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307 und den Vorstufen ist ein neuer Einbau. Die Stallungen und > die Scheunen sind hart au die Häuser angebaut und bilden mit diesen nur ein Gebäude. Die Scheune hat einzelne offene, mit Balken oder Pfosten verschlagene Felder, durch die Ritzen dringen Acht und Luft, welche letztere für die großen Heuvorräthc un umgänglich nothwendig ist. Das Nationalhaus der Ober-En- gadiner findet man noch oft in allen Dörfern des Thales. Es hat in größerem und kleinerem Umfang ungefähr folgende Eintheilung: Das Erdgeschoß (I) — wir würden es mit fremdlän dischem Ausdruck Souterrain nennen — vertritt die Stelle von Hof, Stall und Keller, der Eingang (6) führt gewöhnlich schräg abwärts in den gepflasterten Hof oder Cuort (1), den der En- gadiner Bauer in dem langen harten Winter nicht offen neben dem Hause haben kann wie sein Nachbar im Tieflande; aus ihm führt eine Thür in den nach Bedürfnis; wieder abgetheilten Stall (2), welcher nur mit kleinen Lichtöffnungen und, wo die Lage es erlaubt, auch mit einem zweiten Ausgange versehen ist. Ungewölbte (3) und gewölbte (4, 4) Kellerräume nehmen den übrigen Raum ein; eine Treppe (5) führt nach oben. Das erste Stock (U) oder hohes Parterre hat von außen einen mit Stufen versehenen oder schräg anlaufenden Aufgang, letzteres >» dem Falle, wo der Henwagen durch die Vorderthür (8) und das große, gewöhnlich gepflasterte Borhaus (7) iu die Scheune sb) fährt, aus welcher dann wieder ein Thor (10) in's Freie !ich öffnet. Sind die Bodenslüchen von Vorhaus und Scheune verschieden, so führt wohl auch eine von Bohlen hergestellte Auffahrt zur Scheune, auf welche zur Beguemlichkeit für die äugthiere Latten querüber genagelt sind: der Fremde, der diese ungewohnte Passage betritt, hat dabei einen annähernden Be griff von dem, was man anderswo Treppe nennt. Die Wohn stube (11), eine gewölbte Küche (12) und eine gewölbte Speise kammer (13) füllen den übrigen Raum. Im zweiten Stock Rlj, dessen Raum durch das ziemlich flache, mit schweren ^limmerschieferplatte» aus dem Fexthale oder aus den Stein- driichen am Marmore gedeckte Dach beschränkt ist, finden wir wieder einen großen Vorranm (14), eine eingebaute Stube (15), Schlafkammcr (10), zu welcher gewöhnlich ein besonderes Treppchen aus der Wohnstube emporführt, eine gewölbte Kam mer (17) und eine gewölbte Vorrathskammer (18). Das tandesübliche Material, große Steine, ist hinreichend benutzt, Und die Häuser gleichen oft schweren Steinklumpcu, obgleich sie van außen ein nicht unfrenndliches, ja gefälliges, manche so bar ein recht stattliches Aussehen haben. Im allgemeinen herrscht im Ober-Engadin lobenswerthe Reinlichkeit in Wohnungen und Kleidern, sowie auch bei dem Hausrath und den Speisen. Auch ist in den Häusern ein ge wisser Luxus oder wenigstens eine nicht unpassende Zierlichkeit zu bemerken. Im Sommer ist immer noch eine bedeutende Anzahl ein heimischer Männer im Thale, von denen aber im Winter viele fortgehen, die einen, um ihre eigenen Geschäfte (meistens Zucker bäckereien oder Kaffeewirthschaften) zu leiten, die anderen, um als Arbeiter für die ersteren zu dienen. Die Geschäfte gehen aber besser im Winter als im Sommer, deswegen das Fort ziehen im Herbst und Wiederkommen im Frühjahr. Diese Leute aber, die nur dann und wann im Sommer hieher kommen, haben für die Arbeiten, welche das Klima dahier mit sich bringt, weder Lust noch Geschick; sie sind hier, um zu ruhen und zu genießen, und durch sie werden dann auch noch andere veran laßt, mit ihnen zu ruhen und zu genießen. Daher kommt es, daß im Ober-Engadin die Feldarbeit größtentheils von Frem den, vorzugsweise Lombarden und Tirolern, auch wohl vou Deutschen aus Avers und Domlcschg, verrichtet wird. Von den Einwohnern der Dörfer sind wohl selten die Hälfte Einheimische; denn auch die Pächter, deren es im Ober-Engadin viele gibt, sind meistens Graubündner aus andern Thäleru. Wenn man in den Archiven alte Bürgerregister durchlieft, so ist man er staunt über die vielen alten Familiennamen, die jetzt nicht mehr Vorkommen, wie über das Fehlen der neuern Namen. Bei dem kalten Klima ist es natürlich, daß ein gewisses Wohlleben hier zu herrschen pflegt. In den meisten Familien wird im Dezember, wenn es schon ordentlich kalt ist, ein wohl gemästeter Ochse und ein fettes Schwein geschlachtet. Viel von dem Fleische wird zu feinen Würsten zerhackt und frisch ge nossen oder nur wenig geräuchert für den Frühling und Som mer aufbewahrt. Ein Quantum wird wohl auch in einer Tonne bis zum April mit Schnee frisch erhalten. Das übrige Fleisch wird nicht oder wenig geräuchert, und nachdem cs einige Tage im Salze gelegen, in einer luftigen Kammer, wo möglich gegen Norden oder Osten, aufbewahrt und erhält sich bei gehöriger Sorgfalt das ganze Jahr gut. Mehl und Korn wird meistens vom nahen Cläven bezogen. Das Veltlin aber liefert den Ober-Engadinern ein schönes Quantum Wein. In vielen Hä» seru sind ein oder mehrere Fässer mit altem Veltliner, der in den hiesigen Kellern sich ungemein gut macht uud lange erhält, besonders wenn er dann und wann mit gutem neuem ausge- srischt wird. Obst bezieht man vom Domleschg, Kolvnial- waaren von Chur. Das Ober-Engadin hat manche eigenthümliche Sitten. Wie anderwärts, ist auch hier das „Neujährlen" stark im Schwünge. Die Kinder binden sich Säcke um den Hals und gehen zusammen von Haus zu Haus, um ein gutes Neujahr zu wünschen, wofür jedes eine kleine Gabe an Geld und anderes erhält. Am 0. Januar— Bavauia — verkleidet sich die Jugend zu Ehren der heiligen drei Könige und läßt sich so gern in den Häu sern herum sehen. Auch wird au diesem Abende aus einem prophetischen Büchlein auf besondere Fragen neckische Antwort gewürfelt. Gleich nach dem Neujahr fangen die sogenannten Alle grezchas an. Die Familie» laden sich gegenseitig für einen Nachmittag zum Kaffe ein. Mit einer Handarbeit versehen, folgen dann die Weiber schon bald nach dem Mittagsmahle der Einladung. Es werden allererst die Ereignisse des Dorfes gründlich besprochen, wobei man Arvennüssc knackt und etwa auch ein Glas Wein trinkt; oder es wird ein hier gebräuch liches, ziemlich unschuldiges Kartenspiel vorgenommen, das man gewöhnlich unter fünf Personen spielt — Tschinqnina. Um drei Uhr wird ein starker Kaffe mit allerlei leckerem Ge- bäcke servirt. Sodann wird bei Veltliner Wein, Konfekt und Arvennüssen wieder gespielt und geplaudert bis zum Abend. Dann und wann hat die erwachsene Jugend eine Tauzbelust! gung, wozu die Jünglir;,e der benachbarten Dörfer eingeladcu zu werde» pflegen. Es herrscht bei diesen Bällen immer eine :w *