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178 stille aber mächtige Bewegung und Umwälzung, welche dem Stillstand in der historischen Entwicklung jener Länder ein Ende macht und an die Stelle deL potamischen Kultur die ozeanische setzt. Wir sehen Japan, das ozeanischeste und insularste dieser Länder von einer durch den Widerstreit beider Kulturen hervorgerufenen Staatsuniwälzung erschüttert nnd endlich ohne Rückhalt sich der neuen Kultur zuwenden. In China, dem Hauptland der potamischen Kultur, und zugleich dem kontinentalsten derselben, findet diese Aenderung der Ver hältnisse nur mählich, nur Schritt für Schritt, kaum merklich, statt. Doch ein Ereigniß ist von der mächtigsten, tiefgreifendsten Bedeutung für diese Kultnränderung in China. Es ist dieses die immer größere Dimensionen annehmende Auswanderung seiner Bewohner in die sogenannte neue Welt. Die Auswanderung von Chinesen aus ihrem vielge priesenen Reich der Mitte ist ein Ereigniß, welches schon die Geschichte längst vergangener Zeitepochen kennt. Die hinter indischen Reiche Siam, Anuam, Birma sind die Produkte chine sischer Massenemigration. Chinesischer Einwanderung und Besiedlung verdankt China den Besitz Formosa's, und die Be siedlung und Kultivirung Japan's scheint ihren Ursprung gleichfalls chinesischer Einwanderung zn verdanken. Aber alle diese Länder, nach welchen sich früher der Strom der chinesischen Auswanderung ergoß, harrten damals erst der Kultur. Die chinesischen Einwanderer brachten sie ihnen und erweiterten durch ihre Besitzergreifung das Gebiet ihrer heimat lichen Kultur. Anders verhält es sich mit ihrer Auswanderung in die neue Welt. Da finden sie die mächtige europäische Kultur, welche bereits beherrschend festen Fuß gefaßt; diese Länder sind bereits in den Bannkreis und in das Machtgebiet einer mächtigen Kultur gezogen, und die chinesischen Ankömm linge mußten dieser gegenüber Stellung nehmen; welches ist nun diese Stellung, die sie genommen? Um diese Frage zu beantworte», müssen wir einen Blick auf die chinesischen An siedler in der neuen Welt und ihre Verhältnisse werfen. Die Auswanderung der Chinesen richtet sich hauptsächlich nach dem Westen der Vereinigten Staaten von Nordamerika und nach den englischen Kolonien in Südanstralien. In zweiter Linie geht ihr Zug nach den pacifischen Küsten Süd-Amerika's (Peru und Chile), nach den bereits kolonisirten Inseln Polynesiens (Gesell schaftsinseln) und in der allerjüngsten Zeit nach den Antillen und den ehemaligen Sklaven-Staaten der nordamerikanischen Union. In Südaustralien mögen bis jetzt 60—80,000, in die in zweiter Linie genannten Länder 150,000 Chinesen eingewandert sein. Diese Auswanderung begann zu Ende der vierziger Jahre dieses Jahrhunderts. Unter den 113 Gründern San Francisco's werden Chinesen genannt, und es ist daher anzunehmen, daß schon zur ersten kalifornischen Goldfieberperiode in den Jahren 1847 und 1848 SöhnedesBlumcnreiches an der San-Francisco- Bai gelandet waren. Aber eine eigentliche Masseneinwanderung in Kalifornien wurde erst in den fünfziger und sechziger Jahren bemerkbar. Die Motive dieser Einwanderung sind in dem großen Mangel an Arbeitskräften und in dem Ueberfluß an Arbeit in der goldreichen Kolonie zu suchen. Die Ueber- völkerung China's bot nun dem erwähnten Mangel Abhilfe und seine der kalifornischen Küste gegenüber befindliche See lage erleichterte ungemein den Verkehr, der viel kürzer, leichter und einfacher war, als der mit Europa und selbst mit den östlichen Theilen der Vereinigten Staaten. Spekulative Unternehmer warben auf redliche und unlautere Weise an den chinesischen Küstenplätzen Arbeiter zur Ueber- schifsung nach den pacifischen Gebieten der Nordamerikanischen Union. Aus kleinen und sporadischen Anfängen entwickelte sich allmählich eine regelmäßige, immer umfangreicher werdende Auswandererexpedition von China nach Kalifornien nnd seinen Nebengebieten, und die anfängliche Pressung von Auswanderern durch List oder Gewalt ward schließlich zur freiwillige» Emi gration derselben, und die immer größer werdende Auswan derungslust in den unteren Volksschichten der Küstenprovinzen China's ist das erste Symptom einer Aenderung der Weltan schauung in jene»! Riesenreiche. Aehnlich Ivie nach Kalifornien entwickelte sich auch die chinesische Auswanderung nach Süd-Australien, während die südamerikanischcn Republiken und die französischen Kolonien in Ozeanien durch unkluge Regierungsmaßregeln ihre Ent wickelung hemmten. Kalifornien, als das älteste Ziel der trans ozeanischen Auswanderung China's, bildet auch das vollkommenste Bild dcr Zustände, die sich bei diesen Einwanderern in der neuen Welt entwickeln. Die Zahl der Chinesen, die sich gegenwärtig in Kalifornien nnd seinen Nachbargebietcn (Nevada, Jdalw, Oregon, Arizona nnd Washington-Territory) befinden, beläuft sich auf etwa 80 bis 100,000. Sie sind in sehr streng orga nisirte Gesellschaften getheilt, an deren Spitze reiche chincsijchc Kaufleute stehen, welchen die Kulis oder die Arbeiter und überhaupt die ärmeren Chinesen in gewissem Sinne tribut pflichtig sind. Sie sind gesuchte Arbeiter, auf dem Felde und iu den Bergwerken sowohl als auch iu den Fabriken. Ruhiges und anhaltendes, geschicktes und verläßliches Arbeiten zeichnet sie aus, während ihre genügsame Lebensweise sie in Stand setzt, die Löhne wirksam zu drücken und die Arbeit an sich»» ziehen. Wäre ihre Zahl größer, sie würden der deutsche» Arbeit gefährliche Konkurrenz machen; jedoch macht andererseits ihre Unredlichkeit, ihre Sittenlosigkeit (die Chinesen stellen das Hauptkontingent der kalifornischen Prostitution) und ihr Schmus daß man andere, insbesondere deutsche Arbeiter bei Halbwegs gleichen Bedingungen vorzieht. Ein großer Theil, vielleicht die Hälfte der in Kalifornien wohnenden Chinesen hat in dessen Hauptstadt, San Francisco, seinen Sitz, und zwar mitten im Herzen derselben; sie si»d gerngesehene Miether, da sie hohen Zins und stets baar voraus zahlen. Die großen Handelshäuser sind sehr bedeutende Z>» Porteure, während cs eine Unzahl kleiner chinesischer Händler gibt. Sie sind schlaue und gewiegte, sehr mißtrauische Kaus- lcute, uud selbst dem raffinirtesten Amerikaner gelingt es Ml einen Chinesen zu übervortheilen, wohl aber von ihm übcrvor theilt zu werden. Unter sich ordnen sic die Rechnungen >»» Neujahrsfeste, das sie sehr geräuschvoll feiern, während s»' mit Nichtnationalen nur gegen sogleich baare Bezahlung Geschäfte machen. Als Dienstboten sind Chinesen in S»» Francisco sehr gesucht, ebenso als Wäscher, und die Cigarre»- fabrikation, welche die einzelnen Arbeiter für eigene Rechnung handwerksmäßig betreiben, ruht fast ganz in ihren Hände'» Durch den Schmuggel, den sie mit vieler Arglist treiben, dura ihre Spiclwnth und ihren Hang zum Bieineid gerathen sie »^ der Polizei fortwährend in Konflikt. Sie kümmern sich uni Ec setze überhaupt nur so lange, als sie von dcr Polizei hier,» direkt angehalten werden, und niemand versteht es besser, dieb Behörde zn hintergehen, als eben die Chinesen. Ihr Theater ist ganz national eingerichtet. Die Frane» rollen werden von Männern gegeben und in der Kostümiru»g wird fabelhafter Luxus entwickelt. Die Zuschauer rauchcn wn schwatze» während der Vorstellung und erfüllen den Raum »»' Lärm und Dunst. Chincsischc Quacksalber, die als Aerztc m» oft als Wunderdoktoren auftreten, sind in San Francisco M häufig und finden starken Zulanf; ein gewisser Lipotai hat s'sv unter diesen einen besonders großen Rnf erworben. Chinesen, welche in Kalifornien fast ausnahmslos dem Bud^ hismns huldigen, besitzen in San Francisco einen Tempel de- Götzen Josch mit Priesterschaft; er ist ganz im chinesischen E» schmacke gebaut. Sie besitze» daselbst auch einen provisorische Friedhof, wo die Leichen in Gewölben bcigesetzt werden, »"' dann »ach China znm endgiltigen Begräbniß geschickt zu werde» Diejenigen Leichen, derenHinterbliebene die Frachtkosten nichts streiten können, werden auf Kosten in China bestehender thätigkeitsvercine übcrgcftthrt. Ten» kein Chinese landet an Küste der fernen Fremde in der Absicht, dort zu blcibe'» Erwirbt er auch Haus und Hof, Acker nnd Feld: sein B» wendet sich immer sehnsuchtsvoll nach der geliebten He"'»'' und ist es ihm nicht vergönnt, dem Glücke die Güter ad»», gewinnen, die ihn in den Stand setzen, als „reicher Bia»» heimzukchren, so will er wenigstens nach dcm Tode b» entseelte Hülle dem heimatlichen Boden übergeben. Er b»