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1W kandia. Seine Oberfläche, seine Geschichte »nd seine Bewobner. Bon Gustav Jaquet. (Schluß.) Wenige Monate nach dem Ausbruche des Aufstandes der pc- loponnesischen Inselgriechen, in den letzten Wochen des Jahres 1821, erhoben sich auch die krctensischcu Hellenen, und zwar mit so gutem Erfolge, daß, nachdem von der neu errichteten grie chischen Regierung in Argos eine Hilfsschar dorthin gesendet Morden, der größte Theil der Insel für die Türkei verloren ging. Doch vermochten die Insurgenten nur kurze Zeit sich zu behaupten. Den europäisch geschulten Scharen, welche Mehe- med Ali von Aegypten herüber führte, erlag bald ihre wilde, aber ungeregelte Tapferkeit. Nur die Bewohner der „Weißen Berge", die Sphakioten, behaupteten sich unabhängig, nnd sind es bis auf den heutigen Tag, begünstigt durch das unwegsame Terrain ihres Gebietes, geblieben. Dagegen haben die verschiedenen, von den Griechen des kretensischen ebneren Landes unternommenen Ansstände keinen Erfolg gehabt. Der letzte dieser Bcfrcinngsversüchc gehört der jüngsten Vergangen heit an. Er begann im Sommer 1866 nnd hatte während des Wahres 1867 manche Chancen des Gelingens für sich, da sich Königreiche Griechenland warme, in mancherlei Weise sich betätigende Sympathien für den Kampf der Stammes- und Glaubensgenossen knnd gaben und auch ein paar von den europäischen Großmächten der Trennung Kandia's vom tür- Men Reiche und seiner Vereinigung mit dem Königreiche Griechenland nicht abgeneigt schienen. In dieser Zeit strömten dem Aufstande zahlreiche Kämpfer aus dem hellenische« König liche, von den kleinasiatischen Inseln und aus Thessalien, da rben aber auch ehemalige Kampfgenossen Garibaldi's und Muteurcr aus aller Herren Ländern zu. Mit ihrer Hilfe ge- Mg es der von den Insurgenten zu Apokoronos oder Ampi- Msona, einem Flecken östlich der Stadt Kauen, errichteten „pro- irischen Regierung", ihre Gewalt über den größern Theil i Platten Landes der Insel auszudehnen, während freilich mr größern Städte und festen Plätze fortwährend im Besitze i Türken blieben. Doch allmählich verlor der Ausstand an "rrain und erlosch im ersten Quartal 186!» gänzlich. So viel aus der Geschichte der Insel; beschäftigen wir i jetzt mit ihren Bewohnern! Deren Anzahl muß zur vÄ der höchsten Blüte Kreta's — d. h. in dem Zeiträume vom des Peloponnesischen Krieges bis zum Tode Alexander'? Kroßen, und dann wieder im 1. Jahrhundert nach Ehr. Eburt, wo ein langer andauernder Friede über den Gefilden Griechenlands waltete — 1,100,000 bis 1,200,000 Seelen fragen haben. Denn Gortyna, Knossos nnd Kydonia, die .Wütendsten unter den autonomen Zwölfstädtcn, hatten, ein- Meßlich der zahlreichen Sklavenbevölkernng, nach den Zcng- ^>1 damaliger Schriftsteller, jede weit über 100,000 Be aver, „nd Lyktos, Elyros nnd Hierapytna, drei andere «awölsstädtc", standen ihnen an Bevölkerung wenig nach. Auch i Zeit, als die Araber sich des schönen Eilandes bemächtigte», i dessen Bevölkerung noch gegen 1,000,000, und als es in /"Besitz Venetiancr gelangte, noch gegen 8oo,oooSeelen /ragcn haben. Ja selbst noch nach den Verheerungen des -Ihrigen Krieges zwischen den Venetianern nnd den schließ- H obsiegenden Türken (1645 bis 1660), zählte die Insel — i"^sie während desselben mehr denn 70,000 ihrer Bürger "rch Seuchen, Hnngersnoth und durch das Schwert der Feinde Floren hatte — noch ansehnlich über eine halbe Million Be- ..°Mr. Im Anfänge des gegenwärtigen Jahrhunderts war auf zu,oo gesunken ; und eine znm Behufe der Steuer- iEvung vorgenommene genauere Zählung im Jahre 1850 ^ab u„r „och 212,100; nämlich 88,212 Mohammedaner nnd h' 'Ä? Fristen. Diesen letzteren traten indessen noch die in g^eit lebenden, also in der Zählung nicht mit in- l^ieuen Sphakioten — damals etwa 14,000 bis 16,000, griechische Christen, hinzu. Seitdem aber hat infolge des andauernden türkischen Druckes, verschiedener Aufstands versuche, Kämpfe und fortdauernder Auswanderung die Ent völkerung noch zugenommen. Gegenwärtig mögen ans der ganzen Insel, einschließlich der Sphakioten (deren Reihen der letzte Aufstand sehr gelichtet hat), nicht mehr als 1^0,000 Men schen leben. So haben Kriege, Seuchen, Auswanderung nnd vornehmlich der türkische Despotismus die Bevölkerung herab gedrückt! Auch der Anbau der Insel hat fortwährend Rück schritte gemacht, und sind gegenwärtig nur noch etwa zwei Fünfthcile des Bodens wirklich angebaut. Von den mohammedanischen Bewohnern Kandia's sind zwei Vicrtheile osmanische Türken, ein Viertel zum Islam überge tretene Griechen — welche Sitten, Tracht und Sprache ihrer Stammesgenossen, trotz ihres Glaubenswechsels, meistentheils beibehalten haben — und ein Viertel Abadioten, d. i. Nach kommen der einstigen arabischen Eroberer; gefürchtete Räuber zu Lande und zu Wasser. Die Christen aber, sämmtlich grie chischen Stammes, sind bis auf etwa 2000 Armenier nnd dop pelt so viel Katholiken, Anhänger der griechisch-orthodoxen Kirche, die hier einen Erzbischof (zu Kandia) und zwei Bischöfe (zu Ka- nea und Rettimo) hat. Juden gibt es nur einige hundert in den Seestädten. Die Bevölkerung ernährt sich, soweit sie nicht zum Militär oder zu den Beamteten oder der Geistlichen gehört, vorwiegend vom Acker- und Gartenbau. Nur die Abadioten sind, sofern sie nicht dem Räuberhandwerk obliegen, nach der Sitte ihrer arabischen Altvordern, Hirten nnd Viehzüchter. Die Bewohner der Seestädte treiben mit den geschätztesten der vegetabilischen Produkte Kreta's — Olivenöl, Wein, Süd früchten, Baumwolle und Gummi — desgleichen mit den im Lande bereiteten, im ganzen türkischen Orient geschätzten Käsen nnd Seifen, einen ziemlich belangreichen Ausfuhrhandel, welcher griechische, englische, italiänische, französische und andere Schiffe in Menge in die Häfen der Insel führt, die hinwiederum den selben thessalische Gewebe nnd westeuropäische Manufaktur- und Fabrikwaaren zuführen. Der Handel ist's denn auch, welcher den drei, von den früheren zwanzig und einigen noch übrig ge bliebenen Städten — Kandia, Kanea und Rettimo — noch ei niges Leben und sogar, trotz ihrer durchaus orientalischen Bau art und Umgebung, einen gewissen Anstrich von wcsteuro päiscker Kultur verleiht. Im Beginne des gegenwärtigen Jahr Hunderts betrug die Zahl der Einwohner in Kandia etwa 14,000, in Kanea 11,000 und in Rettimo 5000 Seelen; ge genwärtig kann man nur noch ungefähr 10,000, 8000 und 4000 Bewohner annehmen. Die Sitten der kretensischen Griechen, ihre Tracht, ihre religiösen und politischen Anschauungen kommen denen der Griechen des Königreichs fast gleich; an Wohlhabenheit nnd Bildung aber stehen sie ihnen erheblich nach. Da sie indeß nicht so starke Vermischungen wie diese mit anderen Nationalitäten erfahren haben, so haben sic den althcllcnischen Typus reiner bewahrt und bilden einen schönen, in seinen Physiognomien lebhaft an die Zeitgenossen des Themistokles nnd Perikles er innernden Menschenschlag. Am reinsten bewahrten den alt hellenischen Typus die Sphakioten; doch sind ihre Frauen minder schön als die Griechinnen in den übrigen Theilen Kan dia's , weil ihr Loos ein härteres ist nnd fast die gesammte Haus- und Feldarbeit auf ihren Schultern lastet. Der männ liche Sphakiot leistet ihnen dabei, weil er solches unter seiner Würde hält, nur selten Unterstützung. Er kennt und übt bei nahe nur den Krieg (gegen die Türken), die Jagd und die Blutrache. Die Verfassung der „Sphakia" (des Landes der Sphakioten im Weißen Gebirge und an den südwestlichen Küsten) ist die, daß jede der kleinen Gemeinden, in die das Ländchen zerfällt, unter einem erblichen Häuptling, „Capitano" geheißen, steht, welche aus sich einen lebenslänglichen Obercapitano