Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrünumeralionS Preis 22j Sgr. (j Td>r > vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt aus dieses Beiblatt der Rlg- Pr. Staa» Zeitung in Berlin in Ler Exrediiion (FriedrichS-Trraße Nr. 72): in der Provinz so wie im Auslande hei den Wodllöbl. Poft-Aemtern. Literatur des Auslandes. .M 66. 1839. Berlin, Montag den 3. Juni Frankreich. Zwei Soireen im 17ten Jahrhundert. ") (März 1644.) Ein junger Abbe, von dem man große Erwartungen hegie, war vom Marquis de Feuguieres im Hoiel de Rambouillet vor gestellt worden- Man forderte ihn auf, über einen Tert, den das Loos bestimmen sollte, eine Predigt zu improvisiren; er erklärte sich bereit, doch da es an diesem Abend schon zu spät war, so verschob man die Sache auf den folgenden Tag. Eine Stunde später war der junge Mensch wieder im College de Navarre, wo er mit großen Schritten in seiner Zelle auf und ab ging. Eine halb erloschene Lampe beleuchtete schwach drei Stühle, ein Beu und einen Tisch, Alles voll von Büchern und Papieren. Ein eisiger Wind blies durch den Kamin und das Fenster; die Asche des Heerdes flog im Zimmer umher; die Pa piere bewegten sich, und ein unsichtbarer Finger schien in den offenen Büchern zu blättern. Doch er dachte nicht daran, das Fenster zu schließen oder sein Feuer anzufachen. Es giebt Augen blicke, wo der leibliche Mensch nicht existin, wo der Geist die „enge Nahl", die Seele und Körper bindet, zerreißt und diesem trägen Kerkermeister seinen ganzen Schwung, seine Freiheit und Unverwundbarkeit minheibi. „O, wenn doch schon morgen wäre!" rief er endlich nach langem Schweigen, mit dem Fuß stampfend; „noch zwanzig schreckliche Stunden! Die Thoren! Es wird spät, läglen sie; mir einen solchen Triumph zu nehmen...." Er biß sich in die Lippen und drehte sich hastig um, als wolle er sehen, ob ihn Niemand hören könne; dann fuhr er mit leiser Stimme fori: „Nun, ja-.-. Triumph,... warum nicht? Bin ich nicht meiner sicher in der ersten Begeisterung? Hab' ich das nicht zwanzig Mal bewiesen? Ich hätte einen glanzenden Erfolg gehabt.... Alles wäre zu Ende.... Aber morgen.... morgen! Bis morgen habe ich Zeil, die Gefahr zu messen; morgen werde ich zittern, morgen werde ich stammeln ...." Und seine Phantasie sühne ihm alle Scenen des Abends vor, jenen Salon mit den tausend Kerzen, jene Menge edler Damen, großer Herren, schöner Geister: alle diese Äugen sah er auf sich gehefiei, alle diese Ge sichter beim geringsten Fehler von seiner Seite zu einem maliiiösen, unbarmherzigen Lächeln gerüstet, alle diese Schriftsteller bereit, ihn zu krilistren, wenn er gut spräche, ihn zu vernichten, wenn es schlecht ginge. Umsonst suchte er sich zu vergegenwärtigen, mit welchem Wohlwollen mau ihn ausgenommen, mit welcher Wärme man von seinen Talenten gesprochen; vergebens suchte er in seinem Gedächmiß die eben so aufrichtigen als nachsichtigen Komplimeme, die so viele hohe Personen an ihn gerichtet Hanen, namentlich de^ Prinz von Cond«, so wie Herr von Momausier, der künftige Schwiegersohn der Madame von Rambouillet und der Dirigent jener Soireen, deren Seele seine schöne Julie war; er fand in seinem Innern immer nur zwei Dinge, die gleich sehr gemacht waren, ihn zu peinigen: die Furcht vor einem schlechten Debüt, und die siedende Begeisterung, die er immer mehr abnehmen fühlte- Es war in ihm von jeher ein unauslöschlicher Durst nach Lob und Ruhm; eine Menge kleiner Triumphe Haxe seine ersten Studien bezeichnet: im College von Dijon, seiner Heimat, waren alle Prämien nur für ihn da; im College de Navarre in Paris Hane er so eben in seinem siebzehnten Jahre eine philosophisch- theologische Thesis verrheidigl, von der die ganze Stadl ge sprochen hatte; der berühnue Doklor Nicolas Cornel war stolz, ihn seinen Schüler zu nennen, und Halle ihn dies vielleichi nur zu sehr merken lassen. Seine Träume von Ruhm und Glück schwebten ihm daher bei allen Arbeiten vor, ja selbst bei den unbedeutendsten Dingen des Lebens. Doch man glaube nicht, daß der Kultus des Ruhms seine einzige Religion war, daß er beim Eintreten in den geistlichen Stand, wie so viele Andere, nur an die Würden und Einkünfte der Kirche gedach, habe- Er war fromm, sehr fromm, und bei allen seinen Träumen vom Bislhum, dem Römischen Purpur, ja vielleicht gar der Tiara, strebte er doch ernstlich, ein guter ') Dieser Aussatz gehört >u einer größeren Reihe historischer Arbeiten über die wichtigsten literarischen Personen Les i7tm Jahrhunderts. Pfarrer zu werden. Aber er trennte seine eigenen Triumphe nicht von denen der Kirche; unwillkürlich bat er Gott am Fuß des Altars uni den Much und die Kraft, sein Jahrhundert zu beherrschen; er wollte, wie der heilige Bernhard in dem seinigen, das Orakel der Kirche und das Licht des Papstthum» werden. Der tiefste Glaube beseelte ihn, indem er sein Genie dem Dienst des Katholizismus weihte. Nur machte er die Sache der Kirche ein wenig zu sehr zur eigenen und maß sich im Voraus einen bedeutenden Aniheil an den Siegen zu, die er ihr zu erkämpfen hoffle. Man kann sich also von seiner Aufregung und Angst in der Lage, in der wir ihn eben geschildert, eine Vorstellung machen; es war eine Gelegenheit für ihn da, in einer Stunde vielleicht mehr Lorbeern zu sammeln, als in zehn Jahren auf dem Seminar! Mitternacht schlug, als ein Windstoß seine Lampe vollends auslöschie. Die Dunkelheit weckte ihn aus seinem Sinnen: er. bemerkte, daß ihm kalt sey, und als hätte sein Körper nur die Erlaubniß des Geistes abgewariel, um der Natur zu erliegen, fingen seine Beine an zu zittern, seine Zähne zu klappern; das Fenster widerstand lange seinen erstarrten Händen. Er legte sich ins Bett. Mil kaltem Leib und erhitztem Kopf suchte er lange den Schlaf und fand nur einen fieberhaften Schlummer, der noch grausamer war, als Schlaflosigkeit- Seltsame Töne beweg ten sich durch sein Ohr: bald Höne er das Geflüster im Salon Rambouillet, bald eine endlose Reihe barbarischer Syllogismen, die der traurige Nachgeschmack der Leclionen Meister Corner'« waren, bald die Orgel von Nolre-Dame; dann war er in der Louvre-Kapelle, vor dem König, dem Hof, auf der viclersehmen Ranzel, und sollte eben eine Predigt halten, von der er kein Wort mehr wußte; dann war er wieder in Noire-Dame, um ihn herum geheimnißvolle Gesänge, Weihrauchwolken, eine große bischöf liche Messe.... und der arme Abbe sah sich selbst zur Rechten des Altars, die Mura auf dem Haupt und das Kreuz in der Hand, unter dein karmoisinfarbenen Thronhimmel der Erz bischöfe. — Zwei seiner Freunde waren zu ihm getommen; sie hauen seine Bewegungen gehört und glaubten ihn krank- Sie weckten ihn, nicht ohne Mühe, auf. Etwas verwirrt beruhigte er sie und dankte ihnen für ihre Aufmerksamkeit: „Es war nur ein böser Traum", sagte er mit erzwungenem Lächeln; doch da mit diese Scene sich nicht wiederhole, stand er auf und las einige Kapitel der heiligen Schrift. Aber diese erhabenen Blätter, die sonst so mächtig sind gegen die Sorget, des Lebens, konnten seine eigenen in diesem Augenblick nur steigern: in jedem Vers las er den Text, den er morgen für seine Predigt zu bekommen glaubte, und er dachte darüber nach, nicht wie ein Christ, der Erbauung sucht, sondern wie ein Prediger, der nach Haupt, und Umer- Abtheilungen sucht. Daher schloß er auch bald das Buch und bar kuieend den Herrn der Herzen, dem seinigen mehr Ruhe und Demuth zu senden. Aber vergebens bemühte er sich, weiter nichts zu bitten; ein anderer Wunsch erfüllte seine Seele, ein an deres Wort bewegte sich auf seinen Lippen, und nachdem er es lange unterdrückt, rief er heftig: „Mem Go«! mein Go»! laß mich mit Ehren bestehen!" Versetzen wir uns jetzt in das Kabinel Monseigneur Pierre de Gondi's, Erzbischofs von Paris. Der Greis saß an einem guten Feuer und unterhielt sich mit einem seiner Secretaire. „Apropos", sagte er nach einer Pause, „Hal man diesem jungen Abbe sagen lassen, daß er zu mir kommen solle ?" — „Ja, Mon seigneur, er wird bald hier scyn." — „Gm. Ich wünschte schon lange, mich durch eigene Prüfung zu überzeugen, ob ec wirklich alles das ist, was man von ihm sagt; doch wartete ich eine schickliche Gelegenheit ab, denn sonst hätte er glauben können, ick) ließe ihn rufen, um ihn zu sehen. Man sagt, es fehle ihm mehr an Demuth als an Aufmunterung. Wir werden sehen- Sagt den Leuten, daß man ihn zu mir führe, sobald er da ist." Der Secreiair ging hinaus, und der Erzbischof nahm von eitlem Fach seiner Bibliothek drei bis vier große Bücher herab und blätterte darin. Aus dem Staub, mit döm sie bedeckt waren, konnte man schließen, daß Monseigneur seit langen Jahren ihre Ruhe nicht gestört habe- Als man die Thür öffnete, stellte er sie hastig an ihren Platz und nahm seinen eigenen in dem großen Lehnfeffel wieder ein- Wie unser Abbe den Befehl des Erzbischofs empfing, ahnte er sogleich, daß es sich um seine beabsichtigte Improvisation