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Bismarck. Zur 30. Wiederkehr seines Todestages. Am 29. Juli vor 30. Jahren schloß Bis marck für immer die Augen. Ein kurzes Men schenalter erst ruht er im Sachsenwalde, und doch reckt seine Gestalt sich riesenhaft schon in die Legende und ist sein politisches Tun Geschichte geworden. Ein großer Teil von uns hat ihn noch er lebt in seinem Wirken und erinnert sich wohl noch der Zeit, als Bismarck aus seinen Aem- tern scheiden mußte. Ein Staunen ging da mals durch die ganze Welt. Aber in Deutsch land selber verstand man im Augenblick nicht, was geschehen war. Erst nach und nach wand ten sich die Herzen zu dem einsamen Manne im Sachsenwalde, und als er starb, da trauerte das ganze Volk um ihn. Ms er starb? „Er ist niemals gestorben, .... denn sein Geist lebt, lebt mit dem Deutschen Reich, das er geschossen hat, und das sich kräftig genug erwiesen hat, die Stürme des Weltkrieges und der nachfolgenden poli tisch rauhen Zett zu überdauern. Das Mausoleum in Friedrichsrnh Diesenkgen, die zu ihm zum Sachsenwalds wallfahrtcten, um ihm den Zoll des Dankes und der Anhänglichkeit des Volkes darzubrin gen, sie kannten ihn und ehrten ihn als den unerschrockenen Kämpfer und den Mann des Erfolges. Wie recht sr mit seinen Warnun gen hatte, das haben die Deutschen erst 20, 30 Jahre später richtig verstehen gelernt. Man erschrickt, wenn man sich angesichts der haar scharfen Genauigkeit, mit der Bismarck in seinen Sorgen und Ratschlägen die Zukunft vorausgesehen hat, vergegenwärtigt, daß all das jahrzehntelang gelesen — und nicht be folgt worden ist. „Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht bloß kriegerisch« Rüstung, sondern auch ein richtiger politischer Blick dazu gehören, das deutsche Staatsschiff durch die Strö mungen der Koalitionen zu steuern, denen wir nach unserer geographischen Lage und unserer Vorgeschichte ausgesetzt sind. Durch Liebenswürdigkeiten und wirtschaftliche Trink gelder für befreundete Mächte werden wir den Gefahren, die im Schoße der Zukunft liegen, nicht Vorbeugen, sondern dis Be gehrlichkeit unserer einstweiligen Freunde und ihre Rechnung auf unser Gefühl sorgen voller Bedürftigkeit steigern. Meine Be fürchtung ist, daß auf dem eingeschlagenen Wege unsere Zukunft kleinen und vorüber gehenden Stimmungen der Gegenwart ge opfert wird. Frühere Herrscher sahen mehr auf Befähigung als auf Gehorsam ihrer Ratgeber..." Jetzt wissen wir es alle, aber Bismarck hat schon 20 Jahre vorher die unheilvolle diplomatische Situation von 1914 vorausge sehen. Der Sinn für die Sorgen und das Streben des großen Führers ist durch die bittere Lei densschule geschärft, durch die wir inzwischen gegangen sind. Nicht sein Name nur soll auf unseren Lippen schweben, sein Wesen und sein Wollen sollen in uns wirken, denn heute brauchen wir es mehr denn je. Die Gruft in Friedrichsrnh umschließt nur einen ver gänglichen Körper, aber ehrfurchtsvoll wollen wir von Zeit zu Zeit unsere Gedanken und unsere Schritte dorthin lenken, um einer Dankespslicht zu genügen, dis Generationen nicht abtragen können. Hlr. Wo Bismarck liegen soll. Nicht in Dom oder Fürstengruft, Er ruh' in Gottes freier Lust Draußen auf Berg und Halde, Noch besser tief, tief im Walde; Widukind lädt ihn zu sich ein: „Ein Sachse war er, drum ist er mein, Im Sachsenwald soll er begraben sein." Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt, Aber der Sachsenwald, der hält, Und kommen nach dreitausend Jahrei Fremde hier des Weges gefahren Und sehen, geborgen Vorm Licht der Sonnen, Den Waldgrund in Efeu tief umsponnen Und staunen der Schönheit und jauchzen froh, So gebietet einer: „Lärmt nicht so — Hier unten liegt Bismarck irgendwo." Theodor Fontane geschrieben am 31. Juli 1898. I« Tirol wird in einer Stadt nach der anderen bas Deutschtum ausgelöscht, die Namen der Stra ßen, der Geschäfte, der Behörden müssen ita lienisch wiedergegeben werden, alles Deutsch« wird unterdrückt. Neuerdings hat die Tiro ler Geistlichkeit eine Abordnung zum Papste geschickt, um den deutschen Religions unterricht durchzusetzen, den Mussolini versprochen hat. Es steht noch aus, was sie erreichen wird. Di« Verbrüderung der Sänger i» Wie« liegt den Deutschlandfeinden schwer im Magen. Es gibt unter ihnen hie und da eine Stimme, die sie davor warnt, sich gegenüber dieser ge waltigen und unaufhaltsamen Volksbewegung lächerlich zu machen. Aber die Mehrzahl schnaubt noch und droht damit, daß der Zu sammenschluß Deutschlands und Oesterreichs „verboten" sei durch — den Versailler Ver trag. Wann mache« wir denn end lich diesem Schwindel ein Ende? Stresemann fährt demnächst nach Paris. Wird er das wahre Kriegsschuldbuch mitnehmen? Ser letzte Hansbm. Ein Dauernroman aus der Lüneburger Heide. Von Hermann Löns. Copyright 1920 by Adolf Sponholtz Verlag G. m. b. H. Hannover. Der Bullerborn. Es war meist noch Nacht, da warf der Storch den Tan von sich und flog los. Mitten in der Heide lag ein klarer Pump, der Bullerborn geheißen; da ließ er sich nieder. Die Nebelhexen verjagten sich, als der Adebar angebraust kam, und als ein Heller Wind über die Heide lief und sie bei Seite stieß, und als die Sonne über die Wohld stieg und sie scharf ansah, da gaben sie das Tanzen über dem Bullerborn aus und machten, daß sie in das Bruch kamen. Der Storch ging um den Born herum und nickte mit dem Kopfe. Fische gab es nicht in dem Wasser, dazu war es zu frisch, und Frösche erst recht nicht, denn dazu war es zu wild. Wer aber lange in den Born sah, in dem das Wasser immer um und um ging, daß der weiße Sand nur so mülmte, der wußte, was der Storch da sucht«, und wenn der Pastor von Lichtelohe es auch einen Heiden schnack nannte, daß der Adebar aus demBullcr- born die Seelen für die kleinen Kinder holen sollte, die Bauern wußten das besser. Als die Sonne so hoch stand, daß sie just in den Born hineinsehen konnte, nahm der Storch sich auf und flog über das Bruch und die hohe Heide und die Felder, bis er da war, wo er hergekommen war, auf dem Hehlenhof, der ganz allein für sich in seinem Hausbusche lag, so daß man vor lauter Eichen und Hülsen und Holderbüschen, die hinter der mächtigen Mauer aus Ortsteincn wuchsen, nichts von ihm sah, als den Herdrauch. Die Störchin stand auf, als der Storch kam; er aber slog über das Hausdach fort und wß sich im Blumengarten hinter dem Wohn- hcuse nieder, wo der Flieder durch den Tau v ch und der Goldregen über den Zaun hing. Ec stand zwischen den Buchsbaumrabatten und h sich um; dann ging er bis zu der Ecke, ..w das Fenster der Dönze offen stand. Das Totenhuhn, das auf dem Windbrett ß und einen Diener über den anderen machte, nchle sich bald den Hals ab, aber es konnte nicht sehen, was der Adebar da machte, denn er war hinter einem der spitzen Machangel büsche, die rechts und links vor der Türe standen, kam aber bald wieder heraus, ging mitten in den Garten und flog fort. Pump, Teich. Adebar, Storch. Wohld, wilder, an- geflogener Wald, mülmen, Wirbeln. Hülse, Stechpalme. Holder, Holunder. Ortstein, Raseneisenstein. DSnze, Wohn- oder Schlafstube. Toten Huhn. Käuzchen. Wind- brett. in Pserdekopfform geschnittenes Giebelbrett. Machan - gel, Wachholder. Adebarstag. In der Schlafstube der Dönze lag die Bäuerin und in ihrem Arme der Hoferbe und beide atmeten durcheinander. Als der Storch sortflog, schlug das Kind die Augen auf und meldete sich. Die Bäuerin seufzt« den Schlaf fort, strich sich den Schweiß von der Stirn, sah um sich und lächelte, als sie das Kind sah, das mit den Händen nach ihrer Brust fühlte. Sie legte es an und sah zu, wie es trank. Im Flett gingen bedächtige Schritte, die Dönzentür ging leis« auf und der Bauer kam auf Strümpfen herein. Seine Augen lächelten, als er vor die Butze trat. Er strich mit seiner großen Hand über die Backe seiner Frau und mit einer Fingerspitze über den Kopf des Kindes, nickte und sagte: „Nötigen braucht man ihn nicht." Im Flett kamen wieder Schritte näher, eine große, breite Frau mit schönem Gesicht stand in der Türe. „Komm' man her, Großmutter," sagte der Bauer, „ich muß jetzt nach den Wiesen. Bei Uhre elfe bin ich wieder zurück." Er ging, aber in der Türe drehte er sich noch einmal um: „Es ist eine wahre Pracht, wie er trinkt." Die Großmutter nickte und sah zu, wie das Kind trank, und als es die Mutterbrust von sich stieß, nahm sie es hin und wickelte cs aus. Sie lachte, als sie die breite Brust und die geraden Glieder des Kindes sah. „Er ist säst zu schön für ein Dreitagekind, Detta," meinte sie, „so schier und eben. Und welche Masse Haare er hat, als wenn er sechs Wochen alt wäre. Und hat man schon bei einem Kinde, das noch nicht wochenalt ist, solche festen Nägel gesehen?" Sie klopfte es zärtlich, aber dann nahm sie das rechte Händchen des Kindes zwischen ihre Finger: „Den alten dnmmerhaftigcn Beisinger, den brauchte er nicht zu haben. Junge, Junge, was brauchst du els Finger?" Ihre Tochter lächelte: „Ach, Mutter, das ist ja wohl kein Unglück! Wer lang hat, läßt lang hängen. Und sein Großvater hat ja sogar zwölf gehabt." Die Großmutter machte eine krause Stirne: „Das ist es ja eben, das mit dem Großvater. Hätte er zehn Finger gehabt, dann hätte er wohl noch ein Enkelkind hüten können. Die alten vermuckten Beifinger! Alle Hehlmanns mit überzähligen Fingern hatten zuviel Hitze im Geblüt. Aber wenn man dieses Kind sieht, so hübsch, als wie es daliegt, mit Augen, wie der liebe Himmel, dann sollte man meinen, daß das bloß ein dummer Aberglauben ist. Die Zukunft liegt in Gottes Hand; wir wollen uns darüber keine Gedanken machen. Wer zu lang vorausdenkt, macht sich zu früh Sorgen." Sie legte das Kind hin, rief die Kleinmagd, daß sie das Wasssrwarmbier bringe, und als die Wöchnerin die Suppe ausgelöffelt hatte, strich ihr die Mutter das Kissen zurecht, schloß das Fenster der Fliegen wegen dicht zu und mahnte: „So, nun schlaf' man, daß du bald wieder beinig wirst." In der Tür blieb sie stehen: „Er sieht heute ganz anders aus den Augen, als wie die Tage vorher; er sieht einen heute schon ordent lich an, als wenn er einen kennen täte. Gestern hatte er noch gar keinen Blick in den Augen." Ihre Tochter lächelte: „Ja, Mutter, das bedünkt mich auch so. Aber heute ist ja auch AdebarStag." „Heidenschnack", warf die Großmutter lächelnd hin, dann ließ sie Tochter und Enkel für sich. Ss> Iasbutz «, pcifchüeßbare Bettstatt in der Dönze. Flett, der Teil der Hausdiele, auf der die Herdstatt ist. Wass er wärm bi er, Wöchnerinnen- und Krankensuppe. Der Beifinger. Das Kind schlief, und Detta Hehlmann sah es an, bis daß der gelbe Vogel draußen so laut zu pfeifen anfing, daß sie nach dem Fenster sehen mußte. Im Garten ging der Wind; das Weinlaub war rege und ein weißer Nägelchenbusch ging immer auf und ab. Der jungen Frau bedünkte es, als hätte sie das alles noch keinmal gesehen. Vier Tage waren es erst her, daß sie von den Füßen mußt«, aber ihr war zumute, als wenn ein Jahr darüber hin wäre. Noch keinmal war ihr das Weinlaub so schön vorgekommen und noch nie hatte der Wigclwagel so süß in den Hoseichen gesungen. Ihr wurde ganz weichmütig zu Sinne und die Augen gingen ihr über. Ihr war so wunderlich, daß sie die Hände falten mußte. Ihren Johann hatte sie, einen guten Mann, und dann dieses Kind, so schön und so gesund. Am ersten Maitage in der Frühe war es dagewesen, ein Morgenkind, ein Maikind, und darum war es wohl so schön. Die Nkutter hatte recht; heute hatte der Junge ganz andere Augen. Detta lächelte und dachte an die Worte der alten Magd: „Ani dritten Tage bekommt ein Kind die Seele. Der Adebar bringt sie ihm. Bis dahin ist es nichts mehr, als ein unver nünftiges Vieh." Das alte Mädch«n steckte voll von Heiden glauben. Sie war manchmal nicht ganz bei sich, die alte Hermine; sie hatte auch ein trauriges Leben gehabt. Sie war mit einem Großknecht versprochen gewesen. Da kam der Bonaparte und nahm ihr den Bräutigam. „Ich wollte ihm etwas Gutes mitgeben," hatte die alte Magd an Dettas Ehrentage er zählt, „und da konnte ich nicht anders, als meinem Karl zu willen zu sein. Und das ist mir heute noch nicht gereut." Der Bräutigam blieb in Rußland; es kam nie wieder eine Kunde von ihm. Sein Kind aber wuchs auf dem Hehlenhofe zu einem strammen Jungen heran und kein Mensch trug es ihm nach, daß er ein lediges Kind war. Zwei Jahre war er schon Kleinknecht, da schlug ihn der Schimmel tot. Das arme alte Mädchen! Die junge Frau sah zu ihrem Kinde hinab. Das rechte Händchen mit dem Beisinger lag auf dem Kissen. Ihr trat der Großvater ihres Jungen vor die Augen. Der wilde Hehlmann hatte er ge heißen. Ein Kerl, wie eine Tanne war er, mit Augen, die einen Hellen Blick Haiten. Der war auch mit zwölf Fingern auf die Welt gekommen und sein Haar hatte im Nacken just solchen Wirbel, wie sein Enkelkind, das er nicht mehr sehen sollte, denn er lag schon einige Jahre neben der Kirch«. Durch eigene Schuld war er mit sechzig Jahren unter die Erde gekommen, denn von Rechts wegen mußte er es aus hundert bringen. Aber seine zwölfhundert Morgen Eigcnjagd waren ihm zu wenig; er hatte immer den Grenzstein in der Tasche und jagte, soweit der Himmel blau und di« Heide brann war.