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298 tadelten, daß man in demselben nur tanze, um zu tanzen; da» Publikum aber zollte dieser neuen Gattung großen Beifall. Campra, dessen Debüt die Musik diese» Stücks war, schrieb nach her noch >8 Opern; aber seine Partituren, so wie die seiner Ne benbuhler, waren den Eomposiuonen Lully's so ähnlich, daß die Zuschauer sehr bald langweilig fanden, was sie anfangs bewun dert Hanen. Die Opern-Direkioren richteten sich mit erstaunlicher Schnelligkeit zu Grunde und folgien eben so rasch auf einander. Um ihre Geschäfte wieder zu heben, kam der Regem, welcher die Musik liebte und selbst Composilionen von sich ausfährcn ließ, auf den Einfall, Maskenbälle anzuordnen: es wurden deren vom II. November bis zum Schluß des Karneval« wöchentlich drei gegeben, doch auch dieses Mittel erwies sich bald unzulänglich, und man mußte auf etwa« Anderes denken. Händel, den die Engländer als einen der Ihrigen in Anspruch nehmen und den man al« den Vaier aller großen Tonsegcr Ger manischen Ursprungs betrachten kann, war dem Kurfürsten von Hannover, als derselbe den Englischen Thron bestieg, nach Lon don gefolgt. Dieser berühmte, aus Sachsen gebürtige Mann, der in Italien umer dem Namen II Sasson«, der Sachse, be kannt ist, war in jenem Lande gewesen und verstand sich auf die Iialiänischc Musik; er berief Sänger aus Italien an das Opern- Theaier seines zweiten Vaterlandes. Diese machten dort großes Aufsehen, ihr Ruf drang nach Frankreich, und der Regent wünschte sie in Paris zu hören. Er starb aber in demselben Jahre, wo er einen Kontrakt mit ihnen abgeschlossen hatte, der nach seinem Tode nicht in Ausführung kam. Frankreich zog cs vor, sich bei seiner alten Musik zu langweilen, als sich für eine fremde zu iw eeressiren, und noch öfter spricht sich dieser Widerstand aus, der eigentlich um so unerklärlicher ist, da Lully, den man' für den Begründer der Französischen Musik hält, doch selbst ein Zögling der Jialiäner war. Ramcau kannte die Jialiänische Musik und haue sie auch voll kommen begriffen. Er nahm sich der Oper an, die fast ganz ver lassen war und in criödiender Monotonie dahinsicchie; doch haue er viel Mühe, sich geltend zu machen; ,,Hippolyt und Aricia", womit er 1733 zuerst auftrai, wurde anfänglich sehr kalt ausge nommen. Das Ballet „das galante Indien", „Castor und Pol lux" und „Dardanus" begründeten endlich seinen Ruf, und er wurde als der Reformator der Musik gepriesen, wogegen sich freilich die Verehrer Lully's auflehmen. Rameau siegte indeß über ihre Opposition, und bald fand man Lully's Composilionen, die noch immer aufgcführl wurden, viel zu dürftig und schleppend neben der lebhafteren und berechneteren Dcclamation des Kom ponisten des „Dardanus". Als Rameau ungefähr zwanzig Jahre lang die Oper be herrscht hatte, beriefen die Direktoren dieses Theaters, um den abnehmenden Enthusiasmus des Publikums wieder etwas anzu regen, Piemomesische Sänger, die allerhand Zwischenspiele auf» führten, wovon „die Magd als Herrin" von Pergvlese, 1752 zuerst gegeben, ganz besonders gefiel; die zwölf kvmi,chen Opern, die sie »ach und nach auf die Bühne brachte», vollendeten Ra- meau's Niederlage. Sie wurden kräftig durch eine neue Gene« raiion, die Encyklopädisten, unterstützt, die damals in Frankreich über Alles im Reiche des Gedankens und des Geschmacks zu ent scheiden hatten. Obgleich von Marmoniel mehrere Textbücher für Ramcau verfaßt waren, so gehörte er doch zu den ersten Gönnern der Jialiänischen Gattung; Diderot war ganz auf ihrer Seite, und sein Freund Grimm schrieb zu ihr?« Gunsten kleine Pamphlete, die von Geist und Witz sprühten. Rousseau, der da mals seine Laufbahn begann, wirkte für sie durch seine Bered samkeit und sein Beispiel. Drei Monate nach der Ankunft der Buffi, wie man seitdem alle Jialiänische Sänger nannte, wurde „der Wahrsager des Dorfes" in Fontainebleau und das Jahr darauf mit vielem Beifall in Paris gegeben,- Rousseau haue nach dem Beispiel der Jialiänische» Swiger de» Gesang an die Sielle der Declamaiion ireien lassen, und inan ist ihm vielen Dank schuldig, daß er auch in dieser Hinsicht sein Jahrhundert zur Vervollkommnung führte. Sein Brief über die Französische Mu sik, der damals erschien, war eine treffliche Zusammenfassung aller Punkte der schwebenden Frage, er gefiel aber den Musikern der Oper »ich«, und die Erbitterung gegen die Jialiäner stieg so sehr, daß man 1754 diese ruhmgekrömen Sänger wieder verabschiede««. Doch übcrirug man alle Opern, die sie aufgcführl, ins Franzö sische und gab sie auf dem Theater des Markies Si- Germain, welche» die Wiege der komischen Oper wurde. So ist also auch diese letzie Gattung, welche man heuizuiage als die volkschütw lichste unier allen Arien Französischer Musik beirachiei, ebenfalls nichts weiter als ein direkter Abkömmling der Jialiänischen Kunst, und Greiry, der einige Jahre späier so originell auftrai, ist nichl» Anderes, als ein Zögling der Buffi, für welche Grimm und Rousseau kämpften, wie Lully einst der Schüler jener Sänger war, die Mazarin aus seinem Vaierlandc herbeirief. Rameau überlebte diese Jialiänische Invasion und hielt sich nicht für geschlagen; bis 17«) fuhr er fori, zu komponire», aber seine Werke gefielen durchaus nicht mehr. Was lhaien nun die Direktoren der Königlichen Oper? Sie nahmen Lully's Opern wieder vor und wählten die besten davon au«; da wurde das Theater zur Einöde. Doch ein glücklicher Zufall kam dem Pu blikum zur Hülfe; während die Oper dahinstarb, erhob sich da« Ballet au« dem Dunkel, zu dem e« bis dahin verdamm, war, und schmückte sich mit neuem Glanze; die« Mal verbündete sich Deutschland mit Italien, um. diese Veränderung in« Werk zu feye». Noverrc, da« Haupt der Stuttgarter Schule, die Gar del'«, deren Vaier Balleimeistcr des Königs von Polen war, und die au» Florenz gebürtige Familie Vestris brachle» diese Um wälzung zu Stande. Die Anzüge, das Spiel, Alles wurde verbessert; zu den Tänzcn füg,e man die Pantomime; man suchte mehr Handluiig, mehr Interesse, mehr Ausdruck hineinzu- legen, und wahrend das Drama durch Diderot und Sudaine kraftvoll im Theatre-franyais sich Bahn brach, wollten dieselben Geister auch die Oper zwingen, ähnliche Neuerungen in ihren Schoß aufzunchme». Philidor, einer der größten Schachspieler seines Jahrhunderts, der ganz Europa durchreist war, um sich mit den größten Spielern zu messen, ließ sich in Pari« nieder und schrieb nach den Erinnerungen aller von ihm gehörten Mu sikstücke eine Menge von kölnische» Opern, deren Reminiszenzen für die Königliche Oper doch große Neuigkeiten waren. Am 6. April 1703 brannte das Opern - Theater im Palais- Royal ab. B>» zur Wiederherstellung des alten Saales, welche sich durch die Unterhandlungen des Herzogs von Orleans mit der Stadt Pari», die schon seu langer Zeii Eigenihümeri» des Pri vilegiums der Königliche» Oper war, sehr in die Länge zog, über« siedelie sich die Oper in die Tuilcricen. Erst am 26. Januar 1770 wurde der neue Saal mit dem „Zoroaster" von Rameau cröff- nei. Aber die Musik dieses Meisters war schon seit langer Zeit veraliet, konme also auch auf diesem verjüngten Theater nicht wieder zur Blüihe kommen, von dein bald kühne Neuerer Besitz »ahme», welche die Oper weit über die von Lully und Rameau gesteckten Gränzc» hinausfühnen. In jener Zeit stand die komi lche Oper weit über der großen Oper; Philidor's, Monstgny's und Greiry'« Werke hatte» mehr Melodiken, mehr Ausdruck und mehr wahre Musik, als alle jene emphattschen Composilioiien der Königliche» Oper. Diese besaß damals im Verein mit dem Thcaire - franeais das ausschließliche Privilegium aller Schau spiele von Paris; sie war cs, bei der die Gaukler mn Erlaubmß eiukommcn mußten, wenn sie ihre Kunststücke in Paris zeigen woll- te»; sie hatte der Jialiänischen Komödie, die von Zeit zu Zeit in Frankreich erschien, und der komischen Oper besondere Privi legien crihcili, und in diese beide» Theater verschanzien sich die von ihr verachicien Neuerungen, dorl warieic» die Jialiäner und jene Meister, die sich von der allen Musik losgesagi hatten, auf einen glücklichen Zciipunki, um die sich noch immer verihcidigende große Oper mii Siurm zu nehmen. Philidor und Monsigny Hanen schon Bresche in dieselbe geschossen, als Greiry sich zu ihnen gesellte und, schon ruhmgckröni, mit „Ecphalus imd Pro- kris" jene Bühne zuerst beirai- Gluck wohmc den Proben dieser Oper bei. Versteht die jetzige Generation wohl Gluck'« Verdienste zu schätzen? Der Enthusiasmus und die Streitigkeiten, die cr zur Zeit unserer Väter erregte, sind ganz verklungen, und selbst die Unpanciischsten wisse» nicht recht, wie sie ihn beuriheilen sollen. Seine Musik, die einst so viele Herzen rührte und so viele Gei ster entzündete, ist jetzt in Frankreich zu demselben Stillschweigen verdammt, in das durch ihn Lully und Ramcau versanken. Dem verständigen Hörer aber scheine» die nur selie» noch i» Äoiizcrlen aufgefühnen Composiiionen des Schöpfer« der „Ärmide" doch ein besseres Schicksal zu verdiene», und wenngleich die Instru mentation seitdem so große Fortschritte gemacht hat, daß seine Begleitung veraltet klingt, ist nicht die Macht seines Gesanges und die Erhabenheit seiner Melodiken bi« jetzt unübertroffen? Gluck wurde 1716 in einem Deutsche» Dorfe geboren. In Böh men wuchs er auf und wanderte als Waise bettelnd nach Wien, wo er studirie. Von dort ging er nach Italien, wo er mehrere Opern mii Erfolg aufführcn ließ, und begab sich dann nach Eng land, wurde aber von Händel, der damals »och lebie, nicht son derlich beachtet. Er kehrte nach Wien zurück, und immer uncr, müde« mii dem Schaffen neuer Opern beschäftigt, lebte er theils hier, «Heils in Italien. Ein Anderer hätte geglaubt, damit für sein Leben genug gcihan zu haben, für ihn aber war e« erst der Anfang seiner Laufbahn. So viel Arbeiten stählten nur immer mehr diesen unverwüstlichen Genius; er Harrie noch des günstigen Augenblicks, um in seiner ganzen Kraft hervorzuireien. Seine herrlichste Schöpfung war „Iphigenie in Aulis", 1774 zuerst in Paris aufgeführi. Marie Antoinette, der er Musikunterricht ge geben, haue ihn nach Frankreich berufen; sie verschaffte ihm eine Anstellung bei der Königlichen Oper, und die Popularität, deren sie sich anfänglich erfreut«, beseitigte alle Hindernisse und Vor- unheile. Als er nur erst freie» Spielraum hatte, riß Gluck durch die Gewalt seiner Muse das Publikum mit sich fort. (Fortsetzung folgt.) England. Zur Geschichte der Liebhaber-Theater. N. In Frankreich. In Frankreich gingen, wie in Italien, die Anfänge de» Drama's von Liebhaber»Theatern au»; nur waren hier Gelehrte und Personen von Rang und dort niedere Bürger und Priester die ersten Schauspieler. Eine Gesellschaft von Französischen Privat-Schauspielern, die sich den Namen „Lnians «ans 8oue>" gaben, wurde im Anfang der Regierung Karl'« VI. gegründet und blühte noch nach einem Jahrhundert zur Zeit, als Franz de« Ersten poetischer Kammerdiener, Marot, der Erfinder des rowleau, lebte. Sie bestand aus jungen vermögenden Leuten der mittleren Klasse», und die glänzendste Zeit dieser lustigen Brüderschaft war