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Niedersächsische Städte und Dörfer. Von Julius Zivan Kettler. (Fortsetzung.) 3. Hauuovcr. Die geographische Lage der Stadt Hannover ist wie die Hildesheims eng an Verhältnisse des Flusses geknüpft, der die Stadt dnrchströmt; dieser Fluß ist die Leine, der größte süd liche Nebenfluß der Aller. Fassen wir den betreffenden Abschnitt der Leine näher in's Auge. — Bon seinem Eintritt in hanno versches Gebiet abwärts verfolgt der Leinefluß auf der größten Strecke feines Laufes eiue im wesentlichen nördliche Richtung mit einer schwachen Neigung nach Nordwesten, ein langgestrecktes Thal bildend in den Berg- und Hügellandschaften des südlichen Hannover. Bei dem Bahnkreuzungspunkte Nordstemmen, wo das hochgelegene prachtvolle Schloß Marienburg wie ein weit hin schauender Markstein das südliche Hügelland von der nörd lichen Ebene trennt, erreichen die Höhenzüge des rechten Leine ufers, das sogenannte ostfälische Hügelland, ihren nördlichen Abschluß; ihnen schließt sich nach Norden jene Bucht des alten Meeresbodens an, an deren Rande wir auch Hildesheim liegen sahen. Das Hügelland hes linken Flußufers reicht jedoch noch weiter nach Norden hin; denn mit dem Schloßberge der Ma rienburg beginnt eine nach Nordwest streichende Reihe von Hü geln,-denen sich bald das Deistergebirge anschließt, das sich, ebenfalls in nordwestlicher Richtung, drei Meilen hin erstreckt, und das in einzelnen Punkten eine Meereshöhe von 400 w. erreicht. Dem der niedersächsischen Tiefebene zugekehrten Nord abfall dieser Bergkette ist noch ein niedriges Hügelland vorgelagert, dessen Höhenzüge meistens senkrecht auf der Längsrichtung des Deisters stehen, und welches im großen und ganzen ein Dreieck bildet, dessen Basis der Deister ist, während seine gegenüber liegende Spitze, der 44 m. über den Wasserspiegel der Leine aufsteigende Lindener Berg, weit nach Nordosten in die Ebene hineinragt. Dieses Hügelland, das sich von Nordstemmen noch nahezu 30 Km. nach Norden erstreckt, wird in einem weiten Bogen von der Leine umflossen; die letztere tritt mit einer nord östlichen Richtung bei Nordstemmen in die Ebene ein und be hält diese Richtung bis zum Städtchen Sarstedt, wo die von Südosten kommende Innerste sich mit der Leine vereinigt, welche dann eine nordwestliche Richtung annimmt. Die Richtung des Bogens, den derart die Leine zwischen Nordstemmen und Wun storf beschreibt, ist nordwestlich, jedoch mit einer starken Aus buchtung nach Nordost. — Auf die Mitte dieses Bogens sendet das hügelige Vorland des Deisters seinen äußersten Ausläufer aus, eben jenen Lindener Berg, der, ein zweiter Markstein, dort Gebirg und Hügelland von der Tiefebene abtrenut: von seinem Gipfel überschweift das Auge nach Norden die unab- fchbare Ebene mit ihren Heiden und Mooren, nach Süden das schwachgewellte üppige Getreideland der alten Meeresbucht, das hügelige Deistervorland und die waldreichen langgestreckten Züge des Deisters und des ostfälischen Berglandes, ja bei klarem Wetter erkennt man den Brocken, der in gerader Linie 104 Km. entfernt ist. Fünf Städte, über fünfzig Dörfer, dreißig Wind mühlen, zahlreiche Landgüter beleben das schöne Panorama und Zeigen in ihrer Bertheilung deutlich den Unterschieb zwischen dem reichen Süden und dem weit weniger fruchtbaren Norden, die hier sich berühren. Auch der Lindeuer Berg hat oder hatte noch einen kleinen nordöstlichen Vorläufer, einen jetzt nahezu gänzlich abgetragenen Hügel, den sogenannten „Berg". An dieser Stelle nun, in der Mitte ihres Bogens, durchbricht die Leine diesen letzten Angehörigen des Hügellandes, den „Berg"; den Zeichen aus oberer Kreide bestehenden Hügel durchschneidend hat sie sich hier ein tiefes Bett mit hohen Ufern ausgegraben. So entstand eine Art von oanou, eine im untern Laufe des Tlusses einzige Erscheinung, den der Fluß mit so raschem Falle durchströmt, daß später, bei wachsender Größe der Schiffe und abnehmendem Wasserreichthum der Leine, dadurch der Schiffahrt eine Grenze gesetzt wurde. Der Fluß, welcher unterhalb des Durchbruchs die zwischen dem „Berge" und dem Lindener Berge hindurchfließende Ihme ausgenommen, ist von hier abwärts für Aus allen Weittheilen. VI. Jahrg. Schiffe Von 120 Tonnen Tragfähigkeit fahrbar. Er theilt sich bei diesem hohen Ufer in drei Arme, von denen zwei den „Berg" durchbrechen, während ein dritter, jetzt großentheils ver schütteter in der Jhmeniederung zwischen den beiden Hügeln floß; auf diese Weise wurden zwei Inseln gebildet und damit ein Platz, welcher durch seine Lage guten Schutz bot gegen feindliche Angriffe und, feiner Höhe wegen, gegen Ueberschwem- mungen der noch ungebändigten Leine, während zugleich die Zerlegung des breiten Flußbettes in mehrere schmälere an dieser Stelle eine leichtere Passage des Flusses erlaubte. Daneben bezeichnet, wie erwähnt, diese hohe Uferstelle auch die Grenze einer südlichen Bucht des ehemaligen Meeres, die jetzt ein über aus fruchtbares Uebergangsglied zur Ebene bildet; mit ihr grenzen sich hier das hügelige Vorland des Deisters, größten- theils von einem fruchtbaren Lehmboden des Alluviums und Diluviums bedeckt, und die nördliche Ebene; die letztere senkt sich ganz allmählich, flach wie ein Tisch, zur Aller hinab; es ist bezeichnend, daß einige in der unmittelbarsten Nähe der Stadt entspringende Wässer durch die Wietze zur Aller abfließen! — An dieser charakteristischen Flußstelle mit dem hohen Ufer liegt Hannover. Die beschriebenen Verhältnisse der Lage Hannovers sind wohl solche, die eine erste Ansiedelung, anch wohl das Aufblühen einer Landstadt bewirken und befördern können; nicht aber ge nügen sie zur Erklärung des enormen Wachsthums der Stadt, wie es unser Jahrhundert uns zeigt. Die Bedingungen zu dieser höhern Entwicklung, wenn auch in geographischen Ver hältnissen enthalten, mußten erst durch historische Vorgänge ge weckt werden; erst spät kamen sie zur Wirksamkeit. Dagegen hatte die Stadt mit manchen Nachtheilen ihrer Lage zu kämpfen. In den ältesten historischen Zeiten erstreckte sich die Leine schiffahrt bedeutend weiter nach Süden; sie ging von Friesland bis nach Elze, wo Karl der Große oftmals Hoflager hielt, Elze war der südlichste Stromhafen und als solcher nicht ohne Be deutung. Ferner ging südlich von Hannover eine uralte Ver kehrsstraße des Westens zum Osten, der „Heleweg vor dem Sant- vorde", welcher Minden mit Hildesheim nnd Braunschweig ver band, diese viel älteren Handelssitze, die alle Hannover erst überflügeln mußte. Gewiß ist es ein Hemmniß für die Ent wickelung der Stadt gewesen, daß sie nicht an dieser großen Handelsstraße, sondern in ziemlich großer Entfernung nördlich von ihr gelegen war. Die an sich kleinen Orte, die südlich von Hannover am Heleweg lagen, haben der aufblühenden Stadt lange Zeit und nicht ohne allen Erfolg hemmend gegenüber ge standen. — Hannover mußte erst Residenz werden, um die Kraft zu erhalten, die lästigen Nachbarstüdte zu überflügeln und von den Vortheileü seiner weitern geographischen Lage den rechten Nutzen ziehen zu können. Als Hauptstadt des Landes Hannover wurde es auch Hauptstadt von Niedersachsen, war es doch, ein mal zur ansehnlicher» Stadt erwachsen, der natürliche Mittel punkt des alten Sachsenlandes, seitdem die Westfalen sich gänz lich vom Stamme abgesondert haben. Der dichtbevölkerte Süd osten unseres Landes hält dem weit größern, aber schwachbe völkerten Nordwesten die Wage, und Hannover, an ihrer Berührungsstelle gelegen, ist also der naturgemäße Schwerpunkt des ganzen Sachsenlandes, während Bremen nur als Haupt stadt des nördlichen Niedersachsen angesehen werden darf. Die Lage Hannovers an einem der von der Natur vorgezeich neten großen Handelswege vom deutschen Süden nach dem Nor den, an der von hier schiffbaren Leine, mußte auf den Spedi tionshandel der Stadt günstig einwirken; freilich konkurrirten ihm in großer Nähe Minden, der Weserhafen am Eintritt der Weser in die Ebene, und Braunschweig, die alte Hauptstadt des sächsischen Herzogthums. Beide Städte waren starke Rivalinnen; der so nahe gelegene Weserhafen namentlich mußte für Han nover von drückender Konkurrenzfähigkeit sein, solange die Schiff fahrt der sicherste und beste Beförderungsweg war. Auch Magdeburg wirkte vielleicht noch störend auf die Entwickelung 37