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218 eckige, bald säulenartige Bildungen zeigend. Viele dieser Ba salthaufen sind ausgedehnten Ruinen ähnlich. Der zahlreich vorkommende Name „Alte Burg" deutet hier weit öfter auf solche Aehnlichkeit, als auf historische Wirklichkeit; denn hier hatte das Ritterthum nichts zu suchen. Die Heideflächen sind ganz besät mit Blöcken. So gleichmäßig und dicht hat die Na tur diese Steinleichen mit Rasen bedeckt, daß der Beschauer meint, vor einem ungeheuren Friedhof niit Tausenden von Gräbern zu stehen. Der höchste Punkt ist der Taufstein, nach Cotta 786 m. hoch (2419, nach andern 2407 oder 2503 Paris. F.). Auf ihm finden sich Basaltblöcke mit ziemlich regelmäßigen, muldenartigen Vertiefungen. Der Sage nach hat hier Bonifazius an den alten Hessen Taufhandlungen verrichtet, und dies erscheint in der That nicht so unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß er in dem nur vier Meilen entfernten Fulda und in dem nicht viel weiter abgelegenen Amöneburg längere Zeit seinen Sitz hatte und gern die höchsten Punkte, die zuvor den deutschen Göttern geweiht waren, zu solchen Handlungen auswählte. Der Taufstein ist bis zur Höhe bewaldet und läßt wenig Aus sicht zu. Diese hat man besser auf dem nahen Hohen Roths kopf (Hohenrodskopf 672 m.) und auf der Herchenhainer Höhe (732 m.). Von letzterer hat man über die südlichen und westlichen Abhänge des Vogelsberges und über die Vorberge der Rhön und des Spessart einen guten Blick. Der Bielstein (672 m.) ist mit einer ungeheuren, in die Lüfte starrenden Ba saltklippe gekrönt, auf welcher, der Sage nach, in der heid nischen Zeit ein Götzenbild gestanden hat. Heutzutage pflanzen am Vorabende des Pfingstfestes die Burschen von Busenborn unter Gesang, jedesmal nach alter Sitte, eine mächtige Maie darauf, womit sie der Wetterau den Festgruß entbieten. An dem nördlichen Abhange des Bielsteins ist „der Else ihr Keller", eine ziemlich ansehnliche Felsenhöhle, in welcher die Else, eine gespenstige Bergfrau, wohnen soll. Das vom Aber glauben umflorte Auge des Vogelsbergers sieht sie daselbst kochen, spinnen und ihre Wäsche trocknen. Südlich im Walde befindet sich eine Art Felsenmeer, das aus einzelnen großen Felsblöcken und aus wirr zusammengehäuften Felsenmassen besteht. Hohe Kuppen sind noch „die sieben Ahorne" (767 m.), der Nesselberg (719 m.) und der Gackerstein (659 m.). Der Plateaurand des Oberwaldes fällt theils steil, theils in flachen Böschungen ab. Durch die Einsattelungen des Randes scheinen die Lavaströme sich ergossen zu haben, denn der größre Theil der Oberfläche besteht aus basaltischer Lava. Vom Hohen Vogelsberge aus ziehen flache, gestreckte Rücken, flache Gehänge nieder in die tiefe» Thäler der Fulda, Kinzig, Wetter und Lahn und bilden so den nicdern Vogelsberg. Alle Thäler dessel ben sind Radienthäler. Nicht einen einzigen Thalkessel wird man auffinden. Wenn die Divergenz der Thäler die da zwischen liegenden langen Rücken verbreitert, so tritt gewöhn lich ein untergeordneter Basaltkegel als neuer sekundärer Cen tralpunkt auf, von dem aus neue Thälchen beginnen. Die letz teren sind alle einfache, flache Bodeneinschnitte. Jene Basalt kegel zweiten Ranges tragen gewöhnlich solche Namen , die auf Kuppe, Köppel, Stein, Kopf und dergl. endigen, z. B. Steins-, Roder-, Gier-, Ziegen- nnd Gaulkopf, Saustallskuppe, Eich köppel re. Sie bilden am Rande des zweiten Plateau's die steilen Ausläufe, zwischen denen sich wieder flache Böschungen zu einer neuen Terrasse hinabsenken, die wieder Vorsprünge, äußeren Ringmauern, Basteien und Vorwerken gleichend, aufweist. Es spricht sich daher im Gesammtbilde des Vogelsberges eine ge wisse Eintönigkeit aus, weil ihm die manigfaltige Gliederung von Längsthälern mit hie und da durchsetzenden Querthälern fehlt, welche anderen Gebirgsgegenden so hohe landschaftliche Reize verleihen. Entsprechend den vielen Längsthälern hat der Vogelsberg auch viele Wasserläufe, von denen die meisten auf der größten Erhebung ihren Anfang nehmen. Die Flüsse und Bache haben jedoch meist keine Quelle, sondern Quellbezirke. Die Niederschläge sickern nicht tief ein, sondern laufen auf dem Basaltboden unter den feuchten Wiesen- und Weidegeländen ab, und erst nach und nach gewinnen die Gewässer ein be stimmtes Rinnsal. Erst weiter abwärts, wenn die Thäler stei lere Gehänge haben, zeigen sich wirkliche Quellen. Der Vo gelsberg bildet wie die Rhön eine Scheid e zwischen den Zu flüssen der Weser und des Main. Auf der sumpfigen Niederung des Oberwaldes entspringen sowohl die dem Main zu- gehörige Nidda, als der der Schlitz und Fulda und somit dem Wesergebiete angehörende Ellersbach. Die nennenswerthesten Flüsse sind: die Lüder, Schlitz, Schwalm (Wesergebict), Wetter, Nidda, Nidder (Maingebiet) und Ohm (Lahugebict). Zahl reiche Bäche speisen diese Flüsse. Der niedere Vogelsberg ist wenig mit Wald bedeckt; er besteht hauptsächlich aus Wiese-, Weide- und Ackerland. Ter Boden ist ziemlich fruchtbar, da der zu fetter, schwärzlicher Erde verwitterte Basalt das Wachsthum der Pflanzen und ine besondere des Getreides sehr befördert. Wenn trotz dessen der Vogelsberg nicht zu den fruchtbaren Gegenden Hessens gehört, so liegt der Grund einmal in der beträchtlichen Höhe des grö ßeren Theils desselben, dann aber auch darin, daß der Vcr witternngsprozeß nur erst eine schwache Hnmusdccke erzeugt hat, deren Festhalten an den Gehängen noch obendrein wenig ge sichert ist. Da die Emporsteigung des Vogelsbergcs erst spät, in der Tertiärzeit stattgefunden hat, so war bis jetzt die Ein wirkung der auflösenden und abspülenden Kräfte der Luft und der atmosphärischen Gewässer eine sehr beschränkte. Ueberall schant noch der rauhe schwarze Basalt aus dem Boden herau-- Da die übrigen klimatischen Verhältnisse des Bogels berges nicht günstig sind, so gehört diese Gebirgsgegend zu de»- jeuigeu (Westerwald und Rhön), deren landwirthschaftliche Un ergiebigkeit zu bedenklichen Nothzuständen geführt hat. Tie Winter sind rauh und kalt und der Schneefall ist so bedeutend, daß oft alle Kenntuiß der Gegend nicht vor dem Verirren schützs- Scharfer Nvrdsturm, die sogenannte „Hessenluft", braust oft über die uuwirthlichen Abhänge. Kein Höhenzug schützt »»^ Norden z», während der Spessart und der Taunus ihm dis Süd- und Westwinde schon bedeutend abgekühlt zusenden. V« solchem „Wüsterwetter", wo der schärfste Wirbelwind die dichte» kalten Nebel jagt und den Schnee zu häuserhohen Wehen z»' sammentreibt, braucht man dann nach dem Volkswitze in dB höchst gelegenen Orte Herchenhain drei Mann zu einer Pelz kappe, einen, der sie trägt und zwei, die sie halten. Wäre» die Höhen besser mit Wald bestanden, so würden auch die Thäle» mehr Schutz haben. Leider scheinen die vielen Kohlenmeiler die schon gelichteten Buchenhaine des Oberwaldes noch mehr z» lichten, während es doch klar ist, daß die kühlen Waldhöhen die wahren Kondensatoren der Feuchtigkeit für diese Gegenden si»d- , Wenn nicht in Zukunft durch eine rationelle Forstwirthsch»» 1 der Entwaldung entgegen gearbeitet wird, so wird eine kommen, wo die Nothstände noch größer sein werden. Z»" Bildung humusreicher Erde wird noch weniger die Beding»»!' vorhanden sein, und die herabstürzendcn Wasser werdend»' dünne aber fruchtbare Erdschicht abschwemmen und den schwarze» Basalt zu Tage treten lassen, wie es hier und da schon ersieh' lich ist. . - Schon jetzt steht der Vogelsberg als eine Gegend in Vcr ruf, „wo es drei Vierteljahr Winter nnd ein Vierteljahr ka> ist, wo außer Hafer und Kartoffeln nichts wachsen will, st" nur der grausame Schnee gcräth", mit einem Worte als />» Buchfinkenland" und als „ein hessisches Sibirien". Ucbrige») haben die Vogelsberger selbst dazu beigctragcn, daß ihre b» gend so verrufen ist. Alljährlich ziehen einzelne Vogelsbergs hinab in's „Junkerland", in die Wetterau, und da allen gelsbcrgern eine ungemeine Pfiffigkeit eigen ist, so überbiet^ sie sich in haarsträubenden Schilderungen ihres rauhen Klim» ihrer geringen Ernten, ihrer entsetzlichen Armuth, um st»» auf das Mitleid der Wohlhabende» z» fpeknlirc». Diese geb»' im Gefühle ihrer besser» Lage gern, während der Vogelsberg» sich über ihre Dummheit lustig macht und sich seiner KnnstgE rühmt. Da die Hanptlandstraßen und die Eisenbahnen de» - , gelsbcrg umgehen, so findet keine Industrie und kein daselbst Boden. Wohl ziehen die Vogelsberger hinab nach