Volltext Seite (XML)
263 eine Seele an Satan verkauft; er ist da» Alpha und Omega un serer socialen Zustände. Ohne ihn kann man keinen Schrill lhun, kein Verbrechen oder keine gute Handlung begehen, kein Werk der Kunst oder der Eitelkeit vollenden. Lr ist die Civilisation im Laden, die Gesellschaft in der Düie, die von Kopf zu Fuß be waffnete Noihwendigkeit, eine wirkliche Lncyklopädie, ein in Schubfächer, Flaschen und Beuiel abgeiheilies Leben. Le ist uns vorgekomincn, daß der Schug eines Gewürzkrämers dem eines mächtigen Mannes vorgezogen wurde; der eine iödie>, der an dere verleiht das Leben. Mau kann von der ganzen Welt ver laffen scyn; bewahrt man die Freundschaft des Gewürzkrämers, so lebt man wie die Made im Käse. Man würde sehr Unrecht haben, wenn man sagen wollte, daß der Gewürzkrämer nichts schaffen könne. Ouinquel war ein Gewürzkrämer, und durch seine Erfindung ist sein Name in die Sprache übergegangen. Wenn die Ärämerschaft plötzlich aufhöne, Pairs und Depu- lirle zu liefern, wenn sie die Lämpchen zu unseren Freudenfesten verweigerte, wenn sie die verirrten Fußgänger nicht mehr zurecht wiese, kein Geld wechselte und der Dame, welche auf der Straße von Nebelten befallen wird, nicht mehr ein Elas Wein reichte, wenn die Lampe des Gcwürzkrämers nicht gegen das Gas pro- lestirle, welches nm cilf Uhr erlischt, wenn er nicht mehr aus den „(ftm-aitutionnol" abvnmne oder Mann des Fortschritts würde, wenn er sich gegen den Momhyonschcn Tugcndpreis erklärte, nicht mehr Capuain seiner Compagnie werden wollte oder das Kreuz der Lhrcn Legion verschmähte, wenn er die einzelnen Blätter der Bücher läse, die er zu seinem Geschäfte verbraucht, wenn er die Symphoniccn im Konservatorium anhörte, Göricault bewunderte und Ballanche verstände, — so wäre er ein entartete» Wesen, welches verdiente, die ewig herabgezogcne, ewig wieder erhöhte Puppe zu scyn, welche die Witze des hungernden Künstlers, des undankbaren Schriftstellers, des verzweifelnden Saim-Simonisten zum Zielpunkt wählen. Aber man betrachte ihn doch nur auf merksam! Was ist er denn in der Thai? Lin kleinerbausbäckiger, dickbäuchiger Mensch, ein guter Vater, ein guter Gatte, ein gu ter Herr. Halten wir hier einen Augenblick an. Die Frau des Gcwürzkrämers hüt ihrem Manne bis in die Hölle des Französischen Spottes folgen muffen. Und warum hat man sie geopfert, sie zum zwiefachen Schiachtopfer gemacht? Ls heißt, sie habe an den Hof gehen wollen. Aber welche in einem Comptoir cmgcspcrne Frau empfindet nicht das Bcdürfniß, dasselbe zu verlassen, und welchen besseren Plan könnte sie wäh len, als die Umgebungen des Throne? In diesen Haushaltungen sieht man durch die Glasihür des Behältnisses hindurch, das gewöhnlich Ladcnstube genannt wird, und wo die alten guten Sinen aufrecht erhalten werde», die Gallen essen und winken- Lin Gewürzkrämer nimmt nie das lcichfenige Wort: ,,meine Frau" in den Mund; er sagt immer: ,,meine Gemahlin". In dem Worte Frau liegt etwas Rohes, Ungebildetes, Untergeordne tes; es verwandelt eine Gollhcii in eine Sache- Die Wilden haben Frauen, civilisinc Menschen Gemahlinnen, d. h. sänge Mädchen, welche sich zwischen cilf und zwölf Uhr nach der Mairie begeben haben, geleitet von einer Menge von Freundinnen und ge schmückt mit einem Myrrchcnkranzc, welcher dann unter dem Ge häuse der Slugnhr niedergclegt wird. Wenn der Gewürzkrämcr seine Fran durch die Stadl geleilet, so Hai er in seinem Wesen etwas Siolzes und Prahlendes, was ihn dem Äarrikamrenzeich« ncr in die Hande liefert. Er schmeckt das Glück, seinen Laden zu verlassen, so ganz, seine Gemahlin mach« so feilen Toilette, ihre Kleider sind so bauschig, daß ein Gcwürzkrämer mu scincr Frau auf der Straße mehr Platz einmmmi als jedes andere Paar. Hai er seine Fischonerkappc abgelegt, so würde er einem anderen Bürger nicht unähnlich sehen, wenn er sich nicht gleich durch die Worte: „meine theure Freundin", die er häufig gebraucht, indem er scincr Gattin die Veränderungen von Paris zeigt, zu erkennen gäbe. Macht er einen Spaziergang über Land, so setzt er sich gewiß an den staubigsten Ort im Gehölz von Romainville, Vin cennes oder Auteuil und brich« dann in Begeisterung aus über die Reinheil der Lust. Hier zvie überall erkenn« man ihn auch in scincr Vcrklesdung, an seiner Phraseologie und an seinen Mei nungen. Man sähr« auf einem öffenilichen Wagen nach Meaur, Mc- lun, Orleans und sitzt einem Manne gegenüber, der uns mit mißtrauischen Blicken bc«rach«ei. Man erschöpf« sich in Vermuthun- gen über diesen anfangs schweigsamen Unbekanmen. Ist es ein Ädvokai? ein neuer Pair? ein Büreaumann? Line leidende Frau sag«, daß sie noch nicht ganz von der Cholera hergestell« ist. Die Umcrhalmng komm« in Gang. Der Unbekanme ergreift das Wort: VIü-n<m damit ist Alle» gesagt und der Gewürz- krämcr nicht mehr zu verkennen. Lin Gewürzkrämcr spricht weder nwu-äonr, was affcklirl, noch msieu, was verächtlich scheint. Lr ha« sein lriumphirendes mö.Lou gefunden, welches miiie» inne zwischen der Ehrfurcht und der Selbstachtung steht. „^ö-sieu", sagt cr, „während der Cholcrazcit haben die drei größten Acrzic, Dupuytren, Brouffais und mä»äeu Magcndie, ihre Kranken ver schieden behandelt; cs sind beinahe Alle gestorben. -Sie haben gar nicht gewußt, was die Cholera ist, aber die Cholera ist eine Krankheit, an welcher man stirbt- Die sch gesehen habe, befan den sich schr schiech,. I„ dieser Zeil, mn-ü«u. Hai der Handel viel gelitten." Seine Politik läßt sich j» folgende Wvric zusammcnfaffen: „Uü.sftm, die Minister scheinen nicht zu wissen, was sie wollen. Wie viel auch gewechselt wird, cs bleibi immer dasselbe- Nur der Kaiser wußte sie ordentlich in Trab zu bringen. Was war das aber auch für ein Mann! Mit ihm Hal Frankreich viel ver loren." — Ist der Weg kurz und sprich, der Gewürzkrämer nicht, was indeß selten vorkommt, so erkennt man ihn an seiner An, sich zu schnauben. Er faßt einen Zipfel seines Taschentuches mit den Lippen, hebt es dann auf eine schwebende Weise in die Höhe, greift würdevoll an seine Nase und trompetet dann auf eine gräß liche Weise los. Einige Leute, welche das Wesen aller Dinge ergründen wollen, meinen einen großen Fehler an dem Gcwürzkrämer ent deckt zu haben. Sie sagen: er setzt sich zur Ruhe, und dann Hal er keinen Nutzen mehr. Was ihm er dann? Was wird aus ihm? Die Veriheidiger dieser ehrenwenhen Klaffe von Bürgern führen gewöhnlich an, daß der Sohn des Gcwürzkrämers meist Noia- rigs oder Advvkal, nie Maler oder Schriftsteller wird; dann kann er sagen: „Ich habe dem Lande meine Schuld abgetragen." Ich mache dem Gewürzkrämer nur Einen Vorwurf: er fin det sich zu häufig. Er muß selbst gestehen, daß cr gemein ist. Einige Moralisten behaupten, alle seine Tugenden schlügen zu Fehlern aus, sobald cr Eigcnchümcr würde. Dann erhält er einen leichten Anstrich von Wildheit, wird befehlshaberisch und verlier« seine Annehmlichkeft. Ich will diese Anschuldigungen nich« widerlegen, aber man betrachte die verschiedenen Menschen arten, ihre Seltsamkeiten, und frage sich dann, was es in diesem irdischen Iammerihale Vollkommenes gieb«. Balzac. England. Der Landsitz eines Englischen Edelmanns. „Sie werden doch nicht diesen Theil des Landes verlassen", sagte ein Mitreisender, „ohne Holkham Hall gesehen zu haben." — „Und seycn Sie versichert", fügte ein Anderer hinzu, „Sie werden mi« Ihrer Aufnahme zufrieden seyn. Es gieb« im ganzen Königreich kein so gastfreundliches Haus. Fremde wie Bekannte werden gleich gut empfangen, und der Eigcmhümer ist ein artiger alter Herr — Jahr alt und noch so munter wie ei» Fünfziger- Vor dreizehn Jahren war er kinderlos und heiraihsie eine neun zehnjährige Dame. Jetzt hat er fünf Kinder." Sammtliche Ländereien, mit Inbegriff von Gärten, Park, Waid, Wiesen und Kornfeldern, haben eigen Umfang von zehn Meilen, innerhalb dessen ein künstlicher See liegt, den Viele für den schönsten in England halten. Alleen und'Reitwege durch- schneiden die Gegend nach jeder paffenden Richtung. Hier kommr man umer einen Triumphbogen; vor Dir erhebt sich ein hoher Obelisk; rechts breiten sich fünfhundert Morgen Gerstenacker aus, und auf einmal tritt man in Lady Anne Coke's schönen Blumen garten, der nach Chamrey'S Geschmack entworfen ist. Es sind hier 22W Schafe von der wahren südlichen Zucht, dreihundert Sluck Hornvieh von der Devoner Race, dreißig Milchkühe in der Schweizern, fünfzig Pferde in den Ställen; zweihundert Pächter, die sich freuen, einen so trefflichen Grundherrn zu haben, und an zweitausend Arbeiter, die, n)ie man sagt, fortwährend von ihm beschäftigt werden. Ungefähr in der Mme des Ganzen steht das Schloß 'Holkham — ein prächtiger Bau, den Graf und Gräfin Leicester vor ungefähr achtzig Jahren aufführen ließen. Es be steht au» einem großen Eeniral-Gebäude mit vier Flügeln und Hai eine (Lngl.) Meile im Umfang. Das Haue ist zweimal wöchemlich für das Publikum offen, und das mi« Recht, denn cs enthält einen Schatz von Tapisserieen, Skulpturen und Malereien, die den Besucher für verwendete Zeil und Mühe reichlich ent schädigen. Holkham ist eines von den vielen Englischen Prioal- häuscrn, welche Kunst-Sammlungen enthalten. Es gicbl in England kein Louvre; das Land ist reich an Kunstwerken, aber sie sind zerstreu« — hier ist ein Claude, dor« ein Tiiian, und wieder Hunden Meilen «veiler umer modernen und antiken Skulp turen ein Salvator Rosa und ein Raphael. Daher ist cs kein Wunder, wenn unter allen Sehcnswürdig- kciien in England die Stamen und Bilder dem Reisenden den geringsten Genuß bieten. Man kann sich glücklich schätzen, wenn man mu einem Besitzer werthvoller Kunstwerke bekannt ist und dadurch freien und öfteren Zutritt zu seiner Sammlung erhält- Muß man sich aber, wie tausend andere Reisende, mit einem einzigen Besuch begnügen, dann Hal man von diesem Besuch wenig Genuß und noch weniger Belehrung. Gemästete Diener lreiben Einen im Sturm durch die Säle, und wenn man sie verläßl, sind die Meisterstücke, die man gesehen, im Gedächnuß eben so zerstreu!, wie im Königreich. Blcuhcim Housc ist ein schlagender Beleg hierfür; noch ärger aber ist es in Hampton Court- „Kann ich das Vergnügen haben, die Raphaelschen Kar tone zu sehen?" sagst Du freundlich zu einer jungen Pförtnerin, die an der Thur sitzt. — „Bitte, verziehen Sie nur einen Augen blick", antwortet die Dame, die noch mehr Gesellschaft erwartet, um sich ihre Ciccrvnedienste so hoch wie möglich belohnen zu lassen- Sie nimmt einen Schlüssel mit, und sobald die Thür, die in das eine Zimmer führt, offen ist, wird das Zimmer, da» man eben besehen, fest verschlossen. So muß man der unerbitt lichen Führerin dicht auf den Fersen scyn, während sic im Gehen rasch herleien: „Das ist von Sir Pcicr Lely, — das ist von Holbein, — da» «st ein Ruben«, — hier ist ein Wecnix." Es ist durchaus aller Regel zuwider, zurückzublciben, um ein einzelnes Stück zu bewundern, und so ist man gezwungen, mit der eilen den Dienerin und der fremden Gesellschaft mitzulauscn. Man wunden sich endlich, daß man in weniger als zehn Minuten über