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102 Wechselmäkler. Jener Mann, der dort spielt und gewinnt, ohne zu prahlen, oder verliert, ohne Aufsehen zu erregen, der ist kein Wechsclmäkler. Wenn Sie aber beim Durchgehen durch eine Thür einen steifen, gezwungenen Menschen finden, der dort, wie ein Eckstein hingepflanzt, Ihnen zebn Minuten lang ein Hinderniß ist, ohne daß er cs werth hält, zu bemerken, wie sehr er Sie genirt; wenn Sie einen Menschen mit einer zuverläsfigen Miene bemerken, der laut spricht, während Musik gemacht wird; wenn Sie sehen, daß er einen leidenschaftlichen Musikliebhaber, der ihm bescheiden ein „still" zuruft, mit mitleidigem Blicke mißt; wenn Sie einen Menschen gewahren, der sich in semer Kravattc wie ein Rormännischcs Pferd trägt, einen Menschen, der in seine Diskussion fünf oder sechs Worte fallen läßt, die wie ein Urtheil ohne Appellation klingen; wenn Sie einen schon etwas dick bäuchigen Dandp, an den Kamin des großen Saales gelehnt, bemer ken, der bald laut, bald leise mit der schönsten Dame der Gesellschaft spricht, um ihr einige nichtssagende oder plumpe Komplimente über ihre Robe oder ihren Strauß zu sagen, als wenn er mitunter Perlen eines schönen Geistes fallen ließe; wenn Sie an einem Spiel tische sitzen, wo ein Spieler mit dem aufgehäuften Gold Geräusch macht, gleich viel, ob er gewinnt oder verliert; wenn Sie endlich von einem Stutzer, schon etwas über die Jugendjahre hinaus, verfolgt werden, der sich so viel wie möglich aller Plätze bemächtigen will, des ganzen Saales, der ganzen Luft, der ganzen Beleuchtung, so haben Sie, was Sie suchen, der ist Ihr Mann, der ist ein Wechsel- Mäkler. Dieser ist, man muß es gestehen, nicht geradezu ein Lumpenkerl, ein ungeschlachter Mensch, wie Sie es vielleicht glauben könnten; er ist vielmehr unendlich eingebildet, mit seiner Persönlichkeit unendlich zufrieden, seines Geistes unendlich gewiß. Dieser Mensch hat, was man auch sagen mag, nur Einen Verdruß, und der ist — Wechsel- Mäkler zu sepn. Und warum dieses? Darum: Im Allgemeine» ist dieser Mensch schön und noch jung; er hat eine ziemlich gute Erziehung genossen, er ist weder durchaus ein Narr, noch schlechterdings unwissend, zuweilen ist er reich und muß immer so erscheinen; er hat den breiten Lebensweg betreten und hält sich, ohne vielleicht daran zu zweifeln, für den Aristokraten des TageS. Alles dieses macht ihn wohl verlegen; er ist seinem Ursprünge noch so nahe und ist sich dessen bewußt. Gestern war er Commis, gestern verdiente er sich tausend Thaler in den BüreauS, deren Herr er heute ist; gestern noch lachte er wie ein gescheidter Junge über die Einbildung seines Herrn, dem er seine Stelle verdankt und der den Millionair spielt; gestern lachte, amüsirte er sich, ging inS Parterre der Oper, spielte er und war verdrießlich, wenn er verlor, und lustig, wenn er gewann; gestern hatte er eine schöne Geliebte, die ihn lieb hatte und die ihn bat, sie wenigstens Sonntags in das Parquct des Theaters zu führe», und hier lachte und weinte er, nach Inhalt des Drama's oder Vaudcvillc's; gestern war er ein Mensch, heute ist er Wechselmäkler; fürchterlicher Titel, der ihn durch alle Stunden seines Lebens niedcrbeugt, und der für ihn und für alle Andere ein widerliches Schauspiel wird. Leichte und gefällige Munterkeit kann unmöglich einem Men schen gnt kleiden, dessen. Vermöge» stets auf dem Spiele steht; die Sorglosigkeit und der leichte Sinn demjenigen, in dessen Händen die Kapitalien so vieler Klienten sich befinden; die Leichtigkeit des Herzens und Geistes dem Spekulanten, der von einer verderben bringenden Industrie lebt; weltliche Gedanken demjenigen, der den Gang der politischen Begebenheiten, von welchen seine Eristcnz ab hängt, besser als irgend Einer bemerken «nd kennen muß. Wenn der Wechsclmäkler unter ähnlichen Umständen ein Staatsmann wäre, ganz nach Gefallen leben, seinen Haushalt aus eigenen Mit teln bestreiten könnte, so würde ihm dieses Alles leicht zu ertragen sepn; allein seit der Revolution von I8Z0 benimmt er sich überall wie ein Weltmann; er ist cs und will es sepn, der Zufall hat ihn in diese Lage geworfen, und er beharrt darin; damals ist er dahin gelangt, überladen vom Gewicht seiner schwerfälligen Geschäfte, und das ist es, was ihm das Ansehen eines Schmetterlings mit bleiernen Flügeln giebt. Er will den ganzen Ernst seines Standes mit der Unqebundenheit der Mode verbinden, er muß so glänzend wie ein General-Pächter erscheinen und zugleich das Dekorum eines Beamten beobachten, der seine Ausgaben berechnen muß. Daher ist ein solches Individuum, das vielleicht ein außerordent licher Mensch geworden, wenn cs nichts gewesen wäre, oder das sicherlich ein erträglicher Mensch geworden, wenn es als Kaufmann mit neuen Moden oder baumwollenen Strümpfen gehandelt, nun rin linkisches, plumpes, ungeschicktes, eingcbildctcS Wesen, weil es, von geringer Herkunft und ein gewesener Handlungsdicncr, sich jetzt wie ein MarqniS tragen und wie ein Edelmann leben muß. Wenn wir uns nicht täuschen, so ist das die gegenwärtige Stellung des WcchsclmäklcrS. Was die Art von politischem Einfluß betrifft, die cr vor sieben oder acht Jahren, nach der Juli-Revolution geübt hat, so ist diese alle Tage mehr dem Verlöschen nahe. Wie die Wechsclmäkler in der That die ersten waren, die dem neuen Königshausc gehuldigt haben, so hat dieses sie auch freundlich ausgenommen, fetirt, in der Nationqlgarde ihnen Oberst-Epaulcttcs gegeben. Allein im Verhältnis), wie dieses Königshaus vorwärts- schrcitet, bildet cS sich auch seine eigene Aristokratie^ dic dcn Wechsel- Mäkler zurückdrängt. ES sind die Adjutanten des Königs der Fran zösin, dic Pairs, die man crncnnt, die Männer der Politik, die cS allmälig werden, dic großcn Staats-Verweser, die sich erheben, die alten Namen, die sich wieder versammeln; noch einige Jahre, und der Wechselmäkler wird wieder dahin zurückgekehrt sepn, wo er vor zehn Jahre» stand, und wo er auch hätte bleiben solle». Dies ist noch von einer besonderen Ursache abhängig, dic nicht unwerth scheint, hier näher erörtert zu werden. Die Gesellschaft der Wechselmäkler würde, als Gesellschaft betrachtet, eine furchtbare Körperschaft bilden, wenn sie einen politischen Einfluß gewinnen könnte; es ist aber ein Glück für dcn Staat, daß die Nothwendigkeit der Eristcnz, die unmittelbar und mächtiger wirkt, dem Wechselmäkler diesen Einfluß verbietet. Denn in einem Lande, wo der öffentliche Kredit als das Lebenselcmcnt des Staates betrachtet wird, ist eine Gesellschaft von Menschen, die ihn, wenn auch nicht befestigen, doch ändern und den Kapitalisten an der Börse einen panischen Schrecken einjagen kann, immer eine furchtbare Körperschaft. Allein der Wcch- selmäktcr ist nur insofern ein Mann der Politik, als cr Theil an der bestehenden Regierung nimmt, weil cr scin Glück aus den beweg lichen Sand der öffentlichen Fonds baut, welchen der geringste An wachs revolutiouairer Ideen fortreißen und zerstieben kann. Wäre es indeß dem Wechselmäkler lcicht, ein Mann der Politik zu werden, so würde zu fürchten sepn, daß cr, ohne Rücksicht aus scin Glück, die Anmaßung hätte, eine eigene Meinung haben, und die Hoffnung, Minister werden zu wollen. Einige entschlossene Wechselmäkler in der Deputaten-Kammer reichten dann hin, jeden Morgen die Eristcnz der Monarchie in Gefahr zu bringen. Das aber hält sie im Zügel: sie können keine Deputirtcn werdest. ^Warum nichts hat das Gesetz ihnen das verboten? Nein, das gewiß nicht; sic gehorchen bloß einer Nothwendigkeit, der auch Andere unterworfen zu sepn scheinen. Der Wechselmäkler hat die Verpflichtung, seine Geschäfte allein zu betreiben. Zu einer Zeit, wo die Gesetzgeber unter der Nase lächeln, Quodlibets machen und sprechen, als wenn sie selbst an ihre Worte glaubten, muß der Wechsclmäkler persönlich an der Börse erscheinen. Ein General- Prokurator kann durch einen Substituten klagbar werden; ein Rath durch einen Stellvertreter stimmen lassen; ein General durch seinen Adjutanten kommandiren; allein ein Wechselmäkler muß scin Geld selbst verdienen. Deshalb kann er bei den Deputaten keinen Sitz cinnehmcu. So hat Herr Dupin alle Muße, sie Luchse zu nennen, ohnr daß einer von ihnen ihn wieder Advokat nennen kann. UcbrigenS beginnt der Wechselmäkler, nachdem er aus der Po litik verschwunden, jetzt auch in finanzieller Hinsicht seine Wich tigkeit zu verlieren. Es hat sich nämlich in dcn Börsen - Cou- lissen aus seinem Schleichhandel ein anderer Schleichhandel ent wickelt, der ihm dcn größten Schaden zufügt. Der Winkel-Courtier verschlingt den Wechsclmäkler, und dieser kann sich wenig wehren, denn man kann wohl gegen das Gesetz handeln, wenn man auch von ihm eingesetzt ist, doch ist es schwer, vom Gesetz die Bestrafung derer zu fordern, die dasselbe Verbrechen begehen, wie wir, und die sich damit vcrthcidigcn können, daß ihnen dieses nicht förmlich unter sagt scp. Außer diesen Ursachen hat der Wechsclmäkler seit einiger Zeit an Achtung verloren, durch seine Thcilnahmc an jenen wabnwitzigen, im Unilaus gekommenen, industriell betriebenen, migcbcuer täuschenden Unternehmungen, bei denen er die Rolle eincs Kassircrs spielte, der am Eingänge das Lcgcgeld entgegen nimmt. Jetzt, da diese Posse ausgespielt hat, beschuldigt man ihn zwar nicht, daß cr die Einnahme in die Tasche gesteckt habe, jedenfalls aber hat man ihn in Verdacht, Theil daran genommen zu haben. So ist dcr Wechselmäkler einerseits als politische Macht vernichtet, indem ihm die Dcputirten-Kammer verschlossen ist; andererseits verliert sich anch seine finanzielle Macht, da das Spiel, von dem cr lebt, in die Hände dcr Winkel-Courtiers fällt. So bleibt ihm nichts mehr, um wichtig zu bleiben, als die Rcntcn-Konversion, durch welche ihm mehrere Millionen durch die Hände gehen, wovon ihm etwas übrig bleiben wird. Frodöric SouliL. Bibliographie. I^vue lUsrnblte<'l»r« et se» travaux pnIMo«. — Unter diesem Titel iß in Paris eine neue Monatschrist begründet worden, die s-hr glänzend ans gestattet und auch von reichem Inhalt ist. Das erste Hest enthalt eine» interessanten Aufsatz von Albert Lenoir „lieber Vmantinische Kirchen" und einen anderen von Polonceau- „lieber Kettenbrncken." Von allen neuen architektonischen Ersindungen, namentlich auch Englands, wird in diesem Journale Bericht erstattet- Die beigeiugtcn Abbildungen lasse» nichts zu wünschen übrig. Island. Der Engländer Dillon in Island.") Obschon dcr Norde» Europa's im buchstäblichcn Sinne keine terra mcvgmta mehr ist, so bietet er doch dem Wißbegierigen und Neugierigen immer noch vielen Stoff, dcr bis jetzt nicht ausgcbcutet worden. Schweden, Dänemark und Norwegen haben wir durch die gründlichen Mittheilungcn neuerer Reisenden hinreichend kennen gelernt; aber Island und Lappland besucht ein Brite nicht lcicht ans bloßer Liebhaberei. Island, jene schauerliche Heimat der Nebel und Vulkane, jenes riesige, vor den Polar-Ländern Amcrika's gelagerte Felsin- Bollwerk, vielleicht mit größerem Rechte der Ncuen Welt, als dcr Alte» beigezählt, verdient wegen seiner Lage, scincr wunderbarm Natur-Phänomene und der merkwürdigen Schicksale seiner Bewoh ner große Aufmerksamkeit. Der Mensch lebt hier wie in cwigcr Verbannung; fürchterliche Erdbeben und HungerSnotb bilden in periodischer Wiederkehr die Epochen der Geschichte dieser Insel; und gleichwohl haben die Isländer, ihrer Germanischen Abkunft immer eingedenk, unaufhörlich daran gearbeitet, sich aus finsterer Barbarei zu dem Lichte der Civilisation, das ihren entfernten Brüdern Jahr hunderte früher aufging, cmporzuringcn. '> vc'ioter in Icoi-nst »list I.a>>i«o<i. (Tin Winter in Island und Laiws land ) Bon Arthur DMon. r Bande. London,