem Skizzenblock herum, prüfte ab und zu rasch, streifte die Zigarettenasche ab und vergaß auch nicht, seine ganze Umgebung zu beobachten. Keine auffallende Frauenge stalt, die das Lass betrat, entging ihm. „Für wen zeichnest du mich eigentlich", fragte sie. Er antwortete zuerst gar nicht, eine beson dere Kopfhaltung, die nur ihr eigentümlich war, erschien ihm plötzlich als etwas ganz Neues. Ein paar frech hingeworfcne Striche hielten sie fest. „Ich weiß noch nicht." „Sag mal, vor einer Stunde rufst du mich an, machst es ganz dringend, ich muß alles stehen und liegen lassen, und dann weißt du nicht einmal, wofür du arbeitest." „Du bist immer so komisch, Hilde, vor einer Stunde war es eben dringend. Ich sitze bei Cassierer*) und wir sprechen über deine .Kritiken — fabelhafte Kritiken hast du übrigens bekommen, hast du sie schon gelesen?" „Bleib bei der Sache, Jobst, was habt ihr bei Cassirer besprochen?" „Er will eine Hilde-Geisenheim-Mappe her ausgeben, unter irgendeinem Motto. „Von der Studie zum Photoporträt" oder so ähnlich. Es kann auch ganz anders sein. Umschlagent- wurs von mir, Reklamen, von Subskription hat er, glaube ich, auch gesprochen. Natürlich alles im Kursürstendammstil." „Davon weiß ich ja noch nichts." „Jetzt weißt du's. Gott, so was entwickelt sich doch! Du bist viel zu schwerfällig, Hilde." „Das predigt mir Carla Sendler auch jeden Tag." Hallbaum ließ den Stift sinken. „Die Sendler aus Dahlem, was hast du mit der zu tun?" Sie spottete. „Du fragst ja so schwerfällig, Jöbstchen, sie ist meine Elevin." „Das ist fabelhaft!" „Ach so, weil sie eine Villa in Dahlem hat?" „Nu zitier noch Goethe: Am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles" oder so. Nee du, die Sendler ist ganz große Klasse, geborene Schwerindustrie, geschiedene Hochfinanz — und die lernt photographieren?" „Wahrscheinlich so, wie sic vor einem Jahre chauffieren gelernt hat oder malen oder reiten, und wie sie in einem halben Jahre was ganz a-deres machen wird." Und mit einem hoch- mütig abweisenden Zug: „Ihr seid ja alle so hier." ,Warum hast du sie dann angenommen?" „Du fragst recht viel heute, Jöbstchen, sie interessiert mich als Mensch. Dich sehe ich ge- Casjierer, bedeutender Kunstverlag. legentlich, du erscheinst kometenhaft und gehst wieder, meine Objekte sehe ich, wenn's hoch kommt, drei-, viermal im Jahr, es gibt wirklich Menschen, die sich sooft photogravhiercn lassen, manche sogar noch öfter, aber so ganz hineinknien in euch konnte ich mich bisher noch nicht." „Wer ist euch?" „Ihr Berliner, ihr Kurfürstendamm- Menschen. Setz dich doch einmal hin und seziere dich, mein Junge, erkenne dich einmal, das ist ab und zu nämlich ganz gesund. Du hättest mit deinem Block da auch zu mir kommen können, aber nein, die Kafiehaus- luft ist dein Element. Sag mal, weißt du eigentlich, daß es da draußen, so außerhalb von Berlin meine ich, gleich hinter Wannsee, daß es da noch richtiges Land gibt?" „Oho!" „Gar nichts oho! In München auf der Akademie Hohen wir geschwabingert, mancher tut's kurze Zeit, mancher länger, mancher verlernt's nie. Ich glaube, zu denen gehörst du." „Hast du nicht auch in München mit bei dem — ich weiß nicht mehr, wie er heißt, nur daß man alles anschreiben lassen konnte, weiß ich — gesessen und über moderne Kunst Reden gehalten? Natürlich unter Ablehnung alles dessen, was bisher fabriziert wurde und was die Museen füllte." „Die Alte Pinakothek habe ich immer geschätzt." „Na ja, das Klassische haben wir ja auch gelten lassen. Aber davon wollte ich reden, daß du damals die Schwabingerei ganz gern mitgemacht hast." „Aber jetzt nicht mehr. Na, bleiben wir beim Thema! Erkennung des eigenen Jch's, das natürlich groß geschrieben wird. Ihr habt keinen eigenen Willen, ihr laßt euch treiben. Ihr kommt mir wie Menschen vor, die immer oben auf den Wellen reiten, wenn's geht, ohne dabei naß zu werden, und sie sich scheuen, einmal ihre Armkräste anzuspannen und gegen den Strom zu schwimmen." Sein Bleistift flog über das Papier, sie hatte kaum ausgesprochen, als er ihr eine seiner berühmten frechen Skizzen hinhielt. Ein ausschäumendes Meer und aus den Kämmen in Badeanzug und Reitstiefeln ein Chor von Menschen, ein paar Typen dabei, die an den Nebentischen saßen, markant hcrausge- arbeitet, boshaft karikiert. „Untalentiert bist du wirklich nicht", mußte sie anerkennen. Er nahm's als selbstverständlich. „Ich werde dich heute doch besuchen." „Wegen Carla Sendler?" „Auch! Also sagen wir, draußen steht mein Buick, wir fahren zum Kurfürslendamm und essen bei dir zn Abend." „Einen Wagen hast du?" „Jeder Berliner hat einen Wagen, den stottert man fo in achtzehn Monate« zusammL»-"