Volltext Seite (XML)
103 Durch vorgängigen Aufenthalt in Dänemark und Schweden gegen die Beschwerden eines nordischen Winters abgehärtet, unter nahm es Herr Arthur Dillon, jene wahre »Inmu 1'bule Euro- pens zu besuchen, und das Ergcbniß seiner dortigen Beobachtungen ist ein für die Geschichte und die Beschreibung Islands sehr lehr reiches Werk, aus dem wir unsere» Lesern jetzt einiges Interessante mittheilen wollen. °) Die Geschichte dieser Insel, von der ersten Seeräuber-Landung im neunten Jahrhundert bis auf den heutigen Tag, ist eine Art von See-Roman, in welchem alle Begebenheiten das Gepräge des rauhen Älima's und des kühnsten, Tod und Gefahren trotzenden Unterneh mungsgeistes tragen: eine fast ununterbrochene Kette von Drang salen und Schrecknissen, die uns mit Schauder erfüllen und zugleich ein Staunen abnöthigen über die Macht der Gewohnheit, die das unglückliche Volk wie mit ehernen Banden an seine unwirthbare, im höchsten Grade stiefmütterliche Heimat fesselt. Besonders reich an Landplagen und Schrecknissen der Natur ist das vorige Jahrhundert gewesen, wie tue folgende Skizze zur Genüge darthut: „Im Jahre 1707 fand die Pockcnseuchc ihren Weg nach Island und raffte binnen einem Jahre über ein Dritthcil der Bevölkerung hinweg, die damals 47,000 Seelen betrug! Im Jahre lsSO erfolgte, nach mehreren vorangegangencn Mißjahren, ein fast allgemeines Mehstcrben, und dieses veranlaßte eine Hungersnoth, die to,ooo Menschen das Leben kostete. Das dritte und schrecklichste Unglück war (im Jahre 178Z) ein Ausbruch mehrerer Vulkane, so wüthend und verheerend, wie man ahn noch niemals erlebt hatte. Die Ge wässer des Flusses Skaptaa versiegten plötzlich, und ein Strom flüssigen Feuers trat an ihre Stelle; diesem folgten noch andere Lavaströme, die so reißend schnell sich heranwälztcn, daß die Be wohner aus ihre» Häusern flüchten mußten; man verspürte häufige Erdstöße, und ein in ähnlichen Fällen noch nie beobachtetes Phäno men, in Form einer dichten Wolke, hüllte die ganze Insel in totale Fiusterniß. Die Folgen waren noch verderblicher: in der Atmosphäre entstanden mevhitische DüiHe, und das mit vulkanischer Asche über deckte Erdreich erzeugte gütiges Futterkraut. Die Bewohner der Gegend um Skaptaa-Jökul wurde» von einer fauligen Epidemie hcimgcsucht; das Biehstcrbcn zog eine neue Hungersnoth »ach sich, und um allen Jammer voll zu machen, erschienen die Pocken ein zweites Mal. Man that von Dänemark aus alles Mögliche, um der Seuche Einhalt zu thun, konnte aber nicht verhindern, daß ein Biertheil der Bevölkerung den Unbilden der Natur, die vereint über fle hercingebrochcn, als Opfer fiel." Seit l78.t ist die Insel von physischen Revolutionen verschont geblieben, und sie verdankt es dieser Periode der Ruhe, daß ihre so dünn gesäete Population jetzt wenigstens nicht geringer ist, als sie vor jenen unseligen Katastrophen gewesen. Im Jahre 1800 kam cS zu einer drolligen Bürgersehde, einer versuchten Usurpation, welche die Isländer auf kurze Zeit anS ihre» mclcmcholischcn Gedanke» weckte. Ei» gewisser Jorgen Jorgenson, erst Kriegsgefangener und nachmals Midshipman auf einem Britischen Kriegsschiffe, kehrte, als der Krieg Englanvs mit Dänemark ausbrach, in seine Heimat zurück und übernahm das Kommando einer Schaluppe, wurde aber von einem Britischen Schiffe gekapert. Während Jorgenson auf sein Ehrenwort in London sich aushiclt, machte er die Bekanntschaft eines Seifensieders m> pu'n.'i, seines Namens Phelps, dem er die Vor theile eines Talg-Handels mit Island, so lange die Däne» daselbst keine» Zutritt hätten, auseinandcrsctzte. Von diesen Vorstellungen geblendet, schickte PhelpS den Jorgen mit einer Befrachtung dorthin und ernannte einen Halb-Franzosen, Namens Savignac, zum Supcr- kargo. Aber der Statthalter von Island untersagte allen Verkehr, und Jorgen ging, den Supcrkargo zurücklaffend, wieder in Ballast. Phelps wurde dadurch nicht cntmuthigt; er rüstete ein anderes Schiff aus und stach, mit einem Kaperbricse versehen, persönlich in die See. „Bei seiner Ankunft nahm er, kraft seines Kapcrbricfes, ein Dänisches Schiff, den „Orion", in Beschlag. Savignac meldete feinem Mandanten, der Statthalter habe einen Preis auf Herrn Phelps Kopf gesetzt. Als der Kaufmann dies erfuhr, befahl er seinem Capitain, sich der Person des Statthalters zu bemächtigen: der Statthalter wurde an einem Sonntag Nachmittag, als die Leute aus der Kirche kamen, arretirt und an Bord des Englischen Kauf- fahrcrs gebracht, wo er in strenger Hast blieb." „Jörgen, der bis dahin ruhig gewesen, trat nun hervor und ergriff die Zügel der Negierung. Er ließ eine Proclamation drucken, in welcher er JSland als eine unter Britischen Schutz zu stellende Republik erklärte, deren Flagge drei weiße Stockfische auf blauem Grunde scy» sollten. Auch machte er sich anheischig, die Insel in Vcrthcwlgungsstand zu setzen und die alte Rcgierungsform wieder herzustellcii. Da dieses Neformcnwcrt, wie natürlich, einige Zeit erforderte, so übernahm Jorgen einstweilen provisorisch die Ncgie- rungS - Geschäfte und begnügte sich mit den bescheidenen Titeln eines „Protektors von Island und BefcblshabcrS zu Lande und zur See!" „Da die Nützlichkeit pecuniairer Hülfsquellen Pcm neuen Dik tator nicht entging, so erklärte er alles Dänische Eigenthum der Republik verfalle». Um bei seine» ehemalige» Mitbürgern Popu larität zu erwerben, verkaufte er ihnen das konfiszirte Gctraibc für den halben Preis. Dann befahl er sammtlichen Dänischen Bewoh nern, ihre Waffen auSzulicfcrn, und verbot ibncn sogar das AuS- gehhn bei Todesstrafe. Die Kanonen des Englischen Schiffes, welche die ganze Hauptstadt in weniger als einer halben Stunde in einen '> Von Herrn Dillon's Neis« nach Lappland soll in einem besonderen Artikel die Nede seyn- Schutthaufen verwandeln konnten, benahmen den dortigen Dänen allen Much zum Widerstande, um so mehr, da ihr Statthalter ge fangen saß, und so installirte sich Jorgenson ganz unbehindert in der Behausung des Letzteren." „Nachdem er sich aus einigem aufgcrafften und nothdürftig ein- ercrzirlcn DiebcSgesindel eine Leibwache gebildet hatte, schritt er zu neuen Gewaltstreuhen: einige Beamten wurden abgcsetzt, andere verkästet und die Däne» bei jeder passenden Gelegenheit gebrand- schatzt. Sechs rostige Kanonen, die fast zwei Jahrhunderte lang unbenutzt in Beffestad gelegen hatten, ließ der Protektor herbei- schlcppen und eine Batterie zur Vertheidigung von Rcikiavik in Stand setzen. Die im Laufe des Sommers von PhelpS angckaufte Wolle wurde ballenweise aufgethürmt, uni eine Brustwehr zu bilden, und vaS Ganze erhielt einen möglichst militairischen Anstrich." „ES ist schwer zu sagen, wie weit Jorgenson's Pläne gediehen seyn würden, hätte man ihm nicht von Außen her das Handwerk gelegt. Man behauptete, einige Isländer von Einfluß, die lieber unter Britischer als unter Dänischer Herrschaft stehen wollten, seyen ihm eine mächtige Stütze gewesen; und die Klugheit vieler seiner Verordnungen scheint wirklich darauf hinzuwciscn, daß er von Per sonen geleitet wurde, die genaue Kenntniß des Landes und seiner Bewohner besaßen. Das Volk war aber zu sehr über die Insel zerstreut und zu wenig an politische Neuerungen gewöhnt, um sich lebhaft für die Revolution zu intercssiren, und außerdem schaltete der Protektor so willkürlich mit dem Eigcnthum der Privatleute, daß ihm viele Feinde erwuchsen." „Während Jorgenson in Rcikiavik de» Diktator spielte, Pie Dänen nach Herzenslust plagend und schindend, lief die Kriegs- Schaluppe „Talbot" unter Capitain A. Jones in Havnifiord ein, wo sie Kunde von dem erhielt, was in der Hauptstadt vorging. Sogleich begab sich der Capitain nach Rcikiavik, wo er die Batterie zerstören, die Stockfisch? Flagge hcrunternchmcn und an ihrer Stelle die Dänische Flagge aufpflanzcn ließ. Da der gewesene Statthalter mit nach England fahren wollte, um der Britischen Regierung von Jorgenson's Beginnen Rapport zu dringen, so ernannte Capitain Jones die beiden im Range nächsten Offiziere als seine interimistischen Stellvertreter." „Den Er-Diktator Jorgenson forderte der Capitain aus, nach England zu kommen und sich persönlich zu verantworten. Das Schiff des Seifensieders fuhr mit reicher Befrachtung von Island ab; als es aber kaum die Küste aus dem Gesicht verloren hatte, entdeckte man eine ausbrechende FeuerSbrnnst in demselben; die Mann schaft wurde durch Jorgenson gerettet, der ihnen in dem gekaperten „Orion" zu Hülfe kam — ohne Zweifel die rechtschaffenste und ver nünftigste Handlung, die er in seinem ganzen Leben ausgeführt. Man glaubte, die Dänischen Gefangenen hätten das Feuer angelegt; eS entstand aber höchst wahrscheinlich ohne menschliches Zuthun, da die Wollsäcke, welche als Brustwehr diene» sollten, durchnäßt an Bord geschafft wurden und also von selbst sich entzünden konnten. Jorgenson kam nach seiner Rückkehr in Untersuchung und mußte, da man ihn zwiefacher Felonie schuldig befand, nach Bvtanp-Bai wandern. Der Seifensieder Phelps, dessen Schiff nicht assckurirt gewesen, erklärte sich bankerott. Sv endete diese seltsame Revolution." Die Scadt Rcikiavik hat ein ziemlich sauberes Ansehen. Hinter der Stadt befindet sich ein See, der mit dein Meere in Verbindung steht. Im Winter, wenn der Schnee zu schmelzen anfängt, über- flnthet dieser See die ganze Ebene um die Kirche herum, so daß man der letztere» »ur auf Böten sich nähern kann. Die hölzernen Häuser sind mit Theer bestrichen und, wegen der häufigen Stürme vom Meere her, nur ein Stockwerk hoch gebaut. „Wenn man", so sagt der Verfasser, „die Häuser von der Bai aus betrachtet, fo scheinen sie nur mit dem Obcrthcil der Fenster aus dem Boden hervorzuragen, eine optische Täuschung, die ihren Grund darin hat, daß der Strand Höber als die Straße und außerdem mit großen Steinhaufen belegt ist, um die gedörrten Fische zu pressen. Die Mitte der Stadt erbebt sich nur wenig über das Niveau des hohen Wasscrstandcs, und bei stürmischem Wetter habe ich die See mehr als einmal in die Straßen eindringen sehen. Im vorjährigen Winter überschwemmte das Waffcr den unteren Stock vieler Häuser, die ziemlich weit vom Meere ablagc»; und versucht mau cs nicht, den Wogen durch Dämme zu steuern, so können leicht einige Häuser mitte» in der Stadt weggcschwemmt werden, da sie nnr auf steiner nen Plalformcn ruhen und keine solide Fundamente haben." „Die Kathedrale steht auf einem freien Platze, der im Sommer gewöhnlich mit Kausbudcn bedeckt ist. Sie ist aus gehauenen Steinen erbaut, mit hölzernem Dach und Glockenthurm, und an einer ihrer Seiten befindet sich eine Sakristei, nebst einem kleinen Gemach, in welches mau die Särge nicdcrstcllt, bevor sie in die Erde gesenkt werden. Die Rircheustükle im Parterre sind nur für das weibliche Geschlecht bdstimmt; die Männer haben ihre Plätze im Chor und auf der Gallerie. Einige Kerzen auf dem Altar, dessen Zierrathen in katholischem Geschmacke sind, beleuchten ein mittelmäßiges Gemälde, die Abnahme vom Kreuze verstellend. Zur Linken des Altars befin det sich rin vergitterter Sitz für den Bischof, der mir bei Priester weihen sein Amt verwaltet; in solchen Fällen trägt er über seinein atlassenen Chorrock eine purpurfarbige und goldgestickte Stola. Der Kandidat wird von zweien Priestern in Chorhemden vor die Stufen des Altars geführt, wo er eine lange Ermahnung in Lateinischer Sprache anhören muß, bevor er die geistliche Weihe empfängt. Der größere Theil der Agende besteht in Gesängen. Der Verfasser schildert uns das Innere der Isländischen Woh nungen sehr genau und befriedigend: — „Der Haupt-Eingang führt zunächst in einen dumpfigen Flur, der mit Sätteln und anderem Pferdegeschirr behangen ist. Je weiter